den König, ihm die Arbeiten der Gesetzrevision zu lassen, da ihm "Gott diese Kräfte ungeschwächt erhalten habe".*)
Alles vergeblich. Der König hatte die Stelle bereits seinem Freunde Savigny zugedacht und verlangte von diesem Vorschläge für eine zweck- mäßige Einrichtung der Gesetzrevision. Die Denkschrift, welche Savigny darauf (im Januar 1842) dem Monarchen überreichte, enthielt in vornehmer, gemessener Form eine entschiedene Absage der neuen historischen Rechts- lehre an die Wetzlarische Gelahrtheit des alten Jahrhunderts. Sie brach den Stab über Kamptz's gesammte Amtsführung und zeigte mit siegreicher Klarheit: grade das Landrecht, grade diese so ausführliche, so in's Ein- zelne gehende Codification habe den wissenschaftlichen Geist des trefflichen preußischen Richterstandes gelähmt; darum sei auch nicht, wie bisher immer, eine Umarbeitung des ganzen Landrechts zu erstreben, sondern zuvörderst eine Neugestaltung des Processes, damit die Richter in ihrer ganzen Thätigkeit freier gestellt, unabhängiger nach oben, entlastet von fremd- artigen Amtsgeschäften, wieder mit der Wissenschaft in lebendige Wechsel- wirkung träten. Am materiellen Rechte wollte Savigny nur verändern, was durch die Erfahrung widerlegt sei und den Bedürfnissen der heu- tigen Gesellschaft widerspreche. Er forderte also, wie sein Lieblingsschüler Ludwig v. Gerlach sagte, statt todter Codification lebendige Legislation; und bei dem freudigen Verständniß, das Friedrich Wilhelm den Ideen seines Lehrers immer gewidmet hatte, schien die Hoffnung wohlberechtigt, daß Preußens Gesetzgebung sich fortan auf der Höhe der Wissenschaft halten würde.
Als Savigny auf Grund jenes Programmes im März den Minister- posten erhielt, da meinten fast alle guten Köpfe an den Hochschulen wie an den Gerichten, eine glücklichere Wahl hätte der König nicht treffen können; denn durch sein Wirken im Staatsrathe und neuerdings durch sein System des heutigen römischen Rechts war der größte Rechtsgelehrte des Jahrhunderts auch bei den Praktikern zu hohem Ansehen gelangt. Schon Stein hatte einst vorausgesagt, der würde einst ein würdiger Nach- folger des Großkanzlers Carmer werden. Nur die Radikalen, die ihm seine Kämpfe gegen das Vernunftrecht nicht verzeihen konnten, ergingen sich in wohlfeilen Spöttereien über den Mann, der einst unserer Zeit den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen hätte und nun selbst das Ministerium der Gesetzrevision übernähme; sie hielten ihm vor, daß er, der Protestant, seinen Sohn streng katholisch erziehen ließ, daß er einst Gans bekämpft und Stahl beschützt hatte, daß er jetzt Gerlach sogleich in sein Ministerium berief; sie weissagten dem "christlich-germanischen Solon" ein schlimmes Ende. Und seltsam, diesen Parteifanatikern gab der Erfolg schließlich mehr Recht als den Einsichtigen und Unbefangenen. Es zeigte sich bald, daß
*) Thile an Kamptz 5. Aug.; Kamptz an den König 5. Oct., an Thile 5. Oct. 1841.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
den König, ihm die Arbeiten der Geſetzreviſion zu laſſen, da ihm „Gott dieſe Kräfte ungeſchwächt erhalten habe“.*)
Alles vergeblich. Der König hatte die Stelle bereits ſeinem Freunde Savigny zugedacht und verlangte von dieſem Vorſchläge für eine zweck- mäßige Einrichtung der Geſetzreviſion. Die Denkſchrift, welche Savigny darauf (im Januar 1842) dem Monarchen überreichte, enthielt in vornehmer, gemeſſener Form eine entſchiedene Abſage der neuen hiſtoriſchen Rechts- lehre an die Wetzlariſche Gelahrtheit des alten Jahrhunderts. Sie brach den Stab über Kamptz’s geſammte Amtsführung und zeigte mit ſiegreicher Klarheit: grade das Landrecht, grade dieſe ſo ausführliche, ſo in’s Ein- zelne gehende Codification habe den wiſſenſchaftlichen Geiſt des trefflichen preußiſchen Richterſtandes gelähmt; darum ſei auch nicht, wie bisher immer, eine Umarbeitung des ganzen Landrechts zu erſtreben, ſondern zuvörderſt eine Neugeſtaltung des Proceſſes, damit die Richter in ihrer ganzen Thätigkeit freier geſtellt, unabhängiger nach oben, entlaſtet von fremd- artigen Amtsgeſchäften, wieder mit der Wiſſenſchaft in lebendige Wechſel- wirkung träten. Am materiellen Rechte wollte Savigny nur verändern, was durch die Erfahrung widerlegt ſei und den Bedürfniſſen der heu- tigen Geſellſchaft widerſpreche. Er forderte alſo, wie ſein Lieblingsſchüler Ludwig v. Gerlach ſagte, ſtatt todter Codification lebendige Legislation; und bei dem freudigen Verſtändniß, das Friedrich Wilhelm den Ideen ſeines Lehrers immer gewidmet hatte, ſchien die Hoffnung wohlberechtigt, daß Preußens Geſetzgebung ſich fortan auf der Höhe der Wiſſenſchaft halten würde.
Als Savigny auf Grund jenes Programmes im März den Miniſter- poſten erhielt, da meinten faſt alle guten Köpfe an den Hochſchulen wie an den Gerichten, eine glücklichere Wahl hätte der König nicht treffen können; denn durch ſein Wirken im Staatsrathe und neuerdings durch ſein Syſtem des heutigen römiſchen Rechts war der größte Rechtsgelehrte des Jahrhunderts auch bei den Praktikern zu hohem Anſehen gelangt. Schon Stein hatte einſt vorausgeſagt, der würde einſt ein würdiger Nach- folger des Großkanzlers Carmer werden. Nur die Radikalen, die ihm ſeine Kämpfe gegen das Vernunftrecht nicht verzeihen konnten, ergingen ſich in wohlfeilen Spöttereien über den Mann, der einſt unſerer Zeit den Beruf zur Geſetzgebung abgeſprochen hätte und nun ſelbſt das Miniſterium der Geſetzreviſion übernähme; ſie hielten ihm vor, daß er, der Proteſtant, ſeinen Sohn ſtreng katholiſch erziehen ließ, daß er einſt Gans bekämpft und Stahl beſchützt hatte, daß er jetzt Gerlach ſogleich in ſein Miniſterium berief; ſie weiſſagten dem „chriſtlich-germaniſchen Solon“ ein ſchlimmes Ende. Und ſeltſam, dieſen Parteifanatikern gab der Erfolg ſchließlich mehr Recht als den Einſichtigen und Unbefangenen. Es zeigte ſich bald, daß
*) Thile an Kamptz 5. Aug.; Kamptz an den König 5. Oct., an Thile 5. Oct. 1841.
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V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
den König, ihm die Arbeiten der Geſetzreviſion zu laſſen, da ihm „Gott
dieſe Kräfte ungeſchwächt erhalten habe“. *)
Alles vergeblich. Der König hatte die Stelle bereits ſeinem Freunde
Savigny zugedacht und verlangte von dieſem Vorſchläge für eine zweck-
mäßige Einrichtung der Geſetzreviſion. Die Denkſchrift, welche Savigny
darauf (im Januar 1842) dem Monarchen überreichte, enthielt in vornehmer,
gemeſſener Form eine entſchiedene Abſage der neuen hiſtoriſchen Rechts-
lehre an die Wetzlariſche Gelahrtheit des alten Jahrhunderts. Sie brach
den Stab über Kamptz’s geſammte Amtsführung und zeigte mit ſiegreicher
Klarheit: grade das Landrecht, grade dieſe ſo ausführliche, ſo in’s Ein-
zelne gehende Codification habe den wiſſenſchaftlichen Geiſt des trefflichen
preußiſchen Richterſtandes gelähmt; darum ſei auch nicht, wie bisher immer,
eine Umarbeitung des ganzen Landrechts zu erſtreben, ſondern zuvörderſt
eine Neugeſtaltung des Proceſſes, damit die Richter in ihrer ganzen
Thätigkeit freier geſtellt, unabhängiger nach oben, entlaſtet von fremd-
artigen Amtsgeſchäften, wieder mit der Wiſſenſchaft in lebendige Wechſel-
wirkung träten. Am materiellen Rechte wollte Savigny nur verändern,
was durch die Erfahrung widerlegt ſei und den Bedürfniſſen der heu-
tigen Geſellſchaft widerſpreche. Er forderte alſo, wie ſein Lieblingsſchüler
Ludwig v. Gerlach ſagte, ſtatt todter Codification lebendige Legislation;
und bei dem freudigen Verſtändniß, das Friedrich Wilhelm den Ideen
ſeines Lehrers immer gewidmet hatte, ſchien die Hoffnung wohlberechtigt,
daß Preußens Geſetzgebung ſich fortan auf der Höhe der Wiſſenſchaft
halten würde.
Als Savigny auf Grund jenes Programmes im März den Miniſter-
poſten erhielt, da meinten faſt alle guten Köpfe an den Hochſchulen wie
an den Gerichten, eine glücklichere Wahl hätte der König nicht treffen
können; denn durch ſein Wirken im Staatsrathe und neuerdings durch
ſein Syſtem des heutigen römiſchen Rechts war der größte Rechtsgelehrte
des Jahrhunderts auch bei den Praktikern zu hohem Anſehen gelangt.
Schon Stein hatte einſt vorausgeſagt, der würde einſt ein würdiger Nach-
folger des Großkanzlers Carmer werden. Nur die Radikalen, die ihm ſeine
Kämpfe gegen das Vernunftrecht nicht verzeihen konnten, ergingen ſich in
wohlfeilen Spöttereien über den Mann, der einſt unſerer Zeit den Beruf
zur Geſetzgebung abgeſprochen hätte und nun ſelbſt das Miniſterium der
Geſetzreviſion übernähme; ſie hielten ihm vor, daß er, der Proteſtant,
ſeinen Sohn ſtreng katholiſch erziehen ließ, daß er einſt Gans bekämpft
und Stahl beſchützt hatte, daß er jetzt Gerlach ſogleich in ſein Miniſterium
berief; ſie weiſſagten dem „chriſtlich-germaniſchen Solon“ ein ſchlimmes
Ende. Und ſeltſam, dieſen Parteifanatikern gab der Erfolg ſchließlich mehr
Recht als den Einſichtigen und Unbefangenen. Es zeigte ſich bald, daß
*) Thile an Kamptz 5. Aug.; Kamptz an den König 5. Oct., an Thile 5. Oct. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/170>, abgerufen am 23.11.2024.
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