langt. Sobald er den Hirtenstab des heiligen Wilibald in Händen hielt, errichtete er sofort ein Knabenseminar -- eine jener gemeinschädlichen, auf die Knechtung der kindlichen Gemüther berechneten Anstalten, welche bis- her noch in keinem der paritätischen deutschen Staaten Einlaß gefunden hatten. Wie hoch die Hoffnungen der Ultramontanen gestiegen waren, das erhellte am sichersten aus der gedämpften, fast diplomatischen Redeweise des alten Kämpen Görres, der jetzt außer einem phantastischen Buche über die christliche Mystik auch zahlreiche Flugschriften und Artikel in der cleri- calen Zeitschrift "Eos" veröffentlichte. Seinen Berserkerhaß ergoß er aus- schließlich auf die Liberalen; das Ministerium Wallerstein bekämpfte er als ein System des Juste-Milieu mit auffälliger Milde, und von der Person des Königs redete er stets im Tone der Ehrfurcht. Es war ersichtlich die Sprache einer Partei, die sich schon anschickte die Herrschaft anzutreten.
Zunächst blieben aber König Ludwig's Gedanken ganz in die Ferne gerichtet. Sein alter Traum, der Plan eines bairisch-griechischen Staates, schien jetzt wirklich in Erfüllung zu gehen. Seit Griechenlands Unab- hängigkeit gesichert war (1827), hatte Kapodistrias, der Vertraute des Czaren Alexander, der einzige Hellene von europäischem Namen, die Leitung des jungen Staates übernommen; doch in den wüsten Parteikämpfen des gänz- lich verarmten und maßlos begehrlichen Volkes vermochte der wohlmeinende Kybernetes sich kaum zu halten. Die Capitäne der alten Freiheitskämpfer erhoben sich wider ihn und fanden, da er sich auf Rußland zu stützen suchte, bei den Gesandten der Westmächte geheime Hilfe. Nun beschlossen die drei Schutzmächte (Febr. 1830), daß Griechenland einen selbständigen Staat unter einem Fürsten aus souveränem Hause bilden sollte. Aber der erwählte Throncandidat Leopold von Coburg lehnte ab, bald darauf wurde Kapodistrias meuchlings ermordet (1831), und die scheußliche Anarchie, die nun hereinbrach, zeigte genugsam, was man an ihm verlor. Als nach Jahren die Leidenschaften sich beruhigten, gestanden die Hellenen selber, daß sie doch niemals einen besseren Herrscher gesehen hatten, als den vielver- leumdeten Baba Jannis.
In dieser Zeit allgemeiner Verwirrung bereiste Friedrich Thiersch das Land. Als glühender Bewunderer der Hellenen war der liebenswürdige Gelehrte überall wohlgelitten und er benutzte diese Volksgunst, um zu ver- wirklichen, was er seit Jahren geplant, und den Sohn des gekrönten Phil- hellenen, den Prinzen Otto von Baiern als König der Hellenen zu em- pfehlen. Der Vorschlag fand freundliche Aufnahme, König Ludwig's Zu- stimmung verstand sich von selbst, und da die Schutzmächte keinen anderen Rath wußten, so übertrugen sie am 7. Mai 1832 dem jungen Prinzen die Herrschergewalt, die ihm nachher durch den einstimmigen Beschluß der griechischen Nationalversammlung feierlich bestätigt wurde. König Ludwig schwamm in Freuden. Wie viel Geld und wie viel Lieder hatte er schon den Hellenen gespendet; wie oft, wenn er sein Land durchreiste, hatte er
IV. 8. Stille Jahre.
langt. Sobald er den Hirtenſtab des heiligen Wilibald in Händen hielt, errichtete er ſofort ein Knabenſeminar — eine jener gemeinſchädlichen, auf die Knechtung der kindlichen Gemüther berechneten Anſtalten, welche bis- her noch in keinem der paritätiſchen deutſchen Staaten Einlaß gefunden hatten. Wie hoch die Hoffnungen der Ultramontanen geſtiegen waren, das erhellte am ſicherſten aus der gedämpften, faſt diplomatiſchen Redeweiſe des alten Kämpen Görres, der jetzt außer einem phantaſtiſchen Buche über die chriſtliche Myſtik auch zahlreiche Flugſchriften und Artikel in der cleri- calen Zeitſchrift „Eos“ veröffentlichte. Seinen Berſerkerhaß ergoß er aus- ſchließlich auf die Liberalen; das Miniſterium Wallerſtein bekämpfte er als ein Syſtem des Juſte-Milieu mit auffälliger Milde, und von der Perſon des Königs redete er ſtets im Tone der Ehrfurcht. Es war erſichtlich die Sprache einer Partei, die ſich ſchon anſchickte die Herrſchaft anzutreten.
Zunächſt blieben aber König Ludwig’s Gedanken ganz in die Ferne gerichtet. Sein alter Traum, der Plan eines bairiſch-griechiſchen Staates, ſchien jetzt wirklich in Erfüllung zu gehen. Seit Griechenlands Unab- hängigkeit geſichert war (1827), hatte Kapodiſtrias, der Vertraute des Czaren Alexander, der einzige Hellene von europäiſchem Namen, die Leitung des jungen Staates übernommen; doch in den wüſten Parteikämpfen des gänz- lich verarmten und maßlos begehrlichen Volkes vermochte der wohlmeinende Kybernetes ſich kaum zu halten. Die Capitäne der alten Freiheitskämpfer erhoben ſich wider ihn und fanden, da er ſich auf Rußland zu ſtützen ſuchte, bei den Geſandten der Weſtmächte geheime Hilfe. Nun beſchloſſen die drei Schutzmächte (Febr. 1830), daß Griechenland einen ſelbſtändigen Staat unter einem Fürſten aus ſouveränem Hauſe bilden ſollte. Aber der erwählte Throncandidat Leopold von Coburg lehnte ab, bald darauf wurde Kapodiſtrias meuchlings ermordet (1831), und die ſcheußliche Anarchie, die nun hereinbrach, zeigte genugſam, was man an ihm verlor. Als nach Jahren die Leidenſchaften ſich beruhigten, geſtanden die Hellenen ſelber, daß ſie doch niemals einen beſſeren Herrſcher geſehen hatten, als den vielver- leumdeten Baba Jannis.
In dieſer Zeit allgemeiner Verwirrung bereiſte Friedrich Thierſch das Land. Als glühender Bewunderer der Hellenen war der liebenswürdige Gelehrte überall wohlgelitten und er benutzte dieſe Volksgunſt, um zu ver- wirklichen, was er ſeit Jahren geplant, und den Sohn des gekrönten Phil- hellenen, den Prinzen Otto von Baiern als König der Hellenen zu em- pfehlen. Der Vorſchlag fand freundliche Aufnahme, König Ludwig’s Zu- ſtimmung verſtand ſich von ſelbſt, und da die Schutzmächte keinen anderen Rath wußten, ſo übertrugen ſie am 7. Mai 1832 dem jungen Prinzen die Herrſchergewalt, die ihm nachher durch den einſtimmigen Beſchluß der griechiſchen Nationalverſammlung feierlich beſtätigt wurde. König Ludwig ſchwamm in Freuden. Wie viel Geld und wie viel Lieder hatte er ſchon den Hellenen geſpendet; wie oft, wenn er ſein Land durchreiſte, hatte er
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die Knechtung der kindlichen Gemüther berechneten Anſtalten, welche bis-
her noch in keinem der paritätiſchen deutſchen Staaten Einlaß gefunden
hatten. Wie hoch die Hoffnungen der Ultramontanen geſtiegen waren, das
erhellte am ſicherſten aus der gedämpften, faſt diplomatiſchen Redeweiſe
des alten Kämpen Görres, der jetzt außer einem phantaſtiſchen Buche über
die chriſtliche Myſtik auch zahlreiche Flugſchriften und Artikel in der cleri-
calen Zeitſchrift „Eos“ veröffentlichte. Seinen Berſerkerhaß ergoß er aus-
ſchließlich auf die Liberalen; das Miniſterium Wallerſtein bekämpfte er als
ein Syſtem des Juſte-Milieu mit auffälliger Milde, und von der Perſon
des Königs redete er ſtets im Tone der Ehrfurcht. Es war erſichtlich die
Sprache einer Partei, die ſich ſchon anſchickte die Herrſchaft anzutreten.
Zunächſt blieben aber König Ludwig’s Gedanken ganz in die Ferne
gerichtet. Sein alter Traum, der Plan eines bairiſch-griechiſchen Staates,
ſchien jetzt wirklich in Erfüllung zu gehen. Seit Griechenlands Unab-
hängigkeit geſichert war (1827), hatte Kapodiſtrias, der Vertraute des Czaren
Alexander, der einzige Hellene von europäiſchem Namen, die Leitung des
jungen Staates übernommen; doch in den wüſten Parteikämpfen des gänz-
lich verarmten und maßlos begehrlichen Volkes vermochte der wohlmeinende
Kybernetes ſich kaum zu halten. Die Capitäne der alten Freiheitskämpfer
erhoben ſich wider ihn und fanden, da er ſich auf Rußland zu ſtützen
ſuchte, bei den Geſandten der Weſtmächte geheime Hilfe. Nun beſchloſſen
die drei Schutzmächte (Febr. 1830), daß Griechenland einen ſelbſtändigen
Staat unter einem Fürſten aus ſouveränem Hauſe bilden ſollte. Aber der
erwählte Throncandidat Leopold von Coburg lehnte ab, bald darauf wurde
Kapodiſtrias meuchlings ermordet (1831), und die ſcheußliche Anarchie, die
nun hereinbrach, zeigte genugſam, was man an ihm verlor. Als nach
Jahren die Leidenſchaften ſich beruhigten, geſtanden die Hellenen ſelber, daß
ſie doch niemals einen beſſeren Herrſcher geſehen hatten, als den vielver-
leumdeten Baba Jannis.
In dieſer Zeit allgemeiner Verwirrung bereiſte Friedrich Thierſch das
Land. Als glühender Bewunderer der Hellenen war der liebenswürdige
Gelehrte überall wohlgelitten und er benutzte dieſe Volksgunſt, um zu ver-
wirklichen, was er ſeit Jahren geplant, und den Sohn des gekrönten Phil-
hellenen, den Prinzen Otto von Baiern als König der Hellenen zu em-
pfehlen. Der Vorſchlag fand freundliche Aufnahme, König Ludwig’s Zu-
ſtimmung verſtand ſich von ſelbſt, und da die Schutzmächte keinen anderen
Rath wußten, ſo übertrugen ſie am 7. Mai 1832 dem jungen Prinzen
die Herrſchergewalt, die ihm nachher durch den einſtimmigen Beſchluß der
griechiſchen Nationalverſammlung feierlich beſtätigt wurde. König Ludwig
ſchwamm in Freuden. Wie viel Geld und wie viel Lieder hatte er ſchon
den Hellenen geſpendet; wie oft, wenn er ſein Land durchreiſte, hatte er
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/650>, abgerufen am 24.11.2024.
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