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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
gesetzten zu unterwerfen. Blittersdorff beschloß daher, den Stier bei den
Hörnern zu packen, und als die Kammern 1841 sich wieder versammelten,
ließ er zweien der neugewählten Beamten den Urlaub versagen. Das war
kein Rechtsbruch; denn die Verfassung sagte nirgends, daß Staatsdiener
zum Eintritt in die Kammer keines Urlaubs bedürften, und die Regierung
hatte zwar vor zwanzig Jahren um des Friedens willen einige Urlaubs-
verweigerungen wieder zurückgenommen, auch seitdem dies kleinliche Macht-
mittel nicht mehr angewendet, aber niemals förmlich darauf verzichtet.*)
So leichthin ließ sich gleichwohl die langjährige Uebung nicht beseitigen. Die
zweite Kammer fühlte sich in den Grundfesten ihrer Macht bedroht, da sie
der sachkundigen liberalen Beamten nicht entbehren konnte, und erklärte
die Urlaubsverweigerungen kurzerhand für verfassungswidrig. Da bewog
Blittersdorff den Großherzog, persönlich einzugreifen. Die Kammern wurden
vertagt, und in einem Manifeste sagte Leopold seinem Volke, daß er die
Verirrungen seiner zweiten Kammer beklage, jedoch auf bessere Einsicht
hoffe. Zu einer solchen landesherrlichen Botschaft, die doch keine gesetz-
liche Anordnung enthielt, war der Großherzog unzweifelhaft berechtigt,
wenn nicht der letzte Schatten monarchischer Gewalt verschwinden sollte.
Indeß nach der herrschenden vernunftrechtlichen Theorie galt es für aus-
gemacht, daß der Souverän niemals ohne die Unterschrift seiner Minister
irgend eine Willensäußerung wagen dürfte. Alsbald erhob sich ein mäch-
tiges Wehegeschrei, und als der Landtag um Neujahr 1842 nochmals zu-
sammentrat, führten der alte Itzstein und der grimmig polternde Welcker
sofort ihr grobes Geschütz auf. Unter brausendem Jubel der Gallerien
wurde auch das Manifest des Großherzogs für verfassungswidrig erklärt.

Die Auflösung des Landtags war die einzig mögliche Antwort, und
nunmehr glaubte Blittersdorff sein Spiel gewonnen. Einen Wahlkampf,
wie er jetzt über Baden hereinbrach, hatte Deutschland noch nicht erlebt.
Seine lang nachwirkenden Folgen zeigten sich in der krankhaften Ver-
bitterung des Parteilebens und vornehmlich in der Gesinnungslosigkeit
des Beamtenthums, das sich diesmal in seiner großen Mehrzahl knech-
tisch den Winken des verhaßten Ministers fügte, also für die Zukunft die
Kraft verlor, den Mächten des Umsturzes zu widerstehen. Alles ward
aufgeboten, was sich an schlechten Künsten amtlicher Bedrohungen, Ein-
schüchterungen und Verheißungen nur irgend ersinnen ließ, und die Oppo-
sition antwortete mit gleichen Waffen. Mannheim und Constanz waren
ihre festen Burgen. Von dort ertheilte Vater Itzstein seine Weisungen
an die Wahlredner, von hier bearbeitete Jos. Fickler die oberländischen
Bauern durch die demagogischen Artikel seiner Seeblätter. Und das Alles
weil der Großherzog zwei Beamten den Urlaub versagt und nachher eine
landesväterliche Ansprache an seine Badener gerichtet hatte! Indeß lag

*) s. o. III. 50. IV. 628.

V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
geſetzten zu unterwerfen. Blittersdorff beſchloß daher, den Stier bei den
Hörnern zu packen, und als die Kammern 1841 ſich wieder verſammelten,
ließ er zweien der neugewählten Beamten den Urlaub verſagen. Das war
kein Rechtsbruch; denn die Verfaſſung ſagte nirgends, daß Staatsdiener
zum Eintritt in die Kammer keines Urlaubs bedürften, und die Regierung
hatte zwar vor zwanzig Jahren um des Friedens willen einige Urlaubs-
verweigerungen wieder zurückgenommen, auch ſeitdem dies kleinliche Macht-
mittel nicht mehr angewendet, aber niemals förmlich darauf verzichtet.*)
So leichthin ließ ſich gleichwohl die langjährige Uebung nicht beſeitigen. Die
zweite Kammer fühlte ſich in den Grundfeſten ihrer Macht bedroht, da ſie
der ſachkundigen liberalen Beamten nicht entbehren konnte, und erklärte
die Urlaubsverweigerungen kurzerhand für verfaſſungswidrig. Da bewog
Blittersdorff den Großherzog, perſönlich einzugreifen. Die Kammern wurden
vertagt, und in einem Manifeſte ſagte Leopold ſeinem Volke, daß er die
Verirrungen ſeiner zweiten Kammer beklage, jedoch auf beſſere Einſicht
hoffe. Zu einer ſolchen landesherrlichen Botſchaft, die doch keine geſetz-
liche Anordnung enthielt, war der Großherzog unzweifelhaft berechtigt,
wenn nicht der letzte Schatten monarchiſcher Gewalt verſchwinden ſollte.
Indeß nach der herrſchenden vernunftrechtlichen Theorie galt es für aus-
gemacht, daß der Souverän niemals ohne die Unterſchrift ſeiner Miniſter
irgend eine Willensäußerung wagen dürfte. Alsbald erhob ſich ein mäch-
tiges Wehegeſchrei, und als der Landtag um Neujahr 1842 nochmals zu-
ſammentrat, führten der alte Itzſtein und der grimmig polternde Welcker
ſofort ihr grobes Geſchütz auf. Unter brauſendem Jubel der Gallerien
wurde auch das Manifeſt des Großherzogs für verfaſſungswidrig erklärt.

Die Auflöſung des Landtags war die einzig mögliche Antwort, und
nunmehr glaubte Blittersdorff ſein Spiel gewonnen. Einen Wahlkampf,
wie er jetzt über Baden hereinbrach, hatte Deutſchland noch nicht erlebt.
Seine lang nachwirkenden Folgen zeigten ſich in der krankhaften Ver-
bitterung des Parteilebens und vornehmlich in der Geſinnungsloſigkeit
des Beamtenthums, das ſich diesmal in ſeiner großen Mehrzahl knech-
tiſch den Winken des verhaßten Miniſters fügte, alſo für die Zukunft die
Kraft verlor, den Mächten des Umſturzes zu widerſtehen. Alles ward
aufgeboten, was ſich an ſchlechten Künſten amtlicher Bedrohungen, Ein-
ſchüchterungen und Verheißungen nur irgend erſinnen ließ, und die Oppo-
ſition antwortete mit gleichen Waffen. Mannheim und Conſtanz waren
ihre feſten Burgen. Von dort ertheilte Vater Itzſtein ſeine Weiſungen
an die Wahlredner, von hier bearbeitete Joſ. Fickler die oberländiſchen
Bauern durch die demagogiſchen Artikel ſeiner Seeblätter. Und das Alles
weil der Großherzog zwei Beamten den Urlaub verſagt und nachher eine
landesväterliche Anſprache an ſeine Badener gerichtet hatte! Indeß lag

*) ſ. o. III. 50. IV. 628.
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[328/0342] V. 4. Die Parteiung in der Kirche. geſetzten zu unterwerfen. Blittersdorff beſchloß daher, den Stier bei den Hörnern zu packen, und als die Kammern 1841 ſich wieder verſammelten, ließ er zweien der neugewählten Beamten den Urlaub verſagen. Das war kein Rechtsbruch; denn die Verfaſſung ſagte nirgends, daß Staatsdiener zum Eintritt in die Kammer keines Urlaubs bedürften, und die Regierung hatte zwar vor zwanzig Jahren um des Friedens willen einige Urlaubs- verweigerungen wieder zurückgenommen, auch ſeitdem dies kleinliche Macht- mittel nicht mehr angewendet, aber niemals förmlich darauf verzichtet. *) So leichthin ließ ſich gleichwohl die langjährige Uebung nicht beſeitigen. Die zweite Kammer fühlte ſich in den Grundfeſten ihrer Macht bedroht, da ſie der ſachkundigen liberalen Beamten nicht entbehren konnte, und erklärte die Urlaubsverweigerungen kurzerhand für verfaſſungswidrig. Da bewog Blittersdorff den Großherzog, perſönlich einzugreifen. Die Kammern wurden vertagt, und in einem Manifeſte ſagte Leopold ſeinem Volke, daß er die Verirrungen ſeiner zweiten Kammer beklage, jedoch auf beſſere Einſicht hoffe. Zu einer ſolchen landesherrlichen Botſchaft, die doch keine geſetz- liche Anordnung enthielt, war der Großherzog unzweifelhaft berechtigt, wenn nicht der letzte Schatten monarchiſcher Gewalt verſchwinden ſollte. Indeß nach der herrſchenden vernunftrechtlichen Theorie galt es für aus- gemacht, daß der Souverän niemals ohne die Unterſchrift ſeiner Miniſter irgend eine Willensäußerung wagen dürfte. Alsbald erhob ſich ein mäch- tiges Wehegeſchrei, und als der Landtag um Neujahr 1842 nochmals zu- ſammentrat, führten der alte Itzſtein und der grimmig polternde Welcker ſofort ihr grobes Geſchütz auf. Unter brauſendem Jubel der Gallerien wurde auch das Manifeſt des Großherzogs für verfaſſungswidrig erklärt. Die Auflöſung des Landtags war die einzig mögliche Antwort, und nunmehr glaubte Blittersdorff ſein Spiel gewonnen. Einen Wahlkampf, wie er jetzt über Baden hereinbrach, hatte Deutſchland noch nicht erlebt. Seine lang nachwirkenden Folgen zeigten ſich in der krankhaften Ver- bitterung des Parteilebens und vornehmlich in der Geſinnungsloſigkeit des Beamtenthums, das ſich diesmal in ſeiner großen Mehrzahl knech- tiſch den Winken des verhaßten Miniſters fügte, alſo für die Zukunft die Kraft verlor, den Mächten des Umſturzes zu widerſtehen. Alles ward aufgeboten, was ſich an ſchlechten Künſten amtlicher Bedrohungen, Ein- ſchüchterungen und Verheißungen nur irgend erſinnen ließ, und die Oppo- ſition antwortete mit gleichen Waffen. Mannheim und Conſtanz waren ihre feſten Burgen. Von dort ertheilte Vater Itzſtein ſeine Weiſungen an die Wahlredner, von hier bearbeitete Joſ. Fickler die oberländiſchen Bauern durch die demagogiſchen Artikel ſeiner Seeblätter. Und das Alles weil der Großherzog zwei Beamten den Urlaub verſagt und nachher eine landesväterliche Anſprache an ſeine Badener gerichtet hatte! Indeß lag *) ſ. o. III. 50. IV. 628.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/342>, abgerufen am 24.04.2024.