Dem alten Könige war kurz vor seinem Tode noch einmal recht deutlich geworden, was von der Opferwilligkeit seiner deutschen Bundes- genossen zu erwarten sei. Damals (1839) hatte er mit einem Aufwande von Millionen drei seiner Armeecorps auf Kriegsfuß gesetzt um den end- lichen Abschluß des schmählichen Luxemburgischen Streites zu erzwingen, und bei diesem Unternehmen, das doch allein der Sicherung des Bundes- gebietes galt, am Bunde keinerlei Unterstützung, nicht einmal durch Worte gefunden. Jetzt mußte sein Nachfolger, kaum auf den Thron gestiegen, schon die gleiche Erfahrung machen. Er konnte sich nicht mehr darüber täuschen, daß die kleinen Höfe gern bereit waren sich durch Preu- ßens starken Arm aus der Noth retten zu lassen, aber nicht im mindesten beabsichtigten die schimpfliche Wehrlosigkeit, welche ein volles Drittel des tapfersten aller Völker darniederhielt, zu beseitigen. Trotz Alledem hielt der neue König seine Bundesreformpläne fest; an der Bildsamkeit dieser treff- lichen Bundesverfassung wollte er nimmermehr verzweifeln. Am 6. Januar 1841 sendete er an die Wiener Gesandtschaft einen Erlaß, worin er bestimmt aussprach, er werde allein vorgehen falls Oesterreich seine Mitwirkung ver- weigere.*) Diese Drohung wirkte für den Augenblick. Auf Preußens Andrängen beschloß der Bundestag (29. Juni), daß fortan aller drei Jahre Bundesinspectoren sich von dem Zustande der Streitkräfte der ver- bündeten Staaten überzeugen sollten,**) und noch im Herbste 1841 wurde die erste Bundesinspection ins Werk gesetzt.
Also doch endlich ein bescheidener Fortschritt, denn bisher waren nur die lächerlichen Truppen der Reserve-Infanteriedivision von Bundes- wegen gemustert worden. Der Beschluß kam unter schweren Kämpfen zu Stande; manche der wohl durchdachten Vorschläge des Obersten Radowitz, der jetzt seinen Sitz in der Bundesmilitärcommission wieder eigenommen hatte, mußten geopfert werden. Oesterreich zeigte eine wohlbegreifliche Scheu, sein aus so verschiedenen Völkerschaften gemischtes Heer dem Ur- theile von Ausländern zu unterwerfen. Die Mecklenburgischen Höfe hatten ihren Bundesgesandten Schack bereits angewiesen gegen die Bundes- inspection förmliche Verwahrung einzulegen, und gaben erst nach, als König Friedrich Wilhelm seine Verwandten in Strelitz persönlich besucht hatte. Ihre trotz der Bundesgesetze gänzlich verwahrlosten Reserven wollten die Kleinstaaten schlechterdings nicht mustern lassen; Mecklenburg erklärte entrüstet: "die jährliche Einberufung der Reserve wäre eine wahre Landes- calamität."***) Auch eine Bestimmung über die Dauer der jährlichen Uebungszeit ließ sich nicht durchsetzen. "Specielle Zeitbestimmungen, meinte Württemberg, würden hier nichts nützen sondern schaden," da Alles auf
*) Maltzan's Berichte, Jan. 1841.
**) Sydow's Bericht, 24. Juni 1841.
***) Sydow's Berichte, 13. Mai, 4. Juni 1841.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 7
Einführung der Bundesinſpectionen.
Dem alten Könige war kurz vor ſeinem Tode noch einmal recht deutlich geworden, was von der Opferwilligkeit ſeiner deutſchen Bundes- genoſſen zu erwarten ſei. Damals (1839) hatte er mit einem Aufwande von Millionen drei ſeiner Armeecorps auf Kriegsfuß geſetzt um den end- lichen Abſchluß des ſchmählichen Luxemburgiſchen Streites zu erzwingen, und bei dieſem Unternehmen, das doch allein der Sicherung des Bundes- gebietes galt, am Bunde keinerlei Unterſtützung, nicht einmal durch Worte gefunden. Jetzt mußte ſein Nachfolger, kaum auf den Thron geſtiegen, ſchon die gleiche Erfahrung machen. Er konnte ſich nicht mehr darüber täuſchen, daß die kleinen Höfe gern bereit waren ſich durch Preu- ßens ſtarken Arm aus der Noth retten zu laſſen, aber nicht im mindeſten beabſichtigten die ſchimpfliche Wehrloſigkeit, welche ein volles Drittel des tapferſten aller Völker darniederhielt, zu beſeitigen. Trotz Alledem hielt der neue König ſeine Bundesreformpläne feſt; an der Bildſamkeit dieſer treff- lichen Bundesverfaſſung wollte er nimmermehr verzweifeln. Am 6. Januar 1841 ſendete er an die Wiener Geſandtſchaft einen Erlaß, worin er beſtimmt ausſprach, er werde allein vorgehen falls Oeſterreich ſeine Mitwirkung ver- weigere.*) Dieſe Drohung wirkte für den Augenblick. Auf Preußens Andrängen beſchloß der Bundestag (29. Juni), daß fortan aller drei Jahre Bundesinſpectoren ſich von dem Zuſtande der Streitkräfte der ver- bündeten Staaten überzeugen ſollten,**) und noch im Herbſte 1841 wurde die erſte Bundesinſpection ins Werk geſetzt.
Alſo doch endlich ein beſcheidener Fortſchritt, denn bisher waren nur die lächerlichen Truppen der Reſerve-Infanteriediviſion von Bundes- wegen gemuſtert worden. Der Beſchluß kam unter ſchweren Kämpfen zu Stande; manche der wohl durchdachten Vorſchläge des Oberſten Radowitz, der jetzt ſeinen Sitz in der Bundesmilitärcommiſſion wieder eigenommen hatte, mußten geopfert werden. Oeſterreich zeigte eine wohlbegreifliche Scheu, ſein aus ſo verſchiedenen Völkerſchaften gemiſchtes Heer dem Ur- theile von Ausländern zu unterwerfen. Die Mecklenburgiſchen Höfe hatten ihren Bundesgeſandten Schack bereits angewieſen gegen die Bundes- inſpection förmliche Verwahrung einzulegen, und gaben erſt nach, als König Friedrich Wilhelm ſeine Verwandten in Strelitz perſönlich beſucht hatte. Ihre trotz der Bundesgeſetze gänzlich verwahrloſten Reſerven wollten die Kleinſtaaten ſchlechterdings nicht muſtern laſſen; Mecklenburg erklärte entrüſtet: „die jährliche Einberufung der Reſerve wäre eine wahre Landes- calamität.“***) Auch eine Beſtimmung über die Dauer der jährlichen Uebungszeit ließ ſich nicht durchſetzen. „Specielle Zeitbeſtimmungen, meinte Württemberg, würden hier nichts nützen ſondern ſchaden,“ da Alles auf
*) Maltzan’s Berichte, Jan. 1841.
**) Sydow’s Bericht, 24. Juni 1841.
***) Sydow’s Berichte, 13. Mai, 4. Juni 1841.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 7
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Dem alten Könige war kurz vor ſeinem Tode noch einmal recht
deutlich geworden, was von der Opferwilligkeit ſeiner deutſchen Bundes-
genoſſen zu erwarten ſei. Damals (1839) hatte er mit einem Aufwande
von Millionen drei ſeiner Armeecorps auf Kriegsfuß geſetzt um den end-
lichen Abſchluß des ſchmählichen Luxemburgiſchen Streites zu erzwingen,
und bei dieſem Unternehmen, das doch allein der Sicherung des Bundes-
gebietes galt, am Bunde keinerlei Unterſtützung, nicht einmal durch
Worte gefunden. Jetzt mußte ſein Nachfolger, kaum auf den Thron
geſtiegen, ſchon die gleiche Erfahrung machen. Er konnte ſich nicht mehr
darüber täuſchen, daß die kleinen Höfe gern bereit waren ſich durch Preu-
ßens ſtarken Arm aus der Noth retten zu laſſen, aber nicht im mindeſten
beabſichtigten die ſchimpfliche Wehrloſigkeit, welche ein volles Drittel des
tapferſten aller Völker darniederhielt, zu beſeitigen. Trotz Alledem hielt
der neue König ſeine Bundesreformpläne feſt; an der Bildſamkeit dieſer treff-
lichen Bundesverfaſſung wollte er nimmermehr verzweifeln. Am 6. Januar
1841 ſendete er an die Wiener Geſandtſchaft einen Erlaß, worin er beſtimmt
ausſprach, er werde allein vorgehen falls Oeſterreich ſeine Mitwirkung ver-
weigere. *) Dieſe Drohung wirkte für den Augenblick. Auf Preußens
Andrängen beſchloß der Bundestag (29. Juni), daß fortan aller drei
Jahre Bundesinſpectoren ſich von dem Zuſtande der Streitkräfte der ver-
bündeten Staaten überzeugen ſollten, **) und noch im Herbſte 1841 wurde
die erſte Bundesinſpection ins Werk geſetzt.
Alſo doch endlich ein beſcheidener Fortſchritt, denn bisher waren
nur die lächerlichen Truppen der Reſerve-Infanteriediviſion von Bundes-
wegen gemuſtert worden. Der Beſchluß kam unter ſchweren Kämpfen zu
Stande; manche der wohl durchdachten Vorſchläge des Oberſten Radowitz,
der jetzt ſeinen Sitz in der Bundesmilitärcommiſſion wieder eigenommen
hatte, mußten geopfert werden. Oeſterreich zeigte eine wohlbegreifliche
Scheu, ſein aus ſo verſchiedenen Völkerſchaften gemiſchtes Heer dem Ur-
theile von Ausländern zu unterwerfen. Die Mecklenburgiſchen Höfe
hatten ihren Bundesgeſandten Schack bereits angewieſen gegen die Bundes-
inſpection förmliche Verwahrung einzulegen, und gaben erſt nach, als König
Friedrich Wilhelm ſeine Verwandten in Strelitz perſönlich beſucht hatte.
Ihre trotz der Bundesgeſetze gänzlich verwahrloſten Reſerven wollten die
Kleinſtaaten ſchlechterdings nicht muſtern laſſen; Mecklenburg erklärte
entrüſtet: „die jährliche Einberufung der Reſerve wäre eine wahre Landes-
calamität.“ ***) Auch eine Beſtimmung über die Dauer der jährlichen
Uebungszeit ließ ſich nicht durchſetzen. „Specielle Zeitbeſtimmungen, meinte
Württemberg, würden hier nichts nützen ſondern ſchaden,“ da Alles auf
*) Maltzan’s Berichte, Jan. 1841.
**) Sydow’s Bericht, 24. Juni 1841.
***) Sydow’s Berichte, 13. Mai, 4. Juni 1841.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 7
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/111>, abgerufen am 23.11.2024.
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