richte las, konnte solche Mängel, und darunter manche wundersame, aller- dings entdecken.
In Baiern erhielten die Inspectoren, nach einer geheimen Weisung des Königs, keinerlei vertrauliche Mittheilungen von Seiten der Militär- behörden.*) Sie fanden dort eine Landwehrpflicht vor, welche sich bis zum sechzigsten Lebensjahre jedes Wehrfähigen erstreckte und natürlich nur auf dem Papiere stand; die Artillerie und Infanterie der Linie wurde nur aller zwei Jahre zu viermonatlichen Uebungen einberufen. Der Präsenzstand war so niedrig, daß selbst die Bundesmilitärcommission den bescheidenen Wunsch nicht unterdrücken konnte, es möchte künftighin bei der Infanterie ein Sechstel der gemeinen Mannschaft stets im Dienste sein. Trotzdem erklärten die drei inspicirenden Generale (ein Oester- reicher, ein Sachse, ein Darmstädter) dies Heer für sehr lobenswerth. Ueber die Reiterei sagten sie liebevoll: Von der Friedenspräsenzstärke ist nur die Hälfte vorhanden, und die Leute dienen nur sechs Monate, "was specielle Unvollkommenheiten mit Grund entschuldigen kann." Die naheliegende Frage, ob sich die sechsmonatliche Dienstzeit der bairi- schen Reiterei selbst entschuldigen lasse, übergingen sie mit Stillschwei- gen. Noch weniger sprachen sie von der Menge der gebrechlichen alten Stabsoffiziere, dem allgemeinen Uebelstande dieser langen Friedenszeit, der nirgends greller hervortrat als in Baiern. Darum sagte Prinz Karl von Baiern traurig zum Grafen Dönhoff: der Bericht ist viel zu sanft, er wird auf König Ludwig keinen Eindruck machen.**) In Sachsen war das stehende Heer recht tüchtig, aber für die Reserve schlechterdings gar nicht vorgesorgt; und als die Bundes-Militärcommission dies leise zu rügen wagte, da erwiderte der Dresdner Hof spitzig: er könne sich nicht erklären, warum Sachsen in Frankfurt nicht dieselbe Berücksichtigung fände wie andere Bundesstaaten, die ebenso wenig für ihre Reserve gethan hatten.
In Luxemburg mußte die Musterung unterbleiben, weil ein Bundes- contingent dort noch immer nicht bestand. Der König von Dänemark hatte sich gradezu geweigert, seine Holsten an gemeinsamen Uebungen des 10. Bundesarmeecorps theilnehmen zu lassen; er scheute den Vergleich mit den besser ausgerüsteten Hannoveranern, die freilich bisher auch noch nie- mals zu einem Divisions-Manöver zusammengetreten waren.***) Völlig trostlos lauteten die Berichte des preußischen Generals Ditfurth über die Bückeburger und die Mehrzahl der anderen Contingente, welche die Re- serve-Infanteriedivision des Bundes bilden sollten. Zog man schonungs- los die Summe, so waren die Bundesgesetze nur in einem einzigen Staate,
*) Dönhoff's Bericht, 4. Oct. 1841.
**) Berichte von Bülow, 17. Dec. 1841, von Dönhoff, 2. Nov. 1842.
***) Berger's Bericht, 8. Mai 1841.
7*
Ergebniß der erſten Bundesinſpection.
richte las, konnte ſolche Mängel, und darunter manche wunderſame, aller- dings entdecken.
In Baiern erhielten die Inſpectoren, nach einer geheimen Weiſung des Königs, keinerlei vertrauliche Mittheilungen von Seiten der Militär- behörden.*) Sie fanden dort eine Landwehrpflicht vor, welche ſich bis zum ſechzigſten Lebensjahre jedes Wehrfähigen erſtreckte und natürlich nur auf dem Papiere ſtand; die Artillerie und Infanterie der Linie wurde nur aller zwei Jahre zu viermonatlichen Uebungen einberufen. Der Präſenzſtand war ſo niedrig, daß ſelbſt die Bundesmilitärcommiſſion den beſcheidenen Wunſch nicht unterdrücken konnte, es möchte künftighin bei der Infanterie ein Sechſtel der gemeinen Mannſchaft ſtets im Dienſte ſein. Trotzdem erklärten die drei inſpicirenden Generale (ein Oeſter- reicher, ein Sachſe, ein Darmſtädter) dies Heer für ſehr lobenswerth. Ueber die Reiterei ſagten ſie liebevoll: Von der Friedenspräſenzſtärke iſt nur die Hälfte vorhanden, und die Leute dienen nur ſechs Monate, „was ſpecielle Unvollkommenheiten mit Grund entſchuldigen kann.“ Die naheliegende Frage, ob ſich die ſechsmonatliche Dienſtzeit der bairi- ſchen Reiterei ſelbſt entſchuldigen laſſe, übergingen ſie mit Stillſchwei- gen. Noch weniger ſprachen ſie von der Menge der gebrechlichen alten Stabsoffiziere, dem allgemeinen Uebelſtande dieſer langen Friedenszeit, der nirgends greller hervortrat als in Baiern. Darum ſagte Prinz Karl von Baiern traurig zum Grafen Dönhoff: der Bericht iſt viel zu ſanft, er wird auf König Ludwig keinen Eindruck machen.**) In Sachſen war das ſtehende Heer recht tüchtig, aber für die Reſerve ſchlechterdings gar nicht vorgeſorgt; und als die Bundes-Militärcommiſſion dies leiſe zu rügen wagte, da erwiderte der Dresdner Hof ſpitzig: er könne ſich nicht erklären, warum Sachſen in Frankfurt nicht dieſelbe Berückſichtigung fände wie andere Bundesſtaaten, die ebenſo wenig für ihre Reſerve gethan hatten.
In Luxemburg mußte die Muſterung unterbleiben, weil ein Bundes- contingent dort noch immer nicht beſtand. Der König von Dänemark hatte ſich gradezu geweigert, ſeine Holſten an gemeinſamen Uebungen des 10. Bundesarmeecorps theilnehmen zu laſſen; er ſcheute den Vergleich mit den beſſer ausgerüſteten Hannoveranern, die freilich bisher auch noch nie- mals zu einem Diviſions-Manöver zuſammengetreten waren.***) Völlig troſtlos lauteten die Berichte des preußiſchen Generals Ditfurth über die Bückeburger und die Mehrzahl der anderen Contingente, welche die Re- ſerve-Infanteriediviſion des Bundes bilden ſollten. Zog man ſchonungs- los die Summe, ſo waren die Bundesgeſetze nur in einem einzigen Staate,
*) Dönhoff’s Bericht, 4. Oct. 1841.
**) Berichte von Bülow, 17. Dec. 1841, von Dönhoff, 2. Nov. 1842.
***) Berger’s Bericht, 8. Mai 1841.
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Ergebniß der erſten Bundesinſpection.
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In Baiern erhielten die Inſpectoren, nach einer geheimen Weiſung
des Königs, keinerlei vertrauliche Mittheilungen von Seiten der Militär-
behörden. *) Sie fanden dort eine Landwehrpflicht vor, welche ſich bis
zum ſechzigſten Lebensjahre jedes Wehrfähigen erſtreckte und natürlich nur
auf dem Papiere ſtand; die Artillerie und Infanterie der Linie wurde
nur aller zwei Jahre zu viermonatlichen Uebungen einberufen. Der
Präſenzſtand war ſo niedrig, daß ſelbſt die Bundesmilitärcommiſſion den
beſcheidenen Wunſch nicht unterdrücken konnte, es möchte künftighin bei
der Infanterie ein Sechſtel der gemeinen Mannſchaft ſtets im Dienſte
ſein. Trotzdem erklärten die drei inſpicirenden Generale (ein Oeſter-
reicher, ein Sachſe, ein Darmſtädter) dies Heer für ſehr lobenswerth.
Ueber die Reiterei ſagten ſie liebevoll: Von der Friedenspräſenzſtärke
iſt nur die Hälfte vorhanden, und die Leute dienen nur ſechs Monate,
„was ſpecielle Unvollkommenheiten mit Grund entſchuldigen kann.“ Die
naheliegende Frage, ob ſich die ſechsmonatliche Dienſtzeit der bairi-
ſchen Reiterei ſelbſt entſchuldigen laſſe, übergingen ſie mit Stillſchwei-
gen. Noch weniger ſprachen ſie von der Menge der gebrechlichen alten
Stabsoffiziere, dem allgemeinen Uebelſtande dieſer langen Friedenszeit,
der nirgends greller hervortrat als in Baiern. Darum ſagte Prinz
Karl von Baiern traurig zum Grafen Dönhoff: der Bericht iſt viel zu
ſanft, er wird auf König Ludwig keinen Eindruck machen. **) In Sachſen
war das ſtehende Heer recht tüchtig, aber für die Reſerve ſchlechterdings
gar nicht vorgeſorgt; und als die Bundes-Militärcommiſſion dies leiſe zu
rügen wagte, da erwiderte der Dresdner Hof ſpitzig: er könne ſich nicht
erklären, warum Sachſen in Frankfurt nicht dieſelbe Berückſichtigung fände
wie andere Bundesſtaaten, die ebenſo wenig für ihre Reſerve gethan
hatten.
In Luxemburg mußte die Muſterung unterbleiben, weil ein Bundes-
contingent dort noch immer nicht beſtand. Der König von Dänemark
hatte ſich gradezu geweigert, ſeine Holſten an gemeinſamen Uebungen des
10. Bundesarmeecorps theilnehmen zu laſſen; er ſcheute den Vergleich mit
den beſſer ausgerüſteten Hannoveranern, die freilich bisher auch noch nie-
mals zu einem Diviſions-Manöver zuſammengetreten waren. ***) Völlig
troſtlos lauteten die Berichte des preußiſchen Generals Ditfurth über die
Bückeburger und die Mehrzahl der anderen Contingente, welche die Re-
ſerve-Infanteriediviſion des Bundes bilden ſollten. Zog man ſchonungs-
los die Summe, ſo waren die Bundesgeſetze nur in einem einzigen Staate,
*) Dönhoff’s Bericht, 4. Oct. 1841.
**) Berichte von Bülow, 17. Dec. 1841, von Dönhoff, 2. Nov. 1842.
***) Berger’s Bericht, 8. Mai 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/113>, abgerufen am 23.11.2024.
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