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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
überbietend, alle Drucksachen ohne Ausnahme der Censur unterwarfen?
Was nicht censirt war unterlag überall beliebigen Verboten, selbst die
censirten Zeitungen durften nachträglich noch confiscirt werden. Sogar
vor gerichtlicher Verfolgung war der Verfasser einer censirten Schrift nicht
immer sicher: in Cassel wurde der schreibselige alte Sonderling Friedrich
Murhard (1844) verhaftet und, den Bundesgesetzen zuwider,*) zu schwerer
Strafe verurtheilt wegen eines Artikels im Rotteck-Welckerschen Staats-
lexicon, der längst schon von der sächsischen Censur gebilligt war. In
dem Thurn- und Taxisschen und anderen kleinen Postgebieten mußten die
Zeitungen auch noch fiskalische Mißhandlungen ertragen, da die Post
ihnen die Versendungskosten ganz nach Willkür berechnete.

Die Baiern rühmten sich gern, daß bei ihnen allein die Karlsbader
Beschlüsse nicht vollständig ausgeführt würden; und allerdings ließ der Mün-
chener Hof nach wie vor nur politische und statistische Zeitschriften censiren,
obgleich er doch selber einst am Bundestage die Verlängerung der Karlsbader
Ausnahmegesetze durchgesetzt hatte. Indessen wußten seine Polizeibehörden
auch Bücher aller Art durch Verbote so handfest niederzuhalten, daß die
deutschen Nachbarn durchaus keinen Grund fanden die Baiern zu beneiden.
Außer einigen schüchternen liberalen Blättchen in Franken gediehen hierzulande
nur die unschuldigen Landboten und Landbötinnen für den Bauersmann und
die Schützlinge des Ministeriums Abel, die ultramontanen Blätter, vom
Schlage der Neuen Würzburger Zeitung und des Fränkischen Kuriers.
In beiden Zeitungen trieb Zander sein Unwesen, ein feiler Jude, der erst
zur evangelischen, dann zur katholischen Kirche übergetreten war. Diesen
Getreuen gestattete die Regierung noch immer jede Schmährede wider Preu-
ßen; erst auf wiederholte Beschwerden des Berliner Hofs befahl sie durch
Ministerial-Erlaß, daß für jetzt, so lange die Verhandlungen zwischen Berlin
und Rom noch schwebten, "aus Rücksicht auf die katholische Kirche" alle Auf-
reizungen vermieden werden sollten.**) Eine so sanfte Mahnung fruchtete
bei den Würzburger Fanatikern wenig; und wenn man sich in Berlin nicht
die Augen verschloß, so mußte man endlich einsehen, daß diese Partei nicht
die Kirchenpolitik des alten Königs, sondern den preußischen Staat selber
bekämpfte.

Eine seltsame Ausnahmestellung nahm die Augsburger Allgemeine
Zeitung ein, die sich diplomatisch zwischen der bairischen und der öster-
reichischen Censur hindurchwinden mußte. Ihre beiden neuen Leiter,
die Schwaben Mebold und Kolb hatten einst als Demagogen auf dem
Hohenasperg zusammen gesessen, doch in ihren politischen Ansichten gingen
die Freunde weit auseinander. Der gelehrte Historiker Mebold betrachtete
die preußischen Dinge unbefangen. Kolb war ein feiner Kenner des gei-

*) s. o. IV. 610.
**) Werther, Verbalnote an Graf Lerchenfeld, 16. Febr.; Gise, Weisung an Ler-
chenfeld, 14. März 1841.

V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
überbietend, alle Druckſachen ohne Ausnahme der Cenſur unterwarfen?
Was nicht cenſirt war unterlag überall beliebigen Verboten, ſelbſt die
cenſirten Zeitungen durften nachträglich noch confiscirt werden. Sogar
vor gerichtlicher Verfolgung war der Verfaſſer einer cenſirten Schrift nicht
immer ſicher: in Caſſel wurde der ſchreibſelige alte Sonderling Friedrich
Murhard (1844) verhaftet und, den Bundesgeſetzen zuwider,*) zu ſchwerer
Strafe verurtheilt wegen eines Artikels im Rotteck-Welckerſchen Staats-
lexicon, der längſt ſchon von der ſächſiſchen Cenſur gebilligt war. In
dem Thurn- und Taxisſchen und anderen kleinen Poſtgebieten mußten die
Zeitungen auch noch fiskaliſche Mißhandlungen ertragen, da die Poſt
ihnen die Verſendungskoſten ganz nach Willkür berechnete.

Die Baiern rühmten ſich gern, daß bei ihnen allein die Karlsbader
Beſchlüſſe nicht vollſtändig ausgeführt würden; und allerdings ließ der Mün-
chener Hof nach wie vor nur politiſche und ſtatiſtiſche Zeitſchriften cenſiren,
obgleich er doch ſelber einſt am Bundestage die Verlängerung der Karlsbader
Ausnahmegeſetze durchgeſetzt hatte. Indeſſen wußten ſeine Polizeibehörden
auch Bücher aller Art durch Verbote ſo handfeſt niederzuhalten, daß die
deutſchen Nachbarn durchaus keinen Grund fanden die Baiern zu beneiden.
Außer einigen ſchüchternen liberalen Blättchen in Franken gediehen hierzulande
nur die unſchuldigen Landboten und Landbötinnen für den Bauersmann und
die Schützlinge des Miniſteriums Abel, die ultramontanen Blätter, vom
Schlage der Neuen Würzburger Zeitung und des Fränkiſchen Kuriers.
In beiden Zeitungen trieb Zander ſein Unweſen, ein feiler Jude, der erſt
zur evangeliſchen, dann zur katholiſchen Kirche übergetreten war. Dieſen
Getreuen geſtattete die Regierung noch immer jede Schmährede wider Preu-
ßen; erſt auf wiederholte Beſchwerden des Berliner Hofs befahl ſie durch
Miniſterial-Erlaß, daß für jetzt, ſo lange die Verhandlungen zwiſchen Berlin
und Rom noch ſchwebten, „aus Rückſicht auf die katholiſche Kirche“ alle Auf-
reizungen vermieden werden ſollten.**) Eine ſo ſanfte Mahnung fruchtete
bei den Würzburger Fanatikern wenig; und wenn man ſich in Berlin nicht
die Augen verſchloß, ſo mußte man endlich einſehen, daß dieſe Partei nicht
die Kirchenpolitik des alten Königs, ſondern den preußiſchen Staat ſelber
bekämpfte.

Eine ſeltſame Ausnahmeſtellung nahm die Augsburger Allgemeine
Zeitung ein, die ſich diplomatiſch zwiſchen der bairiſchen und der öſter-
reichiſchen Cenſur hindurchwinden mußte. Ihre beiden neuen Leiter,
die Schwaben Mebold und Kolb hatten einſt als Demagogen auf dem
Hohenasperg zuſammen geſeſſen, doch in ihren politiſchen Anſichten gingen
die Freunde weit auseinander. Der gelehrte Hiſtoriker Mebold betrachtete
die preußiſchen Dinge unbefangen. Kolb war ein feiner Kenner des gei-

*) ſ. o. IV. 610.
**) Werther, Verbalnote an Graf Lerchenfeld, 16. Febr.; Giſe, Weiſung an Ler-
chenfeld, 14. März 1841.
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[192/0206] V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung. überbietend, alle Druckſachen ohne Ausnahme der Cenſur unterwarfen? Was nicht cenſirt war unterlag überall beliebigen Verboten, ſelbſt die cenſirten Zeitungen durften nachträglich noch confiscirt werden. Sogar vor gerichtlicher Verfolgung war der Verfaſſer einer cenſirten Schrift nicht immer ſicher: in Caſſel wurde der ſchreibſelige alte Sonderling Friedrich Murhard (1844) verhaftet und, den Bundesgeſetzen zuwider, *) zu ſchwerer Strafe verurtheilt wegen eines Artikels im Rotteck-Welckerſchen Staats- lexicon, der längſt ſchon von der ſächſiſchen Cenſur gebilligt war. In dem Thurn- und Taxisſchen und anderen kleinen Poſtgebieten mußten die Zeitungen auch noch fiskaliſche Mißhandlungen ertragen, da die Poſt ihnen die Verſendungskoſten ganz nach Willkür berechnete. Die Baiern rühmten ſich gern, daß bei ihnen allein die Karlsbader Beſchlüſſe nicht vollſtändig ausgeführt würden; und allerdings ließ der Mün- chener Hof nach wie vor nur politiſche und ſtatiſtiſche Zeitſchriften cenſiren, obgleich er doch ſelber einſt am Bundestage die Verlängerung der Karlsbader Ausnahmegeſetze durchgeſetzt hatte. Indeſſen wußten ſeine Polizeibehörden auch Bücher aller Art durch Verbote ſo handfeſt niederzuhalten, daß die deutſchen Nachbarn durchaus keinen Grund fanden die Baiern zu beneiden. Außer einigen ſchüchternen liberalen Blättchen in Franken gediehen hierzulande nur die unſchuldigen Landboten und Landbötinnen für den Bauersmann und die Schützlinge des Miniſteriums Abel, die ultramontanen Blätter, vom Schlage der Neuen Würzburger Zeitung und des Fränkiſchen Kuriers. In beiden Zeitungen trieb Zander ſein Unweſen, ein feiler Jude, der erſt zur evangeliſchen, dann zur katholiſchen Kirche übergetreten war. Dieſen Getreuen geſtattete die Regierung noch immer jede Schmährede wider Preu- ßen; erſt auf wiederholte Beſchwerden des Berliner Hofs befahl ſie durch Miniſterial-Erlaß, daß für jetzt, ſo lange die Verhandlungen zwiſchen Berlin und Rom noch ſchwebten, „aus Rückſicht auf die katholiſche Kirche“ alle Auf- reizungen vermieden werden ſollten. **) Eine ſo ſanfte Mahnung fruchtete bei den Würzburger Fanatikern wenig; und wenn man ſich in Berlin nicht die Augen verſchloß, ſo mußte man endlich einſehen, daß dieſe Partei nicht die Kirchenpolitik des alten Königs, ſondern den preußiſchen Staat ſelber bekämpfte. Eine ſeltſame Ausnahmeſtellung nahm die Augsburger Allgemeine Zeitung ein, die ſich diplomatiſch zwiſchen der bairiſchen und der öſter- reichiſchen Cenſur hindurchwinden mußte. Ihre beiden neuen Leiter, die Schwaben Mebold und Kolb hatten einſt als Demagogen auf dem Hohenasperg zuſammen geſeſſen, doch in ihren politiſchen Anſichten gingen die Freunde weit auseinander. Der gelehrte Hiſtoriker Mebold betrachtete die preußiſchen Dinge unbefangen. Kolb war ein feiner Kenner des gei- *) ſ. o. IV. 610. **) Werther, Verbalnote an Graf Lerchenfeld, 16. Febr.; Giſe, Weiſung an Ler- chenfeld, 14. März 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/206>, abgerufen am 28.03.2024.