Russen; Casimir de la Vigne schilderte rührsam den weißen Adler, wie er hoffend auf Frankreichs Regenbogen blickte, und als dieser Regenbogen dem Adler nicht half, sang Barthelemy wüthend: Cachons-nous, cachons- nous! Nous sommes des infames! Solchen Freunden wollte der Bürger- könig das gebrechliche Schifflein der Orleans nicht anvertrauen. Um die maßlos erregte öffentliche Meinung etwas zu beschwichtigen, ließ er nur bei den großen Höfen behutsam anfragen, ob vielleicht eine gemein- same Vermittlung der Mächte möglich sei; doch in Berlin wie in Wien ward das Anerbieten rundweg abgelehnt.*)
Desgleichen in London. Den Griechen hatte Canning einst unbe- denklich Beistand geleistet, weil der englische Handel im ägeischen Meere durch den hellenischen Krieg zu Grunde gerichtet wurde. Sein Schüler Palmerston handelte nur im Geiste des Meisters, als er den Polen jede Hilfe abschlug; denn ein Zerwürfniß mit Rußland war der Untergang des einträglichen Ostseehandels. Der Lord empfing daher den Abgesandten der Warschauer Regierung, den geistreichen jungen Marquis Wielopolski sehr kühl und redete würdevoll von der Heiligkeit der europäischen Ver- träge, die er doch selber in dem belgischen Streite leichtherzig preisge- geben hatte. Er ward sogar durch die polnischen Wirren näher an die Ostmächte herangedrängt und ließ nach Paris sehr nachdrückliche War- nungen ergehen. Mißtrauisch wie er gegen alle Ausländer war, be- fürchtete er immer, Ludwig Philipp könne durch die Schmeicheleien der polnischen Agenten, durch die Brandreden der radicalen Propaganda doch noch in einen Krieg hineingerissen werden, der die Interessen der britischen Handelspolitik schädigte. Und wie nahe lag doch die Gefahr, daß die unglücklichen Iren, die von ihren fremden Zwingherren unvergleichlich härter mißhandelt wurden als die Polen, dann auch die Hilfe des frei- heitspendenden Frankreichs anriefen! Nur in der Stille und ohne jeden Erfolg bekundete er den deutschen Mächten zuweilen seinen Unmuth über die allzu harte Behandlung der Polen.**) --
Um die Verwirrung der europäischen Lage zu vollenden, brach end- lich im Februar 1831 auch in Italien der längst erwartete Aufruhr aus. Nirgends zeigte sich die unberechenbare, zwischen Furcht und Begehrlichkeit schwankende Politik der Orleans so gewissenlos; sie führte hier den alten, durch Frankreichs Ueberlieferungen gebotenen Kampf gegen Oesterreichs Herrschaft mit schlechten demagogischen Waffen fort und reizte die unglück- lichen Italiener zu thörichten Aufständen, die sie doch nicht ernstlich zu unterstützen wagte. Da wurden zuerst die nach Frankreich geflüchteten piemontesischen Unzufriedenen durch die französischen Behörden dermaßen begünstigt und aufgestachelt, daß der geängstigte Turiner Hof ein Schutz-
*) Maltzahn's Bericht, 23. März 1831.
**) Maltzahn's Berichte 30. März, 3. Juli 1831.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 5
Revolution in Italien.
Ruſſen; Caſimir de la Vigne ſchilderte rührſam den weißen Adler, wie er hoffend auf Frankreichs Regenbogen blickte, und als dieſer Regenbogen dem Adler nicht half, ſang Barthelemy wüthend: Cachons-nous, cachons- nous! Nous sommes des infâmes! Solchen Freunden wollte der Bürger- könig das gebrechliche Schifflein der Orleans nicht anvertrauen. Um die maßlos erregte öffentliche Meinung etwas zu beſchwichtigen, ließ er nur bei den großen Höfen behutſam anfragen, ob vielleicht eine gemein- ſame Vermittlung der Mächte möglich ſei; doch in Berlin wie in Wien ward das Anerbieten rundweg abgelehnt.*)
Desgleichen in London. Den Griechen hatte Canning einſt unbe- denklich Beiſtand geleiſtet, weil der engliſche Handel im ägeiſchen Meere durch den helleniſchen Krieg zu Grunde gerichtet wurde. Sein Schüler Palmerſton handelte nur im Geiſte des Meiſters, als er den Polen jede Hilfe abſchlug; denn ein Zerwürfniß mit Rußland war der Untergang des einträglichen Oſtſeehandels. Der Lord empfing daher den Abgeſandten der Warſchauer Regierung, den geiſtreichen jungen Marquis Wielopolski ſehr kühl und redete würdevoll von der Heiligkeit der europäiſchen Ver- träge, die er doch ſelber in dem belgiſchen Streite leichtherzig preisge- geben hatte. Er ward ſogar durch die polniſchen Wirren näher an die Oſtmächte herangedrängt und ließ nach Paris ſehr nachdrückliche War- nungen ergehen. Mißtrauiſch wie er gegen alle Ausländer war, be- fürchtete er immer, Ludwig Philipp könne durch die Schmeicheleien der polniſchen Agenten, durch die Brandreden der radicalen Propaganda doch noch in einen Krieg hineingeriſſen werden, der die Intereſſen der britiſchen Handelspolitik ſchädigte. Und wie nahe lag doch die Gefahr, daß die unglücklichen Iren, die von ihren fremden Zwingherren unvergleichlich härter mißhandelt wurden als die Polen, dann auch die Hilfe des frei- heitſpendenden Frankreichs anriefen! Nur in der Stille und ohne jeden Erfolg bekundete er den deutſchen Mächten zuweilen ſeinen Unmuth über die allzu harte Behandlung der Polen.**) —
Um die Verwirrung der europäiſchen Lage zu vollenden, brach end- lich im Februar 1831 auch in Italien der längſt erwartete Aufruhr aus. Nirgends zeigte ſich die unberechenbare, zwiſchen Furcht und Begehrlichkeit ſchwankende Politik der Orleans ſo gewiſſenlos; ſie führte hier den alten, durch Frankreichs Ueberlieferungen gebotenen Kampf gegen Oeſterreichs Herrſchaft mit ſchlechten demagogiſchen Waffen fort und reizte die unglück- lichen Italiener zu thörichten Aufſtänden, die ſie doch nicht ernſtlich zu unterſtützen wagte. Da wurden zuerſt die nach Frankreich geflüchteten piemonteſiſchen Unzufriedenen durch die franzöſiſchen Behörden dermaßen begünſtigt und aufgeſtachelt, daß der geängſtigte Turiner Hof ein Schutz-
*) Maltzahn’s Bericht, 23. März 1831.
**) Maltzahn’s Berichte 30. März, 3. Juli 1831.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 5
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[65/0079]
Revolution in Italien.
Ruſſen; Caſimir de la Vigne ſchilderte rührſam den weißen Adler, wie
er hoffend auf Frankreichs Regenbogen blickte, und als dieſer Regenbogen
dem Adler nicht half, ſang Barthelemy wüthend: Cachons-nous, cachons-
nous! Nous sommes des infâmes! Solchen Freunden wollte der Bürger-
könig das gebrechliche Schifflein der Orleans nicht anvertrauen. Um die
maßlos erregte öffentliche Meinung etwas zu beſchwichtigen, ließ er nur
bei den großen Höfen behutſam anfragen, ob vielleicht eine gemein-
ſame Vermittlung der Mächte möglich ſei; doch in Berlin wie in Wien
ward das Anerbieten rundweg abgelehnt. *)
Desgleichen in London. Den Griechen hatte Canning einſt unbe-
denklich Beiſtand geleiſtet, weil der engliſche Handel im ägeiſchen Meere
durch den helleniſchen Krieg zu Grunde gerichtet wurde. Sein Schüler
Palmerſton handelte nur im Geiſte des Meiſters, als er den Polen jede
Hilfe abſchlug; denn ein Zerwürfniß mit Rußland war der Untergang
des einträglichen Oſtſeehandels. Der Lord empfing daher den Abgeſandten
der Warſchauer Regierung, den geiſtreichen jungen Marquis Wielopolski
ſehr kühl und redete würdevoll von der Heiligkeit der europäiſchen Ver-
träge, die er doch ſelber in dem belgiſchen Streite leichtherzig preisge-
geben hatte. Er ward ſogar durch die polniſchen Wirren näher an die
Oſtmächte herangedrängt und ließ nach Paris ſehr nachdrückliche War-
nungen ergehen. Mißtrauiſch wie er gegen alle Ausländer war, be-
fürchtete er immer, Ludwig Philipp könne durch die Schmeicheleien der
polniſchen Agenten, durch die Brandreden der radicalen Propaganda doch
noch in einen Krieg hineingeriſſen werden, der die Intereſſen der britiſchen
Handelspolitik ſchädigte. Und wie nahe lag doch die Gefahr, daß die
unglücklichen Iren, die von ihren fremden Zwingherren unvergleichlich
härter mißhandelt wurden als die Polen, dann auch die Hilfe des frei-
heitſpendenden Frankreichs anriefen! Nur in der Stille und ohne jeden
Erfolg bekundete er den deutſchen Mächten zuweilen ſeinen Unmuth über
die allzu harte Behandlung der Polen. **) —
Um die Verwirrung der europäiſchen Lage zu vollenden, brach end-
lich im Februar 1831 auch in Italien der längſt erwartete Aufruhr aus.
Nirgends zeigte ſich die unberechenbare, zwiſchen Furcht und Begehrlichkeit
ſchwankende Politik der Orleans ſo gewiſſenlos; ſie führte hier den alten,
durch Frankreichs Ueberlieferungen gebotenen Kampf gegen Oeſterreichs
Herrſchaft mit ſchlechten demagogiſchen Waffen fort und reizte die unglück-
lichen Italiener zu thörichten Aufſtänden, die ſie doch nicht ernſtlich zu
unterſtützen wagte. Da wurden zuerſt die nach Frankreich geflüchteten
piemonteſiſchen Unzufriedenen durch die franzöſiſchen Behörden dermaßen
begünſtigt und aufgeſtachelt, daß der geängſtigte Turiner Hof ein Schutz-
*) Maltzahn’s Bericht, 23. März 1831.
**) Maltzahn’s Berichte 30. März, 3. Juli 1831.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 5
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/79>, abgerufen am 27.11.2024.
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