Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Ende der Demagogenverfolgung.
rath Berly, der Vertraute des Grafen Münch, in der Frankfurter Ober-
postamtszeitung (3. April 1841) höhnisch sagte: Preußen denkt nicht "an
das Schreckgespenst der deutschen Einheit", das die Franzosen sich vor-
halten; dergleichen mochte zur Zeit der Schlacht von Roßbach vielleicht
zutreffen; Friedrich Wilhelm IV. aber weiß, daß Friedrich von Hohen-
zollern in demselben Jahre Burggraf wurde, da Rudolf von Habsburg
die Kaiserkrone empfing!

Ganz ohne heilsame Nachwirkung blieb die schöne nationale Begeiste-
rung dieser unruhigen Tage mit nichten; in den weltbürgerlichen Taumel
des letzten Jahrzehnts konnte der deutsche Liberalismus nie wieder ganz
zurückfallen. Aber sehr merklich war doch die Abkühlung als die Kriegsgefahr
verschwand. Da alle Kriegsrufe, denen kein offener Kampf folgt, nachträglich
komisch erscheinen, so säumten die Spötter nicht an dem "defensiven En-
thusiasmus" Niklas Becker's ihren stumpfen Witz zu wetzen; unter den
radikalen Philistern aber entstand die Meinung, jede deutsche Erhebung,
die von den Fürsten gebilligt werde, sei von Haus aus verdorben. Unter-
dessen versank die Bundes-Militärcommission bald wieder in ihr gewohntes
Scheinleben. Sie berieth gründlich über die Wiederersetzung eines vor-
zeitig zerrissenen Taues am Rothen Brunnen zu Luxemburg; sie brauchte
Jahre um Frieden zu stiften zwischen den hadernden Staaten des neunten
Armeecorps. Für dieses hatte bisher vertragsmäßig das Königreich Sachsen
allein die Pontoniere gestellt; da kam der hessische Prinzregent plötzlich
auf den Einfall, daß sich auch Kurhessen den Genuß eines eigenen Brücken-
trains gestatten dürfe, und kündigte eigenmächtig den Vertrag. Der artige
Dresdener Hof konnte darauf nicht umhin "das lebhafte diesseitige Be-
dauern über die jenseitigen Absichten" auszudrücken; Nassau und Luxem-
burg pflichteten ihm bei. Der Hesse aber erwiderte entrüstet: er glaube
noch Dank zu verdienen für seinen vaterländischen Eifer, denn sein Brücken-
train sei 126 Fuß lang, während Kurhessen nach den Bundesgesetzen nur
für 110 Fuß Brückenlänge zu sorgen habe.*) Ueber solchen wichtigen
Berathungen geriethen die Rügen der Bundes-Inspectoren fast überall
in Vergessenheit. In Württemberg betrug der Präsenzstand der Compag-
nie bald wieder nur 15 Mann; und sollte die Stuttgarter Garnison bei
Eröffnung des Landtags Spalier bilden, dann mußten in Eile die Be-
urlaubten einberufen werden.**)

Auch auf den anderen Gebieten der Bundespolitik vermochte König
Friedrich Wilhelm von seinen guten Absichten fast gar nichts durchzu-
setzen. Er erreichte nur, da er selbst mit dem guten Beispiele der Am-
nestie vorangegangen war, daß die Demagogenverfolgung endlich aufhörte
und die Bundes-Centralbehörde im August 1842 vertagt wurde -- denn

*) Dönhoff's Berichte, 17. Mai 1844 ff.
**) Bericht von General v. Thun, Stuttgart 22. Jan. 1848.

Ende der Demagogenverfolgung.
rath Berly, der Vertraute des Grafen Münch, in der Frankfurter Ober-
poſtamtszeitung (3. April 1841) höhniſch ſagte: Preußen denkt nicht „an
das Schreckgeſpenſt der deutſchen Einheit“, das die Franzoſen ſich vor-
halten; dergleichen mochte zur Zeit der Schlacht von Roßbach vielleicht
zutreffen; Friedrich Wilhelm IV. aber weiß, daß Friedrich von Hohen-
zollern in demſelben Jahre Burggraf wurde, da Rudolf von Habsburg
die Kaiſerkrone empfing!

Ganz ohne heilſame Nachwirkung blieb die ſchöne nationale Begeiſte-
rung dieſer unruhigen Tage mit nichten; in den weltbürgerlichen Taumel
des letzten Jahrzehnts konnte der deutſche Liberalismus nie wieder ganz
zurückfallen. Aber ſehr merklich war doch die Abkühlung als die Kriegsgefahr
verſchwand. Da alle Kriegsrufe, denen kein offener Kampf folgt, nachträglich
komiſch erſcheinen, ſo ſäumten die Spötter nicht an dem „defenſiven En-
thuſiasmus“ Niklas Becker’s ihren ſtumpfen Witz zu wetzen; unter den
radikalen Philiſtern aber entſtand die Meinung, jede deutſche Erhebung,
die von den Fürſten gebilligt werde, ſei von Haus aus verdorben. Unter-
deſſen verſank die Bundes-Militärcommiſſion bald wieder in ihr gewohntes
Scheinleben. Sie berieth gründlich über die Wiedererſetzung eines vor-
zeitig zerriſſenen Taues am Rothen Brunnen zu Luxemburg; ſie brauchte
Jahre um Frieden zu ſtiften zwiſchen den hadernden Staaten des neunten
Armeecorps. Für dieſes hatte bisher vertragsmäßig das Königreich Sachſen
allein die Pontoniere geſtellt; da kam der heſſiſche Prinzregent plötzlich
auf den Einfall, daß ſich auch Kurheſſen den Genuß eines eigenen Brücken-
trains geſtatten dürfe, und kündigte eigenmächtig den Vertrag. Der artige
Dresdener Hof konnte darauf nicht umhin „das lebhafte dieſſeitige Be-
dauern über die jenſeitigen Abſichten“ auszudrücken; Naſſau und Luxem-
burg pflichteten ihm bei. Der Heſſe aber erwiderte entrüſtet: er glaube
noch Dank zu verdienen für ſeinen vaterländiſchen Eifer, denn ſein Brücken-
train ſei 126 Fuß lang, während Kurheſſen nach den Bundesgeſetzen nur
für 110 Fuß Brückenlänge zu ſorgen habe.*) Ueber ſolchen wichtigen
Berathungen geriethen die Rügen der Bundes-Inſpectoren faſt überall
in Vergeſſenheit. In Württemberg betrug der Präſenzſtand der Compag-
nie bald wieder nur 15 Mann; und ſollte die Stuttgarter Garniſon bei
Eröffnung des Landtags Spalier bilden, dann mußten in Eile die Be-
urlaubten einberufen werden.**)

Auch auf den anderen Gebieten der Bundespolitik vermochte König
Friedrich Wilhelm von ſeinen guten Abſichten faſt gar nichts durchzu-
ſetzen. Er erreichte nur, da er ſelbſt mit dem guten Beiſpiele der Am-
neſtie vorangegangen war, daß die Demagogenverfolgung endlich aufhörte
und die Bundes-Centralbehörde im Auguſt 1842 vertagt wurde — denn

*) Dönhoff’s Berichte, 17. Mai 1844 ff.
**) Bericht von General v. Thun, Stuttgart 22. Jan. 1848.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0119" n="105"/><fw place="top" type="header">Ende der Demagogenverfolgung.</fw><lb/>
rath Berly, der Vertraute des Grafen Münch, in der Frankfurter Ober-<lb/>
po&#x017F;tamtszeitung (3. April 1841) höhni&#x017F;ch &#x017F;agte: Preußen denkt nicht &#x201E;an<lb/>
das Schreckge&#x017F;pen&#x017F;t der deut&#x017F;chen Einheit&#x201C;, das die Franzo&#x017F;en &#x017F;ich vor-<lb/>
halten; dergleichen mochte zur Zeit der Schlacht von Roßbach vielleicht<lb/>
zutreffen; Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">IV.</hi> aber weiß, daß Friedrich von Hohen-<lb/>
zollern in dem&#x017F;elben Jahre Burggraf wurde, da Rudolf von Habsburg<lb/>
die Kai&#x017F;erkrone empfing!</p><lb/>
          <p>Ganz ohne heil&#x017F;ame Nachwirkung blieb die &#x017F;chöne nationale Begei&#x017F;te-<lb/>
rung die&#x017F;er unruhigen Tage mit nichten; in den weltbürgerlichen Taumel<lb/>
des letzten Jahrzehnts konnte der deut&#x017F;che Liberalismus nie wieder ganz<lb/>
zurückfallen. Aber &#x017F;ehr merklich war doch die Abkühlung als die Kriegsgefahr<lb/>
ver&#x017F;chwand. Da alle Kriegsrufe, denen kein offener Kampf folgt, nachträglich<lb/>
komi&#x017F;ch er&#x017F;cheinen, &#x017F;o &#x017F;äumten die Spötter nicht an dem &#x201E;defen&#x017F;iven En-<lb/>
thu&#x017F;iasmus&#x201C; Niklas Becker&#x2019;s ihren &#x017F;tumpfen Witz zu wetzen; unter den<lb/>
radikalen Phili&#x017F;tern aber ent&#x017F;tand die Meinung, jede deut&#x017F;che Erhebung,<lb/>
die von den Für&#x017F;ten gebilligt werde, &#x017F;ei von Haus aus verdorben. Unter-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ank die Bundes-Militärcommi&#x017F;&#x017F;ion bald wieder in ihr gewohntes<lb/>
Scheinleben. Sie berieth gründlich über die Wiederer&#x017F;etzung eines vor-<lb/>
zeitig zerri&#x017F;&#x017F;enen Taues am Rothen Brunnen zu Luxemburg; &#x017F;ie brauchte<lb/>
Jahre um Frieden zu &#x017F;tiften zwi&#x017F;chen den hadernden Staaten des neunten<lb/>
Armeecorps. Für die&#x017F;es hatte bisher vertragsmäßig das Königreich Sach&#x017F;en<lb/>
allein die Pontoniere ge&#x017F;tellt; da kam der he&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Prinzregent plötzlich<lb/>
auf den Einfall, daß &#x017F;ich auch Kurhe&#x017F;&#x017F;en den Genuß eines eigenen Brücken-<lb/>
trains ge&#x017F;tatten dürfe, und kündigte eigenmächtig den Vertrag. Der artige<lb/>
Dresdener Hof konnte darauf nicht umhin &#x201E;das lebhafte die&#x017F;&#x017F;eitige Be-<lb/>
dauern über die jen&#x017F;eitigen Ab&#x017F;ichten&#x201C; auszudrücken; Na&#x017F;&#x017F;au und Luxem-<lb/>
burg pflichteten ihm bei. Der He&#x017F;&#x017F;e aber erwiderte entrü&#x017F;tet: er glaube<lb/>
noch Dank zu verdienen für &#x017F;einen vaterländi&#x017F;chen Eifer, denn &#x017F;ein Brücken-<lb/>
train &#x017F;ei 126 Fuß lang, während Kurhe&#x017F;&#x017F;en nach den Bundesge&#x017F;etzen nur<lb/>
für 110 Fuß Brückenlänge zu &#x017F;orgen habe.<note place="foot" n="*)">Dönhoff&#x2019;s Berichte, 17. Mai 1844 ff.</note> Ueber &#x017F;olchen wichtigen<lb/>
Berathungen geriethen die Rügen der Bundes-In&#x017F;pectoren fa&#x017F;t überall<lb/>
in Verge&#x017F;&#x017F;enheit. In Württemberg betrug der Prä&#x017F;enz&#x017F;tand der Compag-<lb/>
nie bald wieder nur 15 Mann; und &#x017F;ollte die Stuttgarter Garni&#x017F;on bei<lb/>
Eröffnung des Landtags Spalier bilden, dann mußten in Eile die Be-<lb/>
urlaubten einberufen werden.<note place="foot" n="**)">Bericht von General v. Thun, Stuttgart 22. Jan. 1848.</note></p><lb/>
          <p>Auch auf den anderen Gebieten der Bundespolitik vermochte König<lb/>
Friedrich Wilhelm von &#x017F;einen guten Ab&#x017F;ichten fa&#x017F;t gar nichts durchzu-<lb/>
&#x017F;etzen. Er erreichte nur, da er &#x017F;elb&#x017F;t mit dem guten Bei&#x017F;piele der Am-<lb/>
ne&#x017F;tie vorangegangen war, daß die Demagogenverfolgung endlich aufhörte<lb/>
und die Bundes-Centralbehörde im Augu&#x017F;t 1842 vertagt wurde &#x2014; denn<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0119] Ende der Demagogenverfolgung. rath Berly, der Vertraute des Grafen Münch, in der Frankfurter Ober- poſtamtszeitung (3. April 1841) höhniſch ſagte: Preußen denkt nicht „an das Schreckgeſpenſt der deutſchen Einheit“, das die Franzoſen ſich vor- halten; dergleichen mochte zur Zeit der Schlacht von Roßbach vielleicht zutreffen; Friedrich Wilhelm IV. aber weiß, daß Friedrich von Hohen- zollern in demſelben Jahre Burggraf wurde, da Rudolf von Habsburg die Kaiſerkrone empfing! Ganz ohne heilſame Nachwirkung blieb die ſchöne nationale Begeiſte- rung dieſer unruhigen Tage mit nichten; in den weltbürgerlichen Taumel des letzten Jahrzehnts konnte der deutſche Liberalismus nie wieder ganz zurückfallen. Aber ſehr merklich war doch die Abkühlung als die Kriegsgefahr verſchwand. Da alle Kriegsrufe, denen kein offener Kampf folgt, nachträglich komiſch erſcheinen, ſo ſäumten die Spötter nicht an dem „defenſiven En- thuſiasmus“ Niklas Becker’s ihren ſtumpfen Witz zu wetzen; unter den radikalen Philiſtern aber entſtand die Meinung, jede deutſche Erhebung, die von den Fürſten gebilligt werde, ſei von Haus aus verdorben. Unter- deſſen verſank die Bundes-Militärcommiſſion bald wieder in ihr gewohntes Scheinleben. Sie berieth gründlich über die Wiedererſetzung eines vor- zeitig zerriſſenen Taues am Rothen Brunnen zu Luxemburg; ſie brauchte Jahre um Frieden zu ſtiften zwiſchen den hadernden Staaten des neunten Armeecorps. Für dieſes hatte bisher vertragsmäßig das Königreich Sachſen allein die Pontoniere geſtellt; da kam der heſſiſche Prinzregent plötzlich auf den Einfall, daß ſich auch Kurheſſen den Genuß eines eigenen Brücken- trains geſtatten dürfe, und kündigte eigenmächtig den Vertrag. Der artige Dresdener Hof konnte darauf nicht umhin „das lebhafte dieſſeitige Be- dauern über die jenſeitigen Abſichten“ auszudrücken; Naſſau und Luxem- burg pflichteten ihm bei. Der Heſſe aber erwiderte entrüſtet: er glaube noch Dank zu verdienen für ſeinen vaterländiſchen Eifer, denn ſein Brücken- train ſei 126 Fuß lang, während Kurheſſen nach den Bundesgeſetzen nur für 110 Fuß Brückenlänge zu ſorgen habe. *) Ueber ſolchen wichtigen Berathungen geriethen die Rügen der Bundes-Inſpectoren faſt überall in Vergeſſenheit. In Württemberg betrug der Präſenzſtand der Compag- nie bald wieder nur 15 Mann; und ſollte die Stuttgarter Garniſon bei Eröffnung des Landtags Spalier bilden, dann mußten in Eile die Be- urlaubten einberufen werden. **) Auch auf den anderen Gebieten der Bundespolitik vermochte König Friedrich Wilhelm von ſeinen guten Abſichten faſt gar nichts durchzu- ſetzen. Er erreichte nur, da er ſelbſt mit dem guten Beiſpiele der Am- neſtie vorangegangen war, daß die Demagogenverfolgung endlich aufhörte und die Bundes-Centralbehörde im Auguſt 1842 vertagt wurde — denn *) Dönhoff’s Berichte, 17. Mai 1844 ff. **) Bericht von General v. Thun, Stuttgart 22. Jan. 1848.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/119
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/119>, abgerufen am 23.11.2024.