frohes Völkchen. In ihren schmucken Tyroler Häusern, mitten unter den grünen Matten fühlten sie sich bald glücklich; ihre jungen Leute wurden bei den Görlitzer Jägern gern als Rekruten aufgenommen, und mancher zog nachher in die norddeutsche Ebene, um durch die heimische Milchwirth- schaft sein Glück zu suchen. Mit dem königlichen Hause blieben sie immer in naher Verbindung; Prinz Wilhelm der Aeltere und die Prinzessin Marianne kamen aus dem nahen Fischbach oft herüber, und außer ihrer Bibel war den Exulanten nichts so ehrwürdig wie das Bild des alten Königs in der Gemeindeschule. Gott segne den König Friedrich Wilhelm III. -- so lautete die Inschrift auf dem Söller des ersten Hauses in Mittel- Zillerthal. --
Die Provinzialstände der östlichen Provinzen bereiteten der Regierung wenig Ungelegenheiten, sie besorgten mit treuem Fleiße ihre unscheinbaren Geschäfte. Die altständische Opposition gegen die Hardenbergische Gesetz- gebung regte sich noch zuweilen, aber minder lebhaft als in früheren Jahren, und als die langwierigen Berathungen über den Entwurf der neuen Gewerbeordnung begannen, da zeigte sich's, daß die Grundsätze der Freizügigkeit und der Gewerbefreiheit den Preußen schon in Fleisch und Blut gedrungen waren. Die Wiederherstellung des alten Zunftzwanges wagte selbst der conservativste aller Landtage, der brandenburgische nicht zu verlangen; man wünschte nur freie Innungen mit strengerer Zucht für Lehrlinge und Gesellen. Die Stände fühlten selbst, wie wenig die öffent- liche Meinung nach ihnen fragte, und beantragten mehrmals, in Preußen, Sachsen, Schlesien, daß ihre Verhandlungen dem Volke zugänglicher ge- macht würden. Die neuen Gedanken freilich, welche im Bürgerthum zu gähren begannen, konnten in dieser Vertretung des Grundbesitzes keinen Ausdruck finden; ihre still wachsende Macht ließ sich nur an der freieren Sprache der Provinzialpresse errathen. Während die Berliner Zeitungen noch in dem alten Stumpfsinn verharrten, brachte der junge National- ökonom Schön in der Schlesischen Zeitung schon zuweilen scharfe Leit- artikel über innere Angelegenheiten. Mit ihm suchte Frhr. v. Vaerst in der Breslauer Zeitung zu wetteifern; die Königsberger Zeitung aber diente den ostpreußischen Liberalen zum Sprechsaal, soweit es die gestrenge Censur erlaubte. --
Sobald ein neuer politischer Gedanke sich im Völkerleben durchgesetzt hat, bewirkt die Kraft des Beharrens regelmäßig einen Rückschlag der verletzten Interessen und Meinungen. Auch dem Zollvereine sollte diese Erfahrung nicht ganz erspart bleiben. Wohl stieg der Gesammtertrag der neuen Zölle von Jahr zu Jahr, und die süddeutschen Finanzmänner hatten guten Grund, sich ihres Entschlusses zu freuen. Baiern, das aus dem bairisch-württembergischen Zollvereine kaum 2 Mill. fl. jährlich bezogen
Die Zillerthaler.
frohes Völkchen. In ihren ſchmucken Tyroler Häuſern, mitten unter den grünen Matten fühlten ſie ſich bald glücklich; ihre jungen Leute wurden bei den Görlitzer Jägern gern als Rekruten aufgenommen, und mancher zog nachher in die norddeutſche Ebene, um durch die heimiſche Milchwirth- ſchaft ſein Glück zu ſuchen. Mit dem königlichen Hauſe blieben ſie immer in naher Verbindung; Prinz Wilhelm der Aeltere und die Prinzeſſin Marianne kamen aus dem nahen Fiſchbach oft herüber, und außer ihrer Bibel war den Exulanten nichts ſo ehrwürdig wie das Bild des alten Königs in der Gemeindeſchule. Gott ſegne den König Friedrich Wilhelm III. — ſo lautete die Inſchrift auf dem Söller des erſten Hauſes in Mittel- Zillerthal. —
Die Provinzialſtände der öſtlichen Provinzen bereiteten der Regierung wenig Ungelegenheiten, ſie beſorgten mit treuem Fleiße ihre unſcheinbaren Geſchäfte. Die altſtändiſche Oppoſition gegen die Hardenbergiſche Geſetz- gebung regte ſich noch zuweilen, aber minder lebhaft als in früheren Jahren, und als die langwierigen Berathungen über den Entwurf der neuen Gewerbeordnung begannen, da zeigte ſich’s, daß die Grundſätze der Freizügigkeit und der Gewerbefreiheit den Preußen ſchon in Fleiſch und Blut gedrungen waren. Die Wiederherſtellung des alten Zunftzwanges wagte ſelbſt der conſervativſte aller Landtage, der brandenburgiſche nicht zu verlangen; man wünſchte nur freie Innungen mit ſtrengerer Zucht für Lehrlinge und Geſellen. Die Stände fühlten ſelbſt, wie wenig die öffent- liche Meinung nach ihnen fragte, und beantragten mehrmals, in Preußen, Sachſen, Schleſien, daß ihre Verhandlungen dem Volke zugänglicher ge- macht würden. Die neuen Gedanken freilich, welche im Bürgerthum zu gähren begannen, konnten in dieſer Vertretung des Grundbeſitzes keinen Ausdruck finden; ihre ſtill wachſende Macht ließ ſich nur an der freieren Sprache der Provinzialpreſſe errathen. Während die Berliner Zeitungen noch in dem alten Stumpfſinn verharrten, brachte der junge National- ökonom Schön in der Schleſiſchen Zeitung ſchon zuweilen ſcharfe Leit- artikel über innere Angelegenheiten. Mit ihm ſuchte Frhr. v. Vaerſt in der Breslauer Zeitung zu wetteifern; die Königsberger Zeitung aber diente den oſtpreußiſchen Liberalen zum Sprechſaal, ſoweit es die geſtrenge Cenſur erlaubte. —
Sobald ein neuer politiſcher Gedanke ſich im Völkerleben durchgeſetzt hat, bewirkt die Kraft des Beharrens regelmäßig einen Rückſchlag der verletzten Intereſſen und Meinungen. Auch dem Zollvereine ſollte dieſe Erfahrung nicht ganz erſpart bleiben. Wohl ſtieg der Geſammtertrag der neuen Zölle von Jahr zu Jahr, und die ſüddeutſchen Finanzmänner hatten guten Grund, ſich ihres Entſchluſſes zu freuen. Baiern, das aus dem bairiſch-württembergiſchen Zollvereine kaum 2 Mill. fl. jährlich bezogen
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Die Zillerthaler.
frohes Völkchen. In ihren ſchmucken Tyroler Häuſern, mitten unter den
grünen Matten fühlten ſie ſich bald glücklich; ihre jungen Leute wurden
bei den Görlitzer Jägern gern als Rekruten aufgenommen, und mancher
zog nachher in die norddeutſche Ebene, um durch die heimiſche Milchwirth-
ſchaft ſein Glück zu ſuchen. Mit dem königlichen Hauſe blieben ſie immer
in naher Verbindung; Prinz Wilhelm der Aeltere und die Prinzeſſin
Marianne kamen aus dem nahen Fiſchbach oft herüber, und außer ihrer
Bibel war den Exulanten nichts ſo ehrwürdig wie das Bild des alten
Königs in der Gemeindeſchule. Gott ſegne den König Friedrich Wilhelm III.
— ſo lautete die Inſchrift auf dem Söller des erſten Hauſes in Mittel-
Zillerthal. —
Die Provinzialſtände der öſtlichen Provinzen bereiteten der Regierung
wenig Ungelegenheiten, ſie beſorgten mit treuem Fleiße ihre unſcheinbaren
Geſchäfte. Die altſtändiſche Oppoſition gegen die Hardenbergiſche Geſetz-
gebung regte ſich noch zuweilen, aber minder lebhaft als in früheren
Jahren, und als die langwierigen Berathungen über den Entwurf der
neuen Gewerbeordnung begannen, da zeigte ſich’s, daß die Grundſätze der
Freizügigkeit und der Gewerbefreiheit den Preußen ſchon in Fleiſch und
Blut gedrungen waren. Die Wiederherſtellung des alten Zunftzwanges
wagte ſelbſt der conſervativſte aller Landtage, der brandenburgiſche nicht
zu verlangen; man wünſchte nur freie Innungen mit ſtrengerer Zucht für
Lehrlinge und Geſellen. Die Stände fühlten ſelbſt, wie wenig die öffent-
liche Meinung nach ihnen fragte, und beantragten mehrmals, in Preußen,
Sachſen, Schleſien, daß ihre Verhandlungen dem Volke zugänglicher ge-
macht würden. Die neuen Gedanken freilich, welche im Bürgerthum zu
gähren begannen, konnten in dieſer Vertretung des Grundbeſitzes keinen
Ausdruck finden; ihre ſtill wachſende Macht ließ ſich nur an der freieren
Sprache der Provinzialpreſſe errathen. Während die Berliner Zeitungen
noch in dem alten Stumpfſinn verharrten, brachte der junge National-
ökonom Schön in der Schleſiſchen Zeitung ſchon zuweilen ſcharfe Leit-
artikel über innere Angelegenheiten. Mit ihm ſuchte Frhr. v. Vaerſt in der
Breslauer Zeitung zu wetteifern; die Königsberger Zeitung aber diente
den oſtpreußiſchen Liberalen zum Sprechſaal, ſoweit es die geſtrenge Cenſur
erlaubte. —
Sobald ein neuer politiſcher Gedanke ſich im Völkerleben durchgeſetzt
hat, bewirkt die Kraft des Beharrens regelmäßig einen Rückſchlag der
verletzten Intereſſen und Meinungen. Auch dem Zollvereine ſollte dieſe
Erfahrung nicht ganz erſpart bleiben. Wohl ſtieg der Geſammtertrag der
neuen Zölle von Jahr zu Jahr, und die ſüddeutſchen Finanzmänner hatten
guten Grund, ſich ihres Entſchluſſes zu freuen. Baiern, das aus dem
bairiſch-württembergiſchen Zollvereine kaum 2 Mill. fl. jährlich bezogen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/583>, abgerufen am 24.11.2024.
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