auch ihnen nur in der alten Zeit vor den Secularisationen, als die Kirche noch reich, der vornehme Clerus noch national gesinnt war und die Ge- heimnisse der Cabinette sich lange bewahren ließen. Wie durfte der evan- gelische König Preußens von seinen Landesbischöfen eine so unverbrüchliche Treue erwarten, jetzt da jede Möglichkeit einer Nationalkirche geschwunden war, und die monarchische Gewalt des Papstes auch über den Episcopat fast schrankenlos gebot? Nur Bunsen's Leichtsinn konnte hoffen, daß in dieser Epoche der anonymen Zeitungen und der ultramontanen Wühlerei die Vereinbarung mit den Bischöfen auf die Dauer geheim bleiben würde, eine Vereinbarung, die offenbar alle Kraft verlor sobald sie bekannt ward.
Im Frühjahr 1834 wurde der erfindungsreiche Diplomat nach Berlin berufen, und obwohl die alten Minister zu seinen kühnen Plänen den Kopf schüttelten, so bewahrten ihm doch der König und der Kronprinz ihr unbeschränktes Vertrauen. Er erhielt den Auftrag, zunächst mit dem Erz- bischof Spiegel zu verhandeln und fand seinen greisen Gönner zu jeder Nachgiebigkeit bereit. Der milde, weltkundige Prälat sah voraus, wie vielen Unfrieden die Forderung der katholischen Kindererziehung in der so bunt gemischten Kölner Erzdiöcese hervorrufen mußte; er erkannte, daß nicht blos die evangelische Kirche beleidigt, sondern auch die persönliche Ehre jedes evangelischen Bräutigams beschimpft wurde wenn man ihm die unwürdige Zumuthung stellte in seinen eigensten und heiligsten Angelegen- heiten einem fremden Priester ein bindendes Versprechen zu geben. Doch wie vertrugen sich diese verständigen Ansichten mit dem päpstlichen Breve? Aus dessen absichtlich gewundenen Sätzen ließ sich mit Sicherheit nur das Eine herauslesen, daß dem Priester höchstens die passive Assistenz gestattet sein sollte falls die Brautleute nicht die katholische Erziehung aller Kinder versprächen. Der Erzbischof schwankte lange und fühlte sich in seinem Gewissen schwer bedrängt. Da fand sich ein geistlicher Tausendkünstler bereit, Bunsen's dreiste Dialektik zu unterstützen: der Domkapitular Mün- chen, ein gelehrter Kanonist, der in diesen letzten Jahren eine große und, wie selbst der Oberpräsident Vincke meinte, nicht immer wohlthätige Macht über den alternden Kirchenfürsten gewonnen hatte.*) Der bewies in einem schwer gelehrten Gutachten -- denn was kann römische Hermeneutik nicht beweisen? -- das Breve erlaube Alles was nicht ausdrücklich darin verboten sei.
Nunmehr war Spiegel's Gewissen beruhigt, und nach kurzen Verhand- lungen unterzeichnete er mit Bunsen am 19. Juni 1834 einen geheimen Vertrag, welcher Alles gewährte was der Staat für den confessionellen Frieden der westlichen Provinzen zu wünschen hatte, aber weder mit dem neuen Breve des Papstes noch mit den alten kanonischen Vorschriften über- einstimmte. Die kirchliche Einsegnung der gemischten Ehen sollte fortan
*) Vincke an Altenstein, 12. Dec. 1835.
Geheimer Vertrag über die gemiſchten Ehen.
auch ihnen nur in der alten Zeit vor den Seculariſationen, als die Kirche noch reich, der vornehme Clerus noch national geſinnt war und die Ge- heimniſſe der Cabinette ſich lange bewahren ließen. Wie durfte der evan- geliſche König Preußens von ſeinen Landesbiſchöfen eine ſo unverbrüchliche Treue erwarten, jetzt da jede Möglichkeit einer Nationalkirche geſchwunden war, und die monarchiſche Gewalt des Papſtes auch über den Epiſcopat faſt ſchrankenlos gebot? Nur Bunſen’s Leichtſinn konnte hoffen, daß in dieſer Epoche der anonymen Zeitungen und der ultramontanen Wühlerei die Vereinbarung mit den Biſchöfen auf die Dauer geheim bleiben würde, eine Vereinbarung, die offenbar alle Kraft verlor ſobald ſie bekannt ward.
Im Frühjahr 1834 wurde der erfindungsreiche Diplomat nach Berlin berufen, und obwohl die alten Miniſter zu ſeinen kühnen Plänen den Kopf ſchüttelten, ſo bewahrten ihm doch der König und der Kronprinz ihr unbeſchränktes Vertrauen. Er erhielt den Auftrag, zunächſt mit dem Erz- biſchof Spiegel zu verhandeln und fand ſeinen greiſen Gönner zu jeder Nachgiebigkeit bereit. Der milde, weltkundige Prälat ſah voraus, wie vielen Unfrieden die Forderung der katholiſchen Kindererziehung in der ſo bunt gemiſchten Kölner Erzdiöceſe hervorrufen mußte; er erkannte, daß nicht blos die evangeliſche Kirche beleidigt, ſondern auch die perſönliche Ehre jedes evangeliſchen Bräutigams beſchimpft wurde wenn man ihm die unwürdige Zumuthung ſtellte in ſeinen eigenſten und heiligſten Angelegen- heiten einem fremden Prieſter ein bindendes Verſprechen zu geben. Doch wie vertrugen ſich dieſe verſtändigen Anſichten mit dem päpſtlichen Breve? Aus deſſen abſichtlich gewundenen Sätzen ließ ſich mit Sicherheit nur das Eine herausleſen, daß dem Prieſter höchſtens die paſſive Aſſiſtenz geſtattet ſein ſollte falls die Brautleute nicht die katholiſche Erziehung aller Kinder verſprächen. Der Erzbiſchof ſchwankte lange und fühlte ſich in ſeinem Gewiſſen ſchwer bedrängt. Da fand ſich ein geiſtlicher Tauſendkünſtler bereit, Bunſen’s dreiſte Dialektik zu unterſtützen: der Domkapitular Mün- chen, ein gelehrter Kanoniſt, der in dieſen letzten Jahren eine große und, wie ſelbſt der Oberpräſident Vincke meinte, nicht immer wohlthätige Macht über den alternden Kirchenfürſten gewonnen hatte.*) Der bewies in einem ſchwer gelehrten Gutachten — denn was kann römiſche Hermeneutik nicht beweiſen? — das Breve erlaube Alles was nicht ausdrücklich darin verboten ſei.
Nunmehr war Spiegel’s Gewiſſen beruhigt, und nach kurzen Verhand- lungen unterzeichnete er mit Bunſen am 19. Juni 1834 einen geheimen Vertrag, welcher Alles gewährte was der Staat für den confeſſionellen Frieden der weſtlichen Provinzen zu wünſchen hatte, aber weder mit dem neuen Breve des Papſtes noch mit den alten kanoniſchen Vorſchriften über- einſtimmte. Die kirchliche Einſegnung der gemiſchten Ehen ſollte fortan
*) Vincke an Altenſtein, 12. Dec. 1835.
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Geheimer Vertrag über die gemiſchten Ehen.
auch ihnen nur in der alten Zeit vor den Seculariſationen, als die Kirche
noch reich, der vornehme Clerus noch national geſinnt war und die Ge-
heimniſſe der Cabinette ſich lange bewahren ließen. Wie durfte der evan-
geliſche König Preußens von ſeinen Landesbiſchöfen eine ſo unverbrüchliche
Treue erwarten, jetzt da jede Möglichkeit einer Nationalkirche geſchwunden
war, und die monarchiſche Gewalt des Papſtes auch über den Epiſcopat faſt
ſchrankenlos gebot? Nur Bunſen’s Leichtſinn konnte hoffen, daß in dieſer
Epoche der anonymen Zeitungen und der ultramontanen Wühlerei die
Vereinbarung mit den Biſchöfen auf die Dauer geheim bleiben würde,
eine Vereinbarung, die offenbar alle Kraft verlor ſobald ſie bekannt ward.
Im Frühjahr 1834 wurde der erfindungsreiche Diplomat nach Berlin
berufen, und obwohl die alten Miniſter zu ſeinen kühnen Plänen den
Kopf ſchüttelten, ſo bewahrten ihm doch der König und der Kronprinz ihr
unbeſchränktes Vertrauen. Er erhielt den Auftrag, zunächſt mit dem Erz-
biſchof Spiegel zu verhandeln und fand ſeinen greiſen Gönner zu jeder
Nachgiebigkeit bereit. Der milde, weltkundige Prälat ſah voraus, wie vielen
Unfrieden die Forderung der katholiſchen Kindererziehung in der ſo bunt
gemiſchten Kölner Erzdiöceſe hervorrufen mußte; er erkannte, daß nicht
blos die evangeliſche Kirche beleidigt, ſondern auch die perſönliche Ehre
jedes evangeliſchen Bräutigams beſchimpft wurde wenn man ihm die
unwürdige Zumuthung ſtellte in ſeinen eigenſten und heiligſten Angelegen-
heiten einem fremden Prieſter ein bindendes Verſprechen zu geben. Doch
wie vertrugen ſich dieſe verſtändigen Anſichten mit dem päpſtlichen Breve?
Aus deſſen abſichtlich gewundenen Sätzen ließ ſich mit Sicherheit nur das
Eine herausleſen, daß dem Prieſter höchſtens die paſſive Aſſiſtenz geſtattet
ſein ſollte falls die Brautleute nicht die katholiſche Erziehung aller Kinder
verſprächen. Der Erzbiſchof ſchwankte lange und fühlte ſich in ſeinem
Gewiſſen ſchwer bedrängt. Da fand ſich ein geiſtlicher Tauſendkünſtler
bereit, Bunſen’s dreiſte Dialektik zu unterſtützen: der Domkapitular Mün-
chen, ein gelehrter Kanoniſt, der in dieſen letzten Jahren eine große und,
wie ſelbſt der Oberpräſident Vincke meinte, nicht immer wohlthätige Macht
über den alternden Kirchenfürſten gewonnen hatte. *) Der bewies in
einem ſchwer gelehrten Gutachten — denn was kann römiſche Hermeneutik
nicht beweiſen? — das Breve erlaube Alles was nicht ausdrücklich darin
verboten ſei.
Nunmehr war Spiegel’s Gewiſſen beruhigt, und nach kurzen Verhand-
lungen unterzeichnete er mit Bunſen am 19. Juni 1834 einen geheimen
Vertrag, welcher Alles gewährte was der Staat für den confeſſionellen
Frieden der weſtlichen Provinzen zu wünſchen hatte, aber weder mit dem
neuen Breve des Papſtes noch mit den alten kanoniſchen Vorſchriften über-
einſtimmte. Die kirchliche Einſegnung der gemiſchten Ehen ſollte fortan
*) Vincke an Altenſtein, 12. Dec. 1835.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/701>, abgerufen am 24.11.2024.
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