diesen Verhandlungen überhaupt nicht verfolgt, sondern immer wieder be- scheiden gemahnt: "effaciren wir uns;" und da er nun das christliche Liebeswerk, das ihm allein am Herzen lag, gesichert sah, so beschloß er seinen Unterhändler glänzend zu belohnen. Seit dem Herbst 1841 begann er die längst geplante Verschiebung im diplomatischen Corps durchzuführen. Minister Werther erhielt ein hohes Hofamt, und an seine Stelle trat Graf Maltzan, bisher Gesandter in Wien. Bülow, dessen Talente der König sehr hoch anschlug, wurde zum Danke nach Frankfurt versetzt um frischen Zug in die Bundespolitik zu bringen. Bei der Ernennung des Nachfolgers zeigte Friedrich Wilhelm ein galantes Zartgefühl wie es in der Geschichte der Diplomatie unerhört war; er ließ der jungen Königin selbst die Wahl zwischen drei Namen: Graf Arnim, Graf Dönhoff, Bunsen. Die Antwort konnte kaum zweifelhaft sein, da Bunsen während der jüngsten Verhandlungen allen englischen Wünschen so geschmeidig nachgegeben hatte. Nach Rücksprache mit der Königin erwiderte Lord Aberdeen: "wir können nichts Besseres thun als zu behalten was wir haben," also Bunsen; die beiden anderen Herren kennen wir nicht.*)
Unmöglich konnte England eine bessere Wahl treffen, unmöglich Preußen eine schlechtere. Die schwächste der großen Mächte brauchte als Vertreter Männer von starkem preußischem Stolze, Männer, welche die Selbständigkeit ihres bei den älteren Großmächten noch kaum für voll angesehenen Staates rücksichtslos wahrten. Daran hatte es schon Bülow zuweilen fehlen lassen, da er sich mit den Jahren bis zur Selbstver- gessenheit in englische Anschauungen eingelebt hatte. Bunsen aber war bereits als er sein Amt antrat durch den Einfluß seiner britischen Gattin halb zum künstlichen Engländer geworden; mehrere seiner Kinder nahmen die Nationalität der Mutter an; das Unglück so vieler Diplomatenfami- lien, die internationale Verschwommenheit ließ sich von diesem Hause gar nicht abwenden. Welch eine Genugthuung für den selbstzufriedenen Mann, als er, so bald nach seinen römischen Niederlagen, aus dem stillen Land- hause auf dem Hubel bei Bern plötzlich nach dem stattlichen Prussia- House auf Carlton-Terrace versetzt wurde. Dort sah er in seiner näch- sten Nachbarschaft den Buckingham-Palast der Königin, den Westminster- palast des Parlaments, das Auswärtige Amt in Downingstreet, die alten Bäume des St. James-Parkes, überall die Zeugen einer großen Ge- schichte. Hellauf leuchtete das Flackerfeuer seiner leicht entzündlichen Be- geisterung; Staat und Kirche, Land und Leute der reichen Insel erschienen ihm in rosigem Lichte. Sein eigenes Amt hielt er für den wichtigsten diplomatischen Posten Preußens, und hoch beglückte ihn das Bewußtsein,
*) Bericht des Gesandtschaftsverwesers Leg. Rath v. Schleinitz an den König. 16. Nov. 1841. Persönliche Bedenken gegen die beiden anderen Vorgeschlagenen lagen nicht vor; die Erzählung in Stockmar's Denkwürdigkeiten S. 385 ist nicht ganz richtig.
Bunſen Geſandter in London.
dieſen Verhandlungen überhaupt nicht verfolgt, ſondern immer wieder be- ſcheiden gemahnt: „effaciren wir uns;“ und da er nun das chriſtliche Liebeswerk, das ihm allein am Herzen lag, geſichert ſah, ſo beſchloß er ſeinen Unterhändler glänzend zu belohnen. Seit dem Herbſt 1841 begann er die längſt geplante Verſchiebung im diplomatiſchen Corps durchzuführen. Miniſter Werther erhielt ein hohes Hofamt, und an ſeine Stelle trat Graf Maltzan, bisher Geſandter in Wien. Bülow, deſſen Talente der König ſehr hoch anſchlug, wurde zum Danke nach Frankfurt verſetzt um friſchen Zug in die Bundespolitik zu bringen. Bei der Ernennung des Nachfolgers zeigte Friedrich Wilhelm ein galantes Zartgefühl wie es in der Geſchichte der Diplomatie unerhört war; er ließ der jungen Königin ſelbſt die Wahl zwiſchen drei Namen: Graf Arnim, Graf Dönhoff, Bunſen. Die Antwort konnte kaum zweifelhaft ſein, da Bunſen während der jüngſten Verhandlungen allen engliſchen Wünſchen ſo geſchmeidig nachgegeben hatte. Nach Rückſprache mit der Königin erwiderte Lord Aberdeen: „wir können nichts Beſſeres thun als zu behalten was wir haben,“ alſo Bunſen; die beiden anderen Herren kennen wir nicht.*)
Unmöglich konnte England eine beſſere Wahl treffen, unmöglich Preußen eine ſchlechtere. Die ſchwächſte der großen Mächte brauchte als Vertreter Männer von ſtarkem preußiſchem Stolze, Männer, welche die Selbſtändigkeit ihres bei den älteren Großmächten noch kaum für voll angeſehenen Staates rückſichtslos wahrten. Daran hatte es ſchon Bülow zuweilen fehlen laſſen, da er ſich mit den Jahren bis zur Selbſtver- geſſenheit in engliſche Anſchauungen eingelebt hatte. Bunſen aber war bereits als er ſein Amt antrat durch den Einfluß ſeiner britiſchen Gattin halb zum künſtlichen Engländer geworden; mehrere ſeiner Kinder nahmen die Nationalität der Mutter an; das Unglück ſo vieler Diplomatenfami- lien, die internationale Verſchwommenheit ließ ſich von dieſem Hauſe gar nicht abwenden. Welch eine Genugthuung für den ſelbſtzufriedenen Mann, als er, ſo bald nach ſeinen römiſchen Niederlagen, aus dem ſtillen Land- hauſe auf dem Hubel bei Bern plötzlich nach dem ſtattlichen Pruſſia- Houſe auf Carlton-Terrace verſetzt wurde. Dort ſah er in ſeiner näch- ſten Nachbarſchaft den Buckingham-Palaſt der Königin, den Weſtminſter- palaſt des Parlaments, das Auswärtige Amt in Downingſtreet, die alten Bäume des St. James-Parkes, überall die Zeugen einer großen Ge- ſchichte. Hellauf leuchtete das Flackerfeuer ſeiner leicht entzündlichen Be- geiſterung; Staat und Kirche, Land und Leute der reichen Inſel erſchienen ihm in roſigem Lichte. Sein eigenes Amt hielt er für den wichtigſten diplomatiſchen Poſten Preußens, und hoch beglückte ihn das Bewußtſein,
*) Bericht des Geſandtſchaftsverweſers Leg. Rath v. Schleinitz an den König. 16. Nov. 1841. Perſönliche Bedenken gegen die beiden anderen Vorgeſchlagenen lagen nicht vor; die Erzählung in Stockmar’s Denkwürdigkeiten S. 385 iſt nicht ganz richtig.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0139"n="125"/><fwplace="top"type="header">Bunſen Geſandter in London.</fw><lb/>
dieſen Verhandlungen überhaupt nicht verfolgt, ſondern immer wieder be-<lb/>ſcheiden gemahnt: „effaciren wir uns;“ und da er nun das chriſtliche<lb/>
Liebeswerk, das ihm allein am Herzen lag, geſichert ſah, ſo beſchloß er<lb/>ſeinen Unterhändler glänzend zu belohnen. Seit dem Herbſt 1841 begann<lb/>
er die längſt geplante Verſchiebung im diplomatiſchen Corps durchzuführen.<lb/>
Miniſter Werther erhielt ein hohes Hofamt, und an ſeine Stelle trat<lb/>
Graf Maltzan, bisher Geſandter in Wien. Bülow, deſſen Talente der<lb/>
König ſehr hoch anſchlug, wurde zum Danke nach Frankfurt verſetzt um<lb/>
friſchen Zug in die Bundespolitik zu bringen. Bei der Ernennung des<lb/>
Nachfolgers zeigte Friedrich Wilhelm ein galantes Zartgefühl wie es in<lb/>
der Geſchichte der Diplomatie unerhört war; er ließ der jungen Königin<lb/>ſelbſt die Wahl zwiſchen drei Namen: Graf Arnim, Graf Dönhoff, Bunſen.<lb/>
Die Antwort konnte kaum zweifelhaft ſein, da Bunſen während der jüngſten<lb/>
Verhandlungen allen engliſchen Wünſchen ſo geſchmeidig nachgegeben hatte.<lb/>
Nach Rückſprache mit der Königin erwiderte Lord Aberdeen: „wir können<lb/>
nichts Beſſeres thun als zu behalten was wir haben,“ alſo Bunſen; die<lb/>
beiden anderen Herren kennen wir nicht.<noteplace="foot"n="*)">Bericht des Geſandtſchaftsverweſers Leg. Rath v. Schleinitz an den König. 16.<lb/>
Nov. 1841. Perſönliche Bedenken gegen die beiden anderen Vorgeſchlagenen lagen nicht<lb/>
vor; die Erzählung in Stockmar’s Denkwürdigkeiten S. 385 iſt nicht ganz richtig.</note></p><lb/><p>Unmöglich konnte England eine beſſere Wahl treffen, unmöglich<lb/>
Preußen eine ſchlechtere. Die ſchwächſte der großen Mächte brauchte als<lb/>
Vertreter Männer von ſtarkem preußiſchem Stolze, Männer, welche die<lb/>
Selbſtändigkeit ihres bei den älteren Großmächten noch kaum für voll<lb/>
angeſehenen Staates rückſichtslos wahrten. Daran hatte es ſchon Bülow<lb/>
zuweilen fehlen laſſen, da er ſich mit den Jahren bis zur Selbſtver-<lb/>
geſſenheit in engliſche Anſchauungen eingelebt hatte. Bunſen aber war<lb/>
bereits als er ſein Amt antrat durch den Einfluß ſeiner britiſchen Gattin<lb/>
halb zum künſtlichen Engländer geworden; mehrere ſeiner Kinder nahmen<lb/>
die Nationalität der Mutter an; das Unglück ſo vieler Diplomatenfami-<lb/>
lien, die internationale Verſchwommenheit ließ ſich von dieſem Hauſe gar<lb/>
nicht abwenden. Welch eine Genugthuung für den ſelbſtzufriedenen Mann,<lb/>
als er, ſo bald nach ſeinen römiſchen Niederlagen, aus dem ſtillen Land-<lb/>
hauſe auf dem Hubel bei Bern plötzlich nach dem ſtattlichen Pruſſia-<lb/>
Houſe auf Carlton-Terrace verſetzt wurde. Dort ſah er in ſeiner näch-<lb/>ſten Nachbarſchaft den Buckingham-Palaſt der Königin, den Weſtminſter-<lb/>
palaſt des Parlaments, das Auswärtige Amt in Downingſtreet, die alten<lb/>
Bäume des St. James-Parkes, überall die Zeugen einer großen Ge-<lb/>ſchichte. Hellauf leuchtete das Flackerfeuer ſeiner leicht entzündlichen Be-<lb/>
geiſterung; Staat und Kirche, Land und Leute der reichen Inſel erſchienen<lb/>
ihm in roſigem Lichte. Sein eigenes Amt hielt er für den wichtigſten<lb/>
diplomatiſchen Poſten Preußens, und hoch beglückte ihn das Bewußtſein,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[125/0139]
Bunſen Geſandter in London.
dieſen Verhandlungen überhaupt nicht verfolgt, ſondern immer wieder be-
ſcheiden gemahnt: „effaciren wir uns;“ und da er nun das chriſtliche
Liebeswerk, das ihm allein am Herzen lag, geſichert ſah, ſo beſchloß er
ſeinen Unterhändler glänzend zu belohnen. Seit dem Herbſt 1841 begann
er die längſt geplante Verſchiebung im diplomatiſchen Corps durchzuführen.
Miniſter Werther erhielt ein hohes Hofamt, und an ſeine Stelle trat
Graf Maltzan, bisher Geſandter in Wien. Bülow, deſſen Talente der
König ſehr hoch anſchlug, wurde zum Danke nach Frankfurt verſetzt um
friſchen Zug in die Bundespolitik zu bringen. Bei der Ernennung des
Nachfolgers zeigte Friedrich Wilhelm ein galantes Zartgefühl wie es in
der Geſchichte der Diplomatie unerhört war; er ließ der jungen Königin
ſelbſt die Wahl zwiſchen drei Namen: Graf Arnim, Graf Dönhoff, Bunſen.
Die Antwort konnte kaum zweifelhaft ſein, da Bunſen während der jüngſten
Verhandlungen allen engliſchen Wünſchen ſo geſchmeidig nachgegeben hatte.
Nach Rückſprache mit der Königin erwiderte Lord Aberdeen: „wir können
nichts Beſſeres thun als zu behalten was wir haben,“ alſo Bunſen; die
beiden anderen Herren kennen wir nicht. *)
Unmöglich konnte England eine beſſere Wahl treffen, unmöglich
Preußen eine ſchlechtere. Die ſchwächſte der großen Mächte brauchte als
Vertreter Männer von ſtarkem preußiſchem Stolze, Männer, welche die
Selbſtändigkeit ihres bei den älteren Großmächten noch kaum für voll
angeſehenen Staates rückſichtslos wahrten. Daran hatte es ſchon Bülow
zuweilen fehlen laſſen, da er ſich mit den Jahren bis zur Selbſtver-
geſſenheit in engliſche Anſchauungen eingelebt hatte. Bunſen aber war
bereits als er ſein Amt antrat durch den Einfluß ſeiner britiſchen Gattin
halb zum künſtlichen Engländer geworden; mehrere ſeiner Kinder nahmen
die Nationalität der Mutter an; das Unglück ſo vieler Diplomatenfami-
lien, die internationale Verſchwommenheit ließ ſich von dieſem Hauſe gar
nicht abwenden. Welch eine Genugthuung für den ſelbſtzufriedenen Mann,
als er, ſo bald nach ſeinen römiſchen Niederlagen, aus dem ſtillen Land-
hauſe auf dem Hubel bei Bern plötzlich nach dem ſtattlichen Pruſſia-
Houſe auf Carlton-Terrace verſetzt wurde. Dort ſah er in ſeiner näch-
ſten Nachbarſchaft den Buckingham-Palaſt der Königin, den Weſtminſter-
palaſt des Parlaments, das Auswärtige Amt in Downingſtreet, die alten
Bäume des St. James-Parkes, überall die Zeugen einer großen Ge-
ſchichte. Hellauf leuchtete das Flackerfeuer ſeiner leicht entzündlichen Be-
geiſterung; Staat und Kirche, Land und Leute der reichen Inſel erſchienen
ihm in roſigem Lichte. Sein eigenes Amt hielt er für den wichtigſten
diplomatiſchen Poſten Preußens, und hoch beglückte ihn das Bewußtſein,
*) Bericht des Geſandtſchaftsverweſers Leg. Rath v. Schleinitz an den König. 16.
Nov. 1841. Perſönliche Bedenken gegen die beiden anderen Vorgeſchlagenen lagen nicht
vor; die Erzählung in Stockmar’s Denkwürdigkeiten S. 385 iſt nicht ganz richtig.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/139>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.