Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Nürnberg-Fürther Eisenbahn. an dem Bergrath Joseph v. Baader, dem Bruder des Philosophen, einengeistreichen Sachverständigen, der gern in kühnen Plänen schwelgte und sich selbst den Veteran des deutschen Eisenbahnwesens nannte. Er ließ sich auch nicht beirren, als sein Ober-Medicinal-Collegium ihm beweglich vorstellte, der Dampfbetrieb werde bei den Reisenden wie bei den Zu- schauenden unfehlbar schwere Gehirnerkrankungen erzeugen, und damit mindestens die Zuschauer Schutz fänden, müsse der Bahnkörper mit einem hohen Bretterzaune umgeben werden. Ludwig sendete seinen Architekten Klenze nach England, Belgien und Frankreich, um sich über das Eisenbahn- wesen zu unterrichten, und hörte es gern, wenn ihm Feldmarschall Wrede von einem bairischen Kriegsbahnnetze sprach, das in der Festung Ingolstadt seinen Mittelpunkt finden sollte.*) Am stärksten lockte ihn der Gedanke einer großen Bahn von Lindau nach Hof, die sich über Leipzig und Magde- burg bis Hamburg fortsetzen, den Zollverein zusammenhalten, Deutsch- lands Hauptverkehr in die Richtung vom Norden nach dem Süden, von der Elbe zum Bodensee ablenken sollte; so sollte sein Baiern die Vor- hand im nationalen Handel erlangen. Er ließ deshalb schon in Berlin anfragen, empfing aber zur Antwort nur warmen Dank und die Ver- sicherung, daß man den bairischen Vorschlag reiflich erwägen werde.**) Von einer Eisenbahn zwischen Ulm und Augsburg wollte er freilich nichts hören; sie konnte den schwäbischen Nachbarn bedenkliche Vortheile bringen. Auch einen Schienenweg zwischen Würzburg und Frankfurt fand er bedenklich: das würde den Verkehr mit den gefährlichen Franzosen zu sehr erleichtern. Nun gar der Plan einer Bahn zwischen dem Elsaß und der Pfalz, den ihm der französische Gesandte unablässig anempfahl, erweckte sein patriotisches Mißtrauen; so nahe an die Mainzer Bundesfestung wollte er die Straß- burger Garnison nicht heran lassen.***) Wichtiger als alle Eisenbahnen erschien ihm doch der so lange geplante Ludwigskanal. Der große Ge- danke, das Werk Karl's des Großen zu vollenden, die Nordsee mit dem Schwarzen Meere zu verbinden, übte auf sein romantisches Gemüth einen unwiderstehlichen Zauber; und als nun Rothschild dienstbeflissen 8 Mill. fl. Kanalaktien an der Börse unterbrachte, auch der Landtag sich dem könig- lichen Lieblingsplane willfährig zeigte, da wurden die Eisenbahnpläne über der Fossa Carolina bald fast vergessen.+) Gleichwohl erlebte er die Genugthuung, daß in seinem Baiern die *) Dönhoff's Berichte, 7. Dec. 1835, 25. Juni 1836. **) Ancillon, Weisung an Dönhoff, 13. Febr.; Dönhoff's Berichte, 27. Jan., 3. Oct. 1836. ***) Dönhoff's Bericht, 29. Mai 1837. +) Dönhoff's Berichte, 23. Nov. 1835, 22. Aug. 1836.
Nürnberg-Fürther Eiſenbahn. an dem Bergrath Joſeph v. Baader, dem Bruder des Philoſophen, einengeiſtreichen Sachverſtändigen, der gern in kühnen Plänen ſchwelgte und ſich ſelbſt den Veteran des deutſchen Eiſenbahnweſens nannte. Er ließ ſich auch nicht beirren, als ſein Ober-Medicinal-Collegium ihm beweglich vorſtellte, der Dampfbetrieb werde bei den Reiſenden wie bei den Zu- ſchauenden unfehlbar ſchwere Gehirnerkrankungen erzeugen, und damit mindeſtens die Zuſchauer Schutz fänden, müſſe der Bahnkörper mit einem hohen Bretterzaune umgeben werden. Ludwig ſendete ſeinen Architekten Klenze nach England, Belgien und Frankreich, um ſich über das Eiſenbahn- weſen zu unterrichten, und hörte es gern, wenn ihm Feldmarſchall Wrede von einem bairiſchen Kriegsbahnnetze ſprach, das in der Feſtung Ingolſtadt ſeinen Mittelpunkt finden ſollte.*) Am ſtärkſten lockte ihn der Gedanke einer großen Bahn von Lindau nach Hof, die ſich über Leipzig und Magde- burg bis Hamburg fortſetzen, den Zollverein zuſammenhalten, Deutſch- lands Hauptverkehr in die Richtung vom Norden nach dem Süden, von der Elbe zum Bodenſee ablenken ſollte; ſo ſollte ſein Baiern die Vor- hand im nationalen Handel erlangen. Er ließ deshalb ſchon in Berlin anfragen, empfing aber zur Antwort nur warmen Dank und die Ver- ſicherung, daß man den bairiſchen Vorſchlag reiflich erwägen werde.**) Von einer Eiſenbahn zwiſchen Ulm und Augsburg wollte er freilich nichts hören; ſie konnte den ſchwäbiſchen Nachbarn bedenkliche Vortheile bringen. Auch einen Schienenweg zwiſchen Würzburg und Frankfurt fand er bedenklich: das würde den Verkehr mit den gefährlichen Franzoſen zu ſehr erleichtern. Nun gar der Plan einer Bahn zwiſchen dem Elſaß und der Pfalz, den ihm der franzöſiſche Geſandte unabläſſig anempfahl, erweckte ſein patriotiſches Mißtrauen; ſo nahe an die Mainzer Bundesfeſtung wollte er die Straß- burger Garniſon nicht heran laſſen.***) Wichtiger als alle Eiſenbahnen erſchien ihm doch der ſo lange geplante Ludwigskanal. Der große Ge- danke, das Werk Karl’s des Großen zu vollenden, die Nordſee mit dem Schwarzen Meere zu verbinden, übte auf ſein romantiſches Gemüth einen unwiderſtehlichen Zauber; und als nun Rothſchild dienſtbefliſſen 8 Mill. fl. Kanalaktien an der Börſe unterbrachte, auch der Landtag ſich dem könig- lichen Lieblingsplane willfährig zeigte, da wurden die Eiſenbahnpläne über der Fossa Carolina bald faſt vergeſſen.†) Gleichwohl erlebte er die Genugthuung, daß in ſeinem Baiern die *) Dönhoff’s Berichte, 7. Dec. 1835, 25. Juni 1836. **) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 13. Febr.; Dönhoff’s Berichte, 27. Jan., 3. Oct. 1836. ***) Dönhoff’s Bericht, 29. Mai 1837. †) Dönhoff’s Berichte, 23. Nov. 1835, 22. Aug. 1836.
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Nürnberg-Fürther Eiſenbahn.
an dem Bergrath Joſeph v. Baader, dem Bruder des Philoſophen, einen
geiſtreichen Sachverſtändigen, der gern in kühnen Plänen ſchwelgte und
ſich ſelbſt den Veteran des deutſchen Eiſenbahnweſens nannte. Er ließ
ſich auch nicht beirren, als ſein Ober-Medicinal-Collegium ihm beweglich
vorſtellte, der Dampfbetrieb werde bei den Reiſenden wie bei den Zu-
ſchauenden unfehlbar ſchwere Gehirnerkrankungen erzeugen, und damit
mindeſtens die Zuſchauer Schutz fänden, müſſe der Bahnkörper mit einem
hohen Bretterzaune umgeben werden. Ludwig ſendete ſeinen Architekten
Klenze nach England, Belgien und Frankreich, um ſich über das Eiſenbahn-
weſen zu unterrichten, und hörte es gern, wenn ihm Feldmarſchall Wrede
von einem bairiſchen Kriegsbahnnetze ſprach, das in der Feſtung Ingolſtadt
ſeinen Mittelpunkt finden ſollte. *) Am ſtärkſten lockte ihn der Gedanke
einer großen Bahn von Lindau nach Hof, die ſich über Leipzig und Magde-
burg bis Hamburg fortſetzen, den Zollverein zuſammenhalten, Deutſch-
lands Hauptverkehr in die Richtung vom Norden nach dem Süden, von
der Elbe zum Bodenſee ablenken ſollte; ſo ſollte ſein Baiern die Vor-
hand im nationalen Handel erlangen. Er ließ deshalb ſchon in Berlin
anfragen, empfing aber zur Antwort nur warmen Dank und die Ver-
ſicherung, daß man den bairiſchen Vorſchlag reiflich erwägen werde. **) Von
einer Eiſenbahn zwiſchen Ulm und Augsburg wollte er freilich nichts hören;
ſie konnte den ſchwäbiſchen Nachbarn bedenkliche Vortheile bringen. Auch
einen Schienenweg zwiſchen Würzburg und Frankfurt fand er bedenklich:
das würde den Verkehr mit den gefährlichen Franzoſen zu ſehr erleichtern.
Nun gar der Plan einer Bahn zwiſchen dem Elſaß und der Pfalz, den ihm
der franzöſiſche Geſandte unabläſſig anempfahl, erweckte ſein patriotiſches
Mißtrauen; ſo nahe an die Mainzer Bundesfeſtung wollte er die Straß-
burger Garniſon nicht heran laſſen. ***) Wichtiger als alle Eiſenbahnen
erſchien ihm doch der ſo lange geplante Ludwigskanal. Der große Ge-
danke, das Werk Karl’s des Großen zu vollenden, die Nordſee mit dem
Schwarzen Meere zu verbinden, übte auf ſein romantiſches Gemüth einen
unwiderſtehlichen Zauber; und als nun Rothſchild dienſtbefliſſen 8 Mill. fl.
Kanalaktien an der Börſe unterbrachte, auch der Landtag ſich dem könig-
lichen Lieblingsplane willfährig zeigte, da wurden die Eiſenbahnpläne über
der Fossa Carolina bald faſt vergeſſen. †)
Gleichwohl erlebte er die Genugthuung, daß in ſeinem Baiern die
erſte deutſche Dampfbahn eröffnet wurde, die Bahn von Nürnberg nach
Fürth, eine Strecke von einer Meile, die man mit Dampf in 15, mit
Pferden in 25 Minuten durchlaufen konnte. Sie war das Werk des
wackeren Nürnberger Bürgerthums. Joh. Scharrer brachte das Unter-
*) Dönhoff’s Berichte, 7. Dec. 1835, 25. Juni 1836.
**) Ancillon, Weiſung an Dönhoff, 13. Febr.; Dönhoff’s Berichte, 27. Jan., 3. Oct. 1836.
***) Dönhoff’s Bericht, 29. Mai 1837.
†) Dönhoff’s Berichte, 23. Nov. 1835, 22. Aug. 1836.
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