die süddeutschen Kammern von ihrem thörichten Widerstande endlich abzu- lassen. Die beschämende Niederlage des parlamentarischen Liberalismus ließ sich nicht mehr ableugnen; wie viel klüger, weitsichtiger, patriotischer als selbst Paul Pfizer hatte sich doch der unpolitische Geschäftsmann Cotta während der Entstehungsjahre des Zollvereins gezeigt. Im badischen Land- tage fiel noch manches böse Wort über das Fabrikproletariat und die zu- nehmende Theuerung, über wirkliche oder vermeintliche Mißgriffe der Zoll- politik*), und Preußen warf auf den Zollconferenzen schon das Bedenken auf, ob man den Landtagen gestatten dürfe, über jede Einzelheit des Zoll- wesens mitzuentscheiden. Indeß hielten beide Theile bald für klüger, so peinliche Fragen nicht zu berühren. Die Landtage gewöhnten sich, die Zollpolitik den Regierungen allein zu überlassen, und in der That ver- liefen die drei ersten Zollconferenzen zu München, Dresden, Berlin alle- sammt friedlich, nachdem Kühne in München zuerst (1836) den rechten Ton wohlwollender, sachlicher Erörterung angeschlagen hatte.
Mehr als eine verständige Behandlung der laufenden Geschäfte ließ sich von diesen Versammlungen, wo das liberum veto herrschte, freilich nicht verlangen. Daß die Einheit des Marktes auch die Einheit der Münzen und Maße bedinge, wurde erst von Wenigen eingesehen. Selbst Dahlmann meinte noch, die althistorischen Münzen zerstören, heiße den Glauben des Volks antasten; weit schädlicher als die Mannichfaltigkeit des Geldes er- schien ihm die Verschiedenheit der deutschen Staatsverfassungen. Als der Wirrwarr des Münzwesens in den Guldenländern ganz unerträglich wurde, beschlossen die süddeutschen Regierungen einen Theil der unterwerthigen alten Brabanter Münzen einzuziehen, worauf sich sofort der Schreckensruf erhob: das sei der erste Schritt zur Einführung des preußischen Thalers, den freilich Jedermann im Verkehre gern annahm. Das kluge Haus Coburg benutzte diese Gelegenheit, um seine berüchtigten Sechser selber in Verruf zu erklären; die Baiern aber waren über diesen Beweis nach- barlicher Redlichkeit sehr aufgebracht und bezeigten dem Coburger Herzog, als er nach München kam, auf offener Straße ihren Unwillen.**) Ein Jahr nachher (1838) schlossen die Staaten des Zollvereins eine Münzcon- vention, welche mindestens das Werthverhältniß zwischen dem Thaler und dem Gulden feststellte. Das einzige wirksame Heilmittel, die allgemeine An- nahme der Thalerwährung, war unmöglich, weil die Süddeutschen, König Ludwig voran, fast allesammt glaubten, die Wohlfeilheit der Guldenländer rühre von ihrem elenden Münzwesen her und würde durch den unheimlichen Thaler zerstört werden. Einem so mächtigen Vorurtheile wagten die weiter blickenden Finanzmänner nicht zu trotzen. Nur der Doppelthaler, gleich 31/2 fl., im Volke Champagnerthaler genannt, sollte von allen Staaten
*) Blittersdorff, Weisung an Frankenberg, 24. April 1839.
**) Berichte von Galen, Darmstadt, 26. April 1837, von Dönhoff, München, 11. Mai, 16. Juni, 16. Juli, 25. Dec. 1837, 19. Dec. 1838.
Süddeutſche Schutzzöllner. Die Münzconvention.
die ſüddeutſchen Kammern von ihrem thörichten Widerſtande endlich abzu- laſſen. Die beſchämende Niederlage des parlamentariſchen Liberalismus ließ ſich nicht mehr ableugnen; wie viel klüger, weitſichtiger, patriotiſcher als ſelbſt Paul Pfizer hatte ſich doch der unpolitiſche Geſchäftsmann Cotta während der Entſtehungsjahre des Zollvereins gezeigt. Im badiſchen Land- tage fiel noch manches böſe Wort über das Fabrikproletariat und die zu- nehmende Theuerung, über wirkliche oder vermeintliche Mißgriffe der Zoll- politik*), und Preußen warf auf den Zollconferenzen ſchon das Bedenken auf, ob man den Landtagen geſtatten dürfe, über jede Einzelheit des Zoll- weſens mitzuentſcheiden. Indeß hielten beide Theile bald für klüger, ſo peinliche Fragen nicht zu berühren. Die Landtage gewöhnten ſich, die Zollpolitik den Regierungen allein zu überlaſſen, und in der That ver- liefen die drei erſten Zollconferenzen zu München, Dresden, Berlin alle- ſammt friedlich, nachdem Kühne in München zuerſt (1836) den rechten Ton wohlwollender, ſachlicher Erörterung angeſchlagen hatte.
Mehr als eine verſtändige Behandlung der laufenden Geſchäfte ließ ſich von dieſen Verſammlungen, wo das liberum veto herrſchte, freilich nicht verlangen. Daß die Einheit des Marktes auch die Einheit der Münzen und Maße bedinge, wurde erſt von Wenigen eingeſehen. Selbſt Dahlmann meinte noch, die althiſtoriſchen Münzen zerſtören, heiße den Glauben des Volks antaſten; weit ſchädlicher als die Mannichfaltigkeit des Geldes er- ſchien ihm die Verſchiedenheit der deutſchen Staatsverfaſſungen. Als der Wirrwarr des Münzweſens in den Guldenländern ganz unerträglich wurde, beſchloſſen die ſüddeutſchen Regierungen einen Theil der unterwerthigen alten Brabanter Münzen einzuziehen, worauf ſich ſofort der Schreckensruf erhob: das ſei der erſte Schritt zur Einführung des preußiſchen Thalers, den freilich Jedermann im Verkehre gern annahm. Das kluge Haus Coburg benutzte dieſe Gelegenheit, um ſeine berüchtigten Sechſer ſelber in Verruf zu erklären; die Baiern aber waren über dieſen Beweis nach- barlicher Redlichkeit ſehr aufgebracht und bezeigten dem Coburger Herzog, als er nach München kam, auf offener Straße ihren Unwillen.**) Ein Jahr nachher (1838) ſchloſſen die Staaten des Zollvereins eine Münzcon- vention, welche mindeſtens das Werthverhältniß zwiſchen dem Thaler und dem Gulden feſtſtellte. Das einzige wirkſame Heilmittel, die allgemeine An- nahme der Thalerwährung, war unmöglich, weil die Süddeutſchen, König Ludwig voran, faſt alleſammt glaubten, die Wohlfeilheit der Guldenländer rühre von ihrem elenden Münzweſen her und würde durch den unheimlichen Thaler zerſtört werden. Einem ſo mächtigen Vorurtheile wagten die weiter blickenden Finanzmänner nicht zu trotzen. Nur der Doppelthaler, gleich 3½ fl., im Volke Champagnerthaler genannt, ſollte von allen Staaten
*) Blittersdorff, Weiſung an Frankenberg, 24. April 1839.
**) Berichte von Galen, Darmſtadt, 26. April 1837, von Dönhoff, München, 11. Mai, 16. Juni, 16. Juli, 25. Dec. 1837, 19. Dec. 1838.
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Süddeutſche Schutzzöllner. Die Münzconvention.
die ſüddeutſchen Kammern von ihrem thörichten Widerſtande endlich abzu-
laſſen. Die beſchämende Niederlage des parlamentariſchen Liberalismus
ließ ſich nicht mehr ableugnen; wie viel klüger, weitſichtiger, patriotiſcher
als ſelbſt Paul Pfizer hatte ſich doch der unpolitiſche Geſchäftsmann Cotta
während der Entſtehungsjahre des Zollvereins gezeigt. Im badiſchen Land-
tage fiel noch manches böſe Wort über das Fabrikproletariat und die zu-
nehmende Theuerung, über wirkliche oder vermeintliche Mißgriffe der Zoll-
politik *), und Preußen warf auf den Zollconferenzen ſchon das Bedenken
auf, ob man den Landtagen geſtatten dürfe, über jede Einzelheit des Zoll-
weſens mitzuentſcheiden. Indeß hielten beide Theile bald für klüger, ſo
peinliche Fragen nicht zu berühren. Die Landtage gewöhnten ſich, die
Zollpolitik den Regierungen allein zu überlaſſen, und in der That ver-
liefen die drei erſten Zollconferenzen zu München, Dresden, Berlin alle-
ſammt friedlich, nachdem Kühne in München zuerſt (1836) den rechten
Ton wohlwollender, ſachlicher Erörterung angeſchlagen hatte.
Mehr als eine verſtändige Behandlung der laufenden Geſchäfte ließ
ſich von dieſen Verſammlungen, wo das liberum veto herrſchte, freilich
nicht verlangen. Daß die Einheit des Marktes auch die Einheit der Münzen
und Maße bedinge, wurde erſt von Wenigen eingeſehen. Selbſt Dahlmann
meinte noch, die althiſtoriſchen Münzen zerſtören, heiße den Glauben des
Volks antaſten; weit ſchädlicher als die Mannichfaltigkeit des Geldes er-
ſchien ihm die Verſchiedenheit der deutſchen Staatsverfaſſungen. Als der
Wirrwarr des Münzweſens in den Guldenländern ganz unerträglich wurde,
beſchloſſen die ſüddeutſchen Regierungen einen Theil der unterwerthigen
alten Brabanter Münzen einzuziehen, worauf ſich ſofort der Schreckensruf
erhob: das ſei der erſte Schritt zur Einführung des preußiſchen Thalers,
den freilich Jedermann im Verkehre gern annahm. Das kluge Haus
Coburg benutzte dieſe Gelegenheit, um ſeine berüchtigten Sechſer ſelber
in Verruf zu erklären; die Baiern aber waren über dieſen Beweis nach-
barlicher Redlichkeit ſehr aufgebracht und bezeigten dem Coburger Herzog,
als er nach München kam, auf offener Straße ihren Unwillen. **) Ein
Jahr nachher (1838) ſchloſſen die Staaten des Zollvereins eine Münzcon-
vention, welche mindeſtens das Werthverhältniß zwiſchen dem Thaler und
dem Gulden feſtſtellte. Das einzige wirkſame Heilmittel, die allgemeine An-
nahme der Thalerwährung, war unmöglich, weil die Süddeutſchen, König
Ludwig voran, faſt alleſammt glaubten, die Wohlfeilheit der Guldenländer
rühre von ihrem elenden Münzweſen her und würde durch den unheimlichen
Thaler zerſtört werden. Einem ſo mächtigen Vorurtheile wagten die weiter
blickenden Finanzmänner nicht zu trotzen. Nur der Doppelthaler, gleich
3½ fl., im Volke Champagnerthaler genannt, ſollte von allen Staaten
*) Blittersdorff, Weiſung an Frankenberg, 24. April 1839.
**) Berichte von Galen, Darmſtadt, 26. April 1837, von Dönhoff, München,
11. Mai, 16. Juni, 16. Juli, 25. Dec. 1837, 19. Dec. 1838.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/585>, abgerufen am 23.07.2024.
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