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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.

Das Patent brachte endlich Klarheit in verdunkelte Rechtsverhält-
nisse. Gleichwohl erntete der König keinen Dank dafür; denn man
fürchtete allgemein, daß die den Dissidenten so großmüthig gewährte Frei-
heit zugleich als ein Mittel dienen sollte um das doctrinäre Ideal einer
sichtbaren Kirche von Gläubigen zu verwirklichen und die Zweifelnden aus
der Landeskirche zu verdrängen. So geschah es auch. Rupp, Uhlich, Wisli-
cenus hatten sich inzwischen mit ihren Anhängern zu freien Gemeinden
zusammengethan; gleich ihnen der Prediger Baltzer in Nordhausen, auch
er ein grundguter, herzensfrommer Mann, bekannt durch sein phrasen-
reiches Gedicht:

Luther's Geist er macht Euch frei
Von des Wahnes Tyrannei!

Sie Alle sahen sich nunmehr gezwungen die Landeskirche zu verlassen; Rupp
ward auch aus dem Gustav Adolfs-Vereine ausgeschlossen, weil ihn die Mehr-
heit nicht mehr für einen Christen gelten ließ. Gegen Uhlich war der
König besonders aufgebracht; er nannte ihn undankbar, da er ihm doch
"unerhörte Schonung" erwiesen, seine Berufung nach Magdeburg nicht
gehindert hätte.*)

Die Magdeburgische Gemeinschaft schien anfangs kräftig zu gedeihen,
sie zählte 5000 Köpfe und war nicht arm an Werken christlicher Liebe.
Bald aber erfüllte sich auch an ihr wie an allen anderen freien Ge-
meinden die alte Wahrheit, daß sich eine Kirche nicht auf Verneinungen
aufbauen läßt. Zumal im deutschen Volke, das für die Sektirerei
niemals viel Sinn gehegt hat, konnten sich kleine Sonderkirchen immer
nur dann behaupten, wenn sie durch die Kraft mystischer Verzückung,
begeisterter Glaubensinbrunst getragen wurden. Von Alledem zeigte
sich hier keine Spur. Die rohe Kritik des ungeschulten Verstandes
drängte die freien Gemeinden von einem Nein zum andern. Manche
verzichteten bald auf jedes Bekenntniß, andere auf die Sacramente; in
Magdeburg wirkte eine Zeit lang ein ungetaufter Jude mit; Wislicenus'
Hallische Gemeinde gab selbst den Namen einer kirchlichen Gemeinschaft auf
und hielt ihre Versammlungen unter den heiteren Klängen der Pickelflöte.

Da die Volksversammlungen der Lichtfreunde schon im August 1845,
nach dem Vorgange Sachsens, verboten wurden, so verschwand die neugierige
Theilnahme des großen Publicums schnell, und als nunmehr die Politik
alle Leidenschaften der Zeit in Anspruch nahm, da wurden auch die freien
Gemeinden in die Wirbel der politischen Opposition hineingerissen. Das
Strohfeuer der religiösen Erregung verflackerte, die Mehrzahl der Genossen
ging in das demokratische Lager über. Uhlich's Freund, der nach Bremen
übergesiedelte Prediger Dulon ward ein Apostel des wilden Radicalismus,
während Uhlich selbst auch in der Politik seine kleinbürgerliche Ehrbarkeit

*) König Friedrich Wilhelm an Eichhorn, 3. Juni 1846, an Thile, 19. April 1847.
V. 4. Die Parteiung in der Kirche.

Das Patent brachte endlich Klarheit in verdunkelte Rechtsverhält-
niſſe. Gleichwohl erntete der König keinen Dank dafür; denn man
fürchtete allgemein, daß die den Diſſidenten ſo großmüthig gewährte Frei-
heit zugleich als ein Mittel dienen ſollte um das doctrinäre Ideal einer
ſichtbaren Kirche von Gläubigen zu verwirklichen und die Zweifelnden aus
der Landeskirche zu verdrängen. So geſchah es auch. Rupp, Uhlich, Wisli-
cenus hatten ſich inzwiſchen mit ihren Anhängern zu freien Gemeinden
zuſammengethan; gleich ihnen der Prediger Baltzer in Nordhauſen, auch
er ein grundguter, herzensfrommer Mann, bekannt durch ſein phraſen-
reiches Gedicht:

Luther’s Geiſt er macht Euch frei
Von des Wahnes Tyrannei!

Sie Alle ſahen ſich nunmehr gezwungen die Landeskirche zu verlaſſen; Rupp
ward auch aus dem Guſtav Adolfs-Vereine ausgeſchloſſen, weil ihn die Mehr-
heit nicht mehr für einen Chriſten gelten ließ. Gegen Uhlich war der
König beſonders aufgebracht; er nannte ihn undankbar, da er ihm doch
„unerhörte Schonung“ erwieſen, ſeine Berufung nach Magdeburg nicht
gehindert hätte.*)

Die Magdeburgiſche Gemeinſchaft ſchien anfangs kräftig zu gedeihen,
ſie zählte 5000 Köpfe und war nicht arm an Werken chriſtlicher Liebe.
Bald aber erfüllte ſich auch an ihr wie an allen anderen freien Ge-
meinden die alte Wahrheit, daß ſich eine Kirche nicht auf Verneinungen
aufbauen läßt. Zumal im deutſchen Volke, das für die Sektirerei
niemals viel Sinn gehegt hat, konnten ſich kleine Sonderkirchen immer
nur dann behaupten, wenn ſie durch die Kraft myſtiſcher Verzückung,
begeiſterter Glaubensinbrunſt getragen wurden. Von Alledem zeigte
ſich hier keine Spur. Die rohe Kritik des ungeſchulten Verſtandes
drängte die freien Gemeinden von einem Nein zum andern. Manche
verzichteten bald auf jedes Bekenntniß, andere auf die Sacramente; in
Magdeburg wirkte eine Zeit lang ein ungetaufter Jude mit; Wislicenus’
Halliſche Gemeinde gab ſelbſt den Namen einer kirchlichen Gemeinſchaft auf
und hielt ihre Verſammlungen unter den heiteren Klängen der Pickelflöte.

Da die Volksverſammlungen der Lichtfreunde ſchon im Auguſt 1845,
nach dem Vorgange Sachſens, verboten wurden, ſo verſchwand die neugierige
Theilnahme des großen Publicums ſchnell, und als nunmehr die Politik
alle Leidenſchaften der Zeit in Anſpruch nahm, da wurden auch die freien
Gemeinden in die Wirbel der politiſchen Oppoſition hineingeriſſen. Das
Strohfeuer der religiöſen Erregung verflackerte, die Mehrzahl der Genoſſen
ging in das demokratiſche Lager über. Uhlich’s Freund, der nach Bremen
übergeſiedelte Prediger Dulon ward ein Apoſtel des wilden Radicalismus,
während Uhlich ſelbſt auch in der Politik ſeine kleinbürgerliche Ehrbarkeit

*) König Friedrich Wilhelm an Eichhorn, 3. Juni 1846, an Thile, 19. April 1847.
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[360/0374] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. Das Patent brachte endlich Klarheit in verdunkelte Rechtsverhält- niſſe. Gleichwohl erntete der König keinen Dank dafür; denn man fürchtete allgemein, daß die den Diſſidenten ſo großmüthig gewährte Frei- heit zugleich als ein Mittel dienen ſollte um das doctrinäre Ideal einer ſichtbaren Kirche von Gläubigen zu verwirklichen und die Zweifelnden aus der Landeskirche zu verdrängen. So geſchah es auch. Rupp, Uhlich, Wisli- cenus hatten ſich inzwiſchen mit ihren Anhängern zu freien Gemeinden zuſammengethan; gleich ihnen der Prediger Baltzer in Nordhauſen, auch er ein grundguter, herzensfrommer Mann, bekannt durch ſein phraſen- reiches Gedicht: Luther’s Geiſt er macht Euch frei Von des Wahnes Tyrannei! Sie Alle ſahen ſich nunmehr gezwungen die Landeskirche zu verlaſſen; Rupp ward auch aus dem Guſtav Adolfs-Vereine ausgeſchloſſen, weil ihn die Mehr- heit nicht mehr für einen Chriſten gelten ließ. Gegen Uhlich war der König beſonders aufgebracht; er nannte ihn undankbar, da er ihm doch „unerhörte Schonung“ erwieſen, ſeine Berufung nach Magdeburg nicht gehindert hätte. *) Die Magdeburgiſche Gemeinſchaft ſchien anfangs kräftig zu gedeihen, ſie zählte 5000 Köpfe und war nicht arm an Werken chriſtlicher Liebe. Bald aber erfüllte ſich auch an ihr wie an allen anderen freien Ge- meinden die alte Wahrheit, daß ſich eine Kirche nicht auf Verneinungen aufbauen läßt. Zumal im deutſchen Volke, das für die Sektirerei niemals viel Sinn gehegt hat, konnten ſich kleine Sonderkirchen immer nur dann behaupten, wenn ſie durch die Kraft myſtiſcher Verzückung, begeiſterter Glaubensinbrunſt getragen wurden. Von Alledem zeigte ſich hier keine Spur. Die rohe Kritik des ungeſchulten Verſtandes drängte die freien Gemeinden von einem Nein zum andern. Manche verzichteten bald auf jedes Bekenntniß, andere auf die Sacramente; in Magdeburg wirkte eine Zeit lang ein ungetaufter Jude mit; Wislicenus’ Halliſche Gemeinde gab ſelbſt den Namen einer kirchlichen Gemeinſchaft auf und hielt ihre Verſammlungen unter den heiteren Klängen der Pickelflöte. Da die Volksverſammlungen der Lichtfreunde ſchon im Auguſt 1845, nach dem Vorgange Sachſens, verboten wurden, ſo verſchwand die neugierige Theilnahme des großen Publicums ſchnell, und als nunmehr die Politik alle Leidenſchaften der Zeit in Anſpruch nahm, da wurden auch die freien Gemeinden in die Wirbel der politiſchen Oppoſition hineingeriſſen. Das Strohfeuer der religiöſen Erregung verflackerte, die Mehrzahl der Genoſſen ging in das demokratiſche Lager über. Uhlich’s Freund, der nach Bremen übergeſiedelte Prediger Dulon ward ein Apoſtel des wilden Radicalismus, während Uhlich ſelbſt auch in der Politik ſeine kleinbürgerliche Ehrbarkeit *) König Friedrich Wilhelm an Eichhorn, 3. Juni 1846, an Thile, 19. April 1847.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/374>, abgerufen am 29.03.2024.