händeln so sündlich verabsäumt worden sei. So begann ihm jetzt schon die Idee des preußischen Reiches deutscher Nation aufzudämmern, und er verhehlte nicht, daß er sich zuerst als einen Deutschen, dann erst als einen Preußen fühlte. Der König befragte und benutzte den alten Freund bei allen Fragen der deutschen Bundespolitik, doch er vermochte weder den Gedanken dieses Rathgebers ganz zu folgen, noch ihn an die entscheidende Stelle zu setzen.
In den Gesprächen über Staat und Kirche (1846) faßte Radowitz seine politischen Ideen zusammen. Das anonyme Buch wurde von Vielen für ein Werk des Königs selbst gehalten, obgleich die keusche Einfachheit dieser musterhaften Prosa mit dem aufgeregten Pathos Friedrich Wilhelm's gar nichts gemein hatte. Es war seit Paul Pfizer's Briefwechsel unzweifel- haft das bedeutendste Werk der deutschen Publicistik. Aber wie anders hatte einst der tapfere Schwabe verstanden, die erste Aufgabe des Publicisten zu erfüllen, den Willen der Leser auf ein festes Ziel zu richten; er benutzte die Form des Dialoges nur um alle Einwendungen siegreich zu widerlegen, und schließlich mit höchster Bestimmtheit zu sagen was er selber wollte: die Einheit Deutschlands unter Preußens Führung. In Radowitz's Gesprächen hingegen tauschten der hochkirchliche Offizier, der liberale Fabrikant, der strenge Bureaukrat, der jugendliche Socialist ihre Ansichten aus, alle höf- lich, alle in sauber gewählten Worten. Dann trat Waldheim dazwischen, unverkennbar das Ebenbild des Verfassers, um mit staatsmännischer Ruhe Jedem die Beschränktheit seiner Parteigesinnung nachzuweisen; über seine eigenen Meinungen äußerte er sich nur selten, kühl, zurückhaltend, un- maßgeblich. So hinterließ die Schrift doch den Eindruck einer geistreichen Hilflosigkeit, welche trotz oder wegen der Mannichfaltigkeit ihrer Gesichts- punkte schwer zu einem einfachen Entschlusse gelangte. Ihr fehlte die Macht der Begeisterung. Ihre Gedanken waren nicht aus einer Wurzel heraus mächtig emporgeschossen, sondern am Spalier gezogen, mehr ausgezeichnet durch edle Form als durch ursprüngliche Kraft. Sie bewies, wie frei und unbefangen ihr Verfasser dachte, der in der That, entwicklungsfähiger als der König, von der Unentbehrlichkeit der constitutionellen Staatsform sich bald überzeugen sollte. Aber sie zeigte auch ihn angekränkelt von jenem vornehmen Dilettantismus, der sich wie ein Mehlthau über alle Um- gebungen König Friedrich Wilhelm's lagerte. Radowitz war von Allem etwas, weder ganz Soldat, noch ganz Staatsmann, noch ganz Gelehrter; auch sein feiner und reicher, allen anderen preußischen Staatsmännern dieser Epoche überlegener Geist vermochte der Zeit nicht zu bieten was sie brauchte: die furchtbare Einseitigkeit einer dämonischen Willenskraft.
Wäre es mit Plänen, Einfällen, edlen Vorsätzen gethan gewesen, dann hätte Bunsen der Zeit helfen können. Was kümmerte es ihn, daß die Berliner Geheimenräthe ihm den so kläglich mißlungenen Kampf gegen Rom nachtrugen und ihn, von wegen der Anconer Note, nur noch den
Radowitz’s Geſpräche. Bunſen.
händeln ſo ſündlich verabſäumt worden ſei. So begann ihm jetzt ſchon die Idee des preußiſchen Reiches deutſcher Nation aufzudämmern, und er verhehlte nicht, daß er ſich zuerſt als einen Deutſchen, dann erſt als einen Preußen fühlte. Der König befragte und benutzte den alten Freund bei allen Fragen der deutſchen Bundespolitik, doch er vermochte weder den Gedanken dieſes Rathgebers ganz zu folgen, noch ihn an die entſcheidende Stelle zu ſetzen.
In den Geſprächen über Staat und Kirche (1846) faßte Radowitz ſeine politiſchen Ideen zuſammen. Das anonyme Buch wurde von Vielen für ein Werk des Königs ſelbſt gehalten, obgleich die keuſche Einfachheit dieſer muſterhaften Proſa mit dem aufgeregten Pathos Friedrich Wilhelm’s gar nichts gemein hatte. Es war ſeit Paul Pfizer’s Briefwechſel unzweifel- haft das bedeutendſte Werk der deutſchen Publiciſtik. Aber wie anders hatte einſt der tapfere Schwabe verſtanden, die erſte Aufgabe des Publiciſten zu erfüllen, den Willen der Leſer auf ein feſtes Ziel zu richten; er benutzte die Form des Dialoges nur um alle Einwendungen ſiegreich zu widerlegen, und ſchließlich mit höchſter Beſtimmtheit zu ſagen was er ſelber wollte: die Einheit Deutſchlands unter Preußens Führung. In Radowitz’s Geſprächen hingegen tauſchten der hochkirchliche Offizier, der liberale Fabrikant, der ſtrenge Bureaukrat, der jugendliche Socialiſt ihre Anſichten aus, alle höf- lich, alle in ſauber gewählten Worten. Dann trat Waldheim dazwiſchen, unverkennbar das Ebenbild des Verfaſſers, um mit ſtaatsmänniſcher Ruhe Jedem die Beſchränktheit ſeiner Parteigeſinnung nachzuweiſen; über ſeine eigenen Meinungen äußerte er ſich nur ſelten, kühl, zurückhaltend, un- maßgeblich. So hinterließ die Schrift doch den Eindruck einer geiſtreichen Hilfloſigkeit, welche trotz oder wegen der Mannichfaltigkeit ihrer Geſichts- punkte ſchwer zu einem einfachen Entſchluſſe gelangte. Ihr fehlte die Macht der Begeiſterung. Ihre Gedanken waren nicht aus einer Wurzel heraus mächtig emporgeſchoſſen, ſondern am Spalier gezogen, mehr ausgezeichnet durch edle Form als durch urſprüngliche Kraft. Sie bewies, wie frei und unbefangen ihr Verfaſſer dachte, der in der That, entwicklungsfähiger als der König, von der Unentbehrlichkeit der conſtitutionellen Staatsform ſich bald überzeugen ſollte. Aber ſie zeigte auch ihn angekränkelt von jenem vornehmen Dilettantismus, der ſich wie ein Mehlthau über alle Um- gebungen König Friedrich Wilhelm’s lagerte. Radowitz war von Allem etwas, weder ganz Soldat, noch ganz Staatsmann, noch ganz Gelehrter; auch ſein feiner und reicher, allen anderen preußiſchen Staatsmännern dieſer Epoche überlegener Geiſt vermochte der Zeit nicht zu bieten was ſie brauchte: die furchtbare Einſeitigkeit einer dämoniſchen Willenskraft.
Wäre es mit Plänen, Einfällen, edlen Vorſätzen gethan geweſen, dann hätte Bunſen der Zeit helfen können. Was kümmerte es ihn, daß die Berliner Geheimenräthe ihm den ſo kläglich mißlungenen Kampf gegen Rom nachtrugen und ihn, von wegen der Anconer Note, nur noch den
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Radowitz’s Geſpräche. Bunſen.
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verhehlte nicht, daß er ſich zuerſt als einen Deutſchen, dann erſt als einen
Preußen fühlte. Der König befragte und benutzte den alten Freund bei
allen Fragen der deutſchen Bundespolitik, doch er vermochte weder den
Gedanken dieſes Rathgebers ganz zu folgen, noch ihn an die entſcheidende
Stelle zu ſetzen.
In den Geſprächen über Staat und Kirche (1846) faßte Radowitz
ſeine politiſchen Ideen zuſammen. Das anonyme Buch wurde von Vielen
für ein Werk des Königs ſelbſt gehalten, obgleich die keuſche Einfachheit
dieſer muſterhaften Proſa mit dem aufgeregten Pathos Friedrich Wilhelm’s
gar nichts gemein hatte. Es war ſeit Paul Pfizer’s Briefwechſel unzweifel-
haft das bedeutendſte Werk der deutſchen Publiciſtik. Aber wie anders hatte
einſt der tapfere Schwabe verſtanden, die erſte Aufgabe des Publiciſten zu
erfüllen, den Willen der Leſer auf ein feſtes Ziel zu richten; er benutzte die
Form des Dialoges nur um alle Einwendungen ſiegreich zu widerlegen,
und ſchließlich mit höchſter Beſtimmtheit zu ſagen was er ſelber wollte: die
Einheit Deutſchlands unter Preußens Führung. In Radowitz’s Geſprächen
hingegen tauſchten der hochkirchliche Offizier, der liberale Fabrikant, der
ſtrenge Bureaukrat, der jugendliche Socialiſt ihre Anſichten aus, alle höf-
lich, alle in ſauber gewählten Worten. Dann trat Waldheim dazwiſchen,
unverkennbar das Ebenbild des Verfaſſers, um mit ſtaatsmänniſcher Ruhe
Jedem die Beſchränktheit ſeiner Parteigeſinnung nachzuweiſen; über ſeine
eigenen Meinungen äußerte er ſich nur ſelten, kühl, zurückhaltend, un-
maßgeblich. So hinterließ die Schrift doch den Eindruck einer geiſtreichen
Hilfloſigkeit, welche trotz oder wegen der Mannichfaltigkeit ihrer Geſichts-
punkte ſchwer zu einem einfachen Entſchluſſe gelangte. Ihr fehlte die Macht
der Begeiſterung. Ihre Gedanken waren nicht aus einer Wurzel heraus
mächtig emporgeſchoſſen, ſondern am Spalier gezogen, mehr ausgezeichnet
durch edle Form als durch urſprüngliche Kraft. Sie bewies, wie frei und
unbefangen ihr Verfaſſer dachte, der in der That, entwicklungsfähiger als
der König, von der Unentbehrlichkeit der conſtitutionellen Staatsform ſich
bald überzeugen ſollte. Aber ſie zeigte auch ihn angekränkelt von jenem
vornehmen Dilettantismus, der ſich wie ein Mehlthau über alle Um-
gebungen König Friedrich Wilhelm’s lagerte. Radowitz war von Allem
etwas, weder ganz Soldat, noch ganz Staatsmann, noch ganz Gelehrter;
auch ſein feiner und reicher, allen anderen preußiſchen Staatsmännern
dieſer Epoche überlegener Geiſt vermochte der Zeit nicht zu bieten was
ſie brauchte: die furchtbare Einſeitigkeit einer dämoniſchen Willenskraft.
Wäre es mit Plänen, Einfällen, edlen Vorſätzen gethan geweſen,
dann hätte Bunſen der Zeit helfen können. Was kümmerte es ihn, daß
die Berliner Geheimenräthe ihm den ſo kläglich mißlungenen Kampf gegen
Rom nachtrugen und ihn, von wegen der Anconer Note, nur noch den
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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