Censor v. Uria-Sarachaja durch seinen ultramontanen Fanatismus beson- ders hervor. Er begann einen Vernichtungskampf gegen die Mannheimer Abendzeitung, ein radicales Blatt, das der Preuße Karl Grün erst von Mannheim aus, nachher, als man ihn aus Baden ausgewiesen, nach eine Weile vom rechten pfalzbairischen Rheinufer aus leitete. Alle deut- schen Regierungen zitterten vor Grün's groben Ausfällen; der preußische Hof mahnte den badischen, das Blatt zu verbieten, und erhielt die Ant- wort: Preußen sollte nur der Abendzeitung den Postdebit entziehen, dann ginge sie von selbst ein. Da ergab sich denn nach amtlicher Untersuchung, daß die gefürchtete Zeitung in ganz Preußen nur 134 Abonnenten zählte, in Berlin und den östlichen Provinzen ihrer 44. So kläglich stand es noch fast überall um den Absatz der Tagesblätter. Freilich wurden die spärlichen Exemplare in den Conditoreien und Clubs von sehr Vielen und sehr andächtig gelesen, so daß sie mehr wirkten als heutzutage. Das Verbot unterblieb schließlich, weil man das Aergerniß scheute.*)
Nun aber half Uria mit seinem unerbittlichen Rothstift aus und zähmte das Blatt binnen Kurzem gänzlich. Hierauf wendete sich der kleine Wütherich gegen das Mannheimer Journal des Rechtsanwalts Gustav v. Struve, der damals noch zur gemäßigten liberalen Partei gehörte. Mochten die Schrift- steller des Mannheimer Journals dem Jesuitenorden seine wohlbekannten alten Fürstenmords-Lehren vorhalten oder die nicht mehr neue Behaup- tung aufstellen, der Gebietsumfang der Bundesstaaten Preußen, Baden und Waldeck sei doch recht ungleich, oder auch die poetische Gräfin Hahn- Hahn in anzüglichen Versen "Du adelstolze Ida" anreden, oder einfach ankündigen, daß ein liberaler Professor öffentliche Vorträge über Experi- mentalphysik zu halten gedenke: -- einerlei, Uria strich Alles; oder wenn sich gar nichts streichen ließ, dann schrieb er mindestens eine grobe Be- merkung an den Rand des Censur-Exemplars, als zum Beispiel: "ist zwar wieder eine Lüge, kann indessen passiren." Als die Regierung alle amtlichen Bekanntmachungen ausschließlich der wenig bekannten Mann- heimer Morgenzeitung überwies, und viele angesehene Einwohner, darunter Männer wie Karl Mathy und Fecht, öffentlich erklärten, sie würden trotz- dem das Blatt weder lesen noch halten, da wurde selbst diese Kundgebung vom Censor unterdrückt, obschon sie kein beleidigendes Wort enthielt. In seiner Verzweiflung verfiel Struve endlich auf einen tollkühnen Anschlag. Er sammelte alle durch Uria gestrichenen Stellen seines Journals und ließ sie zu Mannheim selbst in drei censurfreien Zwanzigbogen-Bänden mit rothen Lettern drucken. Niemand wagte ihn zu hindern. Ein über- wältigender Anblick: diese drei Bände badischer Censurstriche, denen die badischen Gerichte nichts anhaben konnten! Drastischer ließ sich der Aber- witz des Karlsbader Preßgesetzes nicht erweisen.
*) Nagler an Thile, 4. März. Bülow, Weisung an Dönhoff, 26. Febr. Denk- schrift des Auswärtigen Amts. 9. Nov. 1844.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Cenſor v. Uria-Sarachaja durch ſeinen ultramontanen Fanatismus beſon- ders hervor. Er begann einen Vernichtungskampf gegen die Mannheimer Abendzeitung, ein radicales Blatt, das der Preuße Karl Grün erſt von Mannheim aus, nachher, als man ihn aus Baden ausgewieſen, nach eine Weile vom rechten pfalzbairiſchen Rheinufer aus leitete. Alle deut- ſchen Regierungen zitterten vor Grün’s groben Ausfällen; der preußiſche Hof mahnte den badiſchen, das Blatt zu verbieten, und erhielt die Ant- wort: Preußen ſollte nur der Abendzeitung den Poſtdebit entziehen, dann ginge ſie von ſelbſt ein. Da ergab ſich denn nach amtlicher Unterſuchung, daß die gefürchtete Zeitung in ganz Preußen nur 134 Abonnenten zählte, in Berlin und den öſtlichen Provinzen ihrer 44. So kläglich ſtand es noch faſt überall um den Abſatz der Tagesblätter. Freilich wurden die ſpärlichen Exemplare in den Conditoreien und Clubs von ſehr Vielen und ſehr andächtig geleſen, ſo daß ſie mehr wirkten als heutzutage. Das Verbot unterblieb ſchließlich, weil man das Aergerniß ſcheute.*)
Nun aber half Uria mit ſeinem unerbittlichen Rothſtift aus und zähmte das Blatt binnen Kurzem gänzlich. Hierauf wendete ſich der kleine Wütherich gegen das Mannheimer Journal des Rechtsanwalts Guſtav v. Struve, der damals noch zur gemäßigten liberalen Partei gehörte. Mochten die Schrift- ſteller des Mannheimer Journals dem Jeſuitenorden ſeine wohlbekannten alten Fürſtenmords-Lehren vorhalten oder die nicht mehr neue Behaup- tung aufſtellen, der Gebietsumfang der Bundesſtaaten Preußen, Baden und Waldeck ſei doch recht ungleich, oder auch die poetiſche Gräfin Hahn- Hahn in anzüglichen Verſen „Du adelſtolze Ida“ anreden, oder einfach ankündigen, daß ein liberaler Profeſſor öffentliche Vorträge über Experi- mentalphyſik zu halten gedenke: — einerlei, Uria ſtrich Alles; oder wenn ſich gar nichts ſtreichen ließ, dann ſchrieb er mindeſtens eine grobe Be- merkung an den Rand des Cenſur-Exemplars, als zum Beiſpiel: „iſt zwar wieder eine Lüge, kann indeſſen paſſiren.“ Als die Regierung alle amtlichen Bekanntmachungen ausſchließlich der wenig bekannten Mann- heimer Morgenzeitung überwies, und viele angeſehene Einwohner, darunter Männer wie Karl Mathy und Fecht, öffentlich erklärten, ſie würden trotz- dem das Blatt weder leſen noch halten, da wurde ſelbſt dieſe Kundgebung vom Cenſor unterdrückt, obſchon ſie kein beleidigendes Wort enthielt. In ſeiner Verzweiflung verfiel Struve endlich auf einen tollkühnen Anſchlag. Er ſammelte alle durch Uria geſtrichenen Stellen ſeines Journals und ließ ſie zu Mannheim ſelbſt in drei cenſurfreien Zwanzigbogen-Bänden mit rothen Lettern drucken. Niemand wagte ihn zu hindern. Ein über- wältigender Anblick: dieſe drei Bände badiſcher Cenſurſtriche, denen die badiſchen Gerichte nichts anhaben konnten! Draſtiſcher ließ ſich der Aber- witz des Karlsbader Preßgeſetzes nicht erweiſen.
*) Nagler an Thile, 4. März. Bülow, Weiſung an Dönhoff, 26. Febr. Denk- ſchrift des Auswärtigen Amts. 9. Nov. 1844.
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ders hervor. Er begann einen Vernichtungskampf gegen die Mannheimer
Abendzeitung, ein radicales Blatt, das der Preuße Karl Grün erſt von
Mannheim aus, nachher, als man ihn aus Baden ausgewieſen, nach
eine Weile vom rechten pfalzbairiſchen Rheinufer aus leitete. Alle deut-
ſchen Regierungen zitterten vor Grün’s groben Ausfällen; der preußiſche
Hof mahnte den badiſchen, das Blatt zu verbieten, und erhielt die Ant-
wort: Preußen ſollte nur der Abendzeitung den Poſtdebit entziehen, dann
ginge ſie von ſelbſt ein. Da ergab ſich denn nach amtlicher Unterſuchung,
daß die gefürchtete Zeitung in ganz Preußen nur 134 Abonnenten zählte,
in Berlin und den öſtlichen Provinzen ihrer 44. So kläglich ſtand es
noch faſt überall um den Abſatz der Tagesblätter. Freilich wurden die
ſpärlichen Exemplare in den Conditoreien und Clubs von ſehr Vielen und
ſehr andächtig geleſen, ſo daß ſie mehr wirkten als heutzutage. Das
Verbot unterblieb ſchließlich, weil man das Aergerniß ſcheute. *)
Nun aber half Uria mit ſeinem unerbittlichen Rothſtift aus und zähmte
das Blatt binnen Kurzem gänzlich. Hierauf wendete ſich der kleine Wütherich
gegen das Mannheimer Journal des Rechtsanwalts Guſtav v. Struve, der
damals noch zur gemäßigten liberalen Partei gehörte. Mochten die Schrift-
ſteller des Mannheimer Journals dem Jeſuitenorden ſeine wohlbekannten
alten Fürſtenmords-Lehren vorhalten oder die nicht mehr neue Behaup-
tung aufſtellen, der Gebietsumfang der Bundesſtaaten Preußen, Baden
und Waldeck ſei doch recht ungleich, oder auch die poetiſche Gräfin Hahn-
Hahn in anzüglichen Verſen „Du adelſtolze Ida“ anreden, oder einfach
ankündigen, daß ein liberaler Profeſſor öffentliche Vorträge über Experi-
mentalphyſik zu halten gedenke: — einerlei, Uria ſtrich Alles; oder wenn
ſich gar nichts ſtreichen ließ, dann ſchrieb er mindeſtens eine grobe Be-
merkung an den Rand des Cenſur-Exemplars, als zum Beiſpiel: „iſt
zwar wieder eine Lüge, kann indeſſen paſſiren.“ Als die Regierung alle
amtlichen Bekanntmachungen ausſchließlich der wenig bekannten Mann-
heimer Morgenzeitung überwies, und viele angeſehene Einwohner, darunter
Männer wie Karl Mathy und Fecht, öffentlich erklärten, ſie würden trotz-
dem das Blatt weder leſen noch halten, da wurde ſelbſt dieſe Kundgebung
vom Cenſor unterdrückt, obſchon ſie kein beleidigendes Wort enthielt. In
ſeiner Verzweiflung verfiel Struve endlich auf einen tollkühnen Anſchlag.
Er ſammelte alle durch Uria geſtrichenen Stellen ſeines Journals und
ließ ſie zu Mannheim ſelbſt in drei cenſurfreien Zwanzigbogen-Bänden
mit rothen Lettern drucken. Niemand wagte ihn zu hindern. Ein über-
wältigender Anblick: dieſe drei Bände badiſcher Cenſurſtriche, denen die
badiſchen Gerichte nichts anhaben konnten! Draſtiſcher ließ ſich der Aber-
witz des Karlsbader Preßgeſetzes nicht erweiſen.
*) Nagler an Thile, 4. März. Bülow, Weiſung an Dönhoff, 26. Febr. Denk-
ſchrift des Auswärtigen Amts. 9. Nov. 1844.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/208>, abgerufen am 16.02.2025.
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