Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Jacoby's Vier Fragen. Revolution und dem polnischen Aufstande verdankte. Jung war er nie ge-wesen, die Welt des Schönen blieb ihm so fremd wie das Spiel des Scherzes. In gebückter Haltung, und doch feierlich schritt der kahlköpfige kleine Mann daher, ein tiefer Ernst lag in den scharfgeschnittenen Gesichts- zügen, in den durchdringenden stechenden Blicken der großen blauen Augen. Alles verrieth sogleich den sittenstrengen, fleißigen, bedürfnißlosen Stuben- gelehrten. Obgleich er als spinozistischer Freidenker die Synagoge grund- sätzlich nie betrat, so meinte er sich doch berufen im Namen seiner Glaubens- genossen zu reden und schrieb schon als junger Mann ein geharnischtes Büchlein für die bürgerliche Gleichstellung der Israeliten. Diese Schrift und eine zweite noch schärfere wider die preußische Censur verschafften ihm bald ein hohes Ansehen unter den Liberalen Königsbergs; bei den Samm- lungen für die Göttinger Sieben erschien er schon wie ein Parteiführer. Da die Ostpreußen von allen Deutschen am besten verstehen sich ihre Juden zu erziehen, so war auch Jacoby weit mehr Ostpreuße als Jude. Nur die vordringliche Dreistigkeit erinnerte an die orientalische Abstammung; den Grundzug seines Charakters bildete jener starre altpreußische Rechts- und Freiheitstrotz, der schon so viel Ruhm und so viel Elend, den Befreiungs- krieg so gut wie den Eidechsenbund und die polnische Herrschaft über das alte Ordensland gebracht hatte. Was er für Recht hielt, dabei blieb er, unerschrocken und unbelehrbar; wer anders dachte war dem Fanatiker kaum mehr denn ein Thor oder ein Schurke. Auch den starken Provinzial- stolz theilte er mit seinen Landsleuten; sprach er von der Stadt, "wo einst Kant die Welt erleuchtete," dann klang durch seine allezeit ernsthafte Rede ein Ton hohenpriesterlicher Salbung. Von politischem Talente besaß er freilich gar nichts. Wie einst Bailly, Condorcet und so viele andere in das Staatsleben verschlagene radikale Naturforscher lebte er der Meinung, daß man in der Politik jener Sachkenntniß, welche die exakten Wissen- schaften verlangen, nicht bedürfe, sondern mit einigen abstrakten natur- rechtlichen Sätzen und etwas kecker Dialektik wohl auskomme. Darum konnte er sich nur in einer Zeit der Erwartungen, der Wünsche, der Pro- gramme einen Eintagsruhm erringen. Sobald die Tage des Bauens und Gestaltens kamen, da ward seine politische Unfruchtbarkeit offenbar, und die unaufhaltsame Logik seines harten Verstandes, der die Ehrfurcht vor der historischen Welt niemals lernte, trieb ihn dann von einer doktrinären Folgerung zur anderen, bis er endlich in einen bodenlosen, Vaterland und Gesittung zugleich zerstörenden Radikalismus versank. Unverkennbar stand ihm bei seinem Büchlein die Schrift von Sieyes Qu'est-ce que le tiers etat? vor Augen. Gleich dem Franzosen verstand er die Stimmungen des Augenblicks sicher zu treffen, gleich ihm schritt er hochmüthig über die historische Welt hinweg, und der Gedanke eine Revolution zu entfesseln hatte auch für ihn keine Schrecken. Der König nannte die Vier Fragen sofort eine revolutionäre Schrift. Jacoby’s Vier Fragen. Revolution und dem polniſchen Aufſtande verdankte. Jung war er nie ge-weſen, die Welt des Schönen blieb ihm ſo fremd wie das Spiel des Scherzes. In gebückter Haltung, und doch feierlich ſchritt der kahlköpfige kleine Mann daher, ein tiefer Ernſt lag in den ſcharfgeſchnittenen Geſichts- zügen, in den durchdringenden ſtechenden Blicken der großen blauen Augen. Alles verrieth ſogleich den ſittenſtrengen, fleißigen, bedürfnißloſen Stuben- gelehrten. Obgleich er als ſpinoziſtiſcher Freidenker die Synagoge grund- ſätzlich nie betrat, ſo meinte er ſich doch berufen im Namen ſeiner Glaubens- genoſſen zu reden und ſchrieb ſchon als junger Mann ein geharniſchtes Büchlein für die bürgerliche Gleichſtellung der Israeliten. Dieſe Schrift und eine zweite noch ſchärfere wider die preußiſche Cenſur verſchafften ihm bald ein hohes Anſehen unter den Liberalen Königsbergs; bei den Samm- lungen für die Göttinger Sieben erſchien er ſchon wie ein Parteiführer. Da die Oſtpreußen von allen Deutſchen am beſten verſtehen ſich ihre Juden zu erziehen, ſo war auch Jacoby weit mehr Oſtpreuße als Jude. Nur die vordringliche Dreiſtigkeit erinnerte an die orientaliſche Abſtammung; den Grundzug ſeines Charakters bildete jener ſtarre altpreußiſche Rechts- und Freiheitstrotz, der ſchon ſo viel Ruhm und ſo viel Elend, den Befreiungs- krieg ſo gut wie den Eidechſenbund und die polniſche Herrſchaft über das alte Ordensland gebracht hatte. Was er für Recht hielt, dabei blieb er, unerſchrocken und unbelehrbar; wer anders dachte war dem Fanatiker kaum mehr denn ein Thor oder ein Schurke. Auch den ſtarken Provinzial- ſtolz theilte er mit ſeinen Landsleuten; ſprach er von der Stadt, „wo einſt Kant die Welt erleuchtete,“ dann klang durch ſeine allezeit ernſthafte Rede ein Ton hohenprieſterlicher Salbung. Von politiſchem Talente beſaß er freilich gar nichts. Wie einſt Bailly, Condorcet und ſo viele andere in das Staatsleben verſchlagene radikale Naturforſcher lebte er der Meinung, daß man in der Politik jener Sachkenntniß, welche die exakten Wiſſen- ſchaften verlangen, nicht bedürfe, ſondern mit einigen abſtrakten natur- rechtlichen Sätzen und etwas kecker Dialektik wohl auskomme. Darum konnte er ſich nur in einer Zeit der Erwartungen, der Wünſche, der Pro- gramme einen Eintagsruhm erringen. Sobald die Tage des Bauens und Geſtaltens kamen, da ward ſeine politiſche Unfruchtbarkeit offenbar, und die unaufhaltſame Logik ſeines harten Verſtandes, der die Ehrfurcht vor der hiſtoriſchen Welt niemals lernte, trieb ihn dann von einer doktrinären Folgerung zur anderen, bis er endlich in einen bodenloſen, Vaterland und Geſittung zugleich zerſtörenden Radikalismus verſank. Unverkennbar ſtand ihm bei ſeinem Büchlein die Schrift von Sieyes Qu’est-ce que le tiers état? vor Augen. Gleich dem Franzoſen verſtand er die Stimmungen des Augenblicks ſicher zu treffen, gleich ihm ſchritt er hochmüthig über die hiſtoriſche Welt hinweg, und der Gedanke eine Revolution zu entfeſſeln hatte auch für ihn keine Schrecken. Der König nannte die Vier Fragen ſofort eine revolutionäre Schrift. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0153" n="139"/><fw place="top" type="header">Jacoby’s Vier Fragen.</fw><lb/> Revolution und dem polniſchen Aufſtande verdankte. Jung war er nie ge-<lb/> weſen, die Welt des Schönen blieb ihm ſo fremd wie das Spiel des<lb/> Scherzes. In gebückter Haltung, und doch feierlich ſchritt der kahlköpfige<lb/> kleine Mann daher, ein tiefer Ernſt lag in den ſcharfgeſchnittenen Geſichts-<lb/> zügen, in den durchdringenden ſtechenden Blicken der großen blauen Augen.<lb/> Alles verrieth ſogleich den ſittenſtrengen, fleißigen, bedürfnißloſen Stuben-<lb/> gelehrten. Obgleich er als ſpinoziſtiſcher Freidenker die Synagoge grund-<lb/> ſätzlich nie betrat, ſo meinte er ſich doch berufen im Namen ſeiner Glaubens-<lb/> genoſſen zu reden und ſchrieb ſchon als junger Mann ein geharniſchtes<lb/> Büchlein für die bürgerliche Gleichſtellung der Israeliten. Dieſe Schrift<lb/> und eine zweite noch ſchärfere wider die preußiſche Cenſur verſchafften ihm<lb/> bald ein hohes Anſehen unter den Liberalen Königsbergs; bei den Samm-<lb/> lungen für die Göttinger Sieben erſchien er ſchon wie ein Parteiführer. Da<lb/> die Oſtpreußen von allen Deutſchen am beſten verſtehen ſich ihre Juden zu<lb/> erziehen, ſo war auch Jacoby weit mehr Oſtpreuße als Jude. Nur die<lb/> vordringliche Dreiſtigkeit erinnerte an die orientaliſche Abſtammung; den<lb/> Grundzug ſeines Charakters bildete jener ſtarre altpreußiſche Rechts- und<lb/> Freiheitstrotz, der ſchon ſo viel Ruhm und ſo viel Elend, den Befreiungs-<lb/> krieg ſo gut wie den Eidechſenbund und die polniſche Herrſchaft über das<lb/> alte Ordensland gebracht hatte. Was er für Recht hielt, dabei blieb er,<lb/> unerſchrocken und unbelehrbar; wer anders dachte war dem Fanatiker<lb/> kaum mehr denn ein Thor oder ein Schurke. Auch den ſtarken Provinzial-<lb/> ſtolz theilte er mit ſeinen Landsleuten; ſprach er von der Stadt, „wo einſt<lb/> Kant die Welt erleuchtete,“ dann klang durch ſeine allezeit ernſthafte Rede<lb/> ein Ton hohenprieſterlicher Salbung. Von politiſchem Talente beſaß er<lb/> freilich gar nichts. Wie einſt Bailly, Condorcet und ſo viele andere in<lb/> das Staatsleben verſchlagene radikale Naturforſcher lebte er der Meinung,<lb/> daß man in der Politik jener Sachkenntniß, welche die exakten Wiſſen-<lb/> ſchaften verlangen, nicht bedürfe, ſondern mit einigen abſtrakten natur-<lb/> rechtlichen Sätzen und etwas kecker Dialektik wohl auskomme. Darum<lb/> konnte er ſich nur in einer Zeit der Erwartungen, der Wünſche, der Pro-<lb/> gramme einen Eintagsruhm erringen. Sobald die Tage des Bauens und<lb/> Geſtaltens kamen, da ward ſeine politiſche Unfruchtbarkeit offenbar, und<lb/> die unaufhaltſame Logik ſeines harten Verſtandes, der die Ehrfurcht vor<lb/> der hiſtoriſchen Welt niemals lernte, trieb ihn dann von einer doktrinären<lb/> Folgerung zur anderen, bis er endlich in einen bodenloſen, Vaterland und<lb/> Geſittung zugleich zerſtörenden Radikalismus verſank. Unverkennbar ſtand<lb/> ihm bei ſeinem Büchlein die Schrift von Sieyes <hi rendition="#aq">Qu’est-ce que le tiers<lb/> état?</hi> vor Augen. Gleich dem Franzoſen verſtand er die Stimmungen<lb/> des Augenblicks ſicher zu treffen, gleich ihm ſchritt er hochmüthig über die<lb/> hiſtoriſche Welt hinweg, und der Gedanke eine Revolution zu entfeſſeln<lb/> hatte auch für ihn keine Schrecken.</p><lb/> <p>Der König nannte die Vier Fragen ſofort eine revolutionäre Schrift.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [139/0153]
Jacoby’s Vier Fragen.
Revolution und dem polniſchen Aufſtande verdankte. Jung war er nie ge-
weſen, die Welt des Schönen blieb ihm ſo fremd wie das Spiel des
Scherzes. In gebückter Haltung, und doch feierlich ſchritt der kahlköpfige
kleine Mann daher, ein tiefer Ernſt lag in den ſcharfgeſchnittenen Geſichts-
zügen, in den durchdringenden ſtechenden Blicken der großen blauen Augen.
Alles verrieth ſogleich den ſittenſtrengen, fleißigen, bedürfnißloſen Stuben-
gelehrten. Obgleich er als ſpinoziſtiſcher Freidenker die Synagoge grund-
ſätzlich nie betrat, ſo meinte er ſich doch berufen im Namen ſeiner Glaubens-
genoſſen zu reden und ſchrieb ſchon als junger Mann ein geharniſchtes
Büchlein für die bürgerliche Gleichſtellung der Israeliten. Dieſe Schrift
und eine zweite noch ſchärfere wider die preußiſche Cenſur verſchafften ihm
bald ein hohes Anſehen unter den Liberalen Königsbergs; bei den Samm-
lungen für die Göttinger Sieben erſchien er ſchon wie ein Parteiführer. Da
die Oſtpreußen von allen Deutſchen am beſten verſtehen ſich ihre Juden zu
erziehen, ſo war auch Jacoby weit mehr Oſtpreuße als Jude. Nur die
vordringliche Dreiſtigkeit erinnerte an die orientaliſche Abſtammung; den
Grundzug ſeines Charakters bildete jener ſtarre altpreußiſche Rechts- und
Freiheitstrotz, der ſchon ſo viel Ruhm und ſo viel Elend, den Befreiungs-
krieg ſo gut wie den Eidechſenbund und die polniſche Herrſchaft über das
alte Ordensland gebracht hatte. Was er für Recht hielt, dabei blieb er,
unerſchrocken und unbelehrbar; wer anders dachte war dem Fanatiker
kaum mehr denn ein Thor oder ein Schurke. Auch den ſtarken Provinzial-
ſtolz theilte er mit ſeinen Landsleuten; ſprach er von der Stadt, „wo einſt
Kant die Welt erleuchtete,“ dann klang durch ſeine allezeit ernſthafte Rede
ein Ton hohenprieſterlicher Salbung. Von politiſchem Talente beſaß er
freilich gar nichts. Wie einſt Bailly, Condorcet und ſo viele andere in
das Staatsleben verſchlagene radikale Naturforſcher lebte er der Meinung,
daß man in der Politik jener Sachkenntniß, welche die exakten Wiſſen-
ſchaften verlangen, nicht bedürfe, ſondern mit einigen abſtrakten natur-
rechtlichen Sätzen und etwas kecker Dialektik wohl auskomme. Darum
konnte er ſich nur in einer Zeit der Erwartungen, der Wünſche, der Pro-
gramme einen Eintagsruhm erringen. Sobald die Tage des Bauens und
Geſtaltens kamen, da ward ſeine politiſche Unfruchtbarkeit offenbar, und
die unaufhaltſame Logik ſeines harten Verſtandes, der die Ehrfurcht vor
der hiſtoriſchen Welt niemals lernte, trieb ihn dann von einer doktrinären
Folgerung zur anderen, bis er endlich in einen bodenloſen, Vaterland und
Geſittung zugleich zerſtörenden Radikalismus verſank. Unverkennbar ſtand
ihm bei ſeinem Büchlein die Schrift von Sieyes Qu’est-ce que le tiers
état? vor Augen. Gleich dem Franzoſen verſtand er die Stimmungen
des Augenblicks ſicher zu treffen, gleich ihm ſchritt er hochmüthig über die
hiſtoriſche Welt hinweg, und der Gedanke eine Revolution zu entfeſſeln
hatte auch für ihn keine Schrecken.
Der König nannte die Vier Fragen ſofort eine revolutionäre Schrift.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |