Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.Friedrich Wilhelm's Anglomanie. den edlen Vorsätzen. Klugen Rechnern wie Leopold und Albert mußtendie großen westeuropäischen Interessen ihrer weltbürgerlichen Dynastie wich- tiger erscheinen als das kleine deutsche Stammland; und noch oft sollten die Rathschläge der Coburger dem deutschen Volke schädlich werden, um so schädlicher, da dies überall vom Schicksal begünstigte Haus auch das seltene Glück hatte, nicht von gemeinen höfischen Schmeichlern, sondern von angesehenen und ehrlichen Schriftstellern literarisch verherrlicht zu werden. Alle die tüchtigen deutschen Gelehrten, welche sich in London der Gönnerschaft Bunsen's und Stockmar's erfreuten, wurden zu Aposteln der Coburgischen Legende und erzählten in gutem Glauben den Lands- leuten daheim, wie wunderbar der Prinzgemahl verstanden habe zugleich ein ganzer Brite zu werden und ein ganzer Deutscher zu bleiben. Niemand hörte auf solche Erzählungen williger als König Friedrich Als bald nachher dem neuen sächsisch-welfischen Königshause ein Thron- *) Bülow's Bericht, 7. Juli 1840. **) S. o. IV. 515. ***) Bülow's Denkschrift über die innere Lage Großbritanniens, 17. Juli 1841. +) Werther, Weisung an Schleinitz, 13. Sept. 1841. 9*
Friedrich Wilhelm’s Anglomanie. den edlen Vorſätzen. Klugen Rechnern wie Leopold und Albert mußtendie großen weſteuropäiſchen Intereſſen ihrer weltbürgerlichen Dynaſtie wich- tiger erſcheinen als das kleine deutſche Stammland; und noch oft ſollten die Rathſchläge der Coburger dem deutſchen Volke ſchädlich werden, um ſo ſchädlicher, da dies überall vom Schickſal begünſtigte Haus auch das ſeltene Glück hatte, nicht von gemeinen höfiſchen Schmeichlern, ſondern von angeſehenen und ehrlichen Schriftſtellern literariſch verherrlicht zu werden. Alle die tüchtigen deutſchen Gelehrten, welche ſich in London der Gönnerſchaft Bunſen’s und Stockmar’s erfreuten, wurden zu Apoſteln der Coburgiſchen Legende und erzählten in gutem Glauben den Lands- leuten daheim, wie wunderbar der Prinzgemahl verſtanden habe zugleich ein ganzer Brite zu werden und ein ganzer Deutſcher zu bleiben. Niemand hörte auf ſolche Erzählungen williger als König Friedrich Als bald nachher dem neuen ſächſiſch-welfiſchen Königshauſe ein Thron- *) Bülow’s Bericht, 7. Juli 1840. **) S. o. IV. 515. ***) Bülow’s Denkſchrift über die innere Lage Großbritanniens, 17. Juli 1841. †) Werther, Weiſung an Schleinitz, 13. Sept. 1841. 9*
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Friedrich Wilhelm’s Anglomanie.
den edlen Vorſätzen. Klugen Rechnern wie Leopold und Albert mußten
die großen weſteuropäiſchen Intereſſen ihrer weltbürgerlichen Dynaſtie wich-
tiger erſcheinen als das kleine deutſche Stammland; und noch oft ſollten
die Rathſchläge der Coburger dem deutſchen Volke ſchädlich werden, um
ſo ſchädlicher, da dies überall vom Schickſal begünſtigte Haus auch das
ſeltene Glück hatte, nicht von gemeinen höfiſchen Schmeichlern, ſondern
von angeſehenen und ehrlichen Schriftſtellern literariſch verherrlicht zu
werden. Alle die tüchtigen deutſchen Gelehrten, welche ſich in London
der Gönnerſchaft Bunſen’s und Stockmar’s erfreuten, wurden zu Apoſteln
der Coburgiſchen Legende und erzählten in gutem Glauben den Lands-
leuten daheim, wie wunderbar der Prinzgemahl verſtanden habe zugleich
ein ganzer Brite zu werden und ein ganzer Deutſcher zu bleiben.
Niemand hörte auf ſolche Erzählungen williger als König Friedrich
Wilhelm. Er zeigte ſchon ſeine Thronbeſteigung auch dem Prinzgemahl
in einem eigenhändigen Briefe an, was die Königin hoch beglückte, *) und
erwies fortan dem jungen Paare beſtändig zarte Aufmerkſamkeiten. Sein
weltkundiger Vater hatte ſich nie darüber getäuſcht, daß Palmerſton den
Unfrieden auf dem Feſtlande abſichtlich nährte. **) Er aber meinte wieder
klüger zu ſein und glaubte den Berichten Bülow’s, der ihm nach den
Verſicherungen engliſcher Staatsmänner treuherzig betheuerte, Palmerſton
ſei nur durch die Schroffheit der Oſtmächte wider ſeinen Wunſch ge-
zwungen worden ſich von ihnen zu trennen und mit dem Vierbunde
von 1840 zu ſeinen urſprünglichen Anſichten zurückgekehrt. ***) Als nun
gar die Torys ans Ruder kamen, Lord Aberdeen, der altbewährte An-
hänger Metternich’s in das Auswärtige Amt wieder eintrat, da floß man
in Berlin von Vertrauensſeligkeit über. Ein Miniſterialſchreiben an die
Geſandtſchaft ſagte: ſelbſt unter den Whigs ſeien zwiſchen den beiden
hiſtoriſch verbundenen Mächten die Fäden niemals ganz abgeriſſen; um
ſo herzlicher werde ſich jetzt das Verhältniß zu Aberdeen geſtalten. †) Der
Führer des neuen Cabinets, Robert Peel gewann ſich durch Gradſinn
und ernſte Frömmigkeit das Herz Friedrich Wilhelm’s; ſelbſtändig genug
um nöthigenfalls die Dogmen der Partei zu verletzen, hielt er ſich auch
frei von nationaler Gehäſſigkeit und betrachtete Deutſchland mit einiger
Theilnahme. Wenn ihm Bunſen von dem Deutſchen Bunde als einer
Macht erſten Ranges ſprach, dann war Peel ſo höflich dieſe allerneueſte
Doktrin des Berliner Hofes mit ſeinen guten Wünſchen zu begleiten.
Als bald nachher dem neuen ſächſiſch-welfiſchen Königshauſe ein Thron-
folger geboren wurde, da beſchloſſen die Eltern, auf Stockmar’s Rath, den
König von Preußen durch eine klug berechnete Aufmerkſamkeit in ſeiner
*) Bülow’s Bericht, 7. Juli 1840.
**) S. o. IV. 515.
***) Bülow’s Denkſchrift über die innere Lage Großbritanniens, 17. Juli 1841.
†) Werther, Weiſung an Schleinitz, 13. Sept. 1841.
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