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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der Carlistenkrieg.
einem englischen Kriegsschiffe nach London abgeführt, und die Briten er-
wiesen ihm sogar die Gefälligkeit, einen geheimen Brief an seine Getreuen
in den baskischen Provinzen pünktlich zu besorgen. In London fand
König Karl V. bei den fast durchweg carlistisch gesinnten Torys warme
Huldigungen und geheime Hilfe. Palmerston aber ließ ihn ohne jede Be-
dingung frei, der unschuldige Lord meinte: "wir können ihn nicht als Ge-
fangenen behandeln." Nach wenigen Tagen war Don Carlos verschwunden,
wie alle Welt voraussah. Er reiste ohne Gefährde durch Frankreich; denn
dort spielten die Anhänger Karl's X. und Karl's V. längst unter einer
Decke, auf jedem Paßbureau, auf jeder Poststation saßen geheime car-
listische Agenten.

Am 9. Juli erschien er plötzlich an der einzigen Stelle wo er eine Macht
war, unter seinen Getreuen in Navarra, denen er durch seinen Brief aus
Elvora schon seine bevorstehende Ankunft mitgetheilt hatte. Das ganze
Spiel war eine plumpe Fastnachtsposse, und nur die Taubenunschuld der
deutschen Liberalen konnte glauben, daß Palmerston die Rückkehr des Prä-
tendenten, die Verlängerung des spanischen Bürgerkriegs wirklich nicht ge-
wünscht hätte. Als Heerführer völlig untauglich, war Don Carlos doch
Mannes genug um die Strapazen und Nöthe seiner Leute als ehrlicher
Kriegsmann zu theilen, und dies genügte dem schlichten Naturvolke der
Pyrenäen; die Anwesenheit des legitimen katholischen Königs erfüllte die
Heerschaaren der Carlisten mit flammender Begeisterung.

Welch ein Verhängniß, daß die fleißigsten, schönsten, liebenswür-
digsten Bewohner der Halbinsel, die einzigen, die nach europäischer Weise
den Fremdling menschenfreundlich aufnehmen, daß gerade dies edle Basken-
volk in den Kampf für die Priesterherrschaft hineingezwungen wurde. Ihres
blauen Blutes froh schauten die Basken von Alters her mit der gleichen
Verachtung auf die Franzosen wie auf die Castilianer hernieder; unter dem
Schutze ihrer uralten Fueros führten sie ein Sonderleben, das von spani-
schen Beamten, Steuern, Zöllen unbehelligt blieb, und nun sollten die
Sonderrechte der vier baskischen Provinzen durch die neue liberale Ver-
fassung, welche die Königin-Regentin im April 1834 verkündigen ließ, mit
einem Schlage vernichtet werden. Wie ein Mann erhob sich das baskische
Volk für seine Fueros und den rechtmäßigen König, der sie bestätigt hatte;
sieben entsetzliche Jahre hindurch widerstand diese halbe Million freier
Menschen der vereinigten Macht Spaniens und seiner geheimen Verbün-
deten. Eine Zeit lang nahmen auch die Aragonier und die Catalanen an
dem Kampfe theil; sie konnten es nicht verwinden, daß die Castilianer der
Coronilla von Aragon so oft ihre Geringschätzung bezeigten. Doch die Hoch-
burg des Carlismus blieb das tapfere Baskenland, und der einzige große
Charakter, der sich aus dem fürchterlichen Einerlei dieses Gemetzels empor-
hob, Zumalacarreguy war ein Baske. Abermals erlebte unser bildungs-
stolzes Jahrhundert einen Krieg, dessen teuflische Grausamkeit dem Agon der

Der Carliſtenkrieg.
einem engliſchen Kriegsſchiffe nach London abgeführt, und die Briten er-
wieſen ihm ſogar die Gefälligkeit, einen geheimen Brief an ſeine Getreuen
in den baskiſchen Provinzen pünktlich zu beſorgen. In London fand
König Karl V. bei den faſt durchweg carliſtiſch geſinnten Torys warme
Huldigungen und geheime Hilfe. Palmerſton aber ließ ihn ohne jede Be-
dingung frei, der unſchuldige Lord meinte: „wir können ihn nicht als Ge-
fangenen behandeln.“ Nach wenigen Tagen war Don Carlos verſchwunden,
wie alle Welt vorausſah. Er reiſte ohne Gefährde durch Frankreich; denn
dort ſpielten die Anhänger Karl’s X. und Karl’s V. längſt unter einer
Decke, auf jedem Paßbureau, auf jeder Poſtſtation ſaßen geheime car-
liſtiſche Agenten.

Am 9. Juli erſchien er plötzlich an der einzigen Stelle wo er eine Macht
war, unter ſeinen Getreuen in Navarra, denen er durch ſeinen Brief aus
Elvora ſchon ſeine bevorſtehende Ankunft mitgetheilt hatte. Das ganze
Spiel war eine plumpe Faſtnachtspoſſe, und nur die Taubenunſchuld der
deutſchen Liberalen konnte glauben, daß Palmerſton die Rückkehr des Prä-
tendenten, die Verlängerung des ſpaniſchen Bürgerkriegs wirklich nicht ge-
wünſcht hätte. Als Heerführer völlig untauglich, war Don Carlos doch
Mannes genug um die Strapazen und Nöthe ſeiner Leute als ehrlicher
Kriegsmann zu theilen, und dies genügte dem ſchlichten Naturvolke der
Pyrenäen; die Anweſenheit des legitimen katholiſchen Königs erfüllte die
Heerſchaaren der Carliſten mit flammender Begeiſterung.

Welch ein Verhängniß, daß die fleißigſten, ſchönſten, liebenswür-
digſten Bewohner der Halbinſel, die einzigen, die nach europäiſcher Weiſe
den Fremdling menſchenfreundlich aufnehmen, daß gerade dies edle Basken-
volk in den Kampf für die Prieſterherrſchaft hineingezwungen wurde. Ihres
blauen Blutes froh ſchauten die Basken von Alters her mit der gleichen
Verachtung auf die Franzoſen wie auf die Caſtilianer hernieder; unter dem
Schutze ihrer uralten Fueros führten ſie ein Sonderleben, das von ſpani-
ſchen Beamten, Steuern, Zöllen unbehelligt blieb, und nun ſollten die
Sonderrechte der vier baskiſchen Provinzen durch die neue liberale Ver-
faſſung, welche die Königin-Regentin im April 1834 verkündigen ließ, mit
einem Schlage vernichtet werden. Wie ein Mann erhob ſich das baskiſche
Volk für ſeine Fueros und den rechtmäßigen König, der ſie beſtätigt hatte;
ſieben entſetzliche Jahre hindurch widerſtand dieſe halbe Million freier
Menſchen der vereinigten Macht Spaniens und ſeiner geheimen Verbün-
deten. Eine Zeit lang nahmen auch die Aragonier und die Catalanen an
dem Kampfe theil; ſie konnten es nicht verwinden, daß die Caſtilianer der
Coronilla von Aragon ſo oft ihre Geringſchätzung bezeigten. Doch die Hoch-
burg des Carlismus blieb das tapfere Baskenland, und der einzige große
Charakter, der ſich aus dem fürchterlichen Einerlei dieſes Gemetzels empor-
hob, Zumalacarreguy war ein Baske. Abermals erlebte unſer bildungs-
ſtolzes Jahrhundert einen Krieg, deſſen teufliſche Grauſamkeit dem Agon der

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[503/0517] Der Carliſtenkrieg. einem engliſchen Kriegsſchiffe nach London abgeführt, und die Briten er- wieſen ihm ſogar die Gefälligkeit, einen geheimen Brief an ſeine Getreuen in den baskiſchen Provinzen pünktlich zu beſorgen. In London fand König Karl V. bei den faſt durchweg carliſtiſch geſinnten Torys warme Huldigungen und geheime Hilfe. Palmerſton aber ließ ihn ohne jede Be- dingung frei, der unſchuldige Lord meinte: „wir können ihn nicht als Ge- fangenen behandeln.“ Nach wenigen Tagen war Don Carlos verſchwunden, wie alle Welt vorausſah. Er reiſte ohne Gefährde durch Frankreich; denn dort ſpielten die Anhänger Karl’s X. und Karl’s V. längſt unter einer Decke, auf jedem Paßbureau, auf jeder Poſtſtation ſaßen geheime car- liſtiſche Agenten. Am 9. Juli erſchien er plötzlich an der einzigen Stelle wo er eine Macht war, unter ſeinen Getreuen in Navarra, denen er durch ſeinen Brief aus Elvora ſchon ſeine bevorſtehende Ankunft mitgetheilt hatte. Das ganze Spiel war eine plumpe Faſtnachtspoſſe, und nur die Taubenunſchuld der deutſchen Liberalen konnte glauben, daß Palmerſton die Rückkehr des Prä- tendenten, die Verlängerung des ſpaniſchen Bürgerkriegs wirklich nicht ge- wünſcht hätte. Als Heerführer völlig untauglich, war Don Carlos doch Mannes genug um die Strapazen und Nöthe ſeiner Leute als ehrlicher Kriegsmann zu theilen, und dies genügte dem ſchlichten Naturvolke der Pyrenäen; die Anweſenheit des legitimen katholiſchen Königs erfüllte die Heerſchaaren der Carliſten mit flammender Begeiſterung. Welch ein Verhängniß, daß die fleißigſten, ſchönſten, liebenswür- digſten Bewohner der Halbinſel, die einzigen, die nach europäiſcher Weiſe den Fremdling menſchenfreundlich aufnehmen, daß gerade dies edle Basken- volk in den Kampf für die Prieſterherrſchaft hineingezwungen wurde. Ihres blauen Blutes froh ſchauten die Basken von Alters her mit der gleichen Verachtung auf die Franzoſen wie auf die Caſtilianer hernieder; unter dem Schutze ihrer uralten Fueros führten ſie ein Sonderleben, das von ſpani- ſchen Beamten, Steuern, Zöllen unbehelligt blieb, und nun ſollten die Sonderrechte der vier baskiſchen Provinzen durch die neue liberale Ver- faſſung, welche die Königin-Regentin im April 1834 verkündigen ließ, mit einem Schlage vernichtet werden. Wie ein Mann erhob ſich das baskiſche Volk für ſeine Fueros und den rechtmäßigen König, der ſie beſtätigt hatte; ſieben entſetzliche Jahre hindurch widerſtand dieſe halbe Million freier Menſchen der vereinigten Macht Spaniens und ſeiner geheimen Verbün- deten. Eine Zeit lang nahmen auch die Aragonier und die Catalanen an dem Kampfe theil; ſie konnten es nicht verwinden, daß die Caſtilianer der Coronilla von Aragon ſo oft ihre Geringſchätzung bezeigten. Doch die Hoch- burg des Carlismus blieb das tapfere Baskenland, und der einzige große Charakter, der ſich aus dem fürchterlichen Einerlei dieſes Gemetzels empor- hob, Zumalacarreguy war ein Baske. Abermals erlebte unſer bildungs- ſtolzes Jahrhundert einen Krieg, deſſen teufliſche Grauſamkeit dem Agon der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/517>, abgerufen am 24.11.2024.