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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
Landtag von vierundsechzig Köpfen -- und auch nur im Nothfalle --
sollten mithin die alten Verheißungen, die einst so viel Hoffnungen erweckt
hatten, erfüllt werden. Friedrich Wilhelm wollte diese Vorschriften den
königlichen Prinzen als ein bindendes Hausgesetz auferlegen, und er hatte
schon den Fürsten Wittgenstein beauftragt, die Aufzeichnungen zu einer
förmlichen Urkunde zusammenzustellen -- ein Befehl, der nur durch den
Tod des Monarchen vereitelt wurde. Mit solchen Grundsätzen ließ sich die
verwandelte Welt nicht mehr regieren.

Währenddem begann auch in der europäischen Politik eine gefährliche
Verwicklung. Die orientalische Frage entlud sich noch einmal. Unter allen
den Rathgebern, welche den bedrängten Sultan umringten, war Preußen
allein uneigennützig, Dank seiner geographischen Lage, und darum allein
ehrlich. Dem König von Preußen verdankte die Pforte den immerhin er-
träglichen Friedensschluß von Adrianopel, und ihm auch die einzige Reform,
welche dem versinkenden Staate noch halb gelang. Durch Hauptmann
v. Moltke und einige andere ausgezeichnete Offiziere des preußischen General-
stabs wurde die Kriegstüchtigkeit des türkischen Heeres wiederhergestellt. Aber
noch bevor die neue Ordnung vollendet war entbrannte der Kampf mit Me-
hemed Ali von Neuem, und mit einem male gewann es den Anschein,
als sollte der seit zehn Jahren so mühsam abgewendete Weltkrieg nun doch
über Europa hereinbrechen. So drängten sich von innen und außen her
neue Aufgaben an die Krone heran. Der greise König war ihnen nicht
mehr gewachsen, und als das Schicksalsjahr der preußischen Geschichte, das
Jahr 40 heraufzog, da ahnte man im Volke überall, diese lange Regierung
gehe zu Ende.

Nur an dem Schicksal langlebiger Männer kann das befangene
Urtheil der Menschen zuweilen deutlich erkennen, daß dem Sterblichen
wird was er verdient, und selten hat sich das Walten der göttlichen Ge-
rechtigkeit so vernehmlich offenbart wie in dem Leben dieses Königs. Als
ein Friedensfürst hatte er einst seine Laufbahn angetreten. In den Be-
kenntnissen, die er als Kronprinz niederschrieb, sagte er einfach: "Das
größte Glück eines Landes besteht zuverlässig in einem fortdauernden Frie-
den," und obwohl er den Werth "einer formidabeln Armee" sehr hoch
anschlug, so wünschte er doch aufrichtig diese schreckliche Waffe niemals
gebrauchen zu müssen. Ganz so waren ihm nach einem halben Jahr-
hundert die Loose gefallen. Er war der erste der hohenzollernschen Könige,
der sein Landgebiet kleiner hinterließ als er es von den Vorfahren über-
kommen hatte; und ob Preußens Stimme im Rathe der Völker jetzt ebenso
schwer wog, wie in den Zeiten, da der Ruhm des großen Königs noch
nachwirkte, das ward im Ausland mindestens bestritten. Auch der Ruf
der Unbesieglichkeit der schwarzweißen Fahnen war trotz der strahlenden
Siege des Befreiungskrieges nicht wieder hergestellt; denn immer noch
blieb den Nachbarn der Zweifel, was Preußen ohne Bundesgenossen leisten

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
Landtag von vierundſechzig Köpfen — und auch nur im Nothfalle —
ſollten mithin die alten Verheißungen, die einſt ſo viel Hoffnungen erweckt
hatten, erfüllt werden. Friedrich Wilhelm wollte dieſe Vorſchriften den
königlichen Prinzen als ein bindendes Hausgeſetz auferlegen, und er hatte
ſchon den Fürſten Wittgenſtein beauftragt, die Aufzeichnungen zu einer
förmlichen Urkunde zuſammenzuſtellen — ein Befehl, der nur durch den
Tod des Monarchen vereitelt wurde. Mit ſolchen Grundſätzen ließ ſich die
verwandelte Welt nicht mehr regieren.

Währenddem begann auch in der europäiſchen Politik eine gefährliche
Verwicklung. Die orientaliſche Frage entlud ſich noch einmal. Unter allen
den Rathgebern, welche den bedrängten Sultan umringten, war Preußen
allein uneigennützig, Dank ſeiner geographiſchen Lage, und darum allein
ehrlich. Dem König von Preußen verdankte die Pforte den immerhin er-
träglichen Friedensſchluß von Adrianopel, und ihm auch die einzige Reform,
welche dem verſinkenden Staate noch halb gelang. Durch Hauptmann
v. Moltke und einige andere ausgezeichnete Offiziere des preußiſchen General-
ſtabs wurde die Kriegstüchtigkeit des türkiſchen Heeres wiederhergeſtellt. Aber
noch bevor die neue Ordnung vollendet war entbrannte der Kampf mit Me-
hemed Ali von Neuem, und mit einem male gewann es den Anſchein,
als ſollte der ſeit zehn Jahren ſo mühſam abgewendete Weltkrieg nun doch
über Europa hereinbrechen. So drängten ſich von innen und außen her
neue Aufgaben an die Krone heran. Der greiſe König war ihnen nicht
mehr gewachſen, und als das Schickſalsjahr der preußiſchen Geſchichte, das
Jahr 40 heraufzog, da ahnte man im Volke überall, dieſe lange Regierung
gehe zu Ende.

Nur an dem Schickſal langlebiger Männer kann das befangene
Urtheil der Menſchen zuweilen deutlich erkennen, daß dem Sterblichen
wird was er verdient, und ſelten hat ſich das Walten der göttlichen Ge-
rechtigkeit ſo vernehmlich offenbart wie in dem Leben dieſes Königs. Als
ein Friedensfürſt hatte er einſt ſeine Laufbahn angetreten. In den Be-
kenntniſſen, die er als Kronprinz niederſchrieb, ſagte er einfach: „Das
größte Glück eines Landes beſteht zuverläſſig in einem fortdauernden Frie-
den,“ und obwohl er den Werth „einer formidabeln Armee“ ſehr hoch
anſchlug, ſo wünſchte er doch aufrichtig dieſe ſchreckliche Waffe niemals
gebrauchen zu müſſen. Ganz ſo waren ihm nach einem halben Jahr-
hundert die Looſe gefallen. Er war der erſte der hohenzollernſchen Könige,
der ſein Landgebiet kleiner hinterließ als er es von den Vorfahren über-
kommen hatte; und ob Preußens Stimme im Rathe der Völker jetzt ebenſo
ſchwer wog, wie in den Zeiten, da der Ruhm des großen Königs noch
nachwirkte, das ward im Ausland mindeſtens beſtritten. Auch der Ruf
der Unbeſieglichkeit der ſchwarzweißen Fahnen war trotz der ſtrahlenden
Siege des Befreiungskrieges nicht wieder hergeſtellt; denn immer noch
blieb den Nachbarn der Zweifel, was Preußen ohne Bundesgenoſſen leiſten

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[726/0740] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. Landtag von vierundſechzig Köpfen — und auch nur im Nothfalle — ſollten mithin die alten Verheißungen, die einſt ſo viel Hoffnungen erweckt hatten, erfüllt werden. Friedrich Wilhelm wollte dieſe Vorſchriften den königlichen Prinzen als ein bindendes Hausgeſetz auferlegen, und er hatte ſchon den Fürſten Wittgenſtein beauftragt, die Aufzeichnungen zu einer förmlichen Urkunde zuſammenzuſtellen — ein Befehl, der nur durch den Tod des Monarchen vereitelt wurde. Mit ſolchen Grundſätzen ließ ſich die verwandelte Welt nicht mehr regieren. Währenddem begann auch in der europäiſchen Politik eine gefährliche Verwicklung. Die orientaliſche Frage entlud ſich noch einmal. Unter allen den Rathgebern, welche den bedrängten Sultan umringten, war Preußen allein uneigennützig, Dank ſeiner geographiſchen Lage, und darum allein ehrlich. Dem König von Preußen verdankte die Pforte den immerhin er- träglichen Friedensſchluß von Adrianopel, und ihm auch die einzige Reform, welche dem verſinkenden Staate noch halb gelang. Durch Hauptmann v. Moltke und einige andere ausgezeichnete Offiziere des preußiſchen General- ſtabs wurde die Kriegstüchtigkeit des türkiſchen Heeres wiederhergeſtellt. Aber noch bevor die neue Ordnung vollendet war entbrannte der Kampf mit Me- hemed Ali von Neuem, und mit einem male gewann es den Anſchein, als ſollte der ſeit zehn Jahren ſo mühſam abgewendete Weltkrieg nun doch über Europa hereinbrechen. So drängten ſich von innen und außen her neue Aufgaben an die Krone heran. Der greiſe König war ihnen nicht mehr gewachſen, und als das Schickſalsjahr der preußiſchen Geſchichte, das Jahr 40 heraufzog, da ahnte man im Volke überall, dieſe lange Regierung gehe zu Ende. Nur an dem Schickſal langlebiger Männer kann das befangene Urtheil der Menſchen zuweilen deutlich erkennen, daß dem Sterblichen wird was er verdient, und ſelten hat ſich das Walten der göttlichen Ge- rechtigkeit ſo vernehmlich offenbart wie in dem Leben dieſes Königs. Als ein Friedensfürſt hatte er einſt ſeine Laufbahn angetreten. In den Be- kenntniſſen, die er als Kronprinz niederſchrieb, ſagte er einfach: „Das größte Glück eines Landes beſteht zuverläſſig in einem fortdauernden Frie- den,“ und obwohl er den Werth „einer formidabeln Armee“ ſehr hoch anſchlug, ſo wünſchte er doch aufrichtig dieſe ſchreckliche Waffe niemals gebrauchen zu müſſen. Ganz ſo waren ihm nach einem halben Jahr- hundert die Looſe gefallen. Er war der erſte der hohenzollernſchen Könige, der ſein Landgebiet kleiner hinterließ als er es von den Vorfahren über- kommen hatte; und ob Preußens Stimme im Rathe der Völker jetzt ebenſo ſchwer wog, wie in den Zeiten, da der Ruhm des großen Königs noch nachwirkte, das ward im Ausland mindeſtens beſtritten. Auch der Ruf der Unbeſieglichkeit der ſchwarzweißen Fahnen war trotz der ſtrahlenden Siege des Befreiungskrieges nicht wieder hergeſtellt; denn immer noch blieb den Nachbarn der Zweifel, was Preußen ohne Bundesgenoſſen leiſten

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/740>, abgerufen am 30.04.2024.