Bewachung der Grenzen im Osten und im Westen aufgeboten waren. Mit großer Offenheit ließ das Auswärtige Amt diese Vorsichtsmaßregeln dem Pariser Hofe mittheilen; selbst der Schein einer Herausforderung sollte vermieden werden.*)
Die Kriegsgefahr rückte noch näher, als der Brüsseler Congreß zur Königswahl für den neuen Staat schritt. Nachdem er schon im No- vember die Entthronung der Oranier ausgesprochen hatte, war er jetzt keineswegs gesonnen seinen Beschluß zurückzunehmen. Gesichert durch das Spiel und Gegenspiel der großen Mächte hielten die Belgier sich für unangreifbar. Auf dem Namen König Wilhelm's lastete seit der Be- schießung von Antwerpen ein furchtbarer Haß, und der ehrgeizige Prinz von Oranien hatte in jüngster Zeit eine so zweideutige Rolle zwischen den Parteien gespielt, daß sein eigener Vater ihm die belgische Krone kaum noch wünschte. Die Ostmächte begannen daher bereits an den Aussichten des Hauses Oranien zu verzweifeln. Bernstorff bekannte dies schon um Mitte Decembers; kaum vier Wochen später ließ Metternich in Petersburg die gleiche Meinung aussprechen und fügte betrübt hinzu: "was nicht Frank- reich und England mit Wärme unterstützen kann nicht durchgesetzt werden." Selbst Czar Nikolaus konnte sich der hoffnungslosen Stimmung seiner Bundesgenossen nicht ganz erwehren; er befahl seinen Bevollmächtigten in London, die belgische Krone für den Prinzen von Oranien zu fordern; würden sie jedoch überstimmt, dann behalte sich der Kaiser vor zu ent- scheiden, ob ihm ein anderer Thronbewerber ungefährlich erscheine.**)
Desto kecker schritt der belgische Congreß vorwärts. Obgleich seine Mehrheit die Einverleibung in Frankreich nicht wünschte, so meinte sie doch, daß ihr Land nur von den Franzosen Hilfe zu erwarten habe. Um sich diesen Beistand zu sichern und das Interesse des furchtsamen Bürgerkönigs für immer an Belgien anzuketten wollte man seinem zweiten Sohne, dem Herzog von Nemours, den neuen Thron anbieten. Welch eine Dreistig- keit revolutionärer Selbstüberhebung! Wie konnte man glauben, daß die großen Mächte diesem Orleans, der kürzlich erst demüthig um seine eigene Anerkennung gebettelt hatte, jemals gestatten würden sich noch eine zweite Krone für sein Haus zu erschleichen? Und welch ein Hohn auf die so- eben beschlossene, von den Belgiern selbst freudig begrüßte Neutralität des neuen Staates, wenn man hier eine französische Nebenkrone gründete! Ludwig Philipp erkannte auch sofort, daß seine übermüthigen belgischen Freunde gradeswegs auf einen allgemeinen Krieg lossteuerten, und ließ in Brüssel wie in London erklären, an die Annahme dieser Krone sei nicht zu denken. Doch mittlerweile tauchte ein neuer Throncandidat auf, der
*) Protokoll der Conferenz von Bernstorff, Gneisenau u. A. 7. Febr. Cabinets- ordre an Prinz Wilhelm d. Aelt. 16. Febr. 1831.
**) Bernstorff, Weisung an Bülow, 17. December 1830. Metternich an Ficquel- mont, 10. Januar. Weisung an Lieven, 19. Januar (a. St.) 1831.
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Bewachung der Grenzen im Oſten und im Weſten aufgeboten waren. Mit großer Offenheit ließ das Auswärtige Amt dieſe Vorſichtsmaßregeln dem Pariſer Hofe mittheilen; ſelbſt der Schein einer Herausforderung ſollte vermieden werden.*)
Die Kriegsgefahr rückte noch näher, als der Brüſſeler Congreß zur Königswahl für den neuen Staat ſchritt. Nachdem er ſchon im No- vember die Entthronung der Oranier ausgeſprochen hatte, war er jetzt keineswegs geſonnen ſeinen Beſchluß zurückzunehmen. Geſichert durch das Spiel und Gegenſpiel der großen Mächte hielten die Belgier ſich für unangreifbar. Auf dem Namen König Wilhelm’s laſtete ſeit der Be- ſchießung von Antwerpen ein furchtbarer Haß, und der ehrgeizige Prinz von Oranien hatte in jüngſter Zeit eine ſo zweideutige Rolle zwiſchen den Parteien geſpielt, daß ſein eigener Vater ihm die belgiſche Krone kaum noch wünſchte. Die Oſtmächte begannen daher bereits an den Ausſichten des Hauſes Oranien zu verzweifeln. Bernſtorff bekannte dies ſchon um Mitte Decembers; kaum vier Wochen ſpäter ließ Metternich in Petersburg die gleiche Meinung ausſprechen und fügte betrübt hinzu: „was nicht Frank- reich und England mit Wärme unterſtützen kann nicht durchgeſetzt werden.“ Selbſt Czar Nikolaus konnte ſich der hoffnungsloſen Stimmung ſeiner Bundesgenoſſen nicht ganz erwehren; er befahl ſeinen Bevollmächtigten in London, die belgiſche Krone für den Prinzen von Oranien zu fordern; würden ſie jedoch überſtimmt, dann behalte ſich der Kaiſer vor zu ent- ſcheiden, ob ihm ein anderer Thronbewerber ungefährlich erſcheine.**)
Deſto kecker ſchritt der belgiſche Congreß vorwärts. Obgleich ſeine Mehrheit die Einverleibung in Frankreich nicht wünſchte, ſo meinte ſie doch, daß ihr Land nur von den Franzoſen Hilfe zu erwarten habe. Um ſich dieſen Beiſtand zu ſichern und das Intereſſe des furchtſamen Bürgerkönigs für immer an Belgien anzuketten wollte man ſeinem zweiten Sohne, dem Herzog von Nemours, den neuen Thron anbieten. Welch eine Dreiſtig- keit revolutionärer Selbſtüberhebung! Wie konnte man glauben, daß die großen Mächte dieſem Orleans, der kürzlich erſt demüthig um ſeine eigene Anerkennung gebettelt hatte, jemals geſtatten würden ſich noch eine zweite Krone für ſein Haus zu erſchleichen? Und welch ein Hohn auf die ſo- eben beſchloſſene, von den Belgiern ſelbſt freudig begrüßte Neutralität des neuen Staates, wenn man hier eine franzöſiſche Nebenkrone gründete! Ludwig Philipp erkannte auch ſofort, daß ſeine übermüthigen belgiſchen Freunde gradeswegs auf einen allgemeinen Krieg losſteuerten, und ließ in Brüſſel wie in London erklären, an die Annahme dieſer Krone ſei nicht zu denken. Doch mittlerweile tauchte ein neuer Throncandidat auf, der
*) Protokoll der Conferenz von Bernſtorff, Gneiſenau u. A. 7. Febr. Cabinets- ordre an Prinz Wilhelm d. Aelt. 16. Febr. 1831.
**) Bernſtorff, Weiſung an Bülow, 17. December 1830. Metternich an Ficquel- mont, 10. Januar. Weiſung an Lieven, 19. Januar (a. St.) 1831.
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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Bewachung der Grenzen im Oſten und im Weſten aufgeboten waren.
Mit großer Offenheit ließ das Auswärtige Amt dieſe Vorſichtsmaßregeln
dem Pariſer Hofe mittheilen; ſelbſt der Schein einer Herausforderung
ſollte vermieden werden. *)
Die Kriegsgefahr rückte noch näher, als der Brüſſeler Congreß zur
Königswahl für den neuen Staat ſchritt. Nachdem er ſchon im No-
vember die Entthronung der Oranier ausgeſprochen hatte, war er jetzt
keineswegs geſonnen ſeinen Beſchluß zurückzunehmen. Geſichert durch
das Spiel und Gegenſpiel der großen Mächte hielten die Belgier ſich
für unangreifbar. Auf dem Namen König Wilhelm’s laſtete ſeit der Be-
ſchießung von Antwerpen ein furchtbarer Haß, und der ehrgeizige Prinz von
Oranien hatte in jüngſter Zeit eine ſo zweideutige Rolle zwiſchen den
Parteien geſpielt, daß ſein eigener Vater ihm die belgiſche Krone kaum noch
wünſchte. Die Oſtmächte begannen daher bereits an den Ausſichten des
Hauſes Oranien zu verzweifeln. Bernſtorff bekannte dies ſchon um Mitte
Decembers; kaum vier Wochen ſpäter ließ Metternich in Petersburg die
gleiche Meinung ausſprechen und fügte betrübt hinzu: „was nicht Frank-
reich und England mit Wärme unterſtützen kann nicht durchgeſetzt werden.“
Selbſt Czar Nikolaus konnte ſich der hoffnungsloſen Stimmung ſeiner
Bundesgenoſſen nicht ganz erwehren; er befahl ſeinen Bevollmächtigten
in London, die belgiſche Krone für den Prinzen von Oranien zu fordern;
würden ſie jedoch überſtimmt, dann behalte ſich der Kaiſer vor zu ent-
ſcheiden, ob ihm ein anderer Thronbewerber ungefährlich erſcheine. **)
Deſto kecker ſchritt der belgiſche Congreß vorwärts. Obgleich ſeine
Mehrheit die Einverleibung in Frankreich nicht wünſchte, ſo meinte ſie doch,
daß ihr Land nur von den Franzoſen Hilfe zu erwarten habe. Um ſich dieſen
Beiſtand zu ſichern und das Intereſſe des furchtſamen Bürgerkönigs für
immer an Belgien anzuketten wollte man ſeinem zweiten Sohne, dem
Herzog von Nemours, den neuen Thron anbieten. Welch eine Dreiſtig-
keit revolutionärer Selbſtüberhebung! Wie konnte man glauben, daß die
großen Mächte dieſem Orleans, der kürzlich erſt demüthig um ſeine eigene
Anerkennung gebettelt hatte, jemals geſtatten würden ſich noch eine zweite
Krone für ſein Haus zu erſchleichen? Und welch ein Hohn auf die ſo-
eben beſchloſſene, von den Belgiern ſelbſt freudig begrüßte Neutralität des
neuen Staates, wenn man hier eine franzöſiſche Nebenkrone gründete!
Ludwig Philipp erkannte auch ſofort, daß ſeine übermüthigen belgiſchen
Freunde gradeswegs auf einen allgemeinen Krieg losſteuerten, und ließ in
Brüſſel wie in London erklären, an die Annahme dieſer Krone ſei nicht
zu denken. Doch mittlerweile tauchte ein neuer Throncandidat auf, der
*) Protokoll der Conferenz von Bernſtorff, Gneiſenau u. A. 7. Febr. Cabinets-
ordre an Prinz Wilhelm d. Aelt. 16. Febr. 1831.
**) Bernſtorff, Weiſung an Bülow, 17. December 1830. Metternich an Ficquel-
mont, 10. Januar. Weiſung an Lieven, 19. Januar (a. St.) 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/86>, abgerufen am 27.11.2024.
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