auf, seine Kriegslust war kaum mehr zu bändigen. "Ich habe", sagte er heftig, "von vornherein für die Legitimität kämpfen wollen und mich nur, weil ich der Jüngere bin, der reiferen Erfahrung des Königs gefügt." Jetzt aber glaubte er zu wissen, daß nicht bloß die königlichen Prinzen, sondern auch sein Schwiegervater selber seine Ansicht theile und allein Bernstorff mit den anderen Ministern die lauen Maßregeln Preußens veranlaßt habe.*) Nur schwer gab er diesen Verdacht auf, den wahr- scheinlich Metternich's Mittheilungen an Orlow hervorgerufen hatten.
Schon längst hatte er zu rüsten begonnen; nun befahl er neue Aus- hebungen und ließ sie, "um die Revolution zu schrecken", ganz gegen den russischen Brauch in den Zeitungen veröffentlichen. Erst auf Schöler's dringende Vorstellungen gestattete er endlich, daß Nesselrode in einem beschwichtigenden Rundschreiben an die Gesandtschaften den Ernst dieser Drohungen etwas abschwächte: die angeordneten Vorbereitungen, hieß es da, verfolgten nur die Absicht, den Frieden und die vertragsmäßige Ord- nung Europas aufrechtzuerhalten; hoffentlich werde schon die Ankündigung genügen, um "diesen Zweck der Erhaltung" zu erreichen.**) Unterdessen erschöpfte Diebitsch in Berlin seine ganze Beredsamkeit, um immer wieder zu beweisen, wie nothwendig der große Krieg und wie leicht er zu führen sei. Doch seine diplomatischen Künste, die sich vor'm Jahre in Adrianopel so glänzend bewährt hatten, versagten diesmal. Friedrich Wilhelm blieb fest, und als der Feldmarschall endlich in den ersten Decembertagen heim- kehrte, gab man ihm eine große, sorgfältig vorbereitete Denkschrift mit auf den Weg, welche dem Czaren noch einmal die leitenden Gedanken der preußischen Friedenspolitik vor die Augen führen sollte.***)
Nichts lag dem Könige ferner als der Gedanke einer Annäherung an den liberalen Westen. Auf dem Bunde der Ostmächte fußten alle seine Pläne, und auch der alten übermäßigen Vorliebe für die Russen hatte er keineswegs entsagt. "Rußland", so sagte er, "ist und bleibt die kräftigste Stütze der Allianz, sowohl wegen des hochherzigen Charakters seines Souve- räns, als wegen der Trefflichkeit seiner Heere." Er wollte nicht den Frieden um jeden Preis, sondern verlangte, die großen Mächte sollten dem Hofe des Palais Royal gemeinsam erklären, daß sie die Politik der revolutio- nären Propaganda nicht dulden würden. Bei offenbarer Feindseligkeit Frankreichs war er bereit, den Krieg sogar ohne Englands Mitwirkung zu beginnen, während man in Petersburg selbst noch immer an die Fort-
*) Schöler's Bericht 21. Nov. 1830.
**) Schöler, Verbalnote an Nesselrode, 8. November/27. October 1830; Nesselrode, Circular- Depesche 29. October a. St., nebst Begleitschreiben an Schöler.
***) Bernstorff, Memoire sur la position de la grande alliance relativement a la France et a l'Europe, 24. November 1830. Entwurf dazu v. 9. Nov., nebst "Fragen und Anweisungen" des Königs.
Ruſſiſche Rüſtungen.
auf, ſeine Kriegsluſt war kaum mehr zu bändigen. „Ich habe“, ſagte er heftig, „von vornherein für die Legitimität kämpfen wollen und mich nur, weil ich der Jüngere bin, der reiferen Erfahrung des Königs gefügt.“ Jetzt aber glaubte er zu wiſſen, daß nicht bloß die königlichen Prinzen, ſondern auch ſein Schwiegervater ſelber ſeine Anſicht theile und allein Bernſtorff mit den anderen Miniſtern die lauen Maßregeln Preußens veranlaßt habe.*) Nur ſchwer gab er dieſen Verdacht auf, den wahr- ſcheinlich Metternich’s Mittheilungen an Orlow hervorgerufen hatten.
Schon längſt hatte er zu rüſten begonnen; nun befahl er neue Aus- hebungen und ließ ſie, „um die Revolution zu ſchrecken“, ganz gegen den ruſſiſchen Brauch in den Zeitungen veröffentlichen. Erſt auf Schöler’s dringende Vorſtellungen geſtattete er endlich, daß Neſſelrode in einem beſchwichtigenden Rundſchreiben an die Geſandtſchaften den Ernſt dieſer Drohungen etwas abſchwächte: die angeordneten Vorbereitungen, hieß es da, verfolgten nur die Abſicht, den Frieden und die vertragsmäßige Ord- nung Europas aufrechtzuerhalten; hoffentlich werde ſchon die Ankündigung genügen, um „dieſen Zweck der Erhaltung“ zu erreichen.**) Unterdeſſen erſchöpfte Diebitſch in Berlin ſeine ganze Beredſamkeit, um immer wieder zu beweiſen, wie nothwendig der große Krieg und wie leicht er zu führen ſei. Doch ſeine diplomatiſchen Künſte, die ſich vor’m Jahre in Adrianopel ſo glänzend bewährt hatten, verſagten diesmal. Friedrich Wilhelm blieb feſt, und als der Feldmarſchall endlich in den erſten Decembertagen heim- kehrte, gab man ihm eine große, ſorgfältig vorbereitete Denkſchrift mit auf den Weg, welche dem Czaren noch einmal die leitenden Gedanken der preußiſchen Friedenspolitik vor die Augen führen ſollte.***)
Nichts lag dem Könige ferner als der Gedanke einer Annäherung an den liberalen Weſten. Auf dem Bunde der Oſtmächte fußten alle ſeine Pläne, und auch der alten übermäßigen Vorliebe für die Ruſſen hatte er keineswegs entſagt. „Rußland“, ſo ſagte er, „iſt und bleibt die kräftigſte Stütze der Allianz, ſowohl wegen des hochherzigen Charakters ſeines Souve- räns, als wegen der Trefflichkeit ſeiner Heere.“ Er wollte nicht den Frieden um jeden Preis, ſondern verlangte, die großen Mächte ſollten dem Hofe des Palais Royal gemeinſam erklären, daß ſie die Politik der revolutio- nären Propaganda nicht dulden würden. Bei offenbarer Feindſeligkeit Frankreichs war er bereit, den Krieg ſogar ohne Englands Mitwirkung zu beginnen, während man in Petersburg ſelbſt noch immer an die Fort-
*) Schöler’s Bericht 21. Nov. 1830.
**) Schöler, Verbalnote an Neſſelrode, 8. November/27. October 1830; Neſſelrode, Circular- Depeſche 29. October a. St., nebſt Begleitſchreiben an Schöler.
***) Bernſtorff, Mémoire sur la position de la grande alliance relativement à la France et à l’Europe, 24. November 1830. Entwurf dazu v. 9. Nov., nebſt „Fragen und Anweiſungen“ des Königs.
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heftig, „von vornherein für die Legitimität kämpfen wollen und mich nur,
weil ich der Jüngere bin, der reiferen Erfahrung des Königs gefügt.“
Jetzt aber glaubte er zu wiſſen, daß nicht bloß die königlichen Prinzen,
ſondern auch ſein Schwiegervater ſelber ſeine Anſicht theile und allein
Bernſtorff mit den anderen Miniſtern die lauen Maßregeln Preußens
veranlaßt habe. *) Nur ſchwer gab er dieſen Verdacht auf, den wahr-
ſcheinlich Metternich’s Mittheilungen an Orlow hervorgerufen hatten.
Schon längſt hatte er zu rüſten begonnen; nun befahl er neue Aus-
hebungen und ließ ſie, „um die Revolution zu ſchrecken“, ganz gegen den
ruſſiſchen Brauch in den Zeitungen veröffentlichen. Erſt auf Schöler’s
dringende Vorſtellungen geſtattete er endlich, daß Neſſelrode in einem
beſchwichtigenden Rundſchreiben an die Geſandtſchaften den Ernſt dieſer
Drohungen etwas abſchwächte: die angeordneten Vorbereitungen, hieß es
da, verfolgten nur die Abſicht, den Frieden und die vertragsmäßige Ord-
nung Europas aufrechtzuerhalten; hoffentlich werde ſchon die Ankündigung
genügen, um „dieſen Zweck der Erhaltung“ zu erreichen. **) Unterdeſſen
erſchöpfte Diebitſch in Berlin ſeine ganze Beredſamkeit, um immer wieder
zu beweiſen, wie nothwendig der große Krieg und wie leicht er zu führen ſei.
Doch ſeine diplomatiſchen Künſte, die ſich vor’m Jahre in Adrianopel ſo
glänzend bewährt hatten, verſagten diesmal. Friedrich Wilhelm blieb feſt,
und als der Feldmarſchall endlich in den erſten Decembertagen heim-
kehrte, gab man ihm eine große, ſorgfältig vorbereitete Denkſchrift mit
auf den Weg, welche dem Czaren noch einmal die leitenden Gedanken
der preußiſchen Friedenspolitik vor die Augen führen ſollte. ***)
Nichts lag dem Könige ferner als der Gedanke einer Annäherung an
den liberalen Weſten. Auf dem Bunde der Oſtmächte fußten alle ſeine
Pläne, und auch der alten übermäßigen Vorliebe für die Ruſſen hatte er
keineswegs entſagt. „Rußland“, ſo ſagte er, „iſt und bleibt die kräftigſte
Stütze der Allianz, ſowohl wegen des hochherzigen Charakters ſeines Souve-
räns, als wegen der Trefflichkeit ſeiner Heere.“ Er wollte nicht den Frieden
um jeden Preis, ſondern verlangte, die großen Mächte ſollten dem Hofe
des Palais Royal gemeinſam erklären, daß ſie die Politik der revolutio-
nären Propaganda nicht dulden würden. Bei offenbarer Feindſeligkeit
Frankreichs war er bereit, den Krieg ſogar ohne Englands Mitwirkung
zu beginnen, während man in Petersburg ſelbſt noch immer an die Fort-
*) Schöler’s Bericht 21. Nov. 1830.
**) Schöler, Verbalnote an Neſſelrode, 8. November/27. October 1830; Neſſelrode, Circular-
Depeſche 29. October a. St., nebſt Begleitſchreiben an Schöler.
***) Bernſtorff, Mémoire sur la position de la grande alliance relativement
à la France et à l’Europe, 24. November 1830. Entwurf dazu v. 9. Nov., nebſt
„Fragen und Anweiſungen“ des Königs.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/69>, abgerufen am 23.07.2024.
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