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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Verhandlungen über das Toleranzedikt.
keit immer nur den einen Gedanken, daß Jeder nach seiner Facon selig
werden müsse, hin und her wendete. Gleichwohl suchten die erregten
Hörer in jedem unschuldigen Worte eine Anzüglichkeit; auf den Bänken
hinter dem Monarchen wurde laut gelacht, als Raumer von den gut-
müthigen eigensinnigen Fürsten sprach, die in Allem nach ihrer Ueber-
zeugung regieren wollten, und von den größeren, welche den Werth der
Persönlichkeit anerkännten. Voll Unwillens verließ der Hof den Saal.
Die Akademie benahm sich wieder ebenso klein, wie vor Jahren, als sie
Hegel den Einlaß verweigerte; wie damals durch persönliche Bosheit so
ward sie jetzt durch klägliche Angst bethört und richtete ein höchst unter-
thäniges, würdeloses Entschuldigungsschreiben an den Monarchen. Selbst
Humboldt war Hofmann genug, die langweilige Rede "maßlos" zu nennen.
Darauf erklärte Raumer seinen Austritt, obgleich Friedrich Wilhelm sich
bald wieder besänftigt hatte und über die "Excusen" seiner Akademiker
muthwillig scherzte.*)

So von allen Seiten her angefeindet beschäftigte sich der König nur
um so eifriger mit dem Toleranzedikte, das die Welt über die beiden
Grundgedanken seiner Kirchenpolitik aufklären sollte: er dachte im Staate
Jedem die altpreußische Gewissensfreiheit zu sichern, aber zugleich die evan-
gelische Kirche von allen erklärten Ungläubigen zu reinigen. Fast zwei
Jahre lang, seit dem Juli 1845, wurde darüber berathen, im Staats-
ministerium, im Staatsrathe, auch mit mehreren Theologen. Von vorn-
herein stellte der König die Regel auf, das Kirchenvermögen gehöre der
gesammten Kirche, nicht der einzelnen Gemeinde, und dürfe daher niemals
von den Dissidenten beansprucht werden: -- einen rechtlich unhaltbaren, hoch-
gefährlichen Grundsatz, der den alten Anmaßungen der römischen Curie ent-
gegenkam und, bis in seine letzten Folgerungen durchgeführt, die Ordens-
herrschaft im Herzogthum Preußen hätte wiederherstellen müssen.**) Beson-
dere Schwierigkeiten bot die Frage der bürgerlichen Eheschließung. Der im
Kölnischen Bischofsstreite bewährte Starrsinn der katholischen Priester, die
neuen Sektenbildungen, die mit der Freizügigkeit anwachsende confessionelle
Mischung der Bevölkerung, die kirchliche Gleichgiltigkeit breiter Volks-
schichten -- kurz, alle Erfahrungen der jüngsten Jahre zwangen den Staat
gradezu, die Civilehe in irgendwelcher Form einzuführen. Griff die Krone
rechtzeitig durch, dann konnte die unabweisbare Reform noch sehr wohl ohne
Verletzung der frommen kirchlichen Gefühle dergestalt erfolgen, daß die
bürgerliche Eheschließung nur aushilfsweise eintrat falls die kirchliche Trau-
ung durch anerkannte Geistliche entweder verweigert oder verschmäht wurde.

Dem Könige wurden solche Gedanken aufgedrängt durch einen häß-

*) König Friedrich Wilhelm, Entwurf für die Antwort an die Akademie, 7. März
1847.
**) Thile an Eichhorn, Savigny, Bodelschwingh, Uhden, 13. Juni 1845.

Verhandlungen über das Toleranzedikt.
keit immer nur den einen Gedanken, daß Jeder nach ſeiner Façon ſelig
werden müſſe, hin und her wendete. Gleichwohl ſuchten die erregten
Hörer in jedem unſchuldigen Worte eine Anzüglichkeit; auf den Bänken
hinter dem Monarchen wurde laut gelacht, als Raumer von den gut-
müthigen eigenſinnigen Fürſten ſprach, die in Allem nach ihrer Ueber-
zeugung regieren wollten, und von den größeren, welche den Werth der
Perſönlichkeit anerkännten. Voll Unwillens verließ der Hof den Saal.
Die Akademie benahm ſich wieder ebenſo klein, wie vor Jahren, als ſie
Hegel den Einlaß verweigerte; wie damals durch perſönliche Bosheit ſo
ward ſie jetzt durch klägliche Angſt bethört und richtete ein höchſt unter-
thäniges, würdeloſes Entſchuldigungsſchreiben an den Monarchen. Selbſt
Humboldt war Hofmann genug, die langweilige Rede „maßlos“ zu nennen.
Darauf erklärte Raumer ſeinen Austritt, obgleich Friedrich Wilhelm ſich
bald wieder beſänftigt hatte und über die „Excuſen“ ſeiner Akademiker
muthwillig ſcherzte.*)

So von allen Seiten her angefeindet beſchäftigte ſich der König nur
um ſo eifriger mit dem Toleranzedikte, das die Welt über die beiden
Grundgedanken ſeiner Kirchenpolitik aufklären ſollte: er dachte im Staate
Jedem die altpreußiſche Gewiſſensfreiheit zu ſichern, aber zugleich die evan-
geliſche Kirche von allen erklärten Ungläubigen zu reinigen. Faſt zwei
Jahre lang, ſeit dem Juli 1845, wurde darüber berathen, im Staats-
miniſterium, im Staatsrathe, auch mit mehreren Theologen. Von vorn-
herein ſtellte der König die Regel auf, das Kirchenvermögen gehöre der
geſammten Kirche, nicht der einzelnen Gemeinde, und dürfe daher niemals
von den Diſſidenten beanſprucht werden: — einen rechtlich unhaltbaren, hoch-
gefährlichen Grundſatz, der den alten Anmaßungen der römiſchen Curie ent-
gegenkam und, bis in ſeine letzten Folgerungen durchgeführt, die Ordens-
herrſchaft im Herzogthum Preußen hätte wiederherſtellen müſſen.**) Beſon-
dere Schwierigkeiten bot die Frage der bürgerlichen Eheſchließung. Der im
Kölniſchen Biſchofsſtreite bewährte Starrſinn der katholiſchen Prieſter, die
neuen Sektenbildungen, die mit der Freizügigkeit anwachſende confeſſionelle
Miſchung der Bevölkerung, die kirchliche Gleichgiltigkeit breiter Volks-
ſchichten — kurz, alle Erfahrungen der jüngſten Jahre zwangen den Staat
gradezu, die Civilehe in irgendwelcher Form einzuführen. Griff die Krone
rechtzeitig durch, dann konnte die unabweisbare Reform noch ſehr wohl ohne
Verletzung der frommen kirchlichen Gefühle dergeſtalt erfolgen, daß die
bürgerliche Eheſchließung nur aushilfsweiſe eintrat falls die kirchliche Trau-
ung durch anerkannte Geiſtliche entweder verweigert oder verſchmäht wurde.

Dem Könige wurden ſolche Gedanken aufgedrängt durch einen häß-

*) König Friedrich Wilhelm, Entwurf für die Antwort an die Akademie, 7. März
1847.
**) Thile an Eichhorn, Savigny, Bodelſchwingh, Uhden, 13. Juni 1845.
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[357/0371] Verhandlungen über das Toleranzedikt. keit immer nur den einen Gedanken, daß Jeder nach ſeiner Façon ſelig werden müſſe, hin und her wendete. Gleichwohl ſuchten die erregten Hörer in jedem unſchuldigen Worte eine Anzüglichkeit; auf den Bänken hinter dem Monarchen wurde laut gelacht, als Raumer von den gut- müthigen eigenſinnigen Fürſten ſprach, die in Allem nach ihrer Ueber- zeugung regieren wollten, und von den größeren, welche den Werth der Perſönlichkeit anerkännten. Voll Unwillens verließ der Hof den Saal. Die Akademie benahm ſich wieder ebenſo klein, wie vor Jahren, als ſie Hegel den Einlaß verweigerte; wie damals durch perſönliche Bosheit ſo ward ſie jetzt durch klägliche Angſt bethört und richtete ein höchſt unter- thäniges, würdeloſes Entſchuldigungsſchreiben an den Monarchen. Selbſt Humboldt war Hofmann genug, die langweilige Rede „maßlos“ zu nennen. Darauf erklärte Raumer ſeinen Austritt, obgleich Friedrich Wilhelm ſich bald wieder beſänftigt hatte und über die „Excuſen“ ſeiner Akademiker muthwillig ſcherzte. *) So von allen Seiten her angefeindet beſchäftigte ſich der König nur um ſo eifriger mit dem Toleranzedikte, das die Welt über die beiden Grundgedanken ſeiner Kirchenpolitik aufklären ſollte: er dachte im Staate Jedem die altpreußiſche Gewiſſensfreiheit zu ſichern, aber zugleich die evan- geliſche Kirche von allen erklärten Ungläubigen zu reinigen. Faſt zwei Jahre lang, ſeit dem Juli 1845, wurde darüber berathen, im Staats- miniſterium, im Staatsrathe, auch mit mehreren Theologen. Von vorn- herein ſtellte der König die Regel auf, das Kirchenvermögen gehöre der geſammten Kirche, nicht der einzelnen Gemeinde, und dürfe daher niemals von den Diſſidenten beanſprucht werden: — einen rechtlich unhaltbaren, hoch- gefährlichen Grundſatz, der den alten Anmaßungen der römiſchen Curie ent- gegenkam und, bis in ſeine letzten Folgerungen durchgeführt, die Ordens- herrſchaft im Herzogthum Preußen hätte wiederherſtellen müſſen. **) Beſon- dere Schwierigkeiten bot die Frage der bürgerlichen Eheſchließung. Der im Kölniſchen Biſchofsſtreite bewährte Starrſinn der katholiſchen Prieſter, die neuen Sektenbildungen, die mit der Freizügigkeit anwachſende confeſſionelle Miſchung der Bevölkerung, die kirchliche Gleichgiltigkeit breiter Volks- ſchichten — kurz, alle Erfahrungen der jüngſten Jahre zwangen den Staat gradezu, die Civilehe in irgendwelcher Form einzuführen. Griff die Krone rechtzeitig durch, dann konnte die unabweisbare Reform noch ſehr wohl ohne Verletzung der frommen kirchlichen Gefühle dergeſtalt erfolgen, daß die bürgerliche Eheſchließung nur aushilfsweiſe eintrat falls die kirchliche Trau- ung durch anerkannte Geiſtliche entweder verweigert oder verſchmäht wurde. Dem Könige wurden ſolche Gedanken aufgedrängt durch einen häß- *) König Friedrich Wilhelm, Entwurf für die Antwort an die Akademie, 7. März 1847. **) Thile an Eichhorn, Savigny, Bodelſchwingh, Uhden, 13. Juni 1845.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/371>, abgerufen am 25.04.2024.