bekam die Ungnade des Königs lebhaft zu empfinden; er verlangte wieder einmal, wie so oft schon, seine Entlassung aus dem Staatsrathe, ein Bruch schien unvermeidlich, und nach Allem, was geschehen, war es fast ein Glück für ihn, daß er bald nachher erkrankte und starb (Sept. 1837). Auch der Kronprinz bestürmte seinen Vater mit Klagen. Czar Nikolaus setzte ebenfalls alle Hebel ein, er sendete seinen Günstling Oberst Rauch nach Berlin und ließ in Schwerin die Prinzessin, seine Nichte, beschwören, daß sie von ihrem ausgesprochenen Entschlusse abstehen möge -- was Ancillon als einen unge- hörigen Eingriff in deutsche Angelegenheiten entschieden zurückweisen mußte.*)
Bei all diesem Getöse behielt der alte König seinen Gleichmuth; er blieb dabei, daß der europäische Friede ein solches Opfer verlange: -- eine preußische Prinzessin würde er den Orleans freilich nicht preisgegeben haben. Im Mai 1837 fand die Braut auf der Durchreise nach Paris im Potsdamer Schlosse freundliche Aufnahme und gewann sich an A. Hum- boldt einen Freund für das Leben. Im Juni wurde die Hochzeit gefeiert und zugleich in Versailles das Museum a toutes les gloires de la France eröffnet, eine Sammlung, deren prahlerische Schlachtenbilder zu dem fried- fertigen Wesen des Bürgerkönigthums allerdings wenig stimmten. Ludwig Philipp schwamm in Freuden, er ernannte seinen Gesandten Bresson zum Pair; denn nunmehr war sein Haus, Dank dem Könige von Preußen, feierlich in die Gemeinschaft des europäischen Fürstenstandes aufgenommen. Er säumte auch nicht, seine Dankbarkeit durch Thaten zu bewähren. Im Jahre 1838 wurden die Franzosen aus Ancona, die Oesterreicher aus Ferrara zurückgerufen, und vorläufig schien jede Kriegsgefahr beseitigt. --
Die gleiche Mäßigung bewährte Friedrich Wilhelm auch bei den schwei- zerischen Händeln, die sein Fürstenthum Neuenburg noch immer beunruhig- ten. Nachdem sieben demokratische Cantone einen Sonderbund zum Schutze ihrer neuen Verfassungen gebildet hatten, schlossen die Neuenburger Roya- listen mit fünf anderen conservativen Cantonen den Sarnerbund um das alte Bundesrecht aufrecht zu erhalten. Der Streit verschärfte sich dergestalt, daß der Neuenburger Gesetzgebende Körper im Sommer 1833 beschloß, beim Könige förmlich den Austritt aus der Eidgenossenschaft zu beantragen. So war die Meinung der großen Mehrzahl der Gebildeten. Unter den Massen dagegen besaß die schweizerische radicale Partei der so- genannten Patrioten schon starken Anhang, und als sie sofort eine Gegen- petition veranstaltete, fand sie leicht einige tausend Unterschriften. Der König ließ diese Petenten kurz bedeuten, daß er nur in der Meinung der gesetzmäßigen Abgeordneten die Stimme des Volkes erkennen könne. Die Abgesandten des Gesetzgebenden Körpers hingegen, an ihrer Spitze der feurige Royalist Baron Chambrier, wurden in Berlin sehr freundlich aufgenommen, sie zeigten dem Könige "ein wahrhaft kindliches Vertrauen",
*) Münchhausen's Berichte, 21. Febr., 11. 12. April 1837.
IV. 8. Stille Jahre.
bekam die Ungnade des Königs lebhaft zu empfinden; er verlangte wieder einmal, wie ſo oft ſchon, ſeine Entlaſſung aus dem Staatsrathe, ein Bruch ſchien unvermeidlich, und nach Allem, was geſchehen, war es faſt ein Glück für ihn, daß er bald nachher erkrankte und ſtarb (Sept. 1837). Auch der Kronprinz beſtürmte ſeinen Vater mit Klagen. Czar Nikolaus ſetzte ebenfalls alle Hebel ein, er ſendete ſeinen Günſtling Oberſt Rauch nach Berlin und ließ in Schwerin die Prinzeſſin, ſeine Nichte, beſchwören, daß ſie von ihrem ausgeſprochenen Entſchluſſe abſtehen möge — was Ancillon als einen unge- hörigen Eingriff in deutſche Angelegenheiten entſchieden zurückweiſen mußte.*)
Bei all dieſem Getöſe behielt der alte König ſeinen Gleichmuth; er blieb dabei, daß der europäiſche Friede ein ſolches Opfer verlange: — eine preußiſche Prinzeſſin würde er den Orleans freilich nicht preisgegeben haben. Im Mai 1837 fand die Braut auf der Durchreiſe nach Paris im Potsdamer Schloſſe freundliche Aufnahme und gewann ſich an A. Hum- boldt einen Freund für das Leben. Im Juni wurde die Hochzeit gefeiert und zugleich in Verſailles das Muſeum à toutes les gloires de la France eröffnet, eine Sammlung, deren prahleriſche Schlachtenbilder zu dem fried- fertigen Weſen des Bürgerkönigthums allerdings wenig ſtimmten. Ludwig Philipp ſchwamm in Freuden, er ernannte ſeinen Geſandten Breſſon zum Pair; denn nunmehr war ſein Haus, Dank dem Könige von Preußen, feierlich in die Gemeinſchaft des europäiſchen Fürſtenſtandes aufgenommen. Er ſäumte auch nicht, ſeine Dankbarkeit durch Thaten zu bewähren. Im Jahre 1838 wurden die Franzoſen aus Ancona, die Oeſterreicher aus Ferrara zurückgerufen, und vorläufig ſchien jede Kriegsgefahr beſeitigt. —
Die gleiche Mäßigung bewährte Friedrich Wilhelm auch bei den ſchwei- zeriſchen Händeln, die ſein Fürſtenthum Neuenburg noch immer beunruhig- ten. Nachdem ſieben demokratiſche Cantone einen Sonderbund zum Schutze ihrer neuen Verfaſſungen gebildet hatten, ſchloſſen die Neuenburger Roya- liſten mit fünf anderen conſervativen Cantonen den Sarnerbund um das alte Bundesrecht aufrecht zu erhalten. Der Streit verſchärfte ſich dergeſtalt, daß der Neuenburger Geſetzgebende Körper im Sommer 1833 beſchloß, beim Könige förmlich den Austritt aus der Eidgenoſſenſchaft zu beantragen. So war die Meinung der großen Mehrzahl der Gebildeten. Unter den Maſſen dagegen beſaß die ſchweizeriſche radicale Partei der ſo- genannten Patrioten ſchon ſtarken Anhang, und als ſie ſofort eine Gegen- petition veranſtaltete, fand ſie leicht einige tauſend Unterſchriften. Der König ließ dieſe Petenten kurz bedeuten, daß er nur in der Meinung der geſetzmäßigen Abgeordneten die Stimme des Volkes erkennen könne. Die Abgeſandten des Geſetzgebenden Körpers hingegen, an ihrer Spitze der feurige Royaliſt Baron Chambrier, wurden in Berlin ſehr freundlich aufgenommen, ſie zeigten dem Könige „ein wahrhaft kindliches Vertrauen“,
*) Münchhauſen’s Berichte, 21. Febr., 11. 12. April 1837.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0532"n="518"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">IV.</hi> 8. Stille Jahre.</fw><lb/>
bekam die Ungnade des Königs lebhaft zu empfinden; er verlangte wieder<lb/>
einmal, wie ſo oft ſchon, ſeine Entlaſſung aus dem Staatsrathe, ein Bruch<lb/>ſchien unvermeidlich, und nach Allem, was geſchehen, war es faſt ein Glück<lb/>
für ihn, daß er bald nachher erkrankte und ſtarb (Sept. 1837). Auch der<lb/>
Kronprinz beſtürmte ſeinen Vater mit Klagen. Czar Nikolaus ſetzte ebenfalls<lb/>
alle Hebel ein, er ſendete ſeinen Günſtling Oberſt Rauch nach Berlin und<lb/>
ließ in Schwerin die Prinzeſſin, ſeine Nichte, beſchwören, daß ſie von ihrem<lb/>
ausgeſprochenen Entſchluſſe abſtehen möge — was Ancillon als einen unge-<lb/>
hörigen Eingriff in deutſche Angelegenheiten entſchieden zurückweiſen mußte.<noteplace="foot"n="*)">Münchhauſen’s Berichte, 21. Febr., 11. 12. April 1837.</note></p><lb/><p>Bei all dieſem Getöſe behielt der alte König ſeinen Gleichmuth; er<lb/>
blieb dabei, daß der europäiſche Friede ein ſolches Opfer verlange: — eine<lb/>
preußiſche Prinzeſſin würde er den Orleans freilich nicht preisgegeben<lb/>
haben. Im Mai 1837 fand die Braut auf der Durchreiſe nach Paris im<lb/>
Potsdamer Schloſſe freundliche Aufnahme und gewann ſich an A. Hum-<lb/>
boldt einen Freund für das Leben. Im Juni wurde die Hochzeit gefeiert<lb/>
und zugleich in Verſailles das Muſeum <hirendition="#aq">à toutes les gloires de la France</hi><lb/>
eröffnet, eine Sammlung, deren prahleriſche Schlachtenbilder zu dem fried-<lb/>
fertigen Weſen des Bürgerkönigthums allerdings wenig ſtimmten. Ludwig<lb/>
Philipp ſchwamm in Freuden, er ernannte ſeinen Geſandten Breſſon zum<lb/>
Pair; denn nunmehr war ſein Haus, Dank dem Könige von Preußen,<lb/>
feierlich in die Gemeinſchaft des europäiſchen Fürſtenſtandes aufgenommen.<lb/>
Er ſäumte auch nicht, ſeine Dankbarkeit durch Thaten zu bewähren. Im<lb/>
Jahre 1838 wurden die Franzoſen aus Ancona, die Oeſterreicher aus<lb/>
Ferrara zurückgerufen, und vorläufig ſchien jede Kriegsgefahr beſeitigt. —</p><lb/><p>Die gleiche Mäßigung bewährte Friedrich Wilhelm auch bei den ſchwei-<lb/>
zeriſchen Händeln, die ſein Fürſtenthum Neuenburg noch immer beunruhig-<lb/>
ten. Nachdem ſieben demokratiſche Cantone einen Sonderbund zum Schutze<lb/>
ihrer neuen Verfaſſungen gebildet hatten, ſchloſſen die Neuenburger Roya-<lb/>
liſten mit fünf anderen conſervativen Cantonen den Sarnerbund um<lb/>
das alte Bundesrecht aufrecht zu erhalten. Der Streit verſchärfte ſich<lb/>
dergeſtalt, daß der Neuenburger Geſetzgebende Körper im Sommer 1833<lb/>
beſchloß, beim Könige förmlich den Austritt aus der Eidgenoſſenſchaft zu<lb/>
beantragen. So war die Meinung der großen Mehrzahl der Gebildeten.<lb/>
Unter den Maſſen dagegen beſaß die ſchweizeriſche radicale Partei der ſo-<lb/>
genannten Patrioten ſchon ſtarken Anhang, und als ſie ſofort eine Gegen-<lb/>
petition veranſtaltete, fand ſie leicht einige tauſend Unterſchriften. Der<lb/>
König ließ dieſe Petenten kurz bedeuten, daß er nur in der Meinung der<lb/>
geſetzmäßigen Abgeordneten die Stimme des Volkes erkennen könne. Die<lb/>
Abgeſandten des Geſetzgebenden Körpers hingegen, an ihrer Spitze der<lb/>
feurige Royaliſt Baron Chambrier, wurden in Berlin ſehr freundlich<lb/>
aufgenommen, ſie zeigten dem Könige „ein wahrhaft kindliches Vertrauen“,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[518/0532]
IV. 8. Stille Jahre.
bekam die Ungnade des Königs lebhaft zu empfinden; er verlangte wieder
einmal, wie ſo oft ſchon, ſeine Entlaſſung aus dem Staatsrathe, ein Bruch
ſchien unvermeidlich, und nach Allem, was geſchehen, war es faſt ein Glück
für ihn, daß er bald nachher erkrankte und ſtarb (Sept. 1837). Auch der
Kronprinz beſtürmte ſeinen Vater mit Klagen. Czar Nikolaus ſetzte ebenfalls
alle Hebel ein, er ſendete ſeinen Günſtling Oberſt Rauch nach Berlin und
ließ in Schwerin die Prinzeſſin, ſeine Nichte, beſchwören, daß ſie von ihrem
ausgeſprochenen Entſchluſſe abſtehen möge — was Ancillon als einen unge-
hörigen Eingriff in deutſche Angelegenheiten entſchieden zurückweiſen mußte. *)
Bei all dieſem Getöſe behielt der alte König ſeinen Gleichmuth; er
blieb dabei, daß der europäiſche Friede ein ſolches Opfer verlange: — eine
preußiſche Prinzeſſin würde er den Orleans freilich nicht preisgegeben
haben. Im Mai 1837 fand die Braut auf der Durchreiſe nach Paris im
Potsdamer Schloſſe freundliche Aufnahme und gewann ſich an A. Hum-
boldt einen Freund für das Leben. Im Juni wurde die Hochzeit gefeiert
und zugleich in Verſailles das Muſeum à toutes les gloires de la France
eröffnet, eine Sammlung, deren prahleriſche Schlachtenbilder zu dem fried-
fertigen Weſen des Bürgerkönigthums allerdings wenig ſtimmten. Ludwig
Philipp ſchwamm in Freuden, er ernannte ſeinen Geſandten Breſſon zum
Pair; denn nunmehr war ſein Haus, Dank dem Könige von Preußen,
feierlich in die Gemeinſchaft des europäiſchen Fürſtenſtandes aufgenommen.
Er ſäumte auch nicht, ſeine Dankbarkeit durch Thaten zu bewähren. Im
Jahre 1838 wurden die Franzoſen aus Ancona, die Oeſterreicher aus
Ferrara zurückgerufen, und vorläufig ſchien jede Kriegsgefahr beſeitigt. —
Die gleiche Mäßigung bewährte Friedrich Wilhelm auch bei den ſchwei-
zeriſchen Händeln, die ſein Fürſtenthum Neuenburg noch immer beunruhig-
ten. Nachdem ſieben demokratiſche Cantone einen Sonderbund zum Schutze
ihrer neuen Verfaſſungen gebildet hatten, ſchloſſen die Neuenburger Roya-
liſten mit fünf anderen conſervativen Cantonen den Sarnerbund um
das alte Bundesrecht aufrecht zu erhalten. Der Streit verſchärfte ſich
dergeſtalt, daß der Neuenburger Geſetzgebende Körper im Sommer 1833
beſchloß, beim Könige förmlich den Austritt aus der Eidgenoſſenſchaft zu
beantragen. So war die Meinung der großen Mehrzahl der Gebildeten.
Unter den Maſſen dagegen beſaß die ſchweizeriſche radicale Partei der ſo-
genannten Patrioten ſchon ſtarken Anhang, und als ſie ſofort eine Gegen-
petition veranſtaltete, fand ſie leicht einige tauſend Unterſchriften. Der
König ließ dieſe Petenten kurz bedeuten, daß er nur in der Meinung der
geſetzmäßigen Abgeordneten die Stimme des Volkes erkennen könne. Die
Abgeſandten des Geſetzgebenden Körpers hingegen, an ihrer Spitze der
feurige Royaliſt Baron Chambrier, wurden in Berlin ſehr freundlich
aufgenommen, ſie zeigten dem Könige „ein wahrhaft kindliches Vertrauen“,
*) Münchhauſen’s Berichte, 21. Febr., 11. 12. April 1837.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/532>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.