Die Stellung Guizot's und seines Friedenscabinets blieb gleichwohl noch lange sehr peinlich. Seit Monaten befand sich das französische Volk in einem krampfhaften Zustande kriegerischer Aufregung. Alles jauchzte, da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Masa- gran über die Horden Abdel-Kader's erfochten sein sollte; und als sich die Siegesbotschaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da wagte keine einzige Pariser Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran- zose blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldenthat zu glauben, deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen Rues de Masagran verewigt wurde. Also gestimmt konnte die Nation durch die wahr- lich bescheidenen syrischen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einst einem Bona- parte widerstanden hatte, erschien den Pariser Boulevardiers wie eine persön- liche Beleidigung. Das Kriegsgeschrei hielt den ganzen Winter hindurch an und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung besänftigte sich auch nicht, als Ludwig Philipp die Asche Napoleon's nach Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem male die verschlissenen Uniformen der kaiserlichen Tage wieder auftauchten. Guizot freilich sagte in seiner verblendeten Selbstgewißheit: es war ein bloßes Schau- spiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schlosse zu Ham die Strafe für seinen zweiten abenteuerlichen Aufstandsversuch abbüßte, ahnte siegesfroh, daß die napoleonische Legende wieder Macht gewann über die Herzen der Franzosen. Diesem stolzen Volke konnte die Vergleichung der großen Ver- gangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief schmerzliche Gefühle erregen. Indeß die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge der Pariser zurückzugewinnen lag klar am Tage, früher oder später mußte sich Frank- reich in die vollendeten Thatsachen finden.
Noch blieben auf der Londoner Conferenz große Schwierigkeiten zu überwinden. Von dem Oesterreicher Neumann unterstützt that Bülow sein Bestes um den Knoten, den er selber mit geschürzt, wieder zu lösen. Palmerston zögerte, weil er sich zu tief in den Streit verbissen hatte, und der beständig durch Ponsonby's brutale Drohungen aufgestachelte Hoch- muth der Pforte wollte sich lange zu keinem Zugeständniß an den ägyp- tischen Rebellen bequemen.*) Am frühesten bekehrte sich Rußland zu den versöhnlichen Anschauungen der beiden deutschen Höfe. Mit ganz unge- wöhnlicher Freundlichkeit schrieb Nesselrode schon im December nach Paris: er vertraue "der muthigen Offenheit" Guizot's, keine der vier Mächte wünsche Frankreich von dem allgemeinen Einverständniß auszuschließen.**) Müde des ewigen Zauderns der englischen Regierung, erklärte Bülow
*) Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dec. 1840. Werther's Weisung an Maltzan, 21. Jan. 1841.
**) Nesselrode's Weisung an Pahlen, 25. Nov./7. Dec. 1840.
8*
Miniſterium Guizot.
Die Stellung Guizot’s und ſeines Friedenscabinets blieb gleichwohl noch lange ſehr peinlich. Seit Monaten befand ſich das franzöſiſche Volk in einem krampfhaften Zuſtande kriegeriſcher Aufregung. Alles jauchzte, da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Maſa- gran über die Horden Abdel-Kader’s erfochten ſein ſollte; und als ſich die Siegesbotſchaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da wagte keine einzige Pariſer Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran- zoſe blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldenthat zu glauben, deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen Rues de Masagran verewigt wurde. Alſo geſtimmt konnte die Nation durch die wahr- lich beſcheidenen ſyriſchen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einſt einem Bona- parte widerſtanden hatte, erſchien den Pariſer Boulevardiers wie eine perſön- liche Beleidigung. Das Kriegsgeſchrei hielt den ganzen Winter hindurch an und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung beſänftigte ſich auch nicht, als Ludwig Philipp die Aſche Napoleon’s nach Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem male die verſchliſſenen Uniformen der kaiſerlichen Tage wieder auftauchten. Guizot freilich ſagte in ſeiner verblendeten Selbſtgewißheit: es war ein bloßes Schau- ſpiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schloſſe zu Ham die Strafe für ſeinen zweiten abenteuerlichen Aufſtandsverſuch abbüßte, ahnte ſiegesfroh, daß die napoleoniſche Legende wieder Macht gewann über die Herzen der Franzoſen. Dieſem ſtolzen Volke konnte die Vergleichung der großen Ver- gangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief ſchmerzliche Gefühle erregen. Indeß die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge der Pariſer zurückzugewinnen lag klar am Tage, früher oder ſpäter mußte ſich Frank- reich in die vollendeten Thatſachen finden.
Noch blieben auf der Londoner Conferenz große Schwierigkeiten zu überwinden. Von dem Oeſterreicher Neumann unterſtützt that Bülow ſein Beſtes um den Knoten, den er ſelber mit geſchürzt, wieder zu löſen. Palmerſton zögerte, weil er ſich zu tief in den Streit verbiſſen hatte, und der beſtändig durch Ponſonby’s brutale Drohungen aufgeſtachelte Hoch- muth der Pforte wollte ſich lange zu keinem Zugeſtändniß an den ägyp- tiſchen Rebellen bequemen.*) Am früheſten bekehrte ſich Rußland zu den verſöhnlichen Anſchauungen der beiden deutſchen Höfe. Mit ganz unge- wöhnlicher Freundlichkeit ſchrieb Neſſelrode ſchon im December nach Paris: er vertraue „der muthigen Offenheit“ Guizot’s, keine der vier Mächte wünſche Frankreich von dem allgemeinen Einverſtändniß auszuſchließen.**) Müde des ewigen Zauderns der engliſchen Regierung, erklärte Bülow
*) Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dec. 1840. Werther’s Weiſung an Maltzan, 21. Jan. 1841.
**) Neſſelrode’s Weiſung an Pahlen, 25. Nov./7. Dec. 1840.
8*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0129"n="115"/><fwplace="top"type="header">Miniſterium Guizot.</fw><lb/><p>Die Stellung Guizot’s und ſeines Friedenscabinets blieb gleichwohl<lb/>
noch lange ſehr peinlich. Seit Monaten befand ſich das franzöſiſche<lb/>
Volk in einem krampfhaften Zuſtande kriegeriſcher Aufregung. Alles jauchzte,<lb/>
da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Maſa-<lb/>
gran über die Horden Abdel-Kader’s erfochten ſein ſollte; und als ſich<lb/>
die Siegesbotſchaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da<lb/>
wagte keine einzige Pariſer Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran-<lb/>
zoſe blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldenthat zu glauben,<lb/>
deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen <hirendition="#aq">Rues de<lb/>
Masagran</hi> verewigt wurde. Alſo geſtimmt konnte die Nation durch die wahr-<lb/>
lich beſcheidenen ſyriſchen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert<lb/>
werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einſt einem Bona-<lb/>
parte widerſtanden hatte, erſchien den Pariſer Boulevardiers wie eine perſön-<lb/>
liche Beleidigung. Das Kriegsgeſchrei hielt den ganzen Winter hindurch an<lb/>
und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung<lb/>
beſänftigte ſich auch nicht, als Ludwig Philipp die Aſche Napoleon’s nach<lb/>
Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem male<lb/>
die verſchliſſenen Uniformen der kaiſerlichen Tage wieder auftauchten. Guizot<lb/>
freilich ſagte in ſeiner verblendeten Selbſtgewißheit: es war ein bloßes Schau-<lb/>ſpiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schloſſe zu Ham die Strafe für<lb/>ſeinen zweiten abenteuerlichen Aufſtandsverſuch abbüßte, ahnte ſiegesfroh,<lb/>
daß die napoleoniſche Legende wieder Macht gewann über die Herzen der<lb/>
Franzoſen. Dieſem ſtolzen Volke konnte die Vergleichung der großen Ver-<lb/>
gangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief ſchmerzliche Gefühle erregen.<lb/>
Indeß die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge der Pariſer<lb/>
zurückzugewinnen lag klar am Tage, früher oder ſpäter mußte ſich Frank-<lb/>
reich in die vollendeten Thatſachen finden.</p><lb/><p>Noch blieben auf der Londoner Conferenz große Schwierigkeiten zu<lb/>
überwinden. Von dem Oeſterreicher Neumann unterſtützt that Bülow<lb/>ſein Beſtes um den Knoten, den er ſelber mit geſchürzt, wieder zu löſen.<lb/>
Palmerſton zögerte, weil er ſich zu tief in den Streit verbiſſen hatte, und<lb/>
der beſtändig durch Ponſonby’s brutale Drohungen aufgeſtachelte Hoch-<lb/>
muth der Pforte wollte ſich lange zu keinem Zugeſtändniß an den ägyp-<lb/>
tiſchen Rebellen bequemen.<noteplace="foot"n="*)">Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dec. 1840. Werther’s Weiſung an Maltzan,<lb/>
21. Jan. 1841.</note> Am früheſten bekehrte ſich Rußland zu den<lb/>
verſöhnlichen Anſchauungen der beiden deutſchen Höfe. Mit ganz unge-<lb/>
wöhnlicher Freundlichkeit ſchrieb Neſſelrode ſchon im December nach Paris:<lb/>
er vertraue „der muthigen Offenheit“ Guizot’s, keine der vier Mächte<lb/>
wünſche Frankreich von dem allgemeinen Einverſtändniß auszuſchließen.<noteplace="foot"n="**)">Neſſelrode’s Weiſung an Pahlen, 25. Nov./7. Dec. 1840.</note><lb/>
Müde des ewigen Zauderns der engliſchen Regierung, erklärte Bülow<lb/><fwplace="bottom"type="sig">8*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[115/0129]
Miniſterium Guizot.
Die Stellung Guizot’s und ſeines Friedenscabinets blieb gleichwohl
noch lange ſehr peinlich. Seit Monaten befand ſich das franzöſiſche
Volk in einem krampfhaften Zuſtande kriegeriſcher Aufregung. Alles jauchzte,
da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Maſa-
gran über die Horden Abdel-Kader’s erfochten ſein ſollte; und als ſich
die Siegesbotſchaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da
wagte keine einzige Pariſer Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran-
zoſe blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldenthat zu glauben,
deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen Rues de
Masagran verewigt wurde. Alſo geſtimmt konnte die Nation durch die wahr-
lich beſcheidenen ſyriſchen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert
werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einſt einem Bona-
parte widerſtanden hatte, erſchien den Pariſer Boulevardiers wie eine perſön-
liche Beleidigung. Das Kriegsgeſchrei hielt den ganzen Winter hindurch an
und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung
beſänftigte ſich auch nicht, als Ludwig Philipp die Aſche Napoleon’s nach
Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem male
die verſchliſſenen Uniformen der kaiſerlichen Tage wieder auftauchten. Guizot
freilich ſagte in ſeiner verblendeten Selbſtgewißheit: es war ein bloßes Schau-
ſpiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schloſſe zu Ham die Strafe für
ſeinen zweiten abenteuerlichen Aufſtandsverſuch abbüßte, ahnte ſiegesfroh,
daß die napoleoniſche Legende wieder Macht gewann über die Herzen der
Franzoſen. Dieſem ſtolzen Volke konnte die Vergleichung der großen Ver-
gangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief ſchmerzliche Gefühle erregen.
Indeß die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge der Pariſer
zurückzugewinnen lag klar am Tage, früher oder ſpäter mußte ſich Frank-
reich in die vollendeten Thatſachen finden.
Noch blieben auf der Londoner Conferenz große Schwierigkeiten zu
überwinden. Von dem Oeſterreicher Neumann unterſtützt that Bülow
ſein Beſtes um den Knoten, den er ſelber mit geſchürzt, wieder zu löſen.
Palmerſton zögerte, weil er ſich zu tief in den Streit verbiſſen hatte, und
der beſtändig durch Ponſonby’s brutale Drohungen aufgeſtachelte Hoch-
muth der Pforte wollte ſich lange zu keinem Zugeſtändniß an den ägyp-
tiſchen Rebellen bequemen. *) Am früheſten bekehrte ſich Rußland zu den
verſöhnlichen Anſchauungen der beiden deutſchen Höfe. Mit ganz unge-
wöhnlicher Freundlichkeit ſchrieb Neſſelrode ſchon im December nach Paris:
er vertraue „der muthigen Offenheit“ Guizot’s, keine der vier Mächte
wünſche Frankreich von dem allgemeinen Einverſtändniß auszuſchließen. **)
Müde des ewigen Zauderns der engliſchen Regierung, erklärte Bülow
*) Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dec. 1840. Werther’s Weiſung an Maltzan,
21. Jan. 1841.
**) Neſſelrode’s Weiſung an Pahlen, 25. Nov./7. Dec. 1840.
8*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/129>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.