dem Monarchen, dieser Clemens August sei ungleich milder gesinnt als sein älterer Bruder, der Bischof von Münster, Caspar Max*), und der König ertheilte seine Genehmigung. Cardinal Lambruschini aber, der seinen Mann kannte, sagte zu Bunsen, in der unwillkürlichen Aufwallung des ersten Erstaunens: "Ist Ihre Regierung toll?" Und der gegen den Clerus immer nachsichtige Oberpräsident Bodelschwingh meinte, als das Dom- capitel die Wahl vollzogen hatte: dies sei der entsetzlichste und unverant- wortlichste Mißgriff.
Ganz ebenso blind und störrisch, ganz ebenso durchdrungen von dem Bewußtsein seines göttlichen Rechtes wie Ernst August von Hannover schritt Droste-Vischering auf sein Ziel los: die weltliche Gewalt war für ihn einfach nicht vorhanden; und wenn er auch weder mit der Verlogenheit noch mit der Schlauheit des Welfen wetteifern konnte, so zeigte er sich doch ganz ebenso unbedenklich in der Wahl der Mittel. Wie ward plötzlich Alles anders in dem geistlichen Palaste bei St. Gereon, sobald der neue Oberhirt im Mai 1836 eingezogen war. Klösterliche Stille herrschte in den Sälen, wo vordem Spiegel seine heiteren, aber immer ehrbaren Gastmahle gegeben hatte. Die niederen Cleriker, die bei Spiegel stets einer welt- männisch freundlichen Aufnahme sicher waren, behandelte Droste so streng und mürrisch, daß sie bald klagten, diese Härte widerspreche den kanonischen Vorschriften; in der Regel durfte sein alter westphälischer Bedienter keinen Besuch vorlassen. Die schöne, dem Dom-Capitel vermachte Bibliothek seines Vorgängers ließ er schleunigst aus dem Hause schaffen. Mit solcher heid- nischen Wissenschaft wollte er nichts zu thun haben; außer der Tabaks- pfeife kannte er kein irdisches Bedürfniß. Von den höheren Geistlichen, die fast allesammt zu Spiegel's Schule gehörten, hielt sich Droste fern. Sein vertrauter Rathgeber war der junge Caplan Michelis, und mit Hilfe dieses ultramontanen Heißsporns gelang es ihm, seine Laufbahn in kurzen anderthalb Jahren abzuschließen.
Mit unverhohlener Schadenfreude begrüßten die belgischen Blätter, voran das ultramontane Journal de Liege, den Einzug ihres Gesinnungs- genossen. Gleich nach Spiegel's Tode erschien das "Rothe Buch", ein in den Kreisen der Aachener Clerisei entstandenes Libell, das von lügnerischen Anschuldigungen gegen die preußische Krone überfloß und den Berliner Staatsmännern ehrgeizige Pläne, welche ihnen nur zu fremd waren, an- dichtete: "Preußen und Deutschland scheinen ihnen schon identisch." Als das Rothe Buch in Preußen unterdrückt wurde, that sich in dem belgischen Städtchen Sittard, dicht an der Grenze, eine Winkelpresse auf, welche das verbotene Werk nachdruckte und außerdem noch eine Menge aufrühre- rischer Flugschriften in der Rheinprovinz verbreitete.**) Die in Sittard ver-
*) Dies rügte der König späterhin, in einer Randbemerkung v. Jan. 1838.
**) Rochow's Bericht an den König, 24. Mai 1837.
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Droſte’s erſte Schritte.
dem Monarchen, dieſer Clemens Auguſt ſei ungleich milder geſinnt als ſein älterer Bruder, der Biſchof von Münſter, Caspar Max*), und der König ertheilte ſeine Genehmigung. Cardinal Lambruschini aber, der ſeinen Mann kannte, ſagte zu Bunſen, in der unwillkürlichen Aufwallung des erſten Erſtaunens: „Iſt Ihre Regierung toll?“ Und der gegen den Clerus immer nachſichtige Oberpräſident Bodelſchwingh meinte, als das Dom- capitel die Wahl vollzogen hatte: dies ſei der entſetzlichſte und unverant- wortlichſte Mißgriff.
Ganz ebenſo blind und ſtörriſch, ganz ebenſo durchdrungen von dem Bewußtſein ſeines göttlichen Rechtes wie Ernſt Auguſt von Hannover ſchritt Droſte-Viſchering auf ſein Ziel los: die weltliche Gewalt war für ihn einfach nicht vorhanden; und wenn er auch weder mit der Verlogenheit noch mit der Schlauheit des Welfen wetteifern konnte, ſo zeigte er ſich doch ganz ebenſo unbedenklich in der Wahl der Mittel. Wie ward plötzlich Alles anders in dem geiſtlichen Palaſte bei St. Gereon, ſobald der neue Oberhirt im Mai 1836 eingezogen war. Klöſterliche Stille herrſchte in den Sälen, wo vordem Spiegel ſeine heiteren, aber immer ehrbaren Gaſtmahle gegeben hatte. Die niederen Cleriker, die bei Spiegel ſtets einer welt- männiſch freundlichen Aufnahme ſicher waren, behandelte Droſte ſo ſtreng und mürriſch, daß ſie bald klagten, dieſe Härte widerſpreche den kanoniſchen Vorſchriften; in der Regel durfte ſein alter weſtphäliſcher Bedienter keinen Beſuch vorlaſſen. Die ſchöne, dem Dom-Capitel vermachte Bibliothek ſeines Vorgängers ließ er ſchleunigſt aus dem Hauſe ſchaffen. Mit ſolcher heid- niſchen Wiſſenſchaft wollte er nichts zu thun haben; außer der Tabaks- pfeife kannte er kein irdiſches Bedürfniß. Von den höheren Geiſtlichen, die faſt alleſammt zu Spiegel’s Schule gehörten, hielt ſich Droſte fern. Sein vertrauter Rathgeber war der junge Caplan Michelis, und mit Hilfe dieſes ultramontanen Heißſporns gelang es ihm, ſeine Laufbahn in kurzen anderthalb Jahren abzuſchließen.
Mit unverhohlener Schadenfreude begrüßten die belgiſchen Blätter, voran das ultramontane Journal de Liège, den Einzug ihres Geſinnungs- genoſſen. Gleich nach Spiegel’s Tode erſchien das „Rothe Buch“, ein in den Kreiſen der Aachener Cleriſei entſtandenes Libell, das von lügneriſchen Anſchuldigungen gegen die preußiſche Krone überfloß und den Berliner Staatsmännern ehrgeizige Pläne, welche ihnen nur zu fremd waren, an- dichtete: „Preußen und Deutſchland ſcheinen ihnen ſchon identiſch.“ Als das Rothe Buch in Preußen unterdrückt wurde, that ſich in dem belgiſchen Städtchen Sittard, dicht an der Grenze, eine Winkelpreſſe auf, welche das verbotene Werk nachdruckte und außerdem noch eine Menge aufrühre- riſcher Flugſchriften in der Rheinprovinz verbreitete.**) Die in Sittard ver-
*) Dies rügte der König ſpäterhin, in einer Randbemerkung v. Jan. 1838.
**) Rochow’s Bericht an den König, 24. Mai 1837.
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Droſte’s erſte Schritte.
dem Monarchen, dieſer Clemens Auguſt ſei ungleich milder geſinnt als
ſein älterer Bruder, der Biſchof von Münſter, Caspar Max *), und der
König ertheilte ſeine Genehmigung. Cardinal Lambruschini aber, der ſeinen
Mann kannte, ſagte zu Bunſen, in der unwillkürlichen Aufwallung des
erſten Erſtaunens: „Iſt Ihre Regierung toll?“ Und der gegen den Clerus
immer nachſichtige Oberpräſident Bodelſchwingh meinte, als das Dom-
capitel die Wahl vollzogen hatte: dies ſei der entſetzlichſte und unverant-
wortlichſte Mißgriff.
Ganz ebenſo blind und ſtörriſch, ganz ebenſo durchdrungen von dem
Bewußtſein ſeines göttlichen Rechtes wie Ernſt Auguſt von Hannover ſchritt
Droſte-Viſchering auf ſein Ziel los: die weltliche Gewalt war für ihn
einfach nicht vorhanden; und wenn er auch weder mit der Verlogenheit
noch mit der Schlauheit des Welfen wetteifern konnte, ſo zeigte er ſich doch
ganz ebenſo unbedenklich in der Wahl der Mittel. Wie ward plötzlich
Alles anders in dem geiſtlichen Palaſte bei St. Gereon, ſobald der neue
Oberhirt im Mai 1836 eingezogen war. Klöſterliche Stille herrſchte in den
Sälen, wo vordem Spiegel ſeine heiteren, aber immer ehrbaren Gaſtmahle
gegeben hatte. Die niederen Cleriker, die bei Spiegel ſtets einer welt-
männiſch freundlichen Aufnahme ſicher waren, behandelte Droſte ſo ſtreng
und mürriſch, daß ſie bald klagten, dieſe Härte widerſpreche den kanoniſchen
Vorſchriften; in der Regel durfte ſein alter weſtphäliſcher Bedienter keinen
Beſuch vorlaſſen. Die ſchöne, dem Dom-Capitel vermachte Bibliothek ſeines
Vorgängers ließ er ſchleunigſt aus dem Hauſe ſchaffen. Mit ſolcher heid-
niſchen Wiſſenſchaft wollte er nichts zu thun haben; außer der Tabaks-
pfeife kannte er kein irdiſches Bedürfniß. Von den höheren Geiſtlichen,
die faſt alleſammt zu Spiegel’s Schule gehörten, hielt ſich Droſte fern.
Sein vertrauter Rathgeber war der junge Caplan Michelis, und mit Hilfe
dieſes ultramontanen Heißſporns gelang es ihm, ſeine Laufbahn in kurzen
anderthalb Jahren abzuſchließen.
Mit unverhohlener Schadenfreude begrüßten die belgiſchen Blätter,
voran das ultramontane Journal de Liège, den Einzug ihres Geſinnungs-
genoſſen. Gleich nach Spiegel’s Tode erſchien das „Rothe Buch“, ein in
den Kreiſen der Aachener Cleriſei entſtandenes Libell, das von lügneriſchen
Anſchuldigungen gegen die preußiſche Krone überfloß und den Berliner
Staatsmännern ehrgeizige Pläne, welche ihnen nur zu fremd waren, an-
dichtete: „Preußen und Deutſchland ſcheinen ihnen ſchon identiſch.“ Als
das Rothe Buch in Preußen unterdrückt wurde, that ſich in dem belgiſchen
Städtchen Sittard, dicht an der Grenze, eine Winkelpreſſe auf, welche
das verbotene Werk nachdruckte und außerdem noch eine Menge aufrühre-
riſcher Flugſchriften in der Rheinprovinz verbreitete. **) Die in Sittard ver-
*) Dies rügte der König ſpäterhin, in einer Randbemerkung v. Jan. 1838.
**) Rochow’s Bericht an den König, 24. Mai 1837.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/705>, abgerufen am 24.11.2024.
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