räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören gab ich natürlich immer an, ich sei nach Frankfurt gekommen auf der Reise ins Nassauische, und da von dort und von Haus dasselbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe daran, mich frei zu lassen. --
Anfang Mai wurde Rottenstein aus der Haft entlassen; die Correspondenz speciell mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei mal wöchentlich zum Rasiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obschon zwei Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum standen und aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpseln in den beiden Bierflaschen, die mir von Frankfurter Wohlthätern täglich zugeschickt wurden, immer Briefchen spedirt wurden. Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die Stöpsel der Bierflaschen fahnde, und ich meldete hinaus, man solle diesen Beförderungs- Modus unterlassen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter Flaschen die Zettel stecken und darüber eine Schicht schwarzen Pechs decken. So geschah es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correspondirt, da wurde plötzlich ver- boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeschickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein Stöpsel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts gesteckt war, das ich ge- schrieben haben sollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaschen mit den Zettel- chen im Boden auf das Verhöramt bringen lassen und befördert, ohne etwas zu finden. Rottenstein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelassen, in dessen hinterer seitlicher Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleistift mit etwas Papier versteckt hatte, das ich derart immer bei den verschiedenen Versetzungen in andere Gefängnisse wieder erhielt. -- Einmal wurde ein Kirschkuchen für mich ins Gefängniß geschickt, in den eine Uhrfedersäge eingebacken war. Der schlaue Gefangenwärter hatte Verdacht, durchschnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache und erfuhr erst später davon. --
Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten Fluchtversuche heißt es dann weiter:
... Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßstabe in Angriff genommen. Es sollten alle gegen die Zeil und theilweise die Fahrgasse Inhaf- tirten zugleich ausbrechen. Es waren unserer acht (zwischen je zwei war immer eine von uns nicht besetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unseren Freunden draußen Uhrfeder- Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder seinen Bedarf holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen sämmtliche Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fensterkastens angebracht. Als alles vor- bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr festgesetzt. Wegen baulichen Veränderungen wurden wir zu dieser Zeit nur von 6--7 Uhr ein Jeder je eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geschah jeweils nach der Reihe und ungeschickter Weise kam die Tour an diesem Abend gerade an uns. Da klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genossen, sie sollten in den Hof geführt werden, könnten aber absolut nicht, da sie sonst mit ihrer Arbeit nicht fertig würden. Da es nun aufs Höchste verdächtig hätte werden müssen, wenn wir alle heute nicht spazieren gehen wollten, worauf sich sonst ein Jeder so sehr gefreut, und da ich so ziem- lich fertig war, so sagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich komme. Ich opferte mich für sie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück- kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerst die Gitter vollends durch, dann kam ich bei stockfinsterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablassen wollte; ich verwendete dazu das in Riemen gerissene Betttuch und einige Halstücher und Sack- tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir sitzende Erlanger, Pfretschner, er
XXII. Das Frankfurter Attentat.
räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören gab ich natürlich immer an, ich ſei nach Frankfurt gekommen auf der Reiſe ins Naſſauiſche, und da von dort und von Haus daſſelbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe daran, mich frei zu laſſen. —
Anfang Mai wurde Rottenſtein aus der Haft entlaſſen; die Correſpondenz ſpeciell mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei mal wöchentlich zum Raſiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obſchon zwei Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum ſtanden und aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpſeln in den beiden Bierflaſchen, die mir von Frankfurter Wohlthätern täglich zugeſchickt wurden, immer Briefchen ſpedirt wurden. Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die Stöpſel der Bierflaſchen fahnde, und ich meldete hinaus, man ſolle dieſen Beförderungs- Modus unterlaſſen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter Flaſchen die Zettel ſtecken und darüber eine Schicht ſchwarzen Pechs decken. So geſchah es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correſpondirt, da wurde plötzlich ver- boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeſchickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein Stöpſel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts geſteckt war, das ich ge- ſchrieben haben ſollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaſchen mit den Zettel- chen im Boden auf das Verhöramt bringen laſſen und befördert, ohne etwas zu finden. Rottenſtein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelaſſen, in deſſen hinterer ſeitlicher Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleiſtift mit etwas Papier verſteckt hatte, das ich derart immer bei den verſchiedenen Verſetzungen in andere Gefängniſſe wieder erhielt. — Einmal wurde ein Kirſchkuchen für mich ins Gefängniß geſchickt, in den eine Uhrfederſäge eingebacken war. Der ſchlaue Gefangenwärter hatte Verdacht, durchſchnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache und erfuhr erſt ſpäter davon. —
Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten Fluchtverſuche heißt es dann weiter:
… Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßſtabe in Angriff genommen. Es ſollten alle gegen die Zeil und theilweiſe die Fahrgaſſe Inhaf- tirten zugleich ausbrechen. Es waren unſerer acht (zwiſchen je zwei war immer eine von uns nicht beſetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unſeren Freunden draußen Uhrfeder- Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder ſeinen Bedarf holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen ſämmtliche Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fenſterkaſtens angebracht. Als alles vor- bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr feſtgeſetzt. Wegen baulichen Veränderungen wurden wir zu dieſer Zeit nur von 6—7 Uhr ein Jeder je eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geſchah jeweils nach der Reihe und ungeſchickter Weiſe kam die Tour an dieſem Abend gerade an uns. Da klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genoſſen, ſie ſollten in den Hof geführt werden, könnten aber abſolut nicht, da ſie ſonſt mit ihrer Arbeit nicht fertig würden. Da es nun aufs Höchſte verdächtig hätte werden müſſen, wenn wir alle heute nicht ſpazieren gehen wollten, worauf ſich ſonſt ein Jeder ſo ſehr gefreut, und da ich ſo ziem- lich fertig war, ſo ſagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich komme. Ich opferte mich für ſie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück- kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerſt die Gitter vollends durch, dann kam ich bei ſtockfinſterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablaſſen wollte; ich verwendete dazu das in Riemen geriſſene Betttuch und einige Halstücher und Sack- tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir ſitzende Erlanger, Pfretſchner, er
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XXII. Das Frankfurter Attentat.
räthern wurden, vergaß ich ganz meine eigene Lage. In den nun folgenden Verhören
gab ich natürlich immer an, ich ſei nach Frankfurt gekommen auf der Reiſe ins Naſſauiſche,
und da von dort und von Haus daſſelbe gerichtlich erhoben wurde, war man nahe
daran, mich frei zu laſſen. —
Anfang Mai wurde Rottenſtein aus der Haft entlaſſen; die Correſpondenz ſpeciell
mit Fräulein Stolze erlitt aber keine Unterbrechung, da der Barbier, der zwei bis drei
mal wöchentlich zum Raſiren kam, Zettelchen heraus und herein beförderte, obſchon zwei
Soldaten und zwei Wächter immer während der Operation um uns herum ſtanden und
aufpaßten, und da in den ausgehöhlten Stöpſeln in den beiden Bierflaſchen, die mir von
Frankfurter Wohlthätern täglich zugeſchickt wurden, immer Briefchen ſpedirt wurden.
Einmal glaubte ich am Benehmen des Gefangenwärters zu bemerken, daß er auf die
Stöpſel der Bierflaſchen fahnde, und ich meldete hinaus, man ſolle dieſen Beförderungs-
Modus unterlaſſen und in Zukunft in die untere Höhlung im Boden dazu geeigneter
Flaſchen die Zettel ſtecken und darüber eine Schicht ſchwarzen Pechs decken. So geſchah
es. Noch etwa vierzehn Tage lang wurde derart correſpondirt, da wurde plötzlich ver-
boten, ich dürfe kein Bier mehr zugeſchickt bekommen. Und im Verhör wurde mir ein
Stöpſel vorgelegt, in den ein Zettelchen unerheblichen Inhalts geſteckt war, das ich ge-
ſchrieben haben ſollte. Man hatte noch vierzehn Tage lang die Flaſchen mit den Zettel-
chen im Boden auf das Verhöramt bringen laſſen und befördert, ohne etwas zu finden.
Rottenſtein hatte mir einen kleinen Spiegel zurückgelaſſen, in deſſen hinterer ſeitlicher
Wand ein verborgener Behälter angebracht war, in dem ich einen Bleiſtift mit etwas
Papier verſteckt hatte, das ich derart immer bei den verſchiedenen Verſetzungen in andere
Gefängniſſe wieder erhielt. — Einmal wurde ein Kirſchkuchen für mich ins Gefängniß
geſchickt, in den eine Uhrfederſäge eingebacken war. Der ſchlaue Gefangenwärter hatte
Verdacht, durchſchnitt den Kuchen und fand die Säge. Ich wußte nichts von der Sache
und erfuhr erſt ſpäter davon. —
Nach einer längeren Schilderung des Kerkerlebens, der Verhöre, der wiederholten
Fluchtverſuche heißt es dann weiter:
… Gegen das Frühjahr 1834 wurde ein Befreiungsplan in großem Maßſtabe in
Angriff genommen. Es ſollten alle gegen die Zeil und theilweiſe die Fahrgaſſe Inhaf-
tirten zugleich ausbrechen. Es waren unſerer acht (zwiſchen je zwei war immer eine
von uns nicht beſetzte Zelle, um Communication zu verhindern). Im Hof war ein
neuer Abtritt gebaut und da fand ich unter dem Brillenbrett über der Mauer einen
Raum. In dies Geheimfach wurden nun von unſeren Freunden draußen Uhrfeder-
Sägen und die dazu nöthigen Monturen niedergelegt, wo dann ein Jeder ſeinen Bedarf
holen konnte. Und in der That gelang es allen acht in einigen Wochen ſämmtliche
Gitter zu durchfeilen, und zwar in jedem Gefängniß zwei, denn ein zweites, nicht leicht
zu erreichendes Gitter war noch innerhalb des Fenſterkaſtens angebracht. Als alles vor-
bereitet war, wurde die Ausführung auf den 2. Mai Abends zehn Uhr feſtgeſetzt. Wegen
baulichen Veränderungen wurden wir zu dieſer Zeit nur von 6—7 Uhr ein Jeder je
eine halbe Stunde zum Spazierengehen in den Hof geführt; das geſchah jeweils nach
der Reihe und ungeſchickter Weiſe kam die Tour an dieſem Abend gerade an uns. Da
klopften mir die drei vorne an mir inhaftirten Genoſſen, ſie ſollten in den Hof geführt
werden, könnten aber abſolut nicht, da ſie ſonſt mit ihrer Arbeit nicht fertig würden.
Da es nun aufs Höchſte verdächtig hätte werden müſſen, wenn wir alle heute nicht
ſpazieren gehen wollten, worauf ſich ſonſt ein Jeder ſo ſehr gefreut, und da ich ſo ziem-
lich fertig war, ſo ſagte ich den Andern, ich werde gehen, wenn dazu die Reihe an mich
komme. Ich opferte mich für ſie. Denn als ich um 7 Uhr in mein Gefängniß zurück-
kam, ward es bald dunkel; ich feilte jetzt zuerſt die Gitter vollends durch, dann kam ich
bei ſtockfinſterer Nacht an die Bereitung des Stricks, an dem ich mich hinablaſſen wollte;
ich verwendete dazu das in Riemen geriſſene Betttuch und einige Halstücher und Sack-
tücher. Gegen 9 Uhr klopfte mir der außen an mir ſitzende Erlanger, Pfretſchner, er
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/762>, abgerufen am 24.11.2024.
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