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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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XX. Preußen und das Bundeskriegswesen 1831.
v. Werner, der Vertraute Metternich's, und bat ihn, zu gestatten, daß ein österreichischer
Offizier nach Berlin käme, um zunächst eine Verständigung zwischen den beiden Groß-
mächten herbeizuführen. Peinlich überrascht, gab der König doch nach; eine solche Bitte
des alten Bundesgenossen ließ sich ohne Beleidigung kaum abschlagen, zumal da die
Kriegsgefahr im Augenblick nicht drohend war. Die süddeutschen Höfe wurden benach-
richtigt, und im September traf General Graf Clam in Berlin ein, um mit Bernstorff,
Krauseneck, Röder zu unterhandeln. Von Neuem begann der alte Streit: Zweitheilung
oder Dreitheilung des Bundesheeres? Die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle;
die Schuld lag, so weit ich sehen kann, wesentlich in der unausstehlichen Persönlichkeit
des k. k. Bevollmächtigten, der immer redselig, bald anmaßend, bald freundschaftlich zu-
dringlich, das Vertrauen der Preußen schlechterdings nicht zu gewinnen verstand und
den kranken, reizbaren Bernstorff schließlich so ganz zur Verzweiflung brachte, daß der
Minister im März 1832 sich von der Theilnahme an den Verhandlungen entbinden
ließ. Clam zählte, wie Prokesch von Osten, zu jenen diplomatischen Scheingrößen des
alten Oesterreichs, welche wohl in der Hofburg Bewunderung, unter deutschen Männern
nur Widerwillen erregen konnten. Da Krauseneck und Rühle mit dem Oesterreicher
nicht fertig wurden, so gab der König seinem kaiserlichen Freunde einen neuen Beweis
seiner Willfährigkeit und beauftragte den General Knesebeck, die Verhandlungen fortzu-
führen. Aber auch dieser treu ergebene Verehrer des Wiener Hofes konnte von Preußens
bescheidenen und sachlich wohlbegründeten Forderungen nur wenig nachlassen. Auch er
verlangte die Aufstellung von drei Heeren; nur sollte das mittlere Heer, bei Mainz, die
Hauptarmee bilden und zu gleichen Theilen aus Oesterreichern, Preußen und Kleinstaats-
Truppen bestehen. So hätte Oesterreich doch an zweien von den drei Heeren seinen
Antheil erhalten.

Diesem Vermittelungsvorschlage fügte sich Clam endlich, nachdem die Berathungen
den ganzen Winter hindurch gewährt hatten, und nunmehr wurden zwei süddeutsche
Generale auf den Mai 1832 zur Theilnahme eingeladen. Die Süddeutschen zeigten sich
aber zäher als Preußen selbst; sie bestanden auf der Annahme des ursprünglichen preu-
ßischen Planes, weil sie nicht für möglich hielten, daß Oesterreich die deutsche Mittelarmee
durch beträchtliche Truppenmassen verstärken könnte. Im Juni wurden auch Sachsen
und Hannover zugezogen; auch sie stimmten den Süddeutschen zu, und nun gab Oester-
reich gänzlich nach. Beim Abschluß der Verhandlungen, die sich bis zum December 1832
hinzogen, errang Preußen einen vollständigen Sieg. Seine Pläne wurden fast durchweg
angenommen. Drei Heere sollten gebildet werden, zwei aus Preußen und Bundestruppen
gemischte am Nieder- und Mittelrhein, ein österreichisches am Oberrhein. Das alles war
freilich nur eine Verabredung für einen möglichen Kriegsfall, der niemals eintrat, und
blieb so tief geheim, daß selbst der Bundesgesandte von Leonhardi in seiner halbamt-
lichen Geschichte der Bundeskriegsverfassung nichts darüber zu sagen wußte.

Betrachtet man diese Verhandlungen nüchtern, so läßt sich ein tiefer politischer Sinn
darin unmöglich erkennen. Droysen behauptet zwar, Preußen habe "die politische Seite"
seiner Entwürfe geopfert, um die militärische zu retten; er sagt aber nirgends, worin
diese "politische Seite" bestanden haben solle, und auch mir ist es trotz langem Suchen
nicht gelungen, in irgend einem der preußischen Aktenstücke einen politischen Hintergedanken
zu entdecken. Der Berliner Hof verfolgte nur die bescheidene Absicht, den nächsten Bundes-
krieg, wenn er kam, also einzuleiten, daß mindestens für die Hauptmasse des Bundes-
heeres die Einheit der Führung nothdürftig gesichert würde. Darum wollte Preußen
das Nordheer unmittelbar, die zweite Armee mittelbar, durch seinen Einfluß auf die be-
freundeten Südstaaten, leiten und nur die dritte Armee der Führung Oesterreichs an-
heimgeben. Dieser bescheidene militärische Zweck ward auf den Berliner Conferenzen,
nach mannichfachen Schwankungen, vollständig erreicht. Einen höheren Ehrgeiz konnte
Preußen zur Zeit nicht hegen; denn wer durfte für möglich halten, daß die beiden auf
ihre Souveränität gleich eifersüchtigen Könige von Baiern und Württemberg oder gar

XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831.
v. Werner, der Vertraute Metternich’s, und bat ihn, zu geſtatten, daß ein öſterreichiſcher
Offizier nach Berlin käme, um zunächſt eine Verſtändigung zwiſchen den beiden Groß-
mächten herbeizuführen. Peinlich überraſcht, gab der König doch nach; eine ſolche Bitte
des alten Bundesgenoſſen ließ ſich ohne Beleidigung kaum abſchlagen, zumal da die
Kriegsgefahr im Augenblick nicht drohend war. Die ſüddeutſchen Höfe wurden benach-
richtigt, und im September traf General Graf Clam in Berlin ein, um mit Bernſtorff,
Krauſeneck, Röder zu unterhandeln. Von Neuem begann der alte Streit: Zweitheilung
oder Dreitheilung des Bundesheeres? Die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle;
die Schuld lag, ſo weit ich ſehen kann, weſentlich in der unausſtehlichen Perſönlichkeit
des k. k. Bevollmächtigten, der immer redſelig, bald anmaßend, bald freundſchaftlich zu-
dringlich, das Vertrauen der Preußen ſchlechterdings nicht zu gewinnen verſtand und
den kranken, reizbaren Bernſtorff ſchließlich ſo ganz zur Verzweiflung brachte, daß der
Miniſter im März 1832 ſich von der Theilnahme an den Verhandlungen entbinden
ließ. Clam zählte, wie Prokeſch von Oſten, zu jenen diplomatiſchen Scheingrößen des
alten Oeſterreichs, welche wohl in der Hofburg Bewunderung, unter deutſchen Männern
nur Widerwillen erregen konnten. Da Krauſeneck und Rühle mit dem Oeſterreicher
nicht fertig wurden, ſo gab der König ſeinem kaiſerlichen Freunde einen neuen Beweis
ſeiner Willfährigkeit und beauftragte den General Kneſebeck, die Verhandlungen fortzu-
führen. Aber auch dieſer treu ergebene Verehrer des Wiener Hofes konnte von Preußens
beſcheidenen und ſachlich wohlbegründeten Forderungen nur wenig nachlaſſen. Auch er
verlangte die Aufſtellung von drei Heeren; nur ſollte das mittlere Heer, bei Mainz, die
Hauptarmee bilden und zu gleichen Theilen aus Oeſterreichern, Preußen und Kleinſtaats-
Truppen beſtehen. So hätte Oeſterreich doch an zweien von den drei Heeren ſeinen
Antheil erhalten.

Dieſem Vermittelungsvorſchlage fügte ſich Clam endlich, nachdem die Berathungen
den ganzen Winter hindurch gewährt hatten, und nunmehr wurden zwei ſüddeutſche
Generale auf den Mai 1832 zur Theilnahme eingeladen. Die Süddeutſchen zeigten ſich
aber zäher als Preußen ſelbſt; ſie beſtanden auf der Annahme des urſprünglichen preu-
ßiſchen Planes, weil ſie nicht für möglich hielten, daß Oeſterreich die deutſche Mittelarmee
durch beträchtliche Truppenmaſſen verſtärken könnte. Im Juni wurden auch Sachſen
und Hannover zugezogen; auch ſie ſtimmten den Süddeutſchen zu, und nun gab Oeſter-
reich gänzlich nach. Beim Abſchluß der Verhandlungen, die ſich bis zum December 1832
hinzogen, errang Preußen einen vollſtändigen Sieg. Seine Pläne wurden faſt durchweg
angenommen. Drei Heere ſollten gebildet werden, zwei aus Preußen und Bundestruppen
gemiſchte am Nieder- und Mittelrhein, ein öſterreichiſches am Oberrhein. Das alles war
freilich nur eine Verabredung für einen möglichen Kriegsfall, der niemals eintrat, und
blieb ſo tief geheim, daß ſelbſt der Bundesgeſandte von Leonhardi in ſeiner halbamt-
lichen Geſchichte der Bundeskriegsverfaſſung nichts darüber zu ſagen wußte.

Betrachtet man dieſe Verhandlungen nüchtern, ſo läßt ſich ein tiefer politiſcher Sinn
darin unmöglich erkennen. Droyſen behauptet zwar, Preußen habe „die politiſche Seite“
ſeiner Entwürfe geopfert, um die militäriſche zu retten; er ſagt aber nirgends, worin
dieſe „politiſche Seite“ beſtanden haben ſolle, und auch mir iſt es trotz langem Suchen
nicht gelungen, in irgend einem der preußiſchen Aktenſtücke einen politiſchen Hintergedanken
zu entdecken. Der Berliner Hof verfolgte nur die beſcheidene Abſicht, den nächſten Bundes-
krieg, wenn er kam, alſo einzuleiten, daß mindeſtens für die Hauptmaſſe des Bundes-
heeres die Einheit der Führung nothdürftig geſichert würde. Darum wollte Preußen
das Nordheer unmittelbar, die zweite Armee mittelbar, durch ſeinen Einfluß auf die be-
freundeten Südſtaaten, leiten und nur die dritte Armee der Führung Oeſterreichs an-
heimgeben. Dieſer beſcheidene militäriſche Zweck ward auf den Berliner Conferenzen,
nach mannichfachen Schwankungen, vollſtändig erreicht. Einen höheren Ehrgeiz konnte
Preußen zur Zeit nicht hegen; denn wer durfte für möglich halten, daß die beiden auf
ihre Souveränität gleich eiferſüchtigen Könige von Baiern und Württemberg oder gar

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[744/0758] XX. Preußen und das Bundeskriegsweſen 1831. v. Werner, der Vertraute Metternich’s, und bat ihn, zu geſtatten, daß ein öſterreichiſcher Offizier nach Berlin käme, um zunächſt eine Verſtändigung zwiſchen den beiden Groß- mächten herbeizuführen. Peinlich überraſcht, gab der König doch nach; eine ſolche Bitte des alten Bundesgenoſſen ließ ſich ohne Beleidigung kaum abſchlagen, zumal da die Kriegsgefahr im Augenblick nicht drohend war. Die ſüddeutſchen Höfe wurden benach- richtigt, und im September traf General Graf Clam in Berlin ein, um mit Bernſtorff, Krauſeneck, Röder zu unterhandeln. Von Neuem begann der alte Streit: Zweitheilung oder Dreitheilung des Bundesheeres? Die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle; die Schuld lag, ſo weit ich ſehen kann, weſentlich in der unausſtehlichen Perſönlichkeit des k. k. Bevollmächtigten, der immer redſelig, bald anmaßend, bald freundſchaftlich zu- dringlich, das Vertrauen der Preußen ſchlechterdings nicht zu gewinnen verſtand und den kranken, reizbaren Bernſtorff ſchließlich ſo ganz zur Verzweiflung brachte, daß der Miniſter im März 1832 ſich von der Theilnahme an den Verhandlungen entbinden ließ. Clam zählte, wie Prokeſch von Oſten, zu jenen diplomatiſchen Scheingrößen des alten Oeſterreichs, welche wohl in der Hofburg Bewunderung, unter deutſchen Männern nur Widerwillen erregen konnten. Da Krauſeneck und Rühle mit dem Oeſterreicher nicht fertig wurden, ſo gab der König ſeinem kaiſerlichen Freunde einen neuen Beweis ſeiner Willfährigkeit und beauftragte den General Kneſebeck, die Verhandlungen fortzu- führen. Aber auch dieſer treu ergebene Verehrer des Wiener Hofes konnte von Preußens beſcheidenen und ſachlich wohlbegründeten Forderungen nur wenig nachlaſſen. Auch er verlangte die Aufſtellung von drei Heeren; nur ſollte das mittlere Heer, bei Mainz, die Hauptarmee bilden und zu gleichen Theilen aus Oeſterreichern, Preußen und Kleinſtaats- Truppen beſtehen. So hätte Oeſterreich doch an zweien von den drei Heeren ſeinen Antheil erhalten. Dieſem Vermittelungsvorſchlage fügte ſich Clam endlich, nachdem die Berathungen den ganzen Winter hindurch gewährt hatten, und nunmehr wurden zwei ſüddeutſche Generale auf den Mai 1832 zur Theilnahme eingeladen. Die Süddeutſchen zeigten ſich aber zäher als Preußen ſelbſt; ſie beſtanden auf der Annahme des urſprünglichen preu- ßiſchen Planes, weil ſie nicht für möglich hielten, daß Oeſterreich die deutſche Mittelarmee durch beträchtliche Truppenmaſſen verſtärken könnte. Im Juni wurden auch Sachſen und Hannover zugezogen; auch ſie ſtimmten den Süddeutſchen zu, und nun gab Oeſter- reich gänzlich nach. Beim Abſchluß der Verhandlungen, die ſich bis zum December 1832 hinzogen, errang Preußen einen vollſtändigen Sieg. Seine Pläne wurden faſt durchweg angenommen. Drei Heere ſollten gebildet werden, zwei aus Preußen und Bundestruppen gemiſchte am Nieder- und Mittelrhein, ein öſterreichiſches am Oberrhein. Das alles war freilich nur eine Verabredung für einen möglichen Kriegsfall, der niemals eintrat, und blieb ſo tief geheim, daß ſelbſt der Bundesgeſandte von Leonhardi in ſeiner halbamt- lichen Geſchichte der Bundeskriegsverfaſſung nichts darüber zu ſagen wußte. Betrachtet man dieſe Verhandlungen nüchtern, ſo läßt ſich ein tiefer politiſcher Sinn darin unmöglich erkennen. Droyſen behauptet zwar, Preußen habe „die politiſche Seite“ ſeiner Entwürfe geopfert, um die militäriſche zu retten; er ſagt aber nirgends, worin dieſe „politiſche Seite“ beſtanden haben ſolle, und auch mir iſt es trotz langem Suchen nicht gelungen, in irgend einem der preußiſchen Aktenſtücke einen politiſchen Hintergedanken zu entdecken. Der Berliner Hof verfolgte nur die beſcheidene Abſicht, den nächſten Bundes- krieg, wenn er kam, alſo einzuleiten, daß mindeſtens für die Hauptmaſſe des Bundes- heeres die Einheit der Führung nothdürftig geſichert würde. Darum wollte Preußen das Nordheer unmittelbar, die zweite Armee mittelbar, durch ſeinen Einfluß auf die be- freundeten Südſtaaten, leiten und nur die dritte Armee der Führung Oeſterreichs an- heimgeben. Dieſer beſcheidene militäriſche Zweck ward auf den Berliner Conferenzen, nach mannichfachen Schwankungen, vollſtändig erreicht. Einen höheren Ehrgeiz konnte Preußen zur Zeit nicht hegen; denn wer durfte für möglich halten, daß die beiden auf ihre Souveränität gleich eiferſüchtigen Könige von Baiern und Württemberg oder gar

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/758>, abgerufen am 19.04.2024.