preußischen Zustände scharf zu beobachten begann. Kuranda's treuer Ge- hilfe war ein anderer böhmischer Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf- mann, ein schüchterner Stubengelehrter von linkischem Wesen, dem man gar nicht ansah, wie klar und sicher er über politische Fragen urtheilte. Ganz unerhört aber war es in diesem Lande des Preußenhasses, daß ein geborener Kursachse Karl Biedermann sich jetzt unterstand, eine "Deutsche Monats- schrift" herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer's, die preußische Hegemonie, allerdings ohne den Geist und Schwung des Schwaben, aber mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsschrift zeigte Verständniß für das wirthschaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern einer festeren deutschen Staatsbildung; freilich zählte sie nur 500 Abon- nenten, doch mehr hatten auch Ruge's gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu- weisen.
Alle diese Plänkler der Tagesmeinung sahen sich durch den Unverstand der Censurvorschriften zu verzweifelten Zigeunerstreichen gezwungen, zu listigen Umgehungen des Gesetzes, welche, vom Volke stets mit Schaden- freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit erschüttern mußten. Wenn der Kölnischen Zeitung die Correspondenzen "von der Murg" gestrichen wurden, so erschienen die nämlichen Artikel wieder mit der Aufschrift: "von der Leine". Die in Oesterreich streng verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kisten mit doppelten Böden oder als Umschläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh- mische Grenze; in die berüchtigten Freischeine der k. k. Censur pflegten die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuschalten. Kam in Leipzig ein gefährliches censurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus- gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der gesammten Auflage vor dem Polizeihause vor; kaum war das gesetzliche Pflichtexemplar abge- liefert, so eilten die Pferde in rasendem Laufe durch die Gassen des Buch- händlerviertels, und im Nu verschwanden die Bücherpackete in den Com- missionsgeschäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu- sprechen.
Für die unglücklichen Censoren schien kein Wort der Verachtung zu schlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es schon längst dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine besten Räthe zu Censoren hergeben? -- sagte der Oberpräsident der Rheinpro- vinz zu dem klagenden Verleger der Kölnischen Zeitung. Oft genug mußte man sich mit unerfahrenen Assessoren behelfen, die den Auftrag nicht ablehnen durften. Da geschah es einst zu Köln, daß zwei solche jugendliche Censoren nach einem lustigen Gelage mit dem Nachtwächter Händel begannen; der eine war der geistreiche Graf Fritz Eulenburg, der also nicht ohne Geräusch seinen Einzug in die preußische Geschichte hielt. Obwohl die Missethat durch Versetzung und durch eine Geldstrafe gesühnt
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
preußiſchen Zuſtände ſcharf zu beobachten begann. Kuranda’s treuer Ge- hilfe war ein anderer böhmiſcher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf- mann, ein ſchüchterner Stubengelehrter von linkiſchem Weſen, dem man gar nicht anſah, wie klar und ſicher er über politiſche Fragen urtheilte. Ganz unerhört aber war es in dieſem Lande des Preußenhaſſes, daß ein geborener Kurſachſe Karl Biedermann ſich jetzt unterſtand, eine „Deutſche Monats- ſchrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer’s, die preußiſche Hegemonie, allerdings ohne den Geiſt und Schwung des Schwaben, aber mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsſchrift zeigte Verſtändniß für das wirthſchaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern einer feſteren deutſchen Staatsbildung; freilich zählte ſie nur 500 Abon- nenten, doch mehr hatten auch Ruge’s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu- weiſen.
Alle dieſe Plänkler der Tagesmeinung ſahen ſich durch den Unverſtand der Cenſurvorſchriften zu verzweifelten Zigeunerſtreichen gezwungen, zu liſtigen Umgehungen des Geſetzes, welche, vom Volke ſtets mit Schaden- freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit erſchüttern mußten. Wenn der Kölniſchen Zeitung die Correſpondenzen „von der Murg“ geſtrichen wurden, ſo erſchienen die nämlichen Artikel wieder mit der Aufſchrift: „von der Leine“. Die in Oeſterreich ſtreng verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kiſten mit doppelten Böden oder als Umſchläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh- miſche Grenze; in die berüchtigten Freiſcheine der k. k. Cenſur pflegten die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuſchalten. Kam in Leipzig ein gefährliches cenſurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus- gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der geſammten Auflage vor dem Polizeihauſe vor; kaum war das geſetzliche Pflichtexemplar abge- liefert, ſo eilten die Pferde in raſendem Laufe durch die Gaſſen des Buch- händlerviertels, und im Nu verſchwanden die Bücherpackete in den Com- miſſionsgeſchäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu- ſprechen.
Für die unglücklichen Cenſoren ſchien kein Wort der Verachtung zu ſchlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es ſchon längſt dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine beſten Räthe zu Cenſoren hergeben? — ſagte der Oberpräſident der Rheinpro- vinz zu dem klagenden Verleger der Kölniſchen Zeitung. Oft genug mußte man ſich mit unerfahrenen Aſſeſſoren behelfen, die den Auftrag nicht ablehnen durften. Da geſchah es einſt zu Köln, daß zwei ſolche jugendliche Cenſoren nach einem luſtigen Gelage mit dem Nachtwächter Händel begannen; der eine war der geiſtreiche Graf Fritz Eulenburg, der alſo nicht ohne Geräuſch ſeinen Einzug in die preußiſche Geſchichte hielt. Obwohl die Miſſethat durch Verſetzung und durch eine Geldſtrafe geſühnt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0210"n="196"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
preußiſchen Zuſtände ſcharf zu beobachten begann. Kuranda’s treuer Ge-<lb/>
hilfe war ein anderer böhmiſcher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf-<lb/>
mann, ein ſchüchterner Stubengelehrter von linkiſchem Weſen, dem man gar<lb/>
nicht anſah, wie klar und ſicher er über politiſche Fragen urtheilte. Ganz<lb/>
unerhört aber war es in dieſem Lande des Preußenhaſſes, daß ein geborener<lb/>
Kurſachſe Karl Biedermann ſich jetzt unterſtand, eine „Deutſche Monats-<lb/>ſchrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer’s, die preußiſche<lb/>
Hegemonie, allerdings ohne den Geiſt und Schwung des Schwaben, aber<lb/>
mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsſchrift zeigte Verſtändniß<lb/>
für das wirthſchaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern<lb/>
einer feſteren deutſchen Staatsbildung; freilich zählte ſie nur 500 Abon-<lb/>
nenten, doch mehr hatten auch Ruge’s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu-<lb/>
weiſen.</p><lb/><p>Alle dieſe Plänkler der Tagesmeinung ſahen ſich durch den Unverſtand<lb/>
der Cenſurvorſchriften zu verzweifelten Zigeunerſtreichen gezwungen, zu<lb/>
liſtigen Umgehungen des Geſetzes, welche, vom Volke ſtets mit Schaden-<lb/>
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit<lb/>
erſchüttern mußten. Wenn der Kölniſchen Zeitung die Correſpondenzen<lb/>„von der Murg“ geſtrichen wurden, ſo erſchienen die nämlichen Artikel<lb/>
wieder mit der Aufſchrift: „von der Leine“. Die in Oeſterreich ſtreng<lb/>
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kiſten mit doppelten<lb/>
Böden oder als Umſchläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh-<lb/>
miſche Grenze; in die berüchtigten Freiſcheine der k. k. Cenſur pflegten<lb/>
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuſchalten.<lb/>
Kam in Leipzig ein gefährliches cenſurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus-<lb/>
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der geſammten Auflage<lb/>
vor dem Polizeihauſe vor; kaum war das geſetzliche Pflichtexemplar abge-<lb/>
liefert, ſo eilten die Pferde in raſendem Laufe durch die Gaſſen des Buch-<lb/>
händlerviertels, und im Nu verſchwanden die Bücherpackete in den Com-<lb/>
miſſionsgeſchäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu-<lb/>ſprechen.</p><lb/><p>Für die unglücklichen Cenſoren ſchien kein Wort der Verachtung zu<lb/>ſchlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es ſchon längſt<lb/>
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte<lb/>
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine beſten<lb/>
Räthe zu Cenſoren hergeben? —ſagte der Oberpräſident der Rheinpro-<lb/>
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölniſchen Zeitung. Oft genug<lb/>
mußte man ſich mit unerfahrenen Aſſeſſoren behelfen, die den Auftrag<lb/>
nicht ablehnen durften. Da geſchah es einſt zu Köln, daß zwei ſolche<lb/>
jugendliche Cenſoren nach einem luſtigen Gelage mit dem Nachtwächter<lb/>
Händel begannen; der eine war der geiſtreiche Graf Fritz Eulenburg, der<lb/>
alſo nicht ohne Geräuſch ſeinen Einzug in die preußiſche Geſchichte hielt.<lb/>
Obwohl die Miſſethat durch Verſetzung und durch eine Geldſtrafe geſühnt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[196/0210]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
preußiſchen Zuſtände ſcharf zu beobachten begann. Kuranda’s treuer Ge-
hilfe war ein anderer böhmiſcher Jude, der kindlich gutherzige Jakob Kauf-
mann, ein ſchüchterner Stubengelehrter von linkiſchem Weſen, dem man gar
nicht anſah, wie klar und ſicher er über politiſche Fragen urtheilte. Ganz
unerhört aber war es in dieſem Lande des Preußenhaſſes, daß ein geborener
Kurſachſe Karl Biedermann ſich jetzt unterſtand, eine „Deutſche Monats-
ſchrift“ herauszugeben, welche den Gedanken Paul Pfizer’s, die preußiſche
Hegemonie, allerdings ohne den Geiſt und Schwung des Schwaben, aber
mit tapferem Freimuth vertheidigte. Die Monatsſchrift zeigte Verſtändniß
für das wirthſchaftliche Leben und betrachtete den Zollverein als den Kern
einer feſteren deutſchen Staatsbildung; freilich zählte ſie nur 500 Abon-
nenten, doch mehr hatten auch Ruge’s gefürchtete Jahrbücher nicht aufzu-
weiſen.
Alle dieſe Plänkler der Tagesmeinung ſahen ſich durch den Unverſtand
der Cenſurvorſchriften zu verzweifelten Zigeunerſtreichen gezwungen, zu
liſtigen Umgehungen des Geſetzes, welche, vom Volke ſtets mit Schaden-
freude begrüßt, das öffentliche Rechtsgefühl, die Würde der Obrigkeit
erſchüttern mußten. Wenn der Kölniſchen Zeitung die Correſpondenzen
„von der Murg“ geſtrichen wurden, ſo erſchienen die nämlichen Artikel
wieder mit der Aufſchrift: „von der Leine“. Die in Oeſterreich ſtreng
verbotenen Grenzboten wanderten allwöchentlich in Kiſten mit doppelten
Böden oder als Umſchläge und Einlagen erlaubter Bücher über die böh-
miſche Grenze; in die berüchtigten Freiſcheine der k. k. Cenſur pflegten
die Buchhändler ganze Reihen verbotener Bücher nachträglich einzuſchalten.
Kam in Leipzig ein gefährliches cenſurfreies Zwanzigbogenbuch zur Aus-
gabe, dann fuhr ein Wagen des Verlegers mit der geſammten Auflage
vor dem Polizeihauſe vor; kaum war das geſetzliche Pflichtexemplar abge-
liefert, ſo eilten die Pferde in raſendem Laufe durch die Gaſſen des Buch-
händlerviertels, und im Nu verſchwanden die Bücherpackete in den Com-
miſſionsgeſchäften bevor die Behörde noch Zeit fand ein Verbot auszu-
ſprechen.
Für die unglücklichen Cenſoren ſchien kein Wort der Verachtung zu
ſchlecht. In Preußen wie in den kleinen Staaten war es ſchon längſt
dahin gekommen, daß nur unbrauchbare ältere Beamte dies verhaßte
Amt übernehmen wollten. Glauben Sie denn, ich könnte meine beſten
Räthe zu Cenſoren hergeben? — ſagte der Oberpräſident der Rheinpro-
vinz zu dem klagenden Verleger der Kölniſchen Zeitung. Oft genug
mußte man ſich mit unerfahrenen Aſſeſſoren behelfen, die den Auftrag
nicht ablehnen durften. Da geſchah es einſt zu Köln, daß zwei ſolche
jugendliche Cenſoren nach einem luſtigen Gelage mit dem Nachtwächter
Händel begannen; der eine war der geiſtreiche Graf Fritz Eulenburg, der
alſo nicht ohne Geräuſch ſeinen Einzug in die preußiſche Geſchichte hielt.
Obwohl die Miſſethat durch Verſetzung und durch eine Geldſtrafe geſühnt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/210>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.