Der Versuch die kleinen Kronen zur Parteinahme zu bewegen schei- terte gänzlich, und er mußte scheitern, weil die deutsche Kirchenpolitik seit dem Wiener Congresse dem nackten Particularismus verfallen war. Auch von den geplanten Kirchengesetzen kam in den dritthalb Jahren bis zum Tode des Königs nichts mehr zu Stande. Die beiden Erzbischöfe durften nicht zurückkehren, und doch hatte die Krone in dem Streite über die ge- mischten Ehen schon fast Alles zugestanden, was der römische Stuhl ver- langte. Bedenkliche Ruhestörungen kamen freilich nicht vor; einige kleine Aufläufe in Münster und anderen Orten der katholischen Provinzen be- deuteten wenig; sie bewiesen nur, daß der Clerus den armen Leuten bei- gebracht hatte, der König wolle sie lutherisch machen. Gleichwohl ward die Verwirrung unerträglich. Jedermann fühlte, die Regierung verfuhr zugleich zu hart und zu nachgiebig; das Steuerruder der Kirchenpolitik war ihrer Hand entfallen. --
Beide Höfe, der römische wie der Berliner, hielten für nöthig, ihr Verhalten durch Staatsschriften vor der öffentlichen Meinung zu recht- fertigen. Der Erfolg dieser Veröffentlichungen war für Preußen nicht durchweg günstig, da Bunsen's hinterhaltige Politik sich unmöglich ent- schuldigen ließ. Auch in dem allgemeinen literarischen Kampfe, der nun entbrannte, konnte keine Partei sich eines vollständigen Sieges rühmen. Die Theilnahme war ungeheuer; binnen wenigen Jahren erschienen an zweihundert Schriften für und wider, denn ein anderes Mittel der Er- örterung besaß die Nation noch nicht, und sie fühlte, daß mit dem con- fessionellen Frieden die Grundfesten ihrer Cultur bedroht waren. Den Streit eröffnete der alte Görres mit dem Athanasius, dem wildesten seiner Bücher, das die jacobinische Heftigkeit seiner Jugendschriften noch überbot. Was war aus dem Patrioten des Rheinischen Mercurs geworden! Die evangelische Kirche überhäufte er mit wüthenden Schmähungen, die in einem paritätischen Volke fast wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klangen: nichts mehr wollte er in ihr sehen als das narkotische Gift des Pietismus und das corrosive Gift des Rationalismus. Ebenso dreist suchte er den Stam- meshaß der Rheinländer wider die Altpreußen aufzuwiegeln; sein alter Ingrimm gegen "die Litthauer" vom rechten Elbufer brach wieder durch. Die Maßregeln der preußischen Regierung schilderte er als "die rohen und ungeschlachten Ausbrüche jenes starren Knochenmannes, dem man zu viel Ehre anthut, wenn man einen Geist ihn nennt", und gedachte höhnend der Kämpfe zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich. Von dem Geiste des suum cuique, der die Geschichte dieses Staates erfüllte und sich auch in jenen tragischen Kämpfen des Königshauses nicht verleugnet hatte, wollte Görres nichts wissen; denn auf der römischen Kirche ruhte die ganze Ordnung der neuen Welt, darum bedurfte ihr Priester auch gar keiner Entschuldigung, wenn er sich der Staatsgewalt widersetzte.
Görres’ Athanaſius.
Der Verſuch die kleinen Kronen zur Parteinahme zu bewegen ſchei- terte gänzlich, und er mußte ſcheitern, weil die deutſche Kirchenpolitik ſeit dem Wiener Congreſſe dem nackten Particularismus verfallen war. Auch von den geplanten Kirchengeſetzen kam in den dritthalb Jahren bis zum Tode des Königs nichts mehr zu Stande. Die beiden Erzbiſchöfe durften nicht zurückkehren, und doch hatte die Krone in dem Streite über die ge- miſchten Ehen ſchon faſt Alles zugeſtanden, was der römiſche Stuhl ver- langte. Bedenkliche Ruheſtörungen kamen freilich nicht vor; einige kleine Aufläufe in Münſter und anderen Orten der katholiſchen Provinzen be- deuteten wenig; ſie bewieſen nur, daß der Clerus den armen Leuten bei- gebracht hatte, der König wolle ſie lutheriſch machen. Gleichwohl ward die Verwirrung unerträglich. Jedermann fühlte, die Regierung verfuhr zugleich zu hart und zu nachgiebig; das Steuerruder der Kirchenpolitik war ihrer Hand entfallen. —
Beide Höfe, der römiſche wie der Berliner, hielten für nöthig, ihr Verhalten durch Staatsſchriften vor der öffentlichen Meinung zu recht- fertigen. Der Erfolg dieſer Veröffentlichungen war für Preußen nicht durchweg günſtig, da Bunſen’s hinterhaltige Politik ſich unmöglich ent- ſchuldigen ließ. Auch in dem allgemeinen literariſchen Kampfe, der nun entbrannte, konnte keine Partei ſich eines vollſtändigen Sieges rühmen. Die Theilnahme war ungeheuer; binnen wenigen Jahren erſchienen an zweihundert Schriften für und wider, denn ein anderes Mittel der Er- örterung beſaß die Nation noch nicht, und ſie fühlte, daß mit dem con- feſſionellen Frieden die Grundfeſten ihrer Cultur bedroht waren. Den Streit eröffnete der alte Görres mit dem Athanaſius, dem wildeſten ſeiner Bücher, das die jacobiniſche Heftigkeit ſeiner Jugendſchriften noch überbot. Was war aus dem Patrioten des Rheiniſchen Mercurs geworden! Die evangeliſche Kirche überhäufte er mit wüthenden Schmähungen, die in einem paritätiſchen Volke faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klangen: nichts mehr wollte er in ihr ſehen als das narkotiſche Gift des Pietismus und das corroſive Gift des Rationalismus. Ebenſo dreiſt ſuchte er den Stam- meshaß der Rheinländer wider die Altpreußen aufzuwiegeln; ſein alter Ingrimm gegen „die Litthauer“ vom rechten Elbufer brach wieder durch. Die Maßregeln der preußiſchen Regierung ſchilderte er als „die rohen und ungeſchlachten Ausbrüche jenes ſtarren Knochenmannes, dem man zu viel Ehre anthut, wenn man einen Geiſt ihn nennt“, und gedachte höhnend der Kämpfe zwiſchen Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich. Von dem Geiſte des suum cuique, der die Geſchichte dieſes Staates erfüllte und ſich auch in jenen tragiſchen Kämpfen des Königshauſes nicht verleugnet hatte, wollte Görres nichts wiſſen; denn auf der römiſchen Kirche ruhte die ganze Ordnung der neuen Welt, darum bedurfte ihr Prieſter auch gar keiner Entſchuldigung, wenn er ſich der Staatsgewalt widerſetzte.
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Görres’ Athanaſius.
Der Verſuch die kleinen Kronen zur Parteinahme zu bewegen ſchei-
terte gänzlich, und er mußte ſcheitern, weil die deutſche Kirchenpolitik ſeit
dem Wiener Congreſſe dem nackten Particularismus verfallen war. Auch
von den geplanten Kirchengeſetzen kam in den dritthalb Jahren bis zum
Tode des Königs nichts mehr zu Stande. Die beiden Erzbiſchöfe durften
nicht zurückkehren, und doch hatte die Krone in dem Streite über die ge-
miſchten Ehen ſchon faſt Alles zugeſtanden, was der römiſche Stuhl ver-
langte. Bedenkliche Ruheſtörungen kamen freilich nicht vor; einige kleine
Aufläufe in Münſter und anderen Orten der katholiſchen Provinzen be-
deuteten wenig; ſie bewieſen nur, daß der Clerus den armen Leuten bei-
gebracht hatte, der König wolle ſie lutheriſch machen. Gleichwohl ward
die Verwirrung unerträglich. Jedermann fühlte, die Regierung verfuhr
zugleich zu hart und zu nachgiebig; das Steuerruder der Kirchenpolitik
war ihrer Hand entfallen. —
Beide Höfe, der römiſche wie der Berliner, hielten für nöthig, ihr
Verhalten durch Staatsſchriften vor der öffentlichen Meinung zu recht-
fertigen. Der Erfolg dieſer Veröffentlichungen war für Preußen nicht
durchweg günſtig, da Bunſen’s hinterhaltige Politik ſich unmöglich ent-
ſchuldigen ließ. Auch in dem allgemeinen literariſchen Kampfe, der nun
entbrannte, konnte keine Partei ſich eines vollſtändigen Sieges rühmen.
Die Theilnahme war ungeheuer; binnen wenigen Jahren erſchienen an
zweihundert Schriften für und wider, denn ein anderes Mittel der Er-
örterung beſaß die Nation noch nicht, und ſie fühlte, daß mit dem con-
feſſionellen Frieden die Grundfeſten ihrer Cultur bedroht waren. Den
Streit eröffnete der alte Görres mit dem Athanaſius, dem wildeſten ſeiner
Bücher, das die jacobiniſche Heftigkeit ſeiner Jugendſchriften noch überbot.
Was war aus dem Patrioten des Rheiniſchen Mercurs geworden! Die
evangeliſche Kirche überhäufte er mit wüthenden Schmähungen, die in einem
paritätiſchen Volke faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klangen: nichts
mehr wollte er in ihr ſehen als das narkotiſche Gift des Pietismus und
das corroſive Gift des Rationalismus. Ebenſo dreiſt ſuchte er den Stam-
meshaß der Rheinländer wider die Altpreußen aufzuwiegeln; ſein alter
Ingrimm gegen „die Litthauer“ vom rechten Elbufer brach wieder durch.
Die Maßregeln der preußiſchen Regierung ſchilderte er als „die rohen und
ungeſchlachten Ausbrüche jenes ſtarren Knochenmannes, dem man zu viel
Ehre anthut, wenn man einen Geiſt ihn nennt“, und gedachte höhnend
der Kämpfe zwiſchen Friedrich Wilhelm I. und dem Kronprinzen Friedrich.
Von dem Geiſte des suum cuique, der die Geſchichte dieſes Staates
erfüllte und ſich auch in jenen tragiſchen Kämpfen des Königshauſes
nicht verleugnet hatte, wollte Görres nichts wiſſen; denn auf der römiſchen
Kirche ruhte die ganze Ordnung der neuen Welt, darum bedurfte ihr
Prieſter auch gar keiner Entſchuldigung, wenn er ſich der Staatsgewalt
widerſetzte.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 715. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/729>, abgerufen am 24.11.2024.
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