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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Polignac's Geist gepriesen hatte. Schon am 2. October, noch bevor jene
Anfrage Bernstorff's eingetroffen war, beschloß das Cabinet, alle Groß-
mächte, auch Frankreich, zu einer europäischen Conferenz einzuladen.
Preußen und Oesterreich stimmten zu. Der französische Hof erhob noch
allerhand Schwierigkeiten; er verlangte die Sicherheit, daß auf keinen Fall
eine bewaffnete Einmischung erfolgen dürfe, er schlug Paris zum Sitze
der Conferenz vor; doch er fügte sich, als seine Zumuthungen einmüthig
abgewiesen wurden, und man ward einig die Versammlung nach London
zu berufen.

In solcher Lage kam das neue Hilfegesuch, das der König der Nieder-
lande, diesmal an alle vier Mächte, abgehen ließ, offenbar zu spät. Der
König verlangte sofortiges Einschreiten mit den Waffen und versicherte
dem Czaren, dies sei mit dem europäischen Frieden vielleicht nicht unver-
einbar. Preußen und England aber verwiesen ihn auf die Verhandlungen
der Conferenzen; und in gleichem Sinne ward geantwortet, als der Oranier
sich bald nachher zum dritten male an Preußen wendete, um mindestens
die Besetzung einiger Festungen zu erreichen.*) Sein Gesandter Graf
Perponcher hatte einen harten Stand; der war in Berlin ganz heimisch
geworden, wurde vom Könige und den Prinzen als alter Freund behan-
delt und mußte nun doch beständig Abweisungen erfahren; würdig und
taktvoll behauptete er sich zwischen Bernstorff und Diebitsch, zwischen den
liberalen Beamten und den kriegslustigen Offizieren.

Und nun zeigte sich, was Friedrich Wilhelm's feste und offene Hal-
tung für den Weltfrieden bedeutete. Mit gutem Grunde sagte Lord
Heytesbury in Petersburg zu General Schöler: "Ihre Regierung ist die
vernünftigste von allen," und desgleichen Nesselrode: "die besonnene Politik
Ihres Königs ist das Einzige, worauf Europa noch seine Hoffnung bauen
kann." Durch Preußen allein wurden die kriegerischen Pläne des Czaren
in Schach gehalten. Nikolaus fand es entsetzlich, daß der König der Barri-
kaden in den hohen Rath Europas eintreten solle; sein Diebitsch machte
in Berlin den naiven Vorschlag, Frankreich dürfe nur zugelassen werden,
wenn es sich verpflichte, die Verhältnisse Belgiens, wie sie vor der Revo-
lution bestanden, aufrechtzuerhalten -- worauf Friedrich Wilhelm kurzab
erwiderte: "dies wird niemals erreicht werden können." Aber ohne
Preußen vermochte Rußland in diesem Handel nichts. Wie hart es ihm
auch ankam, am 25. October erwiderte Nikolaus dem Oranier: er selbst sei
bereit die verlangte Waffenhilfe zu leisten, doch sein vereinzeltes Auftreten
würde nur schaden, die Verständigung mit den Großmächten könne allein
noch retten. Sichtlich erleichtert schrieb Nesselrode, den die leidenschaft-
lichen Vorsätze des Czaren schwer beängstigt hatten, nach Berlin: wenn alle

*) König Wilhelm der Niederlande an Kaiser Nikolaus 2. October. Perponcher
an Bernstorff 6. Oct. Antwort 15. Oct. Cabinetsordre an Bernstorff 1. Nov. 1830.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Polignac’s Geiſt geprieſen hatte. Schon am 2. October, noch bevor jene
Anfrage Bernſtorff’s eingetroffen war, beſchloß das Cabinet, alle Groß-
mächte, auch Frankreich, zu einer europäiſchen Conferenz einzuladen.
Preußen und Oeſterreich ſtimmten zu. Der franzöſiſche Hof erhob noch
allerhand Schwierigkeiten; er verlangte die Sicherheit, daß auf keinen Fall
eine bewaffnete Einmiſchung erfolgen dürfe, er ſchlug Paris zum Sitze
der Conferenz vor; doch er fügte ſich, als ſeine Zumuthungen einmüthig
abgewieſen wurden, und man ward einig die Verſammlung nach London
zu berufen.

In ſolcher Lage kam das neue Hilfegeſuch, das der König der Nieder-
lande, diesmal an alle vier Mächte, abgehen ließ, offenbar zu ſpät. Der
König verlangte ſofortiges Einſchreiten mit den Waffen und verſicherte
dem Czaren, dies ſei mit dem europäiſchen Frieden vielleicht nicht unver-
einbar. Preußen und England aber verwieſen ihn auf die Verhandlungen
der Conferenzen; und in gleichem Sinne ward geantwortet, als der Oranier
ſich bald nachher zum dritten male an Preußen wendete, um mindeſtens
die Beſetzung einiger Feſtungen zu erreichen.*) Sein Geſandter Graf
Perponcher hatte einen harten Stand; der war in Berlin ganz heimiſch
geworden, wurde vom Könige und den Prinzen als alter Freund behan-
delt und mußte nun doch beſtändig Abweiſungen erfahren; würdig und
taktvoll behauptete er ſich zwiſchen Bernſtorff und Diebitſch, zwiſchen den
liberalen Beamten und den kriegsluſtigen Offizieren.

Und nun zeigte ſich, was Friedrich Wilhelm’s feſte und offene Hal-
tung für den Weltfrieden bedeutete. Mit gutem Grunde ſagte Lord
Heytesbury in Petersburg zu General Schöler: „Ihre Regierung iſt die
vernünftigſte von allen,“ und desgleichen Neſſelrode: „die beſonnene Politik
Ihres Königs iſt das Einzige, worauf Europa noch ſeine Hoffnung bauen
kann.“ Durch Preußen allein wurden die kriegeriſchen Pläne des Czaren
in Schach gehalten. Nikolaus fand es entſetzlich, daß der König der Barri-
kaden in den hohen Rath Europas eintreten ſolle; ſein Diebitſch machte
in Berlin den naiven Vorſchlag, Frankreich dürfe nur zugelaſſen werden,
wenn es ſich verpflichte, die Verhältniſſe Belgiens, wie ſie vor der Revo-
lution beſtanden, aufrechtzuerhalten — worauf Friedrich Wilhelm kurzab
erwiderte: „dies wird niemals erreicht werden können.“ Aber ohne
Preußen vermochte Rußland in dieſem Handel nichts. Wie hart es ihm
auch ankam, am 25. October erwiderte Nikolaus dem Oranier: er ſelbſt ſei
bereit die verlangte Waffenhilfe zu leiſten, doch ſein vereinzeltes Auftreten
würde nur ſchaden, die Verſtändigung mit den Großmächten könne allein
noch retten. Sichtlich erleichtert ſchrieb Neſſelrode, den die leidenſchaft-
lichen Vorſätze des Czaren ſchwer beängſtigt hatten, nach Berlin: wenn alle

*) König Wilhelm der Niederlande an Kaiſer Nikolaus 2. October. Perponcher
an Bernſtorff 6. Oct. Antwort 15. Oct. Cabinetsordre an Bernſtorff 1. Nov. 1830.
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[50/0064] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. Polignac’s Geiſt geprieſen hatte. Schon am 2. October, noch bevor jene Anfrage Bernſtorff’s eingetroffen war, beſchloß das Cabinet, alle Groß- mächte, auch Frankreich, zu einer europäiſchen Conferenz einzuladen. Preußen und Oeſterreich ſtimmten zu. Der franzöſiſche Hof erhob noch allerhand Schwierigkeiten; er verlangte die Sicherheit, daß auf keinen Fall eine bewaffnete Einmiſchung erfolgen dürfe, er ſchlug Paris zum Sitze der Conferenz vor; doch er fügte ſich, als ſeine Zumuthungen einmüthig abgewieſen wurden, und man ward einig die Verſammlung nach London zu berufen. In ſolcher Lage kam das neue Hilfegeſuch, das der König der Nieder- lande, diesmal an alle vier Mächte, abgehen ließ, offenbar zu ſpät. Der König verlangte ſofortiges Einſchreiten mit den Waffen und verſicherte dem Czaren, dies ſei mit dem europäiſchen Frieden vielleicht nicht unver- einbar. Preußen und England aber verwieſen ihn auf die Verhandlungen der Conferenzen; und in gleichem Sinne ward geantwortet, als der Oranier ſich bald nachher zum dritten male an Preußen wendete, um mindeſtens die Beſetzung einiger Feſtungen zu erreichen. *) Sein Geſandter Graf Perponcher hatte einen harten Stand; der war in Berlin ganz heimiſch geworden, wurde vom Könige und den Prinzen als alter Freund behan- delt und mußte nun doch beſtändig Abweiſungen erfahren; würdig und taktvoll behauptete er ſich zwiſchen Bernſtorff und Diebitſch, zwiſchen den liberalen Beamten und den kriegsluſtigen Offizieren. Und nun zeigte ſich, was Friedrich Wilhelm’s feſte und offene Hal- tung für den Weltfrieden bedeutete. Mit gutem Grunde ſagte Lord Heytesbury in Petersburg zu General Schöler: „Ihre Regierung iſt die vernünftigſte von allen,“ und desgleichen Neſſelrode: „die beſonnene Politik Ihres Königs iſt das Einzige, worauf Europa noch ſeine Hoffnung bauen kann.“ Durch Preußen allein wurden die kriegeriſchen Pläne des Czaren in Schach gehalten. Nikolaus fand es entſetzlich, daß der König der Barri- kaden in den hohen Rath Europas eintreten ſolle; ſein Diebitſch machte in Berlin den naiven Vorſchlag, Frankreich dürfe nur zugelaſſen werden, wenn es ſich verpflichte, die Verhältniſſe Belgiens, wie ſie vor der Revo- lution beſtanden, aufrechtzuerhalten — worauf Friedrich Wilhelm kurzab erwiderte: „dies wird niemals erreicht werden können.“ Aber ohne Preußen vermochte Rußland in dieſem Handel nichts. Wie hart es ihm auch ankam, am 25. October erwiderte Nikolaus dem Oranier: er ſelbſt ſei bereit die verlangte Waffenhilfe zu leiſten, doch ſein vereinzeltes Auftreten würde nur ſchaden, die Verſtändigung mit den Großmächten könne allein noch retten. Sichtlich erleichtert ſchrieb Neſſelrode, den die leidenſchaft- lichen Vorſätze des Czaren ſchwer beängſtigt hatten, nach Berlin: wenn alle *) König Wilhelm der Niederlande an Kaiſer Nikolaus 2. October. Perponcher an Bernſtorff 6. Oct. Antwort 15. Oct. Cabinetsordre an Bernſtorff 1. Nov. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/64>, abgerufen am 25.11.2024.