Todfeind, obgleich er die Theilnahme an dem hoffnungslosen Frankfurter Attentate klüglich abgelehnt hatte, und bestellte ihm zum Untersuchungsrichter den Gerichtsrath Georgi, einen brutalen Mann, der nach dem Zeugniß der Gerichtsärzte am Delirium tremens litt. Durch die endlosen Verhöre ge- rieth der ohnehin leidenschaftliche Angeklagte in eine fieberische Aufregung. Zuweilen erschien er wie tobsüchtig; er sagte dreiste Unwahrheiten und be- nahm sich so widerspänstig, daß Georgi ihn mit Körperstrafen bedrohte; einmal stürzte er rasend mit einem Messer auf seinen Peiniger los. Dar- auf wurde er allem Anschein nach mit dem Farrenschwanz geprügelt; anders ließen sich die Striemen, die man späterhin an seiner Leiche ent- deckte, kaum erklären. Als der Gefängnißwärter bald nachher, am 23. Febr. 1837, in die Zelle tritt, findet er Weidig im Blute schwimmend, aber noch lebend auf dem Bette liegen. Der rohe Mensch wirft erschrocken die Thür zu und eilt zu Georgi. Der kommt, betrachtet sich den Jammer, befiehlt den Arzt zu rufen und geht von dannen. Nach anderthalb Stunden end- lich erscheint der Arzt, gerade als der Unselige den Geist aufgiebt. Weidig hatte sich mit einem Glasscherben die Adern an Armen und Füßen, zu- letzt den Hals durchschnitten, und es blieb wenn auch unwahrscheinlich, so doch denkbar, daß ihm der tödliche Schnitt erst während jener letzten andert- halb Stunden gelungen war.
Ein Schrei des Entsetzens ging durch das Land; der Haß der Par- teien flammte auf. Manche der Liberalen versicherten, der Unglückliche sei durch fremde Hand ermordet worden, was nach Lage der Umstände rein unmöglich war. Weidig's zahlreiche Freunde und Schüler verherr- lichten ihn nicht nur als ein Opfer barbarischer Rechtspflege; sie behaup- teten auch, er habe an den Umtrieben der Verschwörer niemals theilge- nommen, und sie fanden Glauben bei Vielen, denn nicht leicht entschließen sich die Deutschen zu der Erkenntniß, daß persönlich ehrenhafte Männer in der Politik verschlagen und gewissenlos handeln können. Wilhelm Schulz und Welcker bemächtigten sich des grauenhaften Falles, um die Nichts- würdigkeit des geheimen Verfahrens nachzuweisen. Die gesammte deutsche Presse gerieth in Bewegung. Die Züricher medicinische Facultät, die immer bereit stand Deutschlands Blößen aufzudecken, erwies in einem Gutachten, Weidig sei geprügelt worden; den Leichnam selbst in Augenschein zu nehmen, hatte freilich keiner dieser gesinnungstüchtigen Gelehrten für nöthig ge- halten. Auch unter den hessischen Richtern regte sich die Scham. Der Hofgerichtsrath Freiherr v. Lepel, der weder zu den liberalen Parteimännern gehörte noch an Weidig's politische Unschuld glaubte, aber immer ehren- haft für die Unabhängigkeit der Gerichte eingetreten war, verlangte in einem Referate strenge Untersuchung gegen diese "höchst schuldvolle, kaum erklärliche Vernachlässigung, welche das Vertrauen in die Justiz nothwendig gefährden" müsse. Georgi erwiderte grob: "dem Gerichtspersonal wird wohl Niemand zumuthen wollen, bei einem solchen gefährlichen Individuum
Proceß Weidig.
Todfeind, obgleich er die Theilnahme an dem hoffnungsloſen Frankfurter Attentate klüglich abgelehnt hatte, und beſtellte ihm zum Unterſuchungsrichter den Gerichtsrath Georgi, einen brutalen Mann, der nach dem Zeugniß der Gerichtsärzte am Delirium tremens litt. Durch die endloſen Verhöre ge- rieth der ohnehin leidenſchaftliche Angeklagte in eine fieberiſche Aufregung. Zuweilen erſchien er wie tobſüchtig; er ſagte dreiſte Unwahrheiten und be- nahm ſich ſo widerſpänſtig, daß Georgi ihn mit Körperſtrafen bedrohte; einmal ſtürzte er raſend mit einem Meſſer auf ſeinen Peiniger los. Dar- auf wurde er allem Anſchein nach mit dem Farrenſchwanz geprügelt; anders ließen ſich die Striemen, die man ſpäterhin an ſeiner Leiche ent- deckte, kaum erklären. Als der Gefängnißwärter bald nachher, am 23. Febr. 1837, in die Zelle tritt, findet er Weidig im Blute ſchwimmend, aber noch lebend auf dem Bette liegen. Der rohe Menſch wirft erſchrocken die Thür zu und eilt zu Georgi. Der kommt, betrachtet ſich den Jammer, befiehlt den Arzt zu rufen und geht von dannen. Nach anderthalb Stunden end- lich erſcheint der Arzt, gerade als der Unſelige den Geiſt aufgiebt. Weidig hatte ſich mit einem Glasſcherben die Adern an Armen und Füßen, zu- letzt den Hals durchſchnitten, und es blieb wenn auch unwahrſcheinlich, ſo doch denkbar, daß ihm der tödliche Schnitt erſt während jener letzten andert- halb Stunden gelungen war.
Ein Schrei des Entſetzens ging durch das Land; der Haß der Par- teien flammte auf. Manche der Liberalen verſicherten, der Unglückliche ſei durch fremde Hand ermordet worden, was nach Lage der Umſtände rein unmöglich war. Weidig’s zahlreiche Freunde und Schüler verherr- lichten ihn nicht nur als ein Opfer barbariſcher Rechtspflege; ſie behaup- teten auch, er habe an den Umtrieben der Verſchwörer niemals theilge- nommen, und ſie fanden Glauben bei Vielen, denn nicht leicht entſchließen ſich die Deutſchen zu der Erkenntniß, daß perſönlich ehrenhafte Männer in der Politik verſchlagen und gewiſſenlos handeln können. Wilhelm Schulz und Welcker bemächtigten ſich des grauenhaften Falles, um die Nichts- würdigkeit des geheimen Verfahrens nachzuweiſen. Die geſammte deutſche Preſſe gerieth in Bewegung. Die Züricher mediciniſche Facultät, die immer bereit ſtand Deutſchlands Blößen aufzudecken, erwies in einem Gutachten, Weidig ſei geprügelt worden; den Leichnam ſelbſt in Augenſchein zu nehmen, hatte freilich keiner dieſer geſinnungstüchtigen Gelehrten für nöthig ge- halten. Auch unter den heſſiſchen Richtern regte ſich die Scham. Der Hofgerichtsrath Freiherr v. Lepel, der weder zu den liberalen Parteimännern gehörte noch an Weidig’s politiſche Unſchuld glaubte, aber immer ehren- haft für die Unabhängigkeit der Gerichte eingetreten war, verlangte in einem Referate ſtrenge Unterſuchung gegen dieſe „höchſt ſchuldvolle, kaum erklärliche Vernachläſſigung, welche das Vertrauen in die Juſtiz nothwendig gefährden“ müſſe. Georgi erwiderte grob: „dem Gerichtsperſonal wird wohl Niemand zumuthen wollen, bei einem ſolchen gefährlichen Individuum
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[615/0629]
Proceß Weidig.
Todfeind, obgleich er die Theilnahme an dem hoffnungsloſen Frankfurter
Attentate klüglich abgelehnt hatte, und beſtellte ihm zum Unterſuchungsrichter
den Gerichtsrath Georgi, einen brutalen Mann, der nach dem Zeugniß der
Gerichtsärzte am Delirium tremens litt. Durch die endloſen Verhöre ge-
rieth der ohnehin leidenſchaftliche Angeklagte in eine fieberiſche Aufregung.
Zuweilen erſchien er wie tobſüchtig; er ſagte dreiſte Unwahrheiten und be-
nahm ſich ſo widerſpänſtig, daß Georgi ihn mit Körperſtrafen bedrohte;
einmal ſtürzte er raſend mit einem Meſſer auf ſeinen Peiniger los. Dar-
auf wurde er allem Anſchein nach mit dem Farrenſchwanz geprügelt;
anders ließen ſich die Striemen, die man ſpäterhin an ſeiner Leiche ent-
deckte, kaum erklären. Als der Gefängnißwärter bald nachher, am 23. Febr.
1837, in die Zelle tritt, findet er Weidig im Blute ſchwimmend, aber noch
lebend auf dem Bette liegen. Der rohe Menſch wirft erſchrocken die Thür
zu und eilt zu Georgi. Der kommt, betrachtet ſich den Jammer, befiehlt
den Arzt zu rufen und geht von dannen. Nach anderthalb Stunden end-
lich erſcheint der Arzt, gerade als der Unſelige den Geiſt aufgiebt. Weidig
hatte ſich mit einem Glasſcherben die Adern an Armen und Füßen, zu-
letzt den Hals durchſchnitten, und es blieb wenn auch unwahrſcheinlich, ſo
doch denkbar, daß ihm der tödliche Schnitt erſt während jener letzten andert-
halb Stunden gelungen war.
Ein Schrei des Entſetzens ging durch das Land; der Haß der Par-
teien flammte auf. Manche der Liberalen verſicherten, der Unglückliche
ſei durch fremde Hand ermordet worden, was nach Lage der Umſtände
rein unmöglich war. Weidig’s zahlreiche Freunde und Schüler verherr-
lichten ihn nicht nur als ein Opfer barbariſcher Rechtspflege; ſie behaup-
teten auch, er habe an den Umtrieben der Verſchwörer niemals theilge-
nommen, und ſie fanden Glauben bei Vielen, denn nicht leicht entſchließen
ſich die Deutſchen zu der Erkenntniß, daß perſönlich ehrenhafte Männer
in der Politik verſchlagen und gewiſſenlos handeln können. Wilhelm Schulz
und Welcker bemächtigten ſich des grauenhaften Falles, um die Nichts-
würdigkeit des geheimen Verfahrens nachzuweiſen. Die geſammte deutſche
Preſſe gerieth in Bewegung. Die Züricher mediciniſche Facultät, die immer
bereit ſtand Deutſchlands Blößen aufzudecken, erwies in einem Gutachten,
Weidig ſei geprügelt worden; den Leichnam ſelbſt in Augenſchein zu nehmen,
hatte freilich keiner dieſer geſinnungstüchtigen Gelehrten für nöthig ge-
halten. Auch unter den heſſiſchen Richtern regte ſich die Scham. Der
Hofgerichtsrath Freiherr v. Lepel, der weder zu den liberalen Parteimännern
gehörte noch an Weidig’s politiſche Unſchuld glaubte, aber immer ehren-
haft für die Unabhängigkeit der Gerichte eingetreten war, verlangte in
einem Referate ſtrenge Unterſuchung gegen dieſe „höchſt ſchuldvolle, kaum
erklärliche Vernachläſſigung, welche das Vertrauen in die Juſtiz nothwendig
gefährden“ müſſe. Georgi erwiderte grob: „dem Gerichtsperſonal wird
wohl Niemand zumuthen wollen, bei einem ſolchen gefährlichen Individuum
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/629>, abgerufen am 25.07.2024.
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