Preußen nicht zuzumuthen, er sagte sanft: in diesem Punkte haben beide Theile Recht.*) Offenbar schwankte er zwischen seinen, durch Fürstin Melanie genährten clericalen Neigungen und seiner staatsmännischen Ein- sicht. Einen Bruch mit den Ostmächten konnte er unmöglich wünschen, und er wußte, daß Czar Ntkolaus die Kirchenpolitik seines königlichen Schwiegervaters unbedingt vertheidigte; auch graute ihm vor der Berserker- wuth der Münchener Fanatiker und mehr noch vor den revolutionären Anschlägen des belgischen Clerus.**) Obgleich er, wie alle Söhne der rhei- nischen Domherrengeschlechter, die preußische Herrschaft in den Krumm- stabslanden tief verabscheute, so blieb er doch nüchtern genug um die Zu- stände dort nicht allzu schwarz zu sehen. Die bairischen Clericalen hofften allesammt auf eine Schilderhebung der Rheinländer oder auf irgend ein anderes großes Ereigniß. Metternich urtheilte kühler, und der Erfolg gab ihm Recht. Die großen Ereignisse blieben aus, die provisorische Verwal- tung der beiden verwaisten Erzbisthümer arbeitete ruhig weiter, die Krone Preußen stand unangreifbar da.
Und doch ward durch diesen Bischofsstreit eine grundtiefe Verwand- lung des deutschen Parteilebens bewirkt. Seit die neue ultramontane Partei sich zusammenschaarte, begann der süddeutsche Particularismus sich zu ver- ändern. Bisher hatte er liberale Farben getragen; die alten Rheinbündler und nachher die Genossen der Rotteck-Welcker'schen Schule sahen verächtlich hernieder auf das zurückgebliebene Preußen, aber auch auf das zurückgeblie- bene Oesterreich. Jetzt wurden plötzlich die halbverschollenen österreichischen Traditionen des deutschen Südens wieder lebendig; und wenngleich Metter- nich sich noch zurückhielt, so mußte doch früher oder später die Zeit kommen, da die Wiener Politik sich diesen Vortheil zu nutze machte. Der erste Grund war gelegt für die großdeutsche Partei der kommenden Jahre. Auch in Preußen bereitete sich eine neue Parteibildung vor. Die rheinischen Juristen, die schon so lange für die Rechtsgleichheit des Code Napoleon stritten, meinten jetzt auch allein zu wissen, was wahre Kirchenfreiheit sei, und un- merklich begannen ihre belgischen Anschauungen den Liberalismus der öst- lichen Provinzen anzustecken. Das Schlimmste blieb doch, daß Jedermann fühlte, die alte Regierung habe sich überlebt. Als Maltzan in Florenz mit Cardinal Capaccini die Kölnischen Händel besprach, sagte der Wälsche mit eigenthümlichem Lächeln: "Wir müssen also warten."***)
Ernst, fast düster schloß König Friedrich Wilhelm's vielgeprüftes Leben. Beinah alle die reichbegabten Männer, die ihm einst bei der Erhebung und
*) Geh. Cabinetsrath Müller, Aufzeichnung über eine Unterredung mit Fürst Metternich, Teplitz, 22. Juli 1838.
**) Maltzan's Berichte, 21. Jan., 10. März 1839.
***) Maltzan's Bericht, 6. Oct. 1838.
IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
Preußen nicht zuzumuthen, er ſagte ſanft: in dieſem Punkte haben beide Theile Recht.*) Offenbar ſchwankte er zwiſchen ſeinen, durch Fürſtin Melanie genährten clericalen Neigungen und ſeiner ſtaatsmänniſchen Ein- ſicht. Einen Bruch mit den Oſtmächten konnte er unmöglich wünſchen, und er wußte, daß Czar Ntkolaus die Kirchenpolitik ſeines königlichen Schwiegervaters unbedingt vertheidigte; auch graute ihm vor der Berſerker- wuth der Münchener Fanatiker und mehr noch vor den revolutionären Anſchlägen des belgiſchen Clerus.**) Obgleich er, wie alle Söhne der rhei- niſchen Domherrengeſchlechter, die preußiſche Herrſchaft in den Krumm- ſtabslanden tief verabſcheute, ſo blieb er doch nüchtern genug um die Zu- ſtände dort nicht allzu ſchwarz zu ſehen. Die bairiſchen Clericalen hofften alleſammt auf eine Schilderhebung der Rheinländer oder auf irgend ein anderes großes Ereigniß. Metternich urtheilte kühler, und der Erfolg gab ihm Recht. Die großen Ereigniſſe blieben aus, die proviſoriſche Verwal- tung der beiden verwaiſten Erzbisthümer arbeitete ruhig weiter, die Krone Preußen ſtand unangreifbar da.
Und doch ward durch dieſen Biſchofsſtreit eine grundtiefe Verwand- lung des deutſchen Parteilebens bewirkt. Seit die neue ultramontane Partei ſich zuſammenſchaarte, begann der ſüddeutſche Particularismus ſich zu ver- ändern. Bisher hatte er liberale Farben getragen; die alten Rheinbündler und nachher die Genoſſen der Rotteck-Welcker’ſchen Schule ſahen verächtlich hernieder auf das zurückgebliebene Preußen, aber auch auf das zurückgeblie- bene Oeſterreich. Jetzt wurden plötzlich die halbverſchollenen öſterreichiſchen Traditionen des deutſchen Südens wieder lebendig; und wenngleich Metter- nich ſich noch zurückhielt, ſo mußte doch früher oder ſpäter die Zeit kommen, da die Wiener Politik ſich dieſen Vortheil zu nutze machte. Der erſte Grund war gelegt für die großdeutſche Partei der kommenden Jahre. Auch in Preußen bereitete ſich eine neue Parteibildung vor. Die rheiniſchen Juriſten, die ſchon ſo lange für die Rechtsgleichheit des Code Napoleon ſtritten, meinten jetzt auch allein zu wiſſen, was wahre Kirchenfreiheit ſei, und un- merklich begannen ihre belgiſchen Anſchauungen den Liberalismus der öſt- lichen Provinzen anzuſtecken. Das Schlimmſte blieb doch, daß Jedermann fühlte, die alte Regierung habe ſich überlebt. Als Maltzan in Florenz mit Cardinal Capaccini die Kölniſchen Händel beſprach, ſagte der Wälſche mit eigenthümlichem Lächeln: „Wir müſſen alſo warten.“***)
Ernſt, faſt düſter ſchloß König Friedrich Wilhelm’s vielgeprüftes Leben. Beinah alle die reichbegabten Männer, die ihm einſt bei der Erhebung und
*) Geh. Cabinetsrath Müller, Aufzeichnung über eine Unterredung mit Fürſt Metternich, Teplitz, 22. Juli 1838.
**) Maltzan’s Berichte, 21. Jan., 10. März 1839.
***) Maltzan’s Bericht, 6. Oct. 1838.
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IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
Preußen nicht zuzumuthen, er ſagte ſanft: in dieſem Punkte haben beide
Theile Recht. *) Offenbar ſchwankte er zwiſchen ſeinen, durch Fürſtin
Melanie genährten clericalen Neigungen und ſeiner ſtaatsmänniſchen Ein-
ſicht. Einen Bruch mit den Oſtmächten konnte er unmöglich wünſchen,
und er wußte, daß Czar Ntkolaus die Kirchenpolitik ſeines königlichen
Schwiegervaters unbedingt vertheidigte; auch graute ihm vor der Berſerker-
wuth der Münchener Fanatiker und mehr noch vor den revolutionären
Anſchlägen des belgiſchen Clerus. **) Obgleich er, wie alle Söhne der rhei-
niſchen Domherrengeſchlechter, die preußiſche Herrſchaft in den Krumm-
ſtabslanden tief verabſcheute, ſo blieb er doch nüchtern genug um die Zu-
ſtände dort nicht allzu ſchwarz zu ſehen. Die bairiſchen Clericalen hofften
alleſammt auf eine Schilderhebung der Rheinländer oder auf irgend ein
anderes großes Ereigniß. Metternich urtheilte kühler, und der Erfolg gab
ihm Recht. Die großen Ereigniſſe blieben aus, die proviſoriſche Verwal-
tung der beiden verwaiſten Erzbisthümer arbeitete ruhig weiter, die Krone
Preußen ſtand unangreifbar da.
Und doch ward durch dieſen Biſchofsſtreit eine grundtiefe Verwand-
lung des deutſchen Parteilebens bewirkt. Seit die neue ultramontane Partei
ſich zuſammenſchaarte, begann der ſüddeutſche Particularismus ſich zu ver-
ändern. Bisher hatte er liberale Farben getragen; die alten Rheinbündler
und nachher die Genoſſen der Rotteck-Welcker’ſchen Schule ſahen verächtlich
hernieder auf das zurückgebliebene Preußen, aber auch auf das zurückgeblie-
bene Oeſterreich. Jetzt wurden plötzlich die halbverſchollenen öſterreichiſchen
Traditionen des deutſchen Südens wieder lebendig; und wenngleich Metter-
nich ſich noch zurückhielt, ſo mußte doch früher oder ſpäter die Zeit kommen,
da die Wiener Politik ſich dieſen Vortheil zu nutze machte. Der erſte Grund
war gelegt für die großdeutſche Partei der kommenden Jahre. Auch in
Preußen bereitete ſich eine neue Parteibildung vor. Die rheiniſchen Juriſten,
die ſchon ſo lange für die Rechtsgleichheit des Code Napoleon ſtritten,
meinten jetzt auch allein zu wiſſen, was wahre Kirchenfreiheit ſei, und un-
merklich begannen ihre belgiſchen Anſchauungen den Liberalismus der öſt-
lichen Provinzen anzuſtecken. Das Schlimmſte blieb doch, daß Jedermann
fühlte, die alte Regierung habe ſich überlebt. Als Maltzan in Florenz
mit Cardinal Capaccini die Kölniſchen Händel beſprach, ſagte der Wälſche
mit eigenthümlichem Lächeln: „Wir müſſen alſo warten.“ ***)
Ernſt, faſt düſter ſchloß König Friedrich Wilhelm’s vielgeprüftes Leben.
Beinah alle die reichbegabten Männer, die ihm einſt bei der Erhebung und
*) Geh. Cabinetsrath Müller, Aufzeichnung über eine Unterredung mit Fürſt
Metternich, Teplitz, 22. Juli 1838.
**) Maltzan’s Berichte, 21. Jan., 10. März 1839.
***) Maltzan’s Bericht, 6. Oct. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/738>, abgerufen am 23.07.2024.
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