burg zu billigem Preise erscheinen und fügte ein langes Nachwort hinzu, das in thörichten Schmähungen gegen Preußens Staat und Regierung schwelgte. Da ward Friedrich Wilhelm geschildert als "ein höchst schlauer, lebensgewandter Aristokrat, der sich sowohl auf die Schwächen als auf die schönsten Eigenschaften des deutschen Volkes versteht und beide mit nicht gewöhnlicher Verstellungskunst für seine Herrscherzwecke zu benutzen und auszubeuten weiß."
Sofort mußte Thile auf Befehl des Königs den Oberpräsidenten "wegen des Verrathes seiner fatalen Schrift"*) befragen, und Schön äußerte sich natürlich hoch entrüstet über Fein's "Schändlichkeit". Gleich- wohl unterließ er was die Pflicht des Anstands und der Treue ge- bieterisch erheischte; er erklärte nicht öffentlich, daß er an dem unbe- fugten Nachdruck keinen Antheil habe und das radikale Nachwort ent- schieden mißbillige. Der König in seinem arglosen Edelsinne muthete ihm eine solche Erklärung auch gar nicht zu, sondern untersagte jede Ver- folgung "des Woher und Wohin mit dem Drachenschwanze", damit das Gericht des Publikums "unedles, ja ehrloses Gebahren nach Gebühr be- handeln" könne.**) Wie gründlich täuschte er sich doch über die Urtheils- fähigkeit der öffentlichen Meinung, die zwischen gemäßigter und radikaler Opposition noch keineswegs zu unterscheiden verstand. Da das Machwerk Fein's unbehelligt umlief, so glaubten die Leser allesammt, der Straß- burgische Demagog und der Freund König Friedrich Wilhelm's hegten im Grunde die nämliche Gesinnung. In solcher Gestalt dargeboten wirkte Schön's Abhandlung in der That wie eine Brandschrift, und sein Verbleiben im Amte wurde rein unmöglich.
Und doch war Schön nicht ganz im Irrthum, wenn er von dem unberechenbaren Charakter des Königs bis zuletzt noch eine Sinnesän- derung erhoffte. Friedrich Wilhelm hatte mit dem alten Freunde noch nicht ganz gebrochen; und in demselben Augenblicke da er Schön's Ent- lassung genehmigte, strafte er zugleich dessen Feinde. Am 7. April wurde General Wrangel zu seinem schmerzlichen Erstaunen nach Stettin ver- setzt, weil der König meinte: der bärbeißige Soldat würde in Königsberg zu früh schießen lassen. Zugleich brach auch über Rochow das Verhäng- niß herein. Friedrich Wilhelm hielt sich verpflichtet, die offenbare Partei- lichkeit, welche der Minister während des langen Streites gezeigt hatte, nicht ungerügt zu lassen; es entging ihm nicht, daß Rochow's officiöse Zeitungsschreiber an der Zügellosigkeit der liberalen Presse mitschuldig waren; dennoch brachte er es nicht über das Herz dem Freunde die ganze Wahrheit zu gestehen. Am 9. April sagte er dem Ueberraschten in einem
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Mai 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Mai; Randbemerkung des Königs zu Rochow's Bericht vom 21. Mai 1842.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
burg zu billigem Preiſe erſcheinen und fügte ein langes Nachwort hinzu, das in thörichten Schmähungen gegen Preußens Staat und Regierung ſchwelgte. Da ward Friedrich Wilhelm geſchildert als „ein höchſt ſchlauer, lebensgewandter Ariſtokrat, der ſich ſowohl auf die Schwächen als auf die ſchönſten Eigenſchaften des deutſchen Volkes verſteht und beide mit nicht gewöhnlicher Verſtellungskunſt für ſeine Herrſcherzwecke zu benutzen und auszubeuten weiß.“
Sofort mußte Thile auf Befehl des Königs den Oberpräſidenten „wegen des Verrathes ſeiner fatalen Schrift“*) befragen, und Schön äußerte ſich natürlich hoch entrüſtet über Fein’s „Schändlichkeit“. Gleich- wohl unterließ er was die Pflicht des Anſtands und der Treue ge- bieteriſch erheiſchte; er erklärte nicht öffentlich, daß er an dem unbe- fugten Nachdruck keinen Antheil habe und das radikale Nachwort ent- ſchieden mißbillige. Der König in ſeinem argloſen Edelſinne muthete ihm eine ſolche Erklärung auch gar nicht zu, ſondern unterſagte jede Ver- folgung „des Woher und Wohin mit dem Drachenſchwanze“, damit das Gericht des Publikums „unedles, ja ehrloſes Gebahren nach Gebühr be- handeln“ könne.**) Wie gründlich täuſchte er ſich doch über die Urtheils- fähigkeit der öffentlichen Meinung, die zwiſchen gemäßigter und radikaler Oppoſition noch keineswegs zu unterſcheiden verſtand. Da das Machwerk Fein’s unbehelligt umlief, ſo glaubten die Leſer alleſammt, der Straß- burgiſche Demagog und der Freund König Friedrich Wilhelm’s hegten im Grunde die nämliche Geſinnung. In ſolcher Geſtalt dargeboten wirkte Schön’s Abhandlung in der That wie eine Brandſchrift, und ſein Verbleiben im Amte wurde rein unmöglich.
Und doch war Schön nicht ganz im Irrthum, wenn er von dem unberechenbaren Charakter des Königs bis zuletzt noch eine Sinnesän- derung erhoffte. Friedrich Wilhelm hatte mit dem alten Freunde noch nicht ganz gebrochen; und in demſelben Augenblicke da er Schön’s Ent- laſſung genehmigte, ſtrafte er zugleich deſſen Feinde. Am 7. April wurde General Wrangel zu ſeinem ſchmerzlichen Erſtaunen nach Stettin ver- ſetzt, weil der König meinte: der bärbeißige Soldat würde in Königsberg zu früh ſchießen laſſen. Zugleich brach auch über Rochow das Verhäng- niß herein. Friedrich Wilhelm hielt ſich verpflichtet, die offenbare Partei- lichkeit, welche der Miniſter während des langen Streites gezeigt hatte, nicht ungerügt zu laſſen; es entging ihm nicht, daß Rochow’s officiöſe Zeitungsſchreiber an der Zügelloſigkeit der liberalen Preſſe mitſchuldig waren; dennoch brachte er es nicht über das Herz dem Freunde die ganze Wahrheit zu geſtehen. Am 9. April ſagte er dem Ueberraſchten in einem
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Mai 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Mai; Randbemerkung des Königs zu Rochow’s Bericht vom 21. Mai 1842.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0176"n="162"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">V.</hi> 3. Enttäuſchung und Verwirrung.</fw><lb/>
burg zu billigem Preiſe erſcheinen und fügte ein langes Nachwort hinzu,<lb/>
das in thörichten Schmähungen gegen Preußens Staat und Regierung<lb/>ſchwelgte. Da ward Friedrich Wilhelm geſchildert als „ein höchſt ſchlauer,<lb/>
lebensgewandter Ariſtokrat, der ſich ſowohl auf die Schwächen als auf die<lb/>ſchönſten Eigenſchaften des deutſchen Volkes verſteht und beide mit nicht<lb/>
gewöhnlicher Verſtellungskunſt für ſeine Herrſcherzwecke zu benutzen und<lb/>
auszubeuten weiß.“</p><lb/><p>Sofort mußte Thile auf Befehl des Königs den Oberpräſidenten<lb/>„wegen des Verrathes ſeiner fatalen Schrift“<noteplace="foot"n="*)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Mai 1842.</note> befragen, und Schön<lb/>
äußerte ſich natürlich hoch entrüſtet über Fein’s „Schändlichkeit“. Gleich-<lb/>
wohl unterließ er was die Pflicht des Anſtands und der Treue ge-<lb/>
bieteriſch erheiſchte; er erklärte nicht öffentlich, daß er an dem unbe-<lb/>
fugten Nachdruck keinen Antheil habe und das radikale Nachwort ent-<lb/>ſchieden mißbillige. Der König in ſeinem argloſen Edelſinne muthete<lb/>
ihm eine ſolche Erklärung auch gar nicht zu, ſondern unterſagte jede Ver-<lb/>
folgung „des Woher und Wohin mit dem Drachenſchwanze“, damit das<lb/>
Gericht des Publikums „unedles, ja ehrloſes Gebahren nach Gebühr be-<lb/>
handeln“ könne.<noteplace="foot"n="**)">König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Mai; Randbemerkung des Königs zu<lb/>
Rochow’s Bericht vom 21. Mai 1842.</note> Wie gründlich täuſchte er ſich doch über die Urtheils-<lb/>
fähigkeit der öffentlichen Meinung, die zwiſchen gemäßigter und radikaler<lb/>
Oppoſition noch keineswegs zu unterſcheiden verſtand. Da das Machwerk<lb/>
Fein’s unbehelligt umlief, ſo glaubten die Leſer alleſammt, der Straß-<lb/>
burgiſche Demagog und der Freund König Friedrich Wilhelm’s hegten im<lb/>
Grunde die nämliche Geſinnung. In ſolcher Geſtalt dargeboten wirkte<lb/>
Schön’s Abhandlung in der That wie eine Brandſchrift, und ſein Verbleiben<lb/>
im Amte wurde rein unmöglich.</p><lb/><p>Und doch war Schön nicht ganz im Irrthum, wenn er von dem<lb/>
unberechenbaren Charakter des Königs bis zuletzt noch eine Sinnesän-<lb/>
derung erhoffte. Friedrich Wilhelm hatte mit dem alten Freunde noch<lb/>
nicht ganz gebrochen; und in demſelben Augenblicke da er Schön’s Ent-<lb/>
laſſung genehmigte, ſtrafte er zugleich deſſen Feinde. Am 7. April wurde<lb/>
General Wrangel zu ſeinem ſchmerzlichen Erſtaunen nach Stettin ver-<lb/>ſetzt, weil der König meinte: der bärbeißige Soldat würde in Königsberg<lb/>
zu früh ſchießen laſſen. Zugleich brach auch über Rochow das Verhäng-<lb/>
niß herein. Friedrich Wilhelm hielt ſich verpflichtet, die offenbare Partei-<lb/>
lichkeit, welche der Miniſter während des langen Streites gezeigt hatte,<lb/>
nicht ungerügt zu laſſen; es entging ihm nicht, daß Rochow’s officiöſe<lb/>
Zeitungsſchreiber an der Zügelloſigkeit der liberalen Preſſe mitſchuldig<lb/>
waren; dennoch brachte er es nicht über das Herz dem Freunde die ganze<lb/>
Wahrheit zu geſtehen. Am 9. April ſagte er dem Ueberraſchten in einem<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0176]
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
burg zu billigem Preiſe erſcheinen und fügte ein langes Nachwort hinzu,
das in thörichten Schmähungen gegen Preußens Staat und Regierung
ſchwelgte. Da ward Friedrich Wilhelm geſchildert als „ein höchſt ſchlauer,
lebensgewandter Ariſtokrat, der ſich ſowohl auf die Schwächen als auf die
ſchönſten Eigenſchaften des deutſchen Volkes verſteht und beide mit nicht
gewöhnlicher Verſtellungskunſt für ſeine Herrſcherzwecke zu benutzen und
auszubeuten weiß.“
Sofort mußte Thile auf Befehl des Königs den Oberpräſidenten
„wegen des Verrathes ſeiner fatalen Schrift“ *) befragen, und Schön
äußerte ſich natürlich hoch entrüſtet über Fein’s „Schändlichkeit“. Gleich-
wohl unterließ er was die Pflicht des Anſtands und der Treue ge-
bieteriſch erheiſchte; er erklärte nicht öffentlich, daß er an dem unbe-
fugten Nachdruck keinen Antheil habe und das radikale Nachwort ent-
ſchieden mißbillige. Der König in ſeinem argloſen Edelſinne muthete
ihm eine ſolche Erklärung auch gar nicht zu, ſondern unterſagte jede Ver-
folgung „des Woher und Wohin mit dem Drachenſchwanze“, damit das
Gericht des Publikums „unedles, ja ehrloſes Gebahren nach Gebühr be-
handeln“ könne. **) Wie gründlich täuſchte er ſich doch über die Urtheils-
fähigkeit der öffentlichen Meinung, die zwiſchen gemäßigter und radikaler
Oppoſition noch keineswegs zu unterſcheiden verſtand. Da das Machwerk
Fein’s unbehelligt umlief, ſo glaubten die Leſer alleſammt, der Straß-
burgiſche Demagog und der Freund König Friedrich Wilhelm’s hegten im
Grunde die nämliche Geſinnung. In ſolcher Geſtalt dargeboten wirkte
Schön’s Abhandlung in der That wie eine Brandſchrift, und ſein Verbleiben
im Amte wurde rein unmöglich.
Und doch war Schön nicht ganz im Irrthum, wenn er von dem
unberechenbaren Charakter des Königs bis zuletzt noch eine Sinnesän-
derung erhoffte. Friedrich Wilhelm hatte mit dem alten Freunde noch
nicht ganz gebrochen; und in demſelben Augenblicke da er Schön’s Ent-
laſſung genehmigte, ſtrafte er zugleich deſſen Feinde. Am 7. April wurde
General Wrangel zu ſeinem ſchmerzlichen Erſtaunen nach Stettin ver-
ſetzt, weil der König meinte: der bärbeißige Soldat würde in Königsberg
zu früh ſchießen laſſen. Zugleich brach auch über Rochow das Verhäng-
niß herein. Friedrich Wilhelm hielt ſich verpflichtet, die offenbare Partei-
lichkeit, welche der Miniſter während des langen Streites gezeigt hatte,
nicht ungerügt zu laſſen; es entging ihm nicht, daß Rochow’s officiöſe
Zeitungsſchreiber an der Zügelloſigkeit der liberalen Preſſe mitſchuldig
waren; dennoch brachte er es nicht über das Herz dem Freunde die ganze
Wahrheit zu geſtehen. Am 9. April ſagte er dem Ueberraſchten in einem
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Mai 1842.
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Mai; Randbemerkung des Königs zu
Rochow’s Bericht vom 21. Mai 1842.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/176>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.