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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Prinz Albert.
so leichtlebigen Hof eine bürgerliche Wohlanständigkeit eingezogen war,
welche selbst der Sittenrichter-Strenge des preußischen Königspaares ge-
nügte. Die wenigen entschiedenen Monarchisten, welche England noch
besaß, hegten den verständigen Wunsch, daß Victoria sich mit ihrem fast
gleich alten Vetter, dem Prinzen Georg von Cambridge vermählen möchte;
dann konnte ein Wechsel der Dynastie, der das Ansehen der Krone immer
schädigt, dem Lande erspart bleiben. Die Königin aber wollte gut bürger-
lich ihrer Neigung folgen, und ihr Oheim König Leopold hatte schon dafür
gesorgt, daß ihr Herz nicht weit von den Wegen des Hauses Coburg ab-
irren konnte. Sein Neffe, der schöne, für die Brautfahrt sorgfältig vor-
bereitete Prinz Albert errang sich die Hand Victoria's, die so lange ver-
geblich erstrebte Stellung eines englischen Prinzgemahls ward wirklich
einem Coburger gewonnen, die vierte Königskrone stand den Wettinern
in Aussicht, der luftige Bau der sächsischen Hauspolitik kam unter Dach.
Prinz Albert bekam anfangs den Deutschenhaß der Briten schwer zu
empfinden. Zahlreiche Zerrbilder stellten ihn dar inmitten seines bärtigen,
rauchenden, biertrinkenden Gefolges; man bezweifelte boshaft, ob dieser
Sohn des ältesten Bekennergeschlechtes der Protestanten evangelisch sei,
da ja seine Vettern, die Coburg-Koharys sich der römischen Kirche zuge-
wendet hatten; sein Jahreseinkommen ward vom Parlamente unanständig
knapp bemessen, der Titel eines König-Gemahls, den ihm die zärtliche
Gattin zudachte, stieß auf allgemeinen Widerspruch, und ein Mitglied des
Geheimen Raths sagte höhnisch zu Bunsen: wir können ihn doch nicht
gegebenen Falles König-Wittwer nennen.*) Selbst den Namen eines Prinz-
gemahls gewährte man dem Deutschen erst nach Jahren, und Zeit seines
Lebens gelang es ihm nie das Mißtrauen des Inselvolkes gänzlich zu
überwinden.

Gleichwohl gewann er durch Klugheit, Takt, ernste gemeinnützige
Thätigkeit nach und nach einigen Boden. Die Damen waren von vorn-
herein für den schönen Prinzen, und die beiden großen Adelsparteien
fanden es bald rathsam sich seiner Unterstützung zu versichern.**) Die
Briten freuten sich an dem wohlgeordneten Haushalt und dem Familien-
glück der Königin, das alljährlich mit großer Pünktlichkeit, sobald die von
den Naturgesetzen gebotene Zwischenzeit ablief, durch die Geburt eines
Kindes verschönt wurde. Der Hof wurde endlich wieder eine sociale Macht,
obgleich er nie mehr, wie einst in den Tagen der Stuarts, den Mittel-
punkt des hauptstädtischen Lebens bilden konnte, und die gründlich fri-
vole vornehme Gesellschaft Londons mußte sich mindestens in ihrer äußeren
Haltung nach den ehrbaren höfischen Sitten richten. Zum ersten male seit
der Thronbesteigung der Welfen zeigte das königliche Haus wieder einiges

*) Bunsen's Bericht, 6. Jan. 1842.
**) Bülow's Bericht, 2. Juni 1840.

Prinz Albert.
ſo leichtlebigen Hof eine bürgerliche Wohlanſtändigkeit eingezogen war,
welche ſelbſt der Sittenrichter-Strenge des preußiſchen Königspaares ge-
nügte. Die wenigen entſchiedenen Monarchiſten, welche England noch
beſaß, hegten den verſtändigen Wunſch, daß Victoria ſich mit ihrem faſt
gleich alten Vetter, dem Prinzen Georg von Cambridge vermählen möchte;
dann konnte ein Wechſel der Dynaſtie, der das Anſehen der Krone immer
ſchädigt, dem Lande erſpart bleiben. Die Königin aber wollte gut bürger-
lich ihrer Neigung folgen, und ihr Oheim König Leopold hatte ſchon dafür
geſorgt, daß ihr Herz nicht weit von den Wegen des Hauſes Coburg ab-
irren konnte. Sein Neffe, der ſchöne, für die Brautfahrt ſorgfältig vor-
bereitete Prinz Albert errang ſich die Hand Victoria’s, die ſo lange ver-
geblich erſtrebte Stellung eines engliſchen Prinzgemahls ward wirklich
einem Coburger gewonnen, die vierte Königskrone ſtand den Wettinern
in Ausſicht, der luftige Bau der ſächſiſchen Hauspolitik kam unter Dach.
Prinz Albert bekam anfangs den Deutſchenhaß der Briten ſchwer zu
empfinden. Zahlreiche Zerrbilder ſtellten ihn dar inmitten ſeines bärtigen,
rauchenden, biertrinkenden Gefolges; man bezweifelte boshaft, ob dieſer
Sohn des älteſten Bekennergeſchlechtes der Proteſtanten evangeliſch ſei,
da ja ſeine Vettern, die Coburg-Koharys ſich der römiſchen Kirche zuge-
wendet hatten; ſein Jahreseinkommen ward vom Parlamente unanſtändig
knapp bemeſſen, der Titel eines König-Gemahls, den ihm die zärtliche
Gattin zudachte, ſtieß auf allgemeinen Widerſpruch, und ein Mitglied des
Geheimen Raths ſagte höhniſch zu Bunſen: wir können ihn doch nicht
gegebenen Falles König-Wittwer nennen.*) Selbſt den Namen eines Prinz-
gemahls gewährte man dem Deutſchen erſt nach Jahren, und Zeit ſeines
Lebens gelang es ihm nie das Mißtrauen des Inſelvolkes gänzlich zu
überwinden.

Gleichwohl gewann er durch Klugheit, Takt, ernſte gemeinnützige
Thätigkeit nach und nach einigen Boden. Die Damen waren von vorn-
herein für den ſchönen Prinzen, und die beiden großen Adelsparteien
fanden es bald rathſam ſich ſeiner Unterſtützung zu verſichern.**) Die
Briten freuten ſich an dem wohlgeordneten Haushalt und dem Familien-
glück der Königin, das alljährlich mit großer Pünktlichkeit, ſobald die von
den Naturgeſetzen gebotene Zwiſchenzeit ablief, durch die Geburt eines
Kindes verſchönt wurde. Der Hof wurde endlich wieder eine ſociale Macht,
obgleich er nie mehr, wie einſt in den Tagen der Stuarts, den Mittel-
punkt des hauptſtädtiſchen Lebens bilden konnte, und die gründlich fri-
vole vornehme Geſellſchaft Londons mußte ſich mindeſtens in ihrer äußeren
Haltung nach den ehrbaren höfiſchen Sitten richten. Zum erſten male ſeit
der Thronbeſteigung der Welfen zeigte das königliche Haus wieder einiges

*) Bunſen’s Bericht, 6. Jan. 1842.
**) Bülow’s Bericht, 2. Juni 1840.
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[127/0141] Prinz Albert. ſo leichtlebigen Hof eine bürgerliche Wohlanſtändigkeit eingezogen war, welche ſelbſt der Sittenrichter-Strenge des preußiſchen Königspaares ge- nügte. Die wenigen entſchiedenen Monarchiſten, welche England noch beſaß, hegten den verſtändigen Wunſch, daß Victoria ſich mit ihrem faſt gleich alten Vetter, dem Prinzen Georg von Cambridge vermählen möchte; dann konnte ein Wechſel der Dynaſtie, der das Anſehen der Krone immer ſchädigt, dem Lande erſpart bleiben. Die Königin aber wollte gut bürger- lich ihrer Neigung folgen, und ihr Oheim König Leopold hatte ſchon dafür geſorgt, daß ihr Herz nicht weit von den Wegen des Hauſes Coburg ab- irren konnte. Sein Neffe, der ſchöne, für die Brautfahrt ſorgfältig vor- bereitete Prinz Albert errang ſich die Hand Victoria’s, die ſo lange ver- geblich erſtrebte Stellung eines engliſchen Prinzgemahls ward wirklich einem Coburger gewonnen, die vierte Königskrone ſtand den Wettinern in Ausſicht, der luftige Bau der ſächſiſchen Hauspolitik kam unter Dach. Prinz Albert bekam anfangs den Deutſchenhaß der Briten ſchwer zu empfinden. Zahlreiche Zerrbilder ſtellten ihn dar inmitten ſeines bärtigen, rauchenden, biertrinkenden Gefolges; man bezweifelte boshaft, ob dieſer Sohn des älteſten Bekennergeſchlechtes der Proteſtanten evangeliſch ſei, da ja ſeine Vettern, die Coburg-Koharys ſich der römiſchen Kirche zuge- wendet hatten; ſein Jahreseinkommen ward vom Parlamente unanſtändig knapp bemeſſen, der Titel eines König-Gemahls, den ihm die zärtliche Gattin zudachte, ſtieß auf allgemeinen Widerſpruch, und ein Mitglied des Geheimen Raths ſagte höhniſch zu Bunſen: wir können ihn doch nicht gegebenen Falles König-Wittwer nennen. *) Selbſt den Namen eines Prinz- gemahls gewährte man dem Deutſchen erſt nach Jahren, und Zeit ſeines Lebens gelang es ihm nie das Mißtrauen des Inſelvolkes gänzlich zu überwinden. Gleichwohl gewann er durch Klugheit, Takt, ernſte gemeinnützige Thätigkeit nach und nach einigen Boden. Die Damen waren von vorn- herein für den ſchönen Prinzen, und die beiden großen Adelsparteien fanden es bald rathſam ſich ſeiner Unterſtützung zu verſichern. **) Die Briten freuten ſich an dem wohlgeordneten Haushalt und dem Familien- glück der Königin, das alljährlich mit großer Pünktlichkeit, ſobald die von den Naturgeſetzen gebotene Zwiſchenzeit ablief, durch die Geburt eines Kindes verſchönt wurde. Der Hof wurde endlich wieder eine ſociale Macht, obgleich er nie mehr, wie einſt in den Tagen der Stuarts, den Mittel- punkt des hauptſtädtiſchen Lebens bilden konnte, und die gründlich fri- vole vornehme Geſellſchaft Londons mußte ſich mindeſtens in ihrer äußeren Haltung nach den ehrbaren höfiſchen Sitten richten. Zum erſten male ſeit der Thronbeſteigung der Welfen zeigte das königliche Haus wieder einiges *) Bunſen’s Bericht, 6. Jan. 1842. **) Bülow’s Bericht, 2. Juni 1840.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/141>, abgerufen am 23.11.2024.