treter des gemäßigten Liberalismus vor "subversiv-communistischen Ten- denzen" zu warnen, so bewies er damit nur, wie völlig die Regierung durch ihre Angst verblendet war: sie vermochte die grundverschiedenen Richtungen, die sich augenblicklich in der Opposition zusammenfanden, gar nicht mehr zu unterscheiden. Da Brüggemann sich als erfahrener Pu- blicist vor den Censoren selten eine Blöße gab, auch dem kirchenfeindlichen Treiben der Junghegelianer fern blieb, so gewann die Kölnische Zei- tung starken Anhang. Mit ihren 9000 Abonnenten oder mehr wuchs sie bald zu einem großen Blatte heran und wurde der Regierung grade durch ihre ruhigere Haltung fast noch lästiger als vordem die Rheinische Zeitung.
Für die Leipziger Allgemeine aber boten die demokratischen Buchhand- lungen, die sich überall dicht vor der deutschen Südwestgrenze aufthaten, der Skandalsucht der Lesewelt reichlichen Ersatz. In Winterthur hatte der Thüringer Julius Fröbel das Literarische Comptoir gegründet, das sich zuerst durch Herwegh's Gedichte einen Namen erwarb. Mehrere wirkliche oder vorgebliche Flüchtlinge halfen mit, eine Zeit lang auch einer der Gebrüder Follen, der schöne Adolf, vormals von den Unbedingten als deutscher Kaiser gefeiert. Ein ehrenhafter, aber durchaus doktrinärer Demokrat, hielt Fröbel in den mannichfachen Wandlungen seiner poli- tischen Ansichten viele Jahre hindurch nur einen Gedanken unverbrüchlich fest, den Haß gegen Preußen; er sprach offen die Absicht aus, durch seinen wilden Verlag die Macht der Censur für immer zu untergraben. Zu- gleich eröffnete Wirth, der Volksredner des Hambacher Festes, in Bellevue bei Constanz die Druckerei der deutschen Volkshalle; ähnliche Unterneh- mungen entstanden in Straßburg, Bern, Zürich.
Also aus sicherer Ferne prasselte ein Hagel radicaler Schriften über die deutsche Grenze herein. Alle wurden begierig gelesen; manche erregten gro- ßes Aufsehen, so eine aus Wahrheit und Dichtung gemischte Darstellung des Processes Weidig, so zwei von Schmutz starrende Bücher des jungen Schwaben Joh. Scherr, das enthüllte Preußen und Württemberg i. J. 1844. Auch die kleinen deutschen Nachbarstaaten mußten manche Schmähschrift gegen Preu- ßen stillschweigend dulden, sie hatten den Muth schon verloren und waren froh, wenn sie sich ihrer eigenen Haut wehren konnten. Der Rheinländer Karl Heinzen, der roheste aller preußischen Demagogen, ließ seine unfläthigen Bücher über die preußische Bureaukratie, die Opposition und wie sie sonst hießen, in Darmstadt drucken oder bei dem radicalen Buchhändler Hoff in Mannheim; nur wenn er offen Meuterei und Hochverrath predigte, wie in den "dreißig Kriegsartikeln" für das deutsche Heer, dann nannte er einen beliebigen Druckort. Heinzen hatte nach einer abenteuerlichen Jugend als ein Schiffbrüchiger ein Unterkommen im preußischen Subalterndienste gefun- den und dort zwar die Demüthigungen erfahren, die in solcher Lage keinem gebildeten Manne erspart bleiben, doch niemals ein Unrecht erlitten; gleich-
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
treter des gemäßigten Liberalismus vor „ſubverſiv-communiſtiſchen Ten- denzen“ zu warnen, ſo bewies er damit nur, wie völlig die Regierung durch ihre Angſt verblendet war: ſie vermochte die grundverſchiedenen Richtungen, die ſich augenblicklich in der Oppoſition zuſammenfanden, gar nicht mehr zu unterſcheiden. Da Brüggemann ſich als erfahrener Pu- bliciſt vor den Cenſoren ſelten eine Blöße gab, auch dem kirchenfeindlichen Treiben der Junghegelianer fern blieb, ſo gewann die Kölniſche Zei- tung ſtarken Anhang. Mit ihren 9000 Abonnenten oder mehr wuchs ſie bald zu einem großen Blatte heran und wurde der Regierung grade durch ihre ruhigere Haltung faſt noch läſtiger als vordem die Rheiniſche Zeitung.
Für die Leipziger Allgemeine aber boten die demokratiſchen Buchhand- lungen, die ſich überall dicht vor der deutſchen Südweſtgrenze aufthaten, der Skandalſucht der Leſewelt reichlichen Erſatz. In Winterthur hatte der Thüringer Julius Fröbel das Literariſche Comptoir gegründet, das ſich zuerſt durch Herwegh’s Gedichte einen Namen erwarb. Mehrere wirkliche oder vorgebliche Flüchtlinge halfen mit, eine Zeit lang auch einer der Gebrüder Follen, der ſchöne Adolf, vormals von den Unbedingten als deutſcher Kaiſer gefeiert. Ein ehrenhafter, aber durchaus doktrinärer Demokrat, hielt Fröbel in den mannichfachen Wandlungen ſeiner poli- tiſchen Anſichten viele Jahre hindurch nur einen Gedanken unverbrüchlich feſt, den Haß gegen Preußen; er ſprach offen die Abſicht aus, durch ſeinen wilden Verlag die Macht der Cenſur für immer zu untergraben. Zu- gleich eröffnete Wirth, der Volksredner des Hambacher Feſtes, in Bellevue bei Conſtanz die Druckerei der deutſchen Volkshalle; ähnliche Unterneh- mungen entſtanden in Straßburg, Bern, Zürich.
Alſo aus ſicherer Ferne praſſelte ein Hagel radicaler Schriften über die deutſche Grenze herein. Alle wurden begierig geleſen; manche erregten gro- ßes Aufſehen, ſo eine aus Wahrheit und Dichtung gemiſchte Darſtellung des Proceſſes Weidig, ſo zwei von Schmutz ſtarrende Bücher des jungen Schwaben Joh. Scherr, das enthüllte Preußen und Württemberg i. J. 1844. Auch die kleinen deutſchen Nachbarſtaaten mußten manche Schmähſchrift gegen Preu- ßen ſtillſchweigend dulden, ſie hatten den Muth ſchon verloren und waren froh, wenn ſie ſich ihrer eigenen Haut wehren konnten. Der Rheinländer Karl Heinzen, der roheſte aller preußiſchen Demagogen, ließ ſeine unfläthigen Bücher über die preußiſche Bureaukratie, die Oppoſition und wie ſie ſonſt hießen, in Darmſtadt drucken oder bei dem radicalen Buchhändler Hoff in Mannheim; nur wenn er offen Meuterei und Hochverrath predigte, wie in den „dreißig Kriegsartikeln“ für das deutſche Heer, dann nannte er einen beliebigen Druckort. Heinzen hatte nach einer abenteuerlichen Jugend als ein Schiffbrüchiger ein Unterkommen im preußiſchen Subalterndienſte gefun- den und dort zwar die Demüthigungen erfahren, die in ſolcher Lage keinem gebildeten Manne erſpart bleiben, doch niemals ein Unrecht erlitten; gleich-
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treter des gemäßigten Liberalismus vor „ſubverſiv-communiſtiſchen Ten-
denzen“ zu warnen, ſo bewies er damit nur, wie völlig die Regierung
durch ihre Angſt verblendet war: ſie vermochte die grundverſchiedenen
Richtungen, die ſich augenblicklich in der Oppoſition zuſammenfanden,
gar nicht mehr zu unterſcheiden. Da Brüggemann ſich als erfahrener Pu-
bliciſt vor den Cenſoren ſelten eine Blöße gab, auch dem kirchenfeindlichen
Treiben der Junghegelianer fern blieb, ſo gewann die Kölniſche Zei-
tung ſtarken Anhang. Mit ihren 9000 Abonnenten oder mehr wuchs ſie
bald zu einem großen Blatte heran und wurde der Regierung grade
durch ihre ruhigere Haltung faſt noch läſtiger als vordem die Rheiniſche
Zeitung.
Für die Leipziger Allgemeine aber boten die demokratiſchen Buchhand-
lungen, die ſich überall dicht vor der deutſchen Südweſtgrenze aufthaten,
der Skandalſucht der Leſewelt reichlichen Erſatz. In Winterthur hatte
der Thüringer Julius Fröbel das Literariſche Comptoir gegründet, das
ſich zuerſt durch Herwegh’s Gedichte einen Namen erwarb. Mehrere
wirkliche oder vorgebliche Flüchtlinge halfen mit, eine Zeit lang auch einer
der Gebrüder Follen, der ſchöne Adolf, vormals von den Unbedingten
als deutſcher Kaiſer gefeiert. Ein ehrenhafter, aber durchaus doktrinärer
Demokrat, hielt Fröbel in den mannichfachen Wandlungen ſeiner poli-
tiſchen Anſichten viele Jahre hindurch nur einen Gedanken unverbrüchlich
feſt, den Haß gegen Preußen; er ſprach offen die Abſicht aus, durch ſeinen
wilden Verlag die Macht der Cenſur für immer zu untergraben. Zu-
gleich eröffnete Wirth, der Volksredner des Hambacher Feſtes, in Bellevue
bei Conſtanz die Druckerei der deutſchen Volkshalle; ähnliche Unterneh-
mungen entſtanden in Straßburg, Bern, Zürich.
Alſo aus ſicherer Ferne praſſelte ein Hagel radicaler Schriften über die
deutſche Grenze herein. Alle wurden begierig geleſen; manche erregten gro-
ßes Aufſehen, ſo eine aus Wahrheit und Dichtung gemiſchte Darſtellung des
Proceſſes Weidig, ſo zwei von Schmutz ſtarrende Bücher des jungen Schwaben
Joh. Scherr, das enthüllte Preußen und Württemberg i. J. 1844. Auch die
kleinen deutſchen Nachbarſtaaten mußten manche Schmähſchrift gegen Preu-
ßen ſtillſchweigend dulden, ſie hatten den Muth ſchon verloren und waren
froh, wenn ſie ſich ihrer eigenen Haut wehren konnten. Der Rheinländer
Karl Heinzen, der roheſte aller preußiſchen Demagogen, ließ ſeine unfläthigen
Bücher über die preußiſche Bureaukratie, die Oppoſition und wie ſie ſonſt
hießen, in Darmſtadt drucken oder bei dem radicalen Buchhändler Hoff in
Mannheim; nur wenn er offen Meuterei und Hochverrath predigte, wie in
den „dreißig Kriegsartikeln“ für das deutſche Heer, dann nannte er einen
beliebigen Druckort. Heinzen hatte nach einer abenteuerlichen Jugend als
ein Schiffbrüchiger ein Unterkommen im preußiſchen Subalterndienſte gefun-
den und dort zwar die Demüthigungen erfahren, die in ſolcher Lage keinem
gebildeten Manne erſpart bleiben, doch niemals ein Unrecht erlitten; gleich-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/226>, abgerufen am 22.11.2024.
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