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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Die Stadträthe gegen die Orthodoxen.
listen so schwer verunglimpfte, und der allezeit unterthänige greise Bischof
Eylert unterzeichneten (Aug. 1845) eine von den Schülern Schleiermacher's
in Berlin entworfene Adresse an den Monarchen, welche zwar die Ver-
irrungen der Lichtfreunde beklagte, aber auch vor willkürlichen Aus-
schließungen dringend warnte: nur unter lebendiger Theilnahme der Ge-
meinden solle die Kirche sich selbst gestalten und ihre Lehrformeln in christ-
lichem Sinne frei entwickeln. Weit gröber lautete eine bald nachher vom
Berliner Magistrat beschlossene Adresse. Alle diese Jahre hindurch hatte die
Stadt Nicolai's lediglich durch Witze und Klatschereien in die Kämpfe des
öffentlichen Lebens eingegriffen; erst als sie die Grundsätze der Aufklärung
bedroht glaubte, gerieth sie in Aufregung. Mit begreiflicher Verwunde-
rung berichteten die ausländischen Zeitungen, wie dieser Magistrat, der
doch nur als Patron an kirchlichen Dingen theilnahm und die Pflichten
des Kirchenpatronats immer sehr leicht genommen hatte, jetzt plötzlich in die
theologische Polemik hineingerieth und die Zeitung Hengstenberg's wegen
ihres "katholischen Princips" vor dem Monarchen feierlich verklagte. Einen
solchen theologisirenden Stadtrath hatte die Welt seit den Zeiten der Puri-
taner nicht mehr gesehen, und wahrlich kein Hauch von dem Glaubens-
ernste jener Gottseligen wehte im Berliner Rathhause; es war allein die
werdende politische Opposition, die sich hinter der theologischen Hülle ver-
barg. Als der König auf einer Reise durch Pommern von dieser "frechen
Adresse" erfuhr, gerieth er in heftigen Zorn und bestand darauf, ihre Ur-
heber müßten sie ihm persönlich überreichen.*) Nach seiner Heimkehr, am
2. Oct. fuhren die Stadtbehörden Berlins in einem langen Zuge von
Staatswagen zum Schlosse, wo ihnen ein sehr ungnädiger Empfang wurde.
Der König verwies ihnen, daß ihre Eingabe nur die Treuen tadle, nicht
auch die Eidbrecher, und schloß mit der Versicherung, er würde den Tag
segnen, wo er "das Kirchenregiment in die rechten Hände zurückgeben"
könne. Wen er unter diesen rechten Händen meinte, das blieb den Berlinern
vorderhand noch dunkel. Ebenso streng wurden zwei Adressen der Städte
Breslau und Königsberg abgefertigt, und tief besorgt meinte Bodelschwingh:
"Lieber wäre es mir freilich, Se. Majestät überließe in ähnlichen Fällen
den Ministern die Bescheidung."**)

Indem der König so ganz persönlich in die kirchlichen Parteikämpfe
eingriff, setzte er sich den ärgsten Verdächtigungen aus, da der beschränkte
Hochmuth der modernen Aufklärung an die Ehrlichkeit der Gegner niemals
glauben will. Er ahnte das selbst und sagte in diesen Tagen bitter -- so
erzählte man überall und wohl mit gutem Grunde: -- bei der Huldigung
wollten mich die Berliner vor Liebe aufessen, heute thut es ihnen leid, daß
sie es nicht gethan haben. Die Sache der Lichtfreunde erschien jetzt schon

*) König Friedrich Wilhelm an Bodelschwingh, 10. 11. 13. Sept. 1845.
**) Bodelschwingh an Thile, 29. Jan. 1846.
23*

Die Stadträthe gegen die Orthodoxen.
liſten ſo ſchwer verunglimpfte, und der allezeit unterthänige greiſe Biſchof
Eylert unterzeichneten (Aug. 1845) eine von den Schülern Schleiermacher’s
in Berlin entworfene Adreſſe an den Monarchen, welche zwar die Ver-
irrungen der Lichtfreunde beklagte, aber auch vor willkürlichen Aus-
ſchließungen dringend warnte: nur unter lebendiger Theilnahme der Ge-
meinden ſolle die Kirche ſich ſelbſt geſtalten und ihre Lehrformeln in chriſt-
lichem Sinne frei entwickeln. Weit gröber lautete eine bald nachher vom
Berliner Magiſtrat beſchloſſene Adreſſe. Alle dieſe Jahre hindurch hatte die
Stadt Nicolai’s lediglich durch Witze und Klatſchereien in die Kämpfe des
öffentlichen Lebens eingegriffen; erſt als ſie die Grundſätze der Aufklärung
bedroht glaubte, gerieth ſie in Aufregung. Mit begreiflicher Verwunde-
rung berichteten die ausländiſchen Zeitungen, wie dieſer Magiſtrat, der
doch nur als Patron an kirchlichen Dingen theilnahm und die Pflichten
des Kirchenpatronats immer ſehr leicht genommen hatte, jetzt plötzlich in die
theologiſche Polemik hineingerieth und die Zeitung Hengſtenberg’s wegen
ihres „katholiſchen Princips“ vor dem Monarchen feierlich verklagte. Einen
ſolchen theologiſirenden Stadtrath hatte die Welt ſeit den Zeiten der Puri-
taner nicht mehr geſehen, und wahrlich kein Hauch von dem Glaubens-
ernſte jener Gottſeligen wehte im Berliner Rathhauſe; es war allein die
werdende politiſche Oppoſition, die ſich hinter der theologiſchen Hülle ver-
barg. Als der König auf einer Reiſe durch Pommern von dieſer „frechen
Adreſſe“ erfuhr, gerieth er in heftigen Zorn und beſtand darauf, ihre Ur-
heber müßten ſie ihm perſönlich überreichen.*) Nach ſeiner Heimkehr, am
2. Oct. fuhren die Stadtbehörden Berlins in einem langen Zuge von
Staatswagen zum Schloſſe, wo ihnen ein ſehr ungnädiger Empfang wurde.
Der König verwies ihnen, daß ihre Eingabe nur die Treuen tadle, nicht
auch die Eidbrecher, und ſchloß mit der Verſicherung, er würde den Tag
ſegnen, wo er „das Kirchenregiment in die rechten Hände zurückgeben“
könne. Wen er unter dieſen rechten Händen meinte, das blieb den Berlinern
vorderhand noch dunkel. Ebenſo ſtreng wurden zwei Adreſſen der Städte
Breslau und Königsberg abgefertigt, und tief beſorgt meinte Bodelſchwingh:
„Lieber wäre es mir freilich, Se. Majeſtät überließe in ähnlichen Fällen
den Miniſtern die Beſcheidung.“**)

Indem der König ſo ganz perſönlich in die kirchlichen Parteikämpfe
eingriff, ſetzte er ſich den ärgſten Verdächtigungen aus, da der beſchränkte
Hochmuth der modernen Aufklärung an die Ehrlichkeit der Gegner niemals
glauben will. Er ahnte das ſelbſt und ſagte in dieſen Tagen bitter — ſo
erzählte man überall und wohl mit gutem Grunde: — bei der Huldigung
wollten mich die Berliner vor Liebe aufeſſen, heute thut es ihnen leid, daß
ſie es nicht gethan haben. Die Sache der Lichtfreunde erſchien jetzt ſchon

*) König Friedrich Wilhelm an Bodelſchwingh, 10. 11. 13. Sept. 1845.
**) Bodelſchwingh an Thile, 29. Jan. 1846.
23*
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[355/0369] Die Stadträthe gegen die Orthodoxen. liſten ſo ſchwer verunglimpfte, und der allezeit unterthänige greiſe Biſchof Eylert unterzeichneten (Aug. 1845) eine von den Schülern Schleiermacher’s in Berlin entworfene Adreſſe an den Monarchen, welche zwar die Ver- irrungen der Lichtfreunde beklagte, aber auch vor willkürlichen Aus- ſchließungen dringend warnte: nur unter lebendiger Theilnahme der Ge- meinden ſolle die Kirche ſich ſelbſt geſtalten und ihre Lehrformeln in chriſt- lichem Sinne frei entwickeln. Weit gröber lautete eine bald nachher vom Berliner Magiſtrat beſchloſſene Adreſſe. Alle dieſe Jahre hindurch hatte die Stadt Nicolai’s lediglich durch Witze und Klatſchereien in die Kämpfe des öffentlichen Lebens eingegriffen; erſt als ſie die Grundſätze der Aufklärung bedroht glaubte, gerieth ſie in Aufregung. Mit begreiflicher Verwunde- rung berichteten die ausländiſchen Zeitungen, wie dieſer Magiſtrat, der doch nur als Patron an kirchlichen Dingen theilnahm und die Pflichten des Kirchenpatronats immer ſehr leicht genommen hatte, jetzt plötzlich in die theologiſche Polemik hineingerieth und die Zeitung Hengſtenberg’s wegen ihres „katholiſchen Princips“ vor dem Monarchen feierlich verklagte. Einen ſolchen theologiſirenden Stadtrath hatte die Welt ſeit den Zeiten der Puri- taner nicht mehr geſehen, und wahrlich kein Hauch von dem Glaubens- ernſte jener Gottſeligen wehte im Berliner Rathhauſe; es war allein die werdende politiſche Oppoſition, die ſich hinter der theologiſchen Hülle ver- barg. Als der König auf einer Reiſe durch Pommern von dieſer „frechen Adreſſe“ erfuhr, gerieth er in heftigen Zorn und beſtand darauf, ihre Ur- heber müßten ſie ihm perſönlich überreichen. *) Nach ſeiner Heimkehr, am 2. Oct. fuhren die Stadtbehörden Berlins in einem langen Zuge von Staatswagen zum Schloſſe, wo ihnen ein ſehr ungnädiger Empfang wurde. Der König verwies ihnen, daß ihre Eingabe nur die Treuen tadle, nicht auch die Eidbrecher, und ſchloß mit der Verſicherung, er würde den Tag ſegnen, wo er „das Kirchenregiment in die rechten Hände zurückgeben“ könne. Wen er unter dieſen rechten Händen meinte, das blieb den Berlinern vorderhand noch dunkel. Ebenſo ſtreng wurden zwei Adreſſen der Städte Breslau und Königsberg abgefertigt, und tief beſorgt meinte Bodelſchwingh: „Lieber wäre es mir freilich, Se. Majeſtät überließe in ähnlichen Fällen den Miniſtern die Beſcheidung.“ **) Indem der König ſo ganz perſönlich in die kirchlichen Parteikämpfe eingriff, ſetzte er ſich den ärgſten Verdächtigungen aus, da der beſchränkte Hochmuth der modernen Aufklärung an die Ehrlichkeit der Gegner niemals glauben will. Er ahnte das ſelbſt und ſagte in dieſen Tagen bitter — ſo erzählte man überall und wohl mit gutem Grunde: — bei der Huldigung wollten mich die Berliner vor Liebe aufeſſen, heute thut es ihnen leid, daß ſie es nicht gethan haben. Die Sache der Lichtfreunde erſchien jetzt ſchon *) König Friedrich Wilhelm an Bodelſchwingh, 10. 11. 13. Sept. 1845. **) Bodelſchwingh an Thile, 29. Jan. 1846. 23*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/369>, abgerufen am 20.04.2024.