Wien aus eingeleitete langwierige Verhandlung wegen gleichzeitiger Ab- rüstung aller Mächte führte zwar nicht zum Ziele, da solche Vorschläge an dem natürlichen Selbstgefühle souveräner Staaten nothwendig scheitern müssen; immerhin bewies sie, daß die Spannung etwas nachließ.*) Völlig ehrenhaft und zuverlässig verfuhr das französische Cabinet auch unter Casimir Perier's Leitung nicht, da Talleyrand in London, hinter dem Rücken des Ministers doch schwerlich ohne Vorwissen Ludwig Philipp's, auf eigene Faust Politik trieb und in geheimnißvollen Andeutungen die Theilung Belgiens empfahl.
Nachdem die Trennung des niederländischen Gesammtstaates entschie- den war, lag es in Preußens Interesse, die neue Ordnung der Dinge rück- haltlos anzuerkennen, den Belgiern rasch zu einem Oberhaupte zu ver- helfen und also dem preußischen Staate den entscheidenden Einfluß in Brüssel zu sichern. Jedoch zu einer so kühnen Schwenkung, wie sie Lord Palmerston leichten Herzens vollzogen hatte, konnte sich König Friedrich Wilhelm in seiner gewissenhaften Bedachtsamkeit nicht entschließen. Er wollte weder das legitime Recht der oranischen Verwandten kurzerhand bekämpfen, noch mit dem Brüsseler Congresse, der seine französischen Nei- gungen so unverhohlen bekundet hatte, in Verkehr treten, und am aller- wenigsten den Bund der Ostmächte auflockern, dessen Preußen jetzt mehr denn je bedurfte. Czar Nikolaus hoffte, trotz Allem was mit seiner eigenen Zustimmung geschehen war, noch immer auf die Wiederherstellung der oranischen Herrschaft, und Metternich wagte nicht dem Gefürchteten offen zu widersprechen. So geriethen die Ostmächte allesammt in eine schiefe Stellung; sie überließen den Westmächten die Vorhand in dem nieder- ländischen Spiele und begnügten sich, widerwillig, schmollend hinzunehmen was nicht mehr zu ändern war. Während Palmerston mit van de Weyer sich immer enger befreundete, der Bürgerkönig durch seine Agenten den Brüsseler Congreß bearbeiten ließ, wurde in Berlin der Bevollmächtigte der belgischen Regierung, Baron Behr, durch den Bureaudirector des Auswärtigen Amts kurzweg abgewiesen, weil zwischen Preußen und Bel- gien keine Beziehungen beständen, außer denen, welche die Londoner Conferenz erst herzustellen suche.**)
Nach der vergeblichen Königswahl vom Februar versuchte Ludwig Philipp unter der Hand, seinem Neffen, dem blutjungen Prinzen Karl von Neapel, die belgische Krone zu verschaffen, stand aber sogleich davon ab als er den Unwillen der Ostmächte bemerkte.***) Inzwischen übernahm der Baron Surlet de Chokier die Regentschaft, ein alter Clericaler, der seit Jahren mit den Oraniern verfeindet, sich doch zu der belgischen Er- hebung kein Herz fassen wollte; er hatte in seiner Jugend die brabantische
*) Alopeus an Ancillon, 2. Mai; Antwort 26. Mai 1831 u. s. w.
**) Bureau-Director Zahn an Baron Behr, 23. April 1831.
***) Alopeus an Ancillon, 8. März 1831.
C. Perier.
Wien aus eingeleitete langwierige Verhandlung wegen gleichzeitiger Ab- rüſtung aller Mächte führte zwar nicht zum Ziele, da ſolche Vorſchläge an dem natürlichen Selbſtgefühle ſouveräner Staaten nothwendig ſcheitern müſſen; immerhin bewies ſie, daß die Spannung etwas nachließ.*) Völlig ehrenhaft und zuverläſſig verfuhr das franzöſiſche Cabinet auch unter Caſimir Perier’s Leitung nicht, da Talleyrand in London, hinter dem Rücken des Miniſters doch ſchwerlich ohne Vorwiſſen Ludwig Philipp’s, auf eigene Fauſt Politik trieb und in geheimnißvollen Andeutungen die Theilung Belgiens empfahl.
Nachdem die Trennung des niederländiſchen Geſammtſtaates entſchie- den war, lag es in Preußens Intereſſe, die neue Ordnung der Dinge rück- haltlos anzuerkennen, den Belgiern raſch zu einem Oberhaupte zu ver- helfen und alſo dem preußiſchen Staate den entſcheidenden Einfluß in Brüſſel zu ſichern. Jedoch zu einer ſo kühnen Schwenkung, wie ſie Lord Palmerſton leichten Herzens vollzogen hatte, konnte ſich König Friedrich Wilhelm in ſeiner gewiſſenhaften Bedachtſamkeit nicht entſchließen. Er wollte weder das legitime Recht der oraniſchen Verwandten kurzerhand bekämpfen, noch mit dem Brüſſeler Congreſſe, der ſeine franzöſiſchen Nei- gungen ſo unverhohlen bekundet hatte, in Verkehr treten, und am aller- wenigſten den Bund der Oſtmächte auflockern, deſſen Preußen jetzt mehr denn je bedurfte. Czar Nikolaus hoffte, trotz Allem was mit ſeiner eigenen Zuſtimmung geſchehen war, noch immer auf die Wiederherſtellung der oraniſchen Herrſchaft, und Metternich wagte nicht dem Gefürchteten offen zu widerſprechen. So geriethen die Oſtmächte alleſammt in eine ſchiefe Stellung; ſie überließen den Weſtmächten die Vorhand in dem nieder- ländiſchen Spiele und begnügten ſich, widerwillig, ſchmollend hinzunehmen was nicht mehr zu ändern war. Während Palmerſton mit van de Weyer ſich immer enger befreundete, der Bürgerkönig durch ſeine Agenten den Brüſſeler Congreß bearbeiten ließ, wurde in Berlin der Bevollmächtigte der belgiſchen Regierung, Baron Behr, durch den Bureaudirector des Auswärtigen Amts kurzweg abgewieſen, weil zwiſchen Preußen und Bel- gien keine Beziehungen beſtänden, außer denen, welche die Londoner Conferenz erſt herzuſtellen ſuche.**)
Nach der vergeblichen Königswahl vom Februar verſuchte Ludwig Philipp unter der Hand, ſeinem Neffen, dem blutjungen Prinzen Karl von Neapel, die belgiſche Krone zu verſchaffen, ſtand aber ſogleich davon ab als er den Unwillen der Oſtmächte bemerkte.***) Inzwiſchen übernahm der Baron Surlet de Chokier die Regentſchaft, ein alter Clericaler, der ſeit Jahren mit den Oraniern verfeindet, ſich doch zu der belgiſchen Er- hebung kein Herz faſſen wollte; er hatte in ſeiner Jugend die brabantiſche
*) Alopeus an Ancillon, 2. Mai; Antwort 26. Mai 1831 u. ſ. w.
**) Bureau-Director Zahn an Baron Behr, 23. April 1831.
***) Alopeus an Ancillon, 8. März 1831.
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C. Perier.
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an dem natürlichen Selbſtgefühle ſouveräner Staaten nothwendig ſcheitern
müſſen; immerhin bewies ſie, daß die Spannung etwas nachließ. *)
Völlig ehrenhaft und zuverläſſig verfuhr das franzöſiſche Cabinet auch
unter Caſimir Perier’s Leitung nicht, da Talleyrand in London, hinter
dem Rücken des Miniſters doch ſchwerlich ohne Vorwiſſen Ludwig Philipp’s,
auf eigene Fauſt Politik trieb und in geheimnißvollen Andeutungen
die Theilung Belgiens empfahl.
Nachdem die Trennung des niederländiſchen Geſammtſtaates entſchie-
den war, lag es in Preußens Intereſſe, die neue Ordnung der Dinge rück-
haltlos anzuerkennen, den Belgiern raſch zu einem Oberhaupte zu ver-
helfen und alſo dem preußiſchen Staate den entſcheidenden Einfluß in
Brüſſel zu ſichern. Jedoch zu einer ſo kühnen Schwenkung, wie ſie Lord
Palmerſton leichten Herzens vollzogen hatte, konnte ſich König Friedrich
Wilhelm in ſeiner gewiſſenhaften Bedachtſamkeit nicht entſchließen. Er
wollte weder das legitime Recht der oraniſchen Verwandten kurzerhand
bekämpfen, noch mit dem Brüſſeler Congreſſe, der ſeine franzöſiſchen Nei-
gungen ſo unverhohlen bekundet hatte, in Verkehr treten, und am aller-
wenigſten den Bund der Oſtmächte auflockern, deſſen Preußen jetzt mehr
denn je bedurfte. Czar Nikolaus hoffte, trotz Allem was mit ſeiner eigenen
Zuſtimmung geſchehen war, noch immer auf die Wiederherſtellung der
oraniſchen Herrſchaft, und Metternich wagte nicht dem Gefürchteten offen
zu widerſprechen. So geriethen die Oſtmächte alleſammt in eine ſchiefe
Stellung; ſie überließen den Weſtmächten die Vorhand in dem nieder-
ländiſchen Spiele und begnügten ſich, widerwillig, ſchmollend hinzunehmen
was nicht mehr zu ändern war. Während Palmerſton mit van de Weyer
ſich immer enger befreundete, der Bürgerkönig durch ſeine Agenten den
Brüſſeler Congreß bearbeiten ließ, wurde in Berlin der Bevollmächtigte
der belgiſchen Regierung, Baron Behr, durch den Bureaudirector des
Auswärtigen Amts kurzweg abgewieſen, weil zwiſchen Preußen und Bel-
gien keine Beziehungen beſtänden, außer denen, welche die Londoner
Conferenz erſt herzuſtellen ſuche. **)
Nach der vergeblichen Königswahl vom Februar verſuchte Ludwig
Philipp unter der Hand, ſeinem Neffen, dem blutjungen Prinzen Karl
von Neapel, die belgiſche Krone zu verſchaffen, ſtand aber ſogleich davon
ab als er den Unwillen der Oſtmächte bemerkte. ***) Inzwiſchen übernahm
der Baron Surlet de Chokier die Regentſchaft, ein alter Clericaler, der
ſeit Jahren mit den Oraniern verfeindet, ſich doch zu der belgiſchen Er-
hebung kein Herz faſſen wollte; er hatte in ſeiner Jugend die brabantiſche
*) Alopeus an Ancillon, 2. Mai; Antwort 26. Mai 1831 u. ſ. w.
**) Bureau-Director Zahn an Baron Behr, 23. April 1831.
***) Alopeus an Ancillon, 8. März 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/89>, abgerufen am 27.11.2024.
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