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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
Ministerium fast allesammt in tief unterwürfigen Eingaben, daß sie den
Weisungen ihres Oberhirten folgen müßten. Unter den Deutschen aber
konnte Dunin's Schicksal um so weniger Theilnahme erwecken, da er in
den süddeutschen Zeitungen einen höchst unziemlichen Federkrieg gegen die
Regierung unternommen hatte, und die polnischen Grafen Raczynski,
Grabowski, Lubinski -- natürlich nur als harmlose Einzelne, nicht nach
Verabredung -- jetzt in der Hauptstadt erschienen, um seine Befreiung
zu erbitten. Seine Amtsbrüder freilich, die Bischöfe Hatten von Erme-
land und Sedlag von Culm geriethen in peinliche Verlegenheit; sie waren
Beide gute Preußen und bemühten sich auch jetzt noch redlich den kirch-
lichen Frieden aufrecht zu erhalten, während das blindgläubige Landvolk
der Marienburger Gegend, von den Kaplänen aufgeregt, schon für den
nächsten Charfreitag die Wiederherstellung Polens erwartete. Aber nach-
dem der Papst so vernehmlich gesprochen hatte und der Erzbischof von
Posen vorangegangen war, konnten sie nicht zurückbleiben, denn ein zwei-
faches Eherecht in der preußischen Monarchie war offenbar unmöglich.
Beide verlangten in Rundschreiben an ihren Clerus, daß bei der Ein-
segnung gemischter Ehen das päpstliche Breve befolgt werden müsse, und
die Regierung sah sich genöthigt, auch diese Hirtenbriefe für unverbindlich
zu erklären.*)

Unter allen Bischöfen der Monarchie war nur noch einer, der das
Gesetz vom Jahre 1803 und die seitdem bestehende milde Uebung auch
fernerhin anerkennen wollte: der Fürstbischof von Breslau, Graf Sedlnitzky,
ein edler Mann von milden, aristokratischen Formen, feingebildet, menschen-
freundlich, wohlthätig, in Allem ein Muster christlicher Liebe, aber bei Wei-
tem nicht stark genug, um den Kampf mit dem römischen Stuhle aufzu-
nehmen. Er stand schon damals den Anschauungen der evangelischen Kirche
so nahe, daß die strengen Katholiken ihn kaum noch zu den Ihrigen rechnen
wollten. Sobald er sich weigerte dem Beispiele der anderen Bischöfe zu
folgen, ward er bei der Curie insgeheim angeschwärzt. Darauf sendete ihm
der Papst, das königliche Placet umgehend, durch die Vermittlung zweier vor-
nehmer Damen der Provinz ein höchst ungnädiges Schreiben; Gregor tadelte
den Fürstbischof hart, weil er die Rechte der Kirche saumselig und gleich-
sam schläfrig vertheidigt habe, und forderte ihn auf das durch seine Schuld
dem gläubigen Volke zugefügte Leid zu sühnen. Friedfertig und ganz ohne
Ehrgeiz, wie er immer gewesen, wollte Sedlnitzky jetzt sogleich seine Würde
niederlegen; nur auf des Königs ausdrücklichen Befehl vertagte er diesen
Entschluß noch**) und suchte sich vor dem heiligen Stuhle zu rechtfertigen
(Juli 1839). Zur Antwort kam im Mai 1840 ein zweites noch schärferes

*) Altenstein an Bischof Hatten, 5. Juli 1838. Schön's Berichte, 13. April, 5. Mai,
26. Juli, 30. October 1838, 19. April 1839.
**) Cabinetsordre an Sedlnitzky, 7. Juli 1839.

IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit.
Miniſterium faſt alleſammt in tief unterwürfigen Eingaben, daß ſie den
Weiſungen ihres Oberhirten folgen müßten. Unter den Deutſchen aber
konnte Dunin’s Schickſal um ſo weniger Theilnahme erwecken, da er in
den ſüddeutſchen Zeitungen einen höchſt unziemlichen Federkrieg gegen die
Regierung unternommen hatte, und die polniſchen Grafen Raczynski,
Grabowski, Lubinski — natürlich nur als harmloſe Einzelne, nicht nach
Verabredung — jetzt in der Hauptſtadt erſchienen, um ſeine Befreiung
zu erbitten. Seine Amtsbrüder freilich, die Biſchöfe Hatten von Erme-
land und Sedlag von Culm geriethen in peinliche Verlegenheit; ſie waren
Beide gute Preußen und bemühten ſich auch jetzt noch redlich den kirch-
lichen Frieden aufrecht zu erhalten, während das blindgläubige Landvolk
der Marienburger Gegend, von den Kaplänen aufgeregt, ſchon für den
nächſten Charfreitag die Wiederherſtellung Polens erwartete. Aber nach-
dem der Papſt ſo vernehmlich geſprochen hatte und der Erzbiſchof von
Poſen vorangegangen war, konnten ſie nicht zurückbleiben, denn ein zwei-
faches Eherecht in der preußiſchen Monarchie war offenbar unmöglich.
Beide verlangten in Rundſchreiben an ihren Clerus, daß bei der Ein-
ſegnung gemiſchter Ehen das päpſtliche Breve befolgt werden müſſe, und
die Regierung ſah ſich genöthigt, auch dieſe Hirtenbriefe für unverbindlich
zu erklären.*)

Unter allen Biſchöfen der Monarchie war nur noch einer, der das
Geſetz vom Jahre 1803 und die ſeitdem beſtehende milde Uebung auch
fernerhin anerkennen wollte: der Fürſtbiſchof von Breslau, Graf Sedlnitzky,
ein edler Mann von milden, ariſtokratiſchen Formen, feingebildet, menſchen-
freundlich, wohlthätig, in Allem ein Muſter chriſtlicher Liebe, aber bei Wei-
tem nicht ſtark genug, um den Kampf mit dem römiſchen Stuhle aufzu-
nehmen. Er ſtand ſchon damals den Anſchauungen der evangeliſchen Kirche
ſo nahe, daß die ſtrengen Katholiken ihn kaum noch zu den Ihrigen rechnen
wollten. Sobald er ſich weigerte dem Beiſpiele der anderen Biſchöfe zu
folgen, ward er bei der Curie insgeheim angeſchwärzt. Darauf ſendete ihm
der Papſt, das königliche Placet umgehend, durch die Vermittlung zweier vor-
nehmer Damen der Provinz ein höchſt ungnädiges Schreiben; Gregor tadelte
den Fürſtbiſchof hart, weil er die Rechte der Kirche ſaumſelig und gleich-
ſam ſchläfrig vertheidigt habe, und forderte ihn auf das durch ſeine Schuld
dem gläubigen Volke zugefügte Leid zu ſühnen. Friedfertig und ganz ohne
Ehrgeiz, wie er immer geweſen, wollte Sedlnitzky jetzt ſogleich ſeine Würde
niederlegen; nur auf des Königs ausdrücklichen Befehl vertagte er dieſen
Entſchluß noch**) und ſuchte ſich vor dem heiligen Stuhle zu rechtfertigen
(Juli 1839). Zur Antwort kam im Mai 1840 ein zweites noch ſchärferes

*) Altenſtein an Biſchof Hatten, 5. Juli 1838. Schön’s Berichte, 13. April, 5. Mai,
26. Juli, 30. October 1838, 19. April 1839.
**) Cabinetsordre an Sedlnitzky, 7. Juli 1839.
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[710/0724] IV. 10. Der Kölniſche Biſchofsſtreit. Miniſterium faſt alleſammt in tief unterwürfigen Eingaben, daß ſie den Weiſungen ihres Oberhirten folgen müßten. Unter den Deutſchen aber konnte Dunin’s Schickſal um ſo weniger Theilnahme erwecken, da er in den ſüddeutſchen Zeitungen einen höchſt unziemlichen Federkrieg gegen die Regierung unternommen hatte, und die polniſchen Grafen Raczynski, Grabowski, Lubinski — natürlich nur als harmloſe Einzelne, nicht nach Verabredung — jetzt in der Hauptſtadt erſchienen, um ſeine Befreiung zu erbitten. Seine Amtsbrüder freilich, die Biſchöfe Hatten von Erme- land und Sedlag von Culm geriethen in peinliche Verlegenheit; ſie waren Beide gute Preußen und bemühten ſich auch jetzt noch redlich den kirch- lichen Frieden aufrecht zu erhalten, während das blindgläubige Landvolk der Marienburger Gegend, von den Kaplänen aufgeregt, ſchon für den nächſten Charfreitag die Wiederherſtellung Polens erwartete. Aber nach- dem der Papſt ſo vernehmlich geſprochen hatte und der Erzbiſchof von Poſen vorangegangen war, konnten ſie nicht zurückbleiben, denn ein zwei- faches Eherecht in der preußiſchen Monarchie war offenbar unmöglich. Beide verlangten in Rundſchreiben an ihren Clerus, daß bei der Ein- ſegnung gemiſchter Ehen das päpſtliche Breve befolgt werden müſſe, und die Regierung ſah ſich genöthigt, auch dieſe Hirtenbriefe für unverbindlich zu erklären. *) Unter allen Biſchöfen der Monarchie war nur noch einer, der das Geſetz vom Jahre 1803 und die ſeitdem beſtehende milde Uebung auch fernerhin anerkennen wollte: der Fürſtbiſchof von Breslau, Graf Sedlnitzky, ein edler Mann von milden, ariſtokratiſchen Formen, feingebildet, menſchen- freundlich, wohlthätig, in Allem ein Muſter chriſtlicher Liebe, aber bei Wei- tem nicht ſtark genug, um den Kampf mit dem römiſchen Stuhle aufzu- nehmen. Er ſtand ſchon damals den Anſchauungen der evangeliſchen Kirche ſo nahe, daß die ſtrengen Katholiken ihn kaum noch zu den Ihrigen rechnen wollten. Sobald er ſich weigerte dem Beiſpiele der anderen Biſchöfe zu folgen, ward er bei der Curie insgeheim angeſchwärzt. Darauf ſendete ihm der Papſt, das königliche Placet umgehend, durch die Vermittlung zweier vor- nehmer Damen der Provinz ein höchſt ungnädiges Schreiben; Gregor tadelte den Fürſtbiſchof hart, weil er die Rechte der Kirche ſaumſelig und gleich- ſam ſchläfrig vertheidigt habe, und forderte ihn auf das durch ſeine Schuld dem gläubigen Volke zugefügte Leid zu ſühnen. Friedfertig und ganz ohne Ehrgeiz, wie er immer geweſen, wollte Sedlnitzky jetzt ſogleich ſeine Würde niederlegen; nur auf des Königs ausdrücklichen Befehl vertagte er dieſen Entſchluß noch **) und ſuchte ſich vor dem heiligen Stuhle zu rechtfertigen (Juli 1839). Zur Antwort kam im Mai 1840 ein zweites noch ſchärferes *) Altenſtein an Biſchof Hatten, 5. Juli 1838. Schön’s Berichte, 13. April, 5. Mai, 26. Juli, 30. October 1838, 19. April 1839. **) Cabinetsordre an Sedlnitzky, 7. Juli 1839.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/724>, abgerufen am 30.04.2024.