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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
marsch in Belgien hätten mindestens die gesinnungstüchtigen Liberalen der
Kleinstaaten kurzerhand als einen Rückfall in die alte Troppauer Inter-
ventionspolitik verdammt. Die Festungen, auf deren Schutz der Vierbund
einst gerechnet, waren mit wenigen Ausnahmen schon in den Händen der
belgischen Aufständischen. Von England stand keine, von Oesterreich nur
späte und geringe Hilfe zu erwarten. Frankreich hingegen war entschlossen,
falls Preußen in das östliche Belgien einrückte, sogleich den westlichen
Theil des Landes zu besetzen. Diese Absicht kündigte Graf Mole schon
am 31. August dem preußischen Gesandten Werther vertraulich an. Er
sprach durchaus versöhnlich, entschuldigte sich wie gewöhnlich mit der
kritischen Lage seiner Regierung, versicherte heilig, Frankreich beabsichtige
keine Feindseligkeiten; nur müßten die beiden Nachbarmächte Belgiens in
vollkommen gleicher Stellung bleiben bis ein europäischer Congreß die
Frage friedlich löse.*) An der Aufrichtigkeit seiner Betheuerungen war
nicht zu zweifeln. Aber wie nun, wenn das zuchtlose, durch die Re-
volution mächtig aufgeregte französische Heer so nahe dem Schlachtfelde
von Belle-Alliance den verhaßten preußischen Siegern dicht gegenübertrat?
Ein Zufall konnte dann leicht das Signal geben zu jenem Weltkriege,
welchen die Anerkennung des Julikönigthums soeben erst glücklich abge-
wendet hatte.

Die Entscheidung dieser ernsten Fragen behielt sich Friedrich Wilhelm
selber vor; nur Witzleben und Bernstorff, der trotz der Schmerzen einer
schweren Krankheit immer klar und ruhig blieb, genossen sein Vertrauen.
Und es war dringend nöthig, daß der Monarch die Leitung der aus-
wärtigen Politik in seine Hand nahm; denn die Kriegspartei am Hofe
gewann an Feldmarschall Diebitsch einen kräftigen Bundesgenossen. Der
König hatte soeben nach Petersburg die Weisung geschickt: "Dieser Sen-
dung ist nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten,"**) und war peinlich über-
rascht, als der Russe am 9. September nun doch eintraf; er wußte, daß
der Feldmarschall und sein Stellvertreter Czernitschew die beiden einzigen
namhaften Männer des russischen Hofes waren, welche die Kriegslust des
Czaren theilten. Glänzende Feste und Paraden wurden zu Ehren des
Türkenbesiegers veranstaltet. Zur Zeit des orientalischen Krieges hatten
Bernstorff und die freieren Köpfe unter den preußischen Staatsmännern
auf Rußlands Seite gestanden; jetzt verschob sich die Parteistellung, alle
strengen Legitimisten priesen den Czaren als den Hort des göttlichen
Königsrechts und erwiesen seinem Abgesandten ihre beflissene Verehrung.
Der dicke kleine rothhaarige Herr, der übrigens von seinen Kriegsthaten

*) Die gegen d'Haussonville gerichteten Bemerkungen K. Hillebrand's (Gesch. Frank-
reichs I. 144) über Zeit und Inhalt dieses Gesprächs sind durchaus richtig, wie sich aus
der nachfolgenden Darstellung ergeben wird.
**) Randbemerkung des Königs zu Galen's Bericht v. 26. Aug. 1830.

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
marſch in Belgien hätten mindeſtens die geſinnungstüchtigen Liberalen der
Kleinſtaaten kurzerhand als einen Rückfall in die alte Troppauer Inter-
ventionspolitik verdammt. Die Feſtungen, auf deren Schutz der Vierbund
einſt gerechnet, waren mit wenigen Ausnahmen ſchon in den Händen der
belgiſchen Aufſtändiſchen. Von England ſtand keine, von Oeſterreich nur
ſpäte und geringe Hilfe zu erwarten. Frankreich hingegen war entſchloſſen,
falls Preußen in das öſtliche Belgien einrückte, ſogleich den weſtlichen
Theil des Landes zu beſetzen. Dieſe Abſicht kündigte Graf Molé ſchon
am 31. Auguſt dem preußiſchen Geſandten Werther vertraulich an. Er
ſprach durchaus verſöhnlich, entſchuldigte ſich wie gewöhnlich mit der
kritiſchen Lage ſeiner Regierung, verſicherte heilig, Frankreich beabſichtige
keine Feindſeligkeiten; nur müßten die beiden Nachbarmächte Belgiens in
vollkommen gleicher Stellung bleiben bis ein europäiſcher Congreß die
Frage friedlich löſe.*) An der Aufrichtigkeit ſeiner Betheuerungen war
nicht zu zweifeln. Aber wie nun, wenn das zuchtloſe, durch die Re-
volution mächtig aufgeregte franzöſiſche Heer ſo nahe dem Schlachtfelde
von Belle-Alliance den verhaßten preußiſchen Siegern dicht gegenübertrat?
Ein Zufall konnte dann leicht das Signal geben zu jenem Weltkriege,
welchen die Anerkennung des Julikönigthums ſoeben erſt glücklich abge-
wendet hatte.

Die Entſcheidung dieſer ernſten Fragen behielt ſich Friedrich Wilhelm
ſelber vor; nur Witzleben und Bernſtorff, der trotz der Schmerzen einer
ſchweren Krankheit immer klar und ruhig blieb, genoſſen ſein Vertrauen.
Und es war dringend nöthig, daß der Monarch die Leitung der aus-
wärtigen Politik in ſeine Hand nahm; denn die Kriegspartei am Hofe
gewann an Feldmarſchall Diebitſch einen kräftigen Bundesgenoſſen. Der
König hatte ſoeben nach Petersburg die Weiſung geſchickt: „Dieſer Sen-
dung iſt nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten,“**) und war peinlich über-
raſcht, als der Ruſſe am 9. September nun doch eintraf; er wußte, daß
der Feldmarſchall und ſein Stellvertreter Czernitſchew die beiden einzigen
namhaften Männer des ruſſiſchen Hofes waren, welche die Kriegsluſt des
Czaren theilten. Glänzende Feſte und Paraden wurden zu Ehren des
Türkenbeſiegers veranſtaltet. Zur Zeit des orientaliſchen Krieges hatten
Bernſtorff und die freieren Köpfe unter den preußiſchen Staatsmännern
auf Rußlands Seite geſtanden; jetzt verſchob ſich die Parteiſtellung, alle
ſtrengen Legitimiſten prieſen den Czaren als den Hort des göttlichen
Königsrechts und erwieſen ſeinem Abgeſandten ihre befliſſene Verehrung.
Der dicke kleine rothhaarige Herr, der übrigens von ſeinen Kriegsthaten

*) Die gegen d’Hauſſonville gerichteten Bemerkungen K. Hillebrand’s (Geſch. Frank-
reichs I. 144) über Zeit und Inhalt dieſes Geſprächs ſind durchaus richtig, wie ſich aus
der nachfolgenden Darſtellung ergeben wird.
**) Randbemerkung des Königs zu Galen’s Bericht v. 26. Aug. 1830.
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[46/0060] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. marſch in Belgien hätten mindeſtens die geſinnungstüchtigen Liberalen der Kleinſtaaten kurzerhand als einen Rückfall in die alte Troppauer Inter- ventionspolitik verdammt. Die Feſtungen, auf deren Schutz der Vierbund einſt gerechnet, waren mit wenigen Ausnahmen ſchon in den Händen der belgiſchen Aufſtändiſchen. Von England ſtand keine, von Oeſterreich nur ſpäte und geringe Hilfe zu erwarten. Frankreich hingegen war entſchloſſen, falls Preußen in das öſtliche Belgien einrückte, ſogleich den weſtlichen Theil des Landes zu beſetzen. Dieſe Abſicht kündigte Graf Molé ſchon am 31. Auguſt dem preußiſchen Geſandten Werther vertraulich an. Er ſprach durchaus verſöhnlich, entſchuldigte ſich wie gewöhnlich mit der kritiſchen Lage ſeiner Regierung, verſicherte heilig, Frankreich beabſichtige keine Feindſeligkeiten; nur müßten die beiden Nachbarmächte Belgiens in vollkommen gleicher Stellung bleiben bis ein europäiſcher Congreß die Frage friedlich löſe. *) An der Aufrichtigkeit ſeiner Betheuerungen war nicht zu zweifeln. Aber wie nun, wenn das zuchtloſe, durch die Re- volution mächtig aufgeregte franzöſiſche Heer ſo nahe dem Schlachtfelde von Belle-Alliance den verhaßten preußiſchen Siegern dicht gegenübertrat? Ein Zufall konnte dann leicht das Signal geben zu jenem Weltkriege, welchen die Anerkennung des Julikönigthums ſoeben erſt glücklich abge- wendet hatte. Die Entſcheidung dieſer ernſten Fragen behielt ſich Friedrich Wilhelm ſelber vor; nur Witzleben und Bernſtorff, der trotz der Schmerzen einer ſchweren Krankheit immer klar und ruhig blieb, genoſſen ſein Vertrauen. Und es war dringend nöthig, daß der Monarch die Leitung der aus- wärtigen Politik in ſeine Hand nahm; denn die Kriegspartei am Hofe gewann an Feldmarſchall Diebitſch einen kräftigen Bundesgenoſſen. Der König hatte ſoeben nach Petersburg die Weiſung geſchickt: „Dieſer Sen- dung iſt nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten,“ **) und war peinlich über- raſcht, als der Ruſſe am 9. September nun doch eintraf; er wußte, daß der Feldmarſchall und ſein Stellvertreter Czernitſchew die beiden einzigen namhaften Männer des ruſſiſchen Hofes waren, welche die Kriegsluſt des Czaren theilten. Glänzende Feſte und Paraden wurden zu Ehren des Türkenbeſiegers veranſtaltet. Zur Zeit des orientaliſchen Krieges hatten Bernſtorff und die freieren Köpfe unter den preußiſchen Staatsmännern auf Rußlands Seite geſtanden; jetzt verſchob ſich die Parteiſtellung, alle ſtrengen Legitimiſten prieſen den Czaren als den Hort des göttlichen Königsrechts und erwieſen ſeinem Abgeſandten ihre befliſſene Verehrung. Der dicke kleine rothhaarige Herr, der übrigens von ſeinen Kriegsthaten *) Die gegen d’Hauſſonville gerichteten Bemerkungen K. Hillebrand’s (Geſch. Frank- reichs I. 144) über Zeit und Inhalt dieſes Geſprächs ſind durchaus richtig, wie ſich aus der nachfolgenden Darſtellung ergeben wird. **) Randbemerkung des Königs zu Galen’s Bericht v. 26. Aug. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/60>, abgerufen am 25.11.2024.