des Staatsschatzes und der Staatseinnahmen, bevor man sich über Finanz- sachen ausspräche. Niemand wollte ihm folgen, denn zur Lösung der großen Verfassungsfragen, die sich hier drohend ankündigten, hatte der Ausschuß- tag kein Recht. Viele fühlten, welch' eine unglückliche Halbheit es doch war, wenn der Staat an den möglichen Gewinnsten der Eisenbahnen nicht theilnehmen, sondern nur für ihre Verluste aufkommen wollte.
Gleichwohl wurde die Frage bejaht: ob die Regierung den Eisenbahnbau mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, namentlich auch durch Zins- garantien fördern solle. Es war ein Nothbehelf. Die Ausschüsse stimmten nur zu, weil sie nach der Erklärung des Ministers für jetzt auf Staatseisen- bahnen nicht rechnen konnten, und erwiesen ihm sodann noch die Gefälligkeit, diesen ganz unzweifelhaften Beweggrund ihres Beschlusses mit einer Mehr- heit von drei Stimmen ausdrücklich in Abrede zu stellen. Da der Ca- binetsminister General Thile wie sein Vorgänger General Lottum nach preußischem Soldatenbrauche in allen Geldsachen sehr genau war, so be- schlossen die Ausschüsse ferner: die Ausführung des Eisenbahnsystems er- scheine nothwendig selbst unter dem Vorbehalte einer möglichen Wiederer- höhung der Steuern; doch zugleich baten sie den König von diesem Vor- behalt abzusehen, "um nicht den wohlthätigen Eindruck des Steuererlasses zu schwächen."
So schwankten sie von einer Unklarheit zur anderen; ohne Anleihen, ohne Reichsstände kam dieser Staat keinen Schritt mehr vorwärts. Die Ostpreußen, die überhaupt am festesten zusammenhielten, zeigten sich sehr unwillig über die beengende Geschäftsordnung, die das Reden nur nach der Reihenfolge des Alphabets gestattete, und Rudolf von Auerswald gab der Gesinnung seiner Landsleute einen lebhaften Ausdruck. Als Graf Arnim zum Schluß im Namen des Königs vertraulich anfragte, ob die Provinzen nicht den Bau je einiger Strebepfeiler am Kölner Dome über- nehmen wollten, da wurde ihm in aller Ehrfurcht erwidert, es wäre wohl einfacher, wenn die Provinziallandtage oder ihre einzelnen Mitglieder zu freiwilligen Beiträgen aufforderten; eine Versammlung, der die Krone gar keine wirksamen Rechte zugestand, konnte doch unmöglich Geschenke be- willigen.*) Am 10. Novbr., nach drei Wochen, wurde die Tagung ge- schlossen; der Erfolg war, wie der Prinz von Preußen vorausgesagt: die wenig fruchtbaren Verhandlungen hatten in der gährenden Zeit allerhand unbestimmte Hoffnungen erweckt und keine befriedigt. Zum Abschied be- rief der König die Ausschüsse zu sich, dankte ihnen herzlich und hielt ihnen alsdann in einer sonderbar lehrhaften Ansprache einen Hauptsatz der Haller- schen Doctrin vor: sie seien zugleich Vertreter ihrer eigenen ständischen Rechte und völlig unabhängige Rathgeber der Krone, also "keine Reprä-
*) Berichte über die Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse, von Bodelschwingh 21. -- 29. Oct; von Arnim 3. -- 9. Nov. 1842.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
des Staatsſchatzes und der Staatseinnahmen, bevor man ſich über Finanz- ſachen ausſpräche. Niemand wollte ihm folgen, denn zur Löſung der großen Verfaſſungsfragen, die ſich hier drohend ankündigten, hatte der Ausſchuß- tag kein Recht. Viele fühlten, welch’ eine unglückliche Halbheit es doch war, wenn der Staat an den möglichen Gewinnſten der Eiſenbahnen nicht theilnehmen, ſondern nur für ihre Verluſte aufkommen wollte.
Gleichwohl wurde die Frage bejaht: ob die Regierung den Eiſenbahnbau mit allen ihr zu Gebote ſtehenden Mitteln, namentlich auch durch Zins- garantien fördern ſolle. Es war ein Nothbehelf. Die Ausſchüſſe ſtimmten nur zu, weil ſie nach der Erklärung des Miniſters für jetzt auf Staatseiſen- bahnen nicht rechnen konnten, und erwieſen ihm ſodann noch die Gefälligkeit, dieſen ganz unzweifelhaften Beweggrund ihres Beſchluſſes mit einer Mehr- heit von drei Stimmen ausdrücklich in Abrede zu ſtellen. Da der Ca- binetsminiſter General Thile wie ſein Vorgänger General Lottum nach preußiſchem Soldatenbrauche in allen Geldſachen ſehr genau war, ſo be- ſchloſſen die Ausſchüſſe ferner: die Ausführung des Eiſenbahnſyſtems er- ſcheine nothwendig ſelbſt unter dem Vorbehalte einer möglichen Wiederer- höhung der Steuern; doch zugleich baten ſie den König von dieſem Vor- behalt abzuſehen, „um nicht den wohlthätigen Eindruck des Steuererlaſſes zu ſchwächen.“
So ſchwankten ſie von einer Unklarheit zur anderen; ohne Anleihen, ohne Reichsſtände kam dieſer Staat keinen Schritt mehr vorwärts. Die Oſtpreußen, die überhaupt am feſteſten zuſammenhielten, zeigten ſich ſehr unwillig über die beengende Geſchäftsordnung, die das Reden nur nach der Reihenfolge des Alphabets geſtattete, und Rudolf von Auerswald gab der Geſinnung ſeiner Landsleute einen lebhaften Ausdruck. Als Graf Arnim zum Schluß im Namen des Königs vertraulich anfragte, ob die Provinzen nicht den Bau je einiger Strebepfeiler am Kölner Dome über- nehmen wollten, da wurde ihm in aller Ehrfurcht erwidert, es wäre wohl einfacher, wenn die Provinziallandtage oder ihre einzelnen Mitglieder zu freiwilligen Beiträgen aufforderten; eine Verſammlung, der die Krone gar keine wirkſamen Rechte zugeſtand, konnte doch unmöglich Geſchenke be- willigen.*) Am 10. Novbr., nach drei Wochen, wurde die Tagung ge- ſchloſſen; der Erfolg war, wie der Prinz von Preußen vorausgeſagt: die wenig fruchtbaren Verhandlungen hatten in der gährenden Zeit allerhand unbeſtimmte Hoffnungen erweckt und keine befriedigt. Zum Abſchied be- rief der König die Ausſchüſſe zu ſich, dankte ihnen herzlich und hielt ihnen alsdann in einer ſonderbar lehrhaften Anſprache einen Hauptſatz der Haller- ſchen Doctrin vor: ſie ſeien zugleich Vertreter ihrer eigenen ſtändiſchen Rechte und völlig unabhängige Rathgeber der Krone, alſo „keine Reprä-
*) Berichte über die Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe, von Bodelſchwingh 21. — 29. Oct; von Arnim 3. — 9. Nov. 1842.
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ſachen ausſpräche. Niemand wollte ihm folgen, denn zur Löſung der großen
Verfaſſungsfragen, die ſich hier drohend ankündigten, hatte der Ausſchuß-
tag kein Recht. Viele fühlten, welch’ eine unglückliche Halbheit es doch war,
wenn der Staat an den möglichen Gewinnſten der Eiſenbahnen nicht
theilnehmen, ſondern nur für ihre Verluſte aufkommen wollte.
Gleichwohl wurde die Frage bejaht: ob die Regierung den Eiſenbahnbau
mit allen ihr zu Gebote ſtehenden Mitteln, namentlich auch durch Zins-
garantien fördern ſolle. Es war ein Nothbehelf. Die Ausſchüſſe ſtimmten
nur zu, weil ſie nach der Erklärung des Miniſters für jetzt auf Staatseiſen-
bahnen nicht rechnen konnten, und erwieſen ihm ſodann noch die Gefälligkeit,
dieſen ganz unzweifelhaften Beweggrund ihres Beſchluſſes mit einer Mehr-
heit von drei Stimmen ausdrücklich in Abrede zu ſtellen. Da der Ca-
binetsminiſter General Thile wie ſein Vorgänger General Lottum nach
preußiſchem Soldatenbrauche in allen Geldſachen ſehr genau war, ſo be-
ſchloſſen die Ausſchüſſe ferner: die Ausführung des Eiſenbahnſyſtems er-
ſcheine nothwendig ſelbſt unter dem Vorbehalte einer möglichen Wiederer-
höhung der Steuern; doch zugleich baten ſie den König von dieſem Vor-
behalt abzuſehen, „um nicht den wohlthätigen Eindruck des Steuererlaſſes
zu ſchwächen.“
So ſchwankten ſie von einer Unklarheit zur anderen; ohne Anleihen,
ohne Reichsſtände kam dieſer Staat keinen Schritt mehr vorwärts. Die
Oſtpreußen, die überhaupt am feſteſten zuſammenhielten, zeigten ſich ſehr
unwillig über die beengende Geſchäftsordnung, die das Reden nur nach
der Reihenfolge des Alphabets geſtattete, und Rudolf von Auerswald gab
der Geſinnung ſeiner Landsleute einen lebhaften Ausdruck. Als Graf
Arnim zum Schluß im Namen des Königs vertraulich anfragte, ob die
Provinzen nicht den Bau je einiger Strebepfeiler am Kölner Dome über-
nehmen wollten, da wurde ihm in aller Ehrfurcht erwidert, es wäre wohl
einfacher, wenn die Provinziallandtage oder ihre einzelnen Mitglieder zu
freiwilligen Beiträgen aufforderten; eine Verſammlung, der die Krone gar
keine wirkſamen Rechte zugeſtand, konnte doch unmöglich Geſchenke be-
willigen. *) Am 10. Novbr., nach drei Wochen, wurde die Tagung ge-
ſchloſſen; der Erfolg war, wie der Prinz von Preußen vorausgeſagt: die
wenig fruchtbaren Verhandlungen hatten in der gährenden Zeit allerhand
unbeſtimmte Hoffnungen erweckt und keine befriedigt. Zum Abſchied be-
rief der König die Ausſchüſſe zu ſich, dankte ihnen herzlich und hielt ihnen
alsdann in einer ſonderbar lehrhaften Anſprache einen Hauptſatz der Haller-
ſchen Doctrin vor: ſie ſeien zugleich Vertreter ihrer eigenen ſtändiſchen
Rechte und völlig unabhängige Rathgeber der Krone, alſo „keine Reprä-
*) Berichte über die Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe, von Bodelſchwingh
21. — 29. Oct; von Arnim 3. — 9. Nov. 1842.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/200>, abgerufen am 22.11.2024.
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