Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.V. 2. Die Kriegsgefahr. der Eitelkeiten nur vollendete Thatsachen entscheiden konnten, und schloßim April 1844 mit seinen Vettern von Meiningen und Altenburg einen Hausvertrag, kraft dessen die sächsischen Herzoge eigenmächtig den Titel Hoheit annahmen. Alles zürnte über diese Umgehung der Bundesgewalten, und auf Metternich's Befehl brachte Graf Münch am 20. Juni die Sache am Bundestage zur Sprache. Dringend verlangte er zugleich Wahrung des Geheimnisses, da die Verhandlungen sich von Haus aus sehr stürmisch anließen. Während mehrere Regierungen der selbstgeschaffenen neuen Hoheit die Anerkennung verweigern wollten, erklärte der Gesandte der ernestinischen Herzoge hochtrabend, jeder Bundesbeschluß in dieser Frage sei unzulässig, sei ein Eingriff in die Souveränitätsrechte. Eine solche Sprache schien dem Könige von Preußen, der den Bundestag so warm verehrte, ganz unerträglich. Er schrieb entrüstet: "Der Zustand dieser ebenso ridikülen als für die deutsche Sache und Einheit bedrohlichen Sache reducirt sich nach der letzten inqualifiablen Erklärung der sächsisch herzog- lichen Häuser auf die Frage, ob der Bund und in specie der Bundestag ein alter Esel ist, der sich solche Dinge bieten läßt." Er ließ sie sich bieten; denn ihm fehlte jede Macht souveräne Fürsten zu zwingen, und die großen Höfe des Westens hatten sich inzwischen schon beeilt die Coburger als Hoheiten zu begrüßen. Wohl wies der preußische Gesandte Graf Dönhoff die bundesfeindlichen Behauptungen der Ernestiner in scharfer Rede zurück; zuletzt mußte man sich doch in das Geschehene ergeben, und der Bund beschloß (16. Aug.), alle regierenden Herzoge Deutschlands fortan Hoheit zu benamsen.*) Dann währte der Zank noch ein Jahr lang fort; Dön- hoff fürchtete schon, Frankreich könnte die Majestäts-Gelüste Badens und Hessens für einen neuen Rheinbund ausbeuten, bis sich endlich der kur- fürstliche und die großherzoglichen Höfe begnügten die Titel ihrer Prinzen angemessen zu verschönern.**) Friedrich Wilhelm brauchte lange bis er dem Hause Coburg diesen *) Dönhoff's Berichte, 20. 27. Juni, 16. Aug. 1844 nebst Randbemerkungen des Königs. **) Dönhoff's Bericht, 10. Juli 1845.
V. 2. Die Kriegsgefahr. der Eitelkeiten nur vollendete Thatſachen entſcheiden konnten, und ſchloßim April 1844 mit ſeinen Vettern von Meiningen und Altenburg einen Hausvertrag, kraft deſſen die ſächſiſchen Herzoge eigenmächtig den Titel Hoheit annahmen. Alles zürnte über dieſe Umgehung der Bundesgewalten, und auf Metternich’s Befehl brachte Graf Münch am 20. Juni die Sache am Bundestage zur Sprache. Dringend verlangte er zugleich Wahrung des Geheimniſſes, da die Verhandlungen ſich von Haus aus ſehr ſtürmiſch anließen. Während mehrere Regierungen der ſelbſtgeſchaffenen neuen Hoheit die Anerkennung verweigern wollten, erklärte der Geſandte der erneſtiniſchen Herzoge hochtrabend, jeder Bundesbeſchluß in dieſer Frage ſei unzuläſſig, ſei ein Eingriff in die Souveränitätsrechte. Eine ſolche Sprache ſchien dem Könige von Preußen, der den Bundestag ſo warm verehrte, ganz unerträglich. Er ſchrieb entrüſtet: „Der Zuſtand dieſer ebenſo ridikülen als für die deutſche Sache und Einheit bedrohlichen Sache reducirt ſich nach der letzten inqualifiablen Erklärung der ſächſiſch herzog- lichen Häuſer auf die Frage, ob der Bund und in specie der Bundestag ein alter Eſel iſt, der ſich ſolche Dinge bieten läßt.“ Er ließ ſie ſich bieten; denn ihm fehlte jede Macht ſouveräne Fürſten zu zwingen, und die großen Höfe des Weſtens hatten ſich inzwiſchen ſchon beeilt die Coburger als Hoheiten zu begrüßen. Wohl wies der preußiſche Geſandte Graf Dönhoff die bundesfeindlichen Behauptungen der Erneſtiner in ſcharfer Rede zurück; zuletzt mußte man ſich doch in das Geſchehene ergeben, und der Bund beſchloß (16. Aug.), alle regierenden Herzoge Deutſchlands fortan Hoheit zu benamſen.*) Dann währte der Zank noch ein Jahr lang fort; Dön- hoff fürchtete ſchon, Frankreich könnte die Majeſtäts-Gelüſte Badens und Heſſens für einen neuen Rheinbund ausbeuten, bis ſich endlich der kur- fürſtliche und die großherzoglichen Höfe begnügten die Titel ihrer Prinzen angemeſſen zu verſchönern.**) Friedrich Wilhelm brauchte lange bis er dem Hauſe Coburg dieſen *) Dönhoff’s Berichte, 20. 27. Juni, 16. Aug. 1844 nebſt Randbemerkungen des Königs. **) Dönhoff’s Bericht, 10. Juli 1845.
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V. 2. Die Kriegsgefahr.
der Eitelkeiten nur vollendete Thatſachen entſcheiden konnten, und ſchloß
im April 1844 mit ſeinen Vettern von Meiningen und Altenburg einen
Hausvertrag, kraft deſſen die ſächſiſchen Herzoge eigenmächtig den Titel
Hoheit annahmen. Alles zürnte über dieſe Umgehung der Bundesgewalten,
und auf Metternich’s Befehl brachte Graf Münch am 20. Juni die Sache
am Bundestage zur Sprache. Dringend verlangte er zugleich Wahrung
des Geheimniſſes, da die Verhandlungen ſich von Haus aus ſehr ſtürmiſch
anließen. Während mehrere Regierungen der ſelbſtgeſchaffenen neuen
Hoheit die Anerkennung verweigern wollten, erklärte der Geſandte der
erneſtiniſchen Herzoge hochtrabend, jeder Bundesbeſchluß in dieſer Frage
ſei unzuläſſig, ſei ein Eingriff in die Souveränitätsrechte. Eine ſolche
Sprache ſchien dem Könige von Preußen, der den Bundestag ſo warm
verehrte, ganz unerträglich. Er ſchrieb entrüſtet: „Der Zuſtand dieſer
ebenſo ridikülen als für die deutſche Sache und Einheit bedrohlichen Sache
reducirt ſich nach der letzten inqualifiablen Erklärung der ſächſiſch herzog-
lichen Häuſer auf die Frage, ob der Bund und in specie der Bundestag
ein alter Eſel iſt, der ſich ſolche Dinge bieten läßt.“ Er ließ ſie ſich bieten;
denn ihm fehlte jede Macht ſouveräne Fürſten zu zwingen, und die großen
Höfe des Weſtens hatten ſich inzwiſchen ſchon beeilt die Coburger als
Hoheiten zu begrüßen. Wohl wies der preußiſche Geſandte Graf Dönhoff
die bundesfeindlichen Behauptungen der Erneſtiner in ſcharfer Rede zurück;
zuletzt mußte man ſich doch in das Geſchehene ergeben, und der Bund
beſchloß (16. Aug.), alle regierenden Herzoge Deutſchlands fortan Hoheit
zu benamſen. *) Dann währte der Zank noch ein Jahr lang fort; Dön-
hoff fürchtete ſchon, Frankreich könnte die Majeſtäts-Gelüſte Badens und
Heſſens für einen neuen Rheinbund ausbeuten, bis ſich endlich der kur-
fürſtliche und die großherzoglichen Höfe begnügten die Titel ihrer Prinzen
angemeſſen zu verſchönern. **)
Friedrich Wilhelm brauchte lange bis er dem Hauſe Coburg dieſen
Streich gegen die Würde ſeines geliebten Bundestags verzieh, und auch
der engliſche Hof zeigte bald, daß er ſich durch ſeinen kirchlichen und
politiſchen Liberalismus wie durch ſeine Familienintereſſen weit ſtärker zu
dem Bürgerkönige hingezogen fühlte als zu dem Könige von Preußen. Die
enge, durch die Heirathen Leopold’s von Belgien und des Herzogs von
Nemours begründete Verbindung der Häuſer Orleans und Coburg wurde
während der nächſten Jahre durch zwei neue Prinzenhochzeiten noch mehr
befeſtigt, und im Herbſt 1843 ſahen die Franzoſen, was ſeit Jahrhunderten
unerhört war, den engliſchen Hof an ihrer Küſte landen um das Königs-
paar im Schloſſe Eu zu beſuchen. Der lebhafte Verkehr, der ſich nun-
*) Dönhoff’s Berichte, 20. 27. Juni, 16. Aug. 1844 nebſt Randbemerkungen des
Königs.
**) Dönhoff’s Bericht, 10. Juli 1845.
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