Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Deutsche Carlisten. Diplomatie zu verschaffen; der Prinz ahnte, wie viel Geist und Muthin diesem Tollkopf lebte, und bat seinen königlichen Vater freimüthig, "daß man jugendlichen Leichtsinn nicht ungerügt hingehen lassen dürfe, dagegen aber deshalb einen jungen Mann nicht ganz fallen lassen dürfe, sondern ihm Anleitung zum Ergreifen eines besseren Lebenswandels gäbe."*) Die sittenstrengen Minister Ancillon und Rochow wollten von Nachsicht nichts hören. Lichnowsky mußte ausscheiden und ging zu Don Carlos, der ihn rasch zum General und Generaladjutanten beförderte. Der Anblick des kopflosen, in Hoffart und Lippendienst ganz erstarrten Königs ernüchterte den begeisterten deutschen Royalisten bald; er begann zu fühlen, wie fremd dies hispanische Wesen unserem freien Weltsinne war. Im Lager der Cristinos fochten nur vereinzelte Deutsche, so der preußische Ingenieur- Offizier Höfken; der lernte freilich die spanische Redlichkeit so gründlich kennen, daß er den Staub des Landes schnell von seinen Füßen schüttelte. Das Kriegsglück schwankte lange, einmal gelangten die Schaaren der Derweil diese Gräuel, die unvermeidlichen Folgen der Leidensgeschichte *) Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 18. Febr. 1837. **) Ancillon an Maltzan, 13. Juli 1836.
Deutſche Carliſten. Diplomatie zu verſchaffen; der Prinz ahnte, wie viel Geiſt und Muthin dieſem Tollkopf lebte, und bat ſeinen königlichen Vater freimüthig, „daß man jugendlichen Leichtſinn nicht ungerügt hingehen laſſen dürfe, dagegen aber deshalb einen jungen Mann nicht ganz fallen laſſen dürfe, ſondern ihm Anleitung zum Ergreifen eines beſſeren Lebenswandels gäbe.“*) Die ſittenſtrengen Miniſter Ancillon und Rochow wollten von Nachſicht nichts hören. Lichnowsky mußte ausſcheiden und ging zu Don Carlos, der ihn raſch zum General und Generaladjutanten beförderte. Der Anblick des kopfloſen, in Hoffart und Lippendienſt ganz erſtarrten Königs ernüchterte den begeiſterten deutſchen Royaliſten bald; er begann zu fühlen, wie fremd dies hispaniſche Weſen unſerem freien Weltſinne war. Im Lager der Criſtinos fochten nur vereinzelte Deutſche, ſo der preußiſche Ingenieur- Offizier Höfken; der lernte freilich die ſpaniſche Redlichkeit ſo gründlich kennen, daß er den Staub des Landes ſchnell von ſeinen Füßen ſchüttelte. Das Kriegsglück ſchwankte lange, einmal gelangten die Schaaren der Derweil dieſe Gräuel, die unvermeidlichen Folgen der Leidensgeſchichte *) Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 18. Febr. 1837. **) Ancillon an Maltzan, 13. Juli 1836.
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Deutſche Carliſten.
Diplomatie zu verſchaffen; der Prinz ahnte, wie viel Geiſt und Muth
in dieſem Tollkopf lebte, und bat ſeinen königlichen Vater freimüthig,
„daß man jugendlichen Leichtſinn nicht ungerügt hingehen laſſen dürfe,
dagegen aber deshalb einen jungen Mann nicht ganz fallen laſſen dürfe,
ſondern ihm Anleitung zum Ergreifen eines beſſeren Lebenswandels gäbe.“ *)
Die ſittenſtrengen Miniſter Ancillon und Rochow wollten von Nachſicht
nichts hören. Lichnowsky mußte ausſcheiden und ging zu Don Carlos, der
ihn raſch zum General und Generaladjutanten beförderte. Der Anblick des
kopfloſen, in Hoffart und Lippendienſt ganz erſtarrten Königs ernüchterte
den begeiſterten deutſchen Royaliſten bald; er begann zu fühlen, wie fremd
dies hispaniſche Weſen unſerem freien Weltſinne war. Im Lager der
Criſtinos fochten nur vereinzelte Deutſche, ſo der preußiſche Ingenieur-
Offizier Höfken; der lernte freilich die ſpaniſche Redlichkeit ſo gründlich
kennen, daß er den Staub des Landes ſchnell von ſeinen Füßen ſchüttelte.
Das Kriegsglück ſchwankte lange, einmal gelangten die Schaaren der
Carliſten bis dicht vor die Thore von Madrid, und durch den langwierigen
Kampf mußten unausbleiblich in beiden Lagern die extremen Parteien
obenauf kommen. Don Carlos war bald nur noch ein Werkzeug in den
Händen fanatiſcher Prieſter, er ernannte die allerheiligſte Jungfrau dos
Dolores zum Feldmarſchall ſeines Heeres. In Madrid aber wurden die
Liberalen von den radicalen Exaltados überwältigt, bis endlich ein finger-
fertiger „Jongleur“, wie Ancillon ihn nannte **), der börſenkundige jüdiſche
Bankier Mendizabal ans Ruder kam und die Aufhebung aller Klöſter
durchſetzte (1836). Wunderbare Gerechtigkeit des Schickſals: ein frecher
jüdiſcher Spieler führte den vernichtenden Schlag gegen dieſe ſpaniſche
Kirche, die ſich einſt durch die grauſame Vertreibung der fleißigen Mauren
und Juden ſo unvergeßlich ſchwer verſündigt hatte! Nun raſte der Kloſter-
ſturm durch das rechtgläubige Land, wo überall an den Pfeilern der Wall-
fahrtskirchen die wächſernen Ohren, Naſen, Brüſte, die Weihgeſchenke eines
heidniſchen Götzendienſtes, in dicken Bündeln hingen, wo jede Vorbedin-
gung eines freien, denkenden, evangeliſchen Chriſtenthums fehlte und nur
die Wahl blieb zwiſchen der ſtumpfſinnigen Unterwerfung und der frevel-
haften Gottesläſterung. Der ſtärkſte Pfeiler der alten Kirchenherrſchaft
war gebrochen. In dem Gewirr der Verſchwörungen, Staatsſtreiche,
Soldatenverſchwörungen ging auch die neue Verfaſſung zu Grunde; der
heilige Codex vom Jahre 1812 trat wieder in Kraft, um alsbald durch
ein drittes Grundgeſetz verdrängt zu werden.
Derweil dieſe Gräuel, die unvermeidlichen Folgen der Leidensgeſchichte
dreier Jahrhunderte, das ſpaniſche Land heimſuchten, trat Palmerſton
leichten Herzens alles Völkerrecht mit Füßen. Ein engliſches Heer wagte
*) Prinz Wilhelm an König Friedrich Wilhelm, 18. Febr. 1837.
**) Ancillon an Maltzan, 13. Juli 1836.
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