nicht! Oestereich und Baiern sind geheime Feinde des Königs von Preußen, den wir gemeinsam bekämpfen!" Alle solche Anschläge erschienen lächerlich gegenüber der ungeheueren Anziehungskraft des preußischen Staates und dem höchst ehrenwerthen gesetzlichen Sinne der Rheinländer. Jener rohe Kampf zwischen Beichtstuhl und Loge, der die Geschichte Belgiens aus- machte, war am deutschen Rhein unmöglich, weil in der katholischen Pro- vinz auch ein starker, kerngesunder Protestantismus blühte, und die sociale Freiheit Preußens mit dem bairischen Zunftzwange zu vertauschen konnte den klugen rheinischen Geschäftsleuten nicht beikommen. Als der Kronprinz im Sommer 1838 die Manöver in den westlichen Provinzen abhielt, ge- wann er die tröstliche Gewißheit, "daß eine fünfundzwanzigjährige von Gott gesegnete Regierung, unter welcher das Land zu nie erhörter Blüthe sich entwickelt, in deutschen Herzen Dankbarkeit erzeugt."
Aber fruchtlos blieb diese, alle Niedertracht des Particularismus auf- regende clericale Wühlerei keineswegs; sie erschwerte auf Jahre hinaus die Verständigung zwischen dem Westen und dem Osten. Und wie sie in Süd- deutschland wirkte, das zeigte ein thörichtes Büchlein Rotteck's über den Kölner Streit. Der alte Feind Preußens fühlte sich nur gedrungen "gegen die Dictatur der Staatsgewalt in kirchlichen Dingen zu protestiren"; daß der Erzbischof seinen Eid und die Staatsgesetze mit Füßen getreten hatte, kam vor dem Richterstuhle des abstrakten Vernunftrechts nicht in Betracht. Den sichersten Maßstab für die Stimmung im Süden gab die Haltung der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Das Blatt schillerte nach seiner Gewohnheit in allen Farben. Sein gegenwärtiger Eigenthümer Georg v. Cotta erbat sich von Bunsen geheime Mittheilungen, damit die Zeitung "im Interesse Preußens und der guten Sache" wirken könne;*) er ge- stattete auch dem Münchener Philologen Thiersch zuweilen einen verstän- digen Artikel zu schreiben und sah sich einmal sogar genöthigt den Wiener Hof um Nachsicht zu bitten. Gleichwohl zeigte sich die einflußreiche Zeitung dem preußischen Staate so entschieden feindlich, wie bisher schon in allen großen Fragen der deutschen Politik, mit der einzigen Ausnahme der Zoll- vereinshändel. In ihren Spalten erschien zuerst Alles was dem Berliner Hofe schaden konnte, und in jedem Wirthshause des Rheinlandes ward sie eifrig gelesen.
Unterdessen sah sich Jarcke genöthigt, auf die Theilnahme am Berliner politischen Wochenblatt zu verzichten. In dieser Krisis kam an den Tag, daß die evangelischen Orthodoxen Preußens doch von anderem Schlage waren als die Junghegelianer behaupteten. Das Wochenblatt vertheidigte, ganz wie Hengstenberg's Evangelische Kirchenzeitung, muthig die Rechte der Staats- gewalt. Die Geister begannen sich zu scheiden. Darum trat Jarcke aus, und auf seinen Rath schuf sich die junge ultramontane Partei in München
*) Georg v. Cotta an Bunsen, 30. Dec. 1837.
Süddeutſchland gegen Preußen.
nicht! Oeſtereich und Baiern ſind geheime Feinde des Königs von Preußen, den wir gemeinſam bekämpfen!“ Alle ſolche Anſchläge erſchienen lächerlich gegenüber der ungeheueren Anziehungskraft des preußiſchen Staates und dem höchſt ehrenwerthen geſetzlichen Sinne der Rheinländer. Jener rohe Kampf zwiſchen Beichtſtuhl und Loge, der die Geſchichte Belgiens aus- machte, war am deutſchen Rhein unmöglich, weil in der katholiſchen Pro- vinz auch ein ſtarker, kerngeſunder Proteſtantismus blühte, und die ſociale Freiheit Preußens mit dem bairiſchen Zunftzwange zu vertauſchen konnte den klugen rheiniſchen Geſchäftsleuten nicht beikommen. Als der Kronprinz im Sommer 1838 die Manöver in den weſtlichen Provinzen abhielt, ge- wann er die tröſtliche Gewißheit, „daß eine fünfundzwanzigjährige von Gott geſegnete Regierung, unter welcher das Land zu nie erhörter Blüthe ſich entwickelt, in deutſchen Herzen Dankbarkeit erzeugt.“
Aber fruchtlos blieb dieſe, alle Niedertracht des Particularismus auf- regende clericale Wühlerei keineswegs; ſie erſchwerte auf Jahre hinaus die Verſtändigung zwiſchen dem Weſten und dem Oſten. Und wie ſie in Süd- deutſchland wirkte, das zeigte ein thörichtes Büchlein Rotteck’s über den Kölner Streit. Der alte Feind Preußens fühlte ſich nur gedrungen „gegen die Dictatur der Staatsgewalt in kirchlichen Dingen zu proteſtiren“; daß der Erzbiſchof ſeinen Eid und die Staatsgeſetze mit Füßen getreten hatte, kam vor dem Richterſtuhle des abſtrakten Vernunftrechts nicht in Betracht. Den ſicherſten Maßſtab für die Stimmung im Süden gab die Haltung der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Das Blatt ſchillerte nach ſeiner Gewohnheit in allen Farben. Sein gegenwärtiger Eigenthümer Georg v. Cotta erbat ſich von Bunſen geheime Mittheilungen, damit die Zeitung „im Intereſſe Preußens und der guten Sache“ wirken könne;*) er ge- ſtattete auch dem Münchener Philologen Thierſch zuweilen einen verſtän- digen Artikel zu ſchreiben und ſah ſich einmal ſogar genöthigt den Wiener Hof um Nachſicht zu bitten. Gleichwohl zeigte ſich die einflußreiche Zeitung dem preußiſchen Staate ſo entſchieden feindlich, wie bisher ſchon in allen großen Fragen der deutſchen Politik, mit der einzigen Ausnahme der Zoll- vereinshändel. In ihren Spalten erſchien zuerſt Alles was dem Berliner Hofe ſchaden konnte, und in jedem Wirthshauſe des Rheinlandes ward ſie eifrig geleſen.
Unterdeſſen ſah ſich Jarcke genöthigt, auf die Theilnahme am Berliner politiſchen Wochenblatt zu verzichten. In dieſer Kriſis kam an den Tag, daß die evangeliſchen Orthodoxen Preußens doch von anderem Schlage waren als die Junghegelianer behaupteten. Das Wochenblatt vertheidigte, ganz wie Hengſtenberg’s Evangeliſche Kirchenzeitung, muthig die Rechte der Staats- gewalt. Die Geiſter begannen ſich zu ſcheiden. Darum trat Jarcke aus, und auf ſeinen Rath ſchuf ſich die junge ultramontane Partei in München
*) Georg v. Cotta an Bunſen, 30. Dec. 1837.
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Süddeutſchland gegen Preußen.
nicht! Oeſtereich und Baiern ſind geheime Feinde des Königs von Preußen,
den wir gemeinſam bekämpfen!“ Alle ſolche Anſchläge erſchienen lächerlich
gegenüber der ungeheueren Anziehungskraft des preußiſchen Staates und
dem höchſt ehrenwerthen geſetzlichen Sinne der Rheinländer. Jener rohe
Kampf zwiſchen Beichtſtuhl und Loge, der die Geſchichte Belgiens aus-
machte, war am deutſchen Rhein unmöglich, weil in der katholiſchen Pro-
vinz auch ein ſtarker, kerngeſunder Proteſtantismus blühte, und die ſociale
Freiheit Preußens mit dem bairiſchen Zunftzwange zu vertauſchen konnte
den klugen rheiniſchen Geſchäftsleuten nicht beikommen. Als der Kronprinz
im Sommer 1838 die Manöver in den weſtlichen Provinzen abhielt, ge-
wann er die tröſtliche Gewißheit, „daß eine fünfundzwanzigjährige von Gott
geſegnete Regierung, unter welcher das Land zu nie erhörter Blüthe ſich
entwickelt, in deutſchen Herzen Dankbarkeit erzeugt.“
Aber fruchtlos blieb dieſe, alle Niedertracht des Particularismus auf-
regende clericale Wühlerei keineswegs; ſie erſchwerte auf Jahre hinaus die
Verſtändigung zwiſchen dem Weſten und dem Oſten. Und wie ſie in Süd-
deutſchland wirkte, das zeigte ein thörichtes Büchlein Rotteck’s über den
Kölner Streit. Der alte Feind Preußens fühlte ſich nur gedrungen „gegen
die Dictatur der Staatsgewalt in kirchlichen Dingen zu proteſtiren“; daß
der Erzbiſchof ſeinen Eid und die Staatsgeſetze mit Füßen getreten hatte,
kam vor dem Richterſtuhle des abſtrakten Vernunftrechts nicht in Betracht.
Den ſicherſten Maßſtab für die Stimmung im Süden gab die Haltung
der Augsburger Allgemeinen Zeitung. Das Blatt ſchillerte nach ſeiner
Gewohnheit in allen Farben. Sein gegenwärtiger Eigenthümer Georg
v. Cotta erbat ſich von Bunſen geheime Mittheilungen, damit die Zeitung
„im Intereſſe Preußens und der guten Sache“ wirken könne; *) er ge-
ſtattete auch dem Münchener Philologen Thierſch zuweilen einen verſtän-
digen Artikel zu ſchreiben und ſah ſich einmal ſogar genöthigt den Wiener
Hof um Nachſicht zu bitten. Gleichwohl zeigte ſich die einflußreiche Zeitung
dem preußiſchen Staate ſo entſchieden feindlich, wie bisher ſchon in allen
großen Fragen der deutſchen Politik, mit der einzigen Ausnahme der Zoll-
vereinshändel. In ihren Spalten erſchien zuerſt Alles was dem Berliner
Hofe ſchaden konnte, und in jedem Wirthshauſe des Rheinlandes ward ſie
eifrig geleſen.
Unterdeſſen ſah ſich Jarcke genöthigt, auf die Theilnahme am Berliner
politiſchen Wochenblatt zu verzichten. In dieſer Kriſis kam an den Tag, daß
die evangeliſchen Orthodoxen Preußens doch von anderem Schlage waren
als die Junghegelianer behaupteten. Das Wochenblatt vertheidigte, ganz wie
Hengſtenberg’s Evangeliſche Kirchenzeitung, muthig die Rechte der Staats-
gewalt. Die Geiſter begannen ſich zu ſcheiden. Darum trat Jarcke aus,
und auf ſeinen Rath ſchuf ſich die junge ultramontane Partei in München
*) Georg v. Cotta an Bunſen, 30. Dec. 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 717. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/731>, abgerufen am 24.11.2024.
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