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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
auch der alte Judenhaß mochte wohl mitwirken. Der Pöbel in Karlsruhe
rottete sich zusammen und zerstörte das Haber'sche Haus; die Polizei
that wenig, die Truppen erschienen zu spät, und es ließ sich leicht er-
kennen, daß eine mächtige Partei am Hofe dem Vertrauten der Groß-
herzogin die Züchtigung gönnte.*) Die Regierung wußte sich nicht zu
helfen. In ihrer Herzensangst verbot sie den Zeitungen irgend etwas
über die schmählichen Vorfälle zu drucken; und mit vernichtendem Hohne
hielt ihr nachher Mathy im Landtage vor, wie gröblich sie erst durch
Schwäche, dann durch Härte gesündigt hätte; er weissagte, auf den Carne-
val dieser Staatsweisheit würde ein Aschermittwoch folgen. Noch nicht
genug. Ein Offizier außer Dienst, Uria-Sarachaja beschloß den gefallenen
Kameraden zu rächen und beschimpfte Haber in einem veröffentlichten
Briefe dermaßen, daß ein zweites Duell unvermeidlich wurde. Haber er-
schoß seinen Feind und entzog sich dann durch die Flucht einem dritten
ihm noch angedrohten Zweikampfe. Nun brauste die Entrüstung von Neuem
auf, selbst die Bänkelsänger auf den Jahrmärkten besangen die gräßliche
Mordgeschichte von den drei Blutopfern; in der rheinischen Presse fand
der Günstling des Hauses Rothschild freilich auch manche tugendhafte Ver-
theidiger.

Während diese Händel noch schwebten hatte Blittersdorff endlich ein-
gesehen, daß seines Bleibens in dem feindseligen Lande nicht mehr sei.
Im November 1843 ging er wieder als Bundesgesandter nach Frankfurt
um dort abermals auf eigene Faust österreichische Politik zu treiben.
Aus seinem und aus Abels Regiment entnahmen die Süddeutschen die
heilsame Erkenntniß, was von clericaler oder halbelericaler Parteiherr-
schaft zu erwarten sei. Sein Rücktritt kam aber zu spät; der Mißmuth
hatte sich schon zu weit verbreitet. Der Finanzminister Böckh, der fortan
die Leitung übernahm, vermochte trotz seiner fachmännischen Tüchtigkeit
das Ansehen der Regierung nicht wiederherzustellen. Alles ging aus Rand
und Band.

Bei dem preußischen Hofe fand der Großherzog, der in seiner Hilf-
losigkeit überall Rath suchte, keine wirksame Unterstützung. Der König
hatte den alten, in Süddeutschland wohlbewanderten Gesandten Otter-
stedt abberufen und seinen Freund Radowitz beauftragt, neben dem Frank-
furter Posten auch die Karlsruher Gesandtschaftsstelle zu verwalten.
Wieder ein unbegreiflicher Mißgriff. Radowitz kannte die Zustände des
Südens gar nicht und vermochte sie auch nicht unbefangen zu beobachten,
da er damals noch streng clericale Ansichten hegte, mit Mone und dessen
Hintermännern auf guten Fuße stand. Durch seine überlegene Persönlichkeit
gewann er am Hofe bald festen Boden. Der Großherzog besuchte ihn
oft heimlich, und war der Preuße in Frankfurt, so schrieb Leopold ihm

*) Radowitz's Berichte, 6. 11. Sept. 1843.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
auch der alte Judenhaß mochte wohl mitwirken. Der Pöbel in Karlsruhe
rottete ſich zuſammen und zerſtörte das Haber’ſche Haus; die Polizei
that wenig, die Truppen erſchienen zu ſpät, und es ließ ſich leicht er-
kennen, daß eine mächtige Partei am Hofe dem Vertrauten der Groß-
herzogin die Züchtigung gönnte.*) Die Regierung wußte ſich nicht zu
helfen. In ihrer Herzensangſt verbot ſie den Zeitungen irgend etwas
über die ſchmählichen Vorfälle zu drucken; und mit vernichtendem Hohne
hielt ihr nachher Mathy im Landtage vor, wie gröblich ſie erſt durch
Schwäche, dann durch Härte geſündigt hätte; er weiſſagte, auf den Carne-
val dieſer Staatsweisheit würde ein Aſchermittwoch folgen. Noch nicht
genug. Ein Offizier außer Dienſt, Uria-Sarachaja beſchloß den gefallenen
Kameraden zu rächen und beſchimpfte Haber in einem veröffentlichten
Briefe dermaßen, daß ein zweites Duell unvermeidlich wurde. Haber er-
ſchoß ſeinen Feind und entzog ſich dann durch die Flucht einem dritten
ihm noch angedrohten Zweikampfe. Nun brauſte die Entrüſtung von Neuem
auf, ſelbſt die Bänkelſänger auf den Jahrmärkten beſangen die gräßliche
Mordgeſchichte von den drei Blutopfern; in der rheiniſchen Preſſe fand
der Günſtling des Hauſes Rothſchild freilich auch manche tugendhafte Ver-
theidiger.

Während dieſe Händel noch ſchwebten hatte Blittersdorff endlich ein-
geſehen, daß ſeines Bleibens in dem feindſeligen Lande nicht mehr ſei.
Im November 1843 ging er wieder als Bundesgeſandter nach Frankfurt
um dort abermals auf eigene Fauſt öſterreichiſche Politik zu treiben.
Aus ſeinem und aus Abels Regiment entnahmen die Süddeutſchen die
heilſame Erkenntniß, was von clericaler oder halbelericaler Parteiherr-
ſchaft zu erwarten ſei. Sein Rücktritt kam aber zu ſpät; der Mißmuth
hatte ſich ſchon zu weit verbreitet. Der Finanzminiſter Böckh, der fortan
die Leitung übernahm, vermochte trotz ſeiner fachmänniſchen Tüchtigkeit
das Anſehen der Regierung nicht wiederherzuſtellen. Alles ging aus Rand
und Band.

Bei dem preußiſchen Hofe fand der Großherzog, der in ſeiner Hilf-
loſigkeit überall Rath ſuchte, keine wirkſame Unterſtützung. Der König
hatte den alten, in Süddeutſchland wohlbewanderten Geſandten Otter-
ſtedt abberufen und ſeinen Freund Radowitz beauftragt, neben dem Frank-
furter Poſten auch die Karlsruher Geſandtſchaftsſtelle zu verwalten.
Wieder ein unbegreiflicher Mißgriff. Radowitz kannte die Zuſtände des
Südens gar nicht und vermochte ſie auch nicht unbefangen zu beobachten,
da er damals noch ſtreng clericale Anſichten hegte, mit Mone und deſſen
Hintermännern auf guten Fuße ſtand. Durch ſeine überlegene Perſönlichkeit
gewann er am Hofe bald feſten Boden. Der Großherzog beſuchte ihn
oft heimlich, und war der Preuße in Frankfurt, ſo ſchrieb Leopold ihm

*) Radowitz’s Berichte, 6. 11. Sept. 1843.
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[332/0346] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. auch der alte Judenhaß mochte wohl mitwirken. Der Pöbel in Karlsruhe rottete ſich zuſammen und zerſtörte das Haber’ſche Haus; die Polizei that wenig, die Truppen erſchienen zu ſpät, und es ließ ſich leicht er- kennen, daß eine mächtige Partei am Hofe dem Vertrauten der Groß- herzogin die Züchtigung gönnte. *) Die Regierung wußte ſich nicht zu helfen. In ihrer Herzensangſt verbot ſie den Zeitungen irgend etwas über die ſchmählichen Vorfälle zu drucken; und mit vernichtendem Hohne hielt ihr nachher Mathy im Landtage vor, wie gröblich ſie erſt durch Schwäche, dann durch Härte geſündigt hätte; er weiſſagte, auf den Carne- val dieſer Staatsweisheit würde ein Aſchermittwoch folgen. Noch nicht genug. Ein Offizier außer Dienſt, Uria-Sarachaja beſchloß den gefallenen Kameraden zu rächen und beſchimpfte Haber in einem veröffentlichten Briefe dermaßen, daß ein zweites Duell unvermeidlich wurde. Haber er- ſchoß ſeinen Feind und entzog ſich dann durch die Flucht einem dritten ihm noch angedrohten Zweikampfe. Nun brauſte die Entrüſtung von Neuem auf, ſelbſt die Bänkelſänger auf den Jahrmärkten beſangen die gräßliche Mordgeſchichte von den drei Blutopfern; in der rheiniſchen Preſſe fand der Günſtling des Hauſes Rothſchild freilich auch manche tugendhafte Ver- theidiger. Während dieſe Händel noch ſchwebten hatte Blittersdorff endlich ein- geſehen, daß ſeines Bleibens in dem feindſeligen Lande nicht mehr ſei. Im November 1843 ging er wieder als Bundesgeſandter nach Frankfurt um dort abermals auf eigene Fauſt öſterreichiſche Politik zu treiben. Aus ſeinem und aus Abels Regiment entnahmen die Süddeutſchen die heilſame Erkenntniß, was von clericaler oder halbelericaler Parteiherr- ſchaft zu erwarten ſei. Sein Rücktritt kam aber zu ſpät; der Mißmuth hatte ſich ſchon zu weit verbreitet. Der Finanzminiſter Böckh, der fortan die Leitung übernahm, vermochte trotz ſeiner fachmänniſchen Tüchtigkeit das Anſehen der Regierung nicht wiederherzuſtellen. Alles ging aus Rand und Band. Bei dem preußiſchen Hofe fand der Großherzog, der in ſeiner Hilf- loſigkeit überall Rath ſuchte, keine wirkſame Unterſtützung. Der König hatte den alten, in Süddeutſchland wohlbewanderten Geſandten Otter- ſtedt abberufen und ſeinen Freund Radowitz beauftragt, neben dem Frank- furter Poſten auch die Karlsruher Geſandtſchaftsſtelle zu verwalten. Wieder ein unbegreiflicher Mißgriff. Radowitz kannte die Zuſtände des Südens gar nicht und vermochte ſie auch nicht unbefangen zu beobachten, da er damals noch ſtreng clericale Anſichten hegte, mit Mone und deſſen Hintermännern auf guten Fuße ſtand. Durch ſeine überlegene Perſönlichkeit gewann er am Hofe bald feſten Boden. Der Großherzog beſuchte ihn oft heimlich, und war der Preuße in Frankfurt, ſo ſchrieb Leopold ihm *) Radowitz’s Berichte, 6. 11. Sept. 1843.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/346>, abgerufen am 25.11.2024.