meinte sich berufen nach dem Vorbilde des Erzengels Michael die Satans- brut der Liberalen zu vernichten, er warf die Verfassung über den Haufen, ließ tausende seiner Gegner hinrichten, einkerkern, ins Elend jagen. Ob- wohl unzweifelhaft ein Usurpator erfreute er sich doch der geheimen Gunst Metternich's -- denn wer eine Verfassung brach behielt in der Hofburg immer Recht -- und seit der Juli-Revolution begegnete er den beiden libe- ralen Westmächten mit der ganzen Feindseligkeit des reaktionären Partei- hauptes. Also gerieth der freisinnige Gönner aller Revolutionen, Lord Palmerston, in die sonderbare Lage, sich der legitimen Rechte der jungen Königin annehmen zu müssen. Unmöglich konnte er dulden, daß dies seit vier Menschenaltern, seit dem Methuenvertrage, der britischen Handels- herrschaft unterthänige Portugal, dies alte Jagdgebiet der Fabrikanten von Glasgow und Manchester, jetzt durch einen feindseligen Usurpator der englischen Flagge versperrt würde; die schwache Regierung eines unmün- digen Mädchens versprach dem englischen Interesse unvergleichlich größere Vortheile, und das Weiberregiment war, wie die Dinge standen, zugleich die Sache der Freiheit, der Verfassung.
Unter dem jubelnden Beifall der Liberalen auf beiden Ufern des Canals erklärte sich der englische Minister also für die verfassungsmäßige Regierung der unmündigen Königin. König Wilhelm IV. freilich gestand in einer geheimen Denkschrift mit seiner gewohnten beschränkten Ehrlich- keit: von einer Verfassung wolle die große Mehrzahl der Portugiesen nichts wissen, indessen halte er "die Herrschaft Don Miguel's für das größere und dem Interesse Englands schädlichere Uebel". Eine offene Inter- vention zu Gunsten des legitimen Rechts durften die Westmächte jetzt noch nicht wagen, nachdem sie soeben den Grundsatz der Nichteinmischung feier- lich verkündigt hatten, doch auf Schleichwegen konnten sie ihr Heil leicht erreichen, da die liberale öffentliche Meinung sich stürmisch gegen den portugiesischen Usurpator aussprach. Als Don Pedro im Jahre 1832 nach Europa heimkehrte, um seiner Tochter die Krone zurückzugewinnen, da stellte ihm Frankreich sofort jene portugiesischen Kriegsschiffe zur Verfügung, welche vor Kurzem, in Folge eines Streites mit Don Miguel, aus dem Tejo hinweggeführt worden waren, und zahlreiche französische Freiwillige traten unter seine Fahnen. In England wurde öffentlich für ihn geworben, obgleich das Gesetz jede Anwerbung für fremden Kriegsdienst untersagte. Englische Seeoffiziere und Blaujacken bildeten den Stamm seiner Seemacht; der Engländer Napier befehligte die Flotte, als beim Cap St. Vincent, auf der alten Stätte britischen Waffenruhms, die Schiffe Don Miguel's vernichtet wurden. Frohlockend meldete eine officiöse Flugschrift, deren prahlerischer Stil die Feder Palmerston's selber leicht erkennen ließ: "Britische Tapfer- keit war wie gewöhnlich mit portugiesischer Freiheit verbündet, St. Vincent hat nochmals die Thaten des Seeheldenthums gesehen." Zugleich erging an alle Höfe die inbrünstige Versicherung, daß England in diesen Händeln
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Don Miguel.
meinte ſich berufen nach dem Vorbilde des Erzengels Michael die Satans- brut der Liberalen zu vernichten, er warf die Verfaſſung über den Haufen, ließ tauſende ſeiner Gegner hinrichten, einkerkern, ins Elend jagen. Ob- wohl unzweifelhaft ein Uſurpator erfreute er ſich doch der geheimen Gunſt Metternich’s — denn wer eine Verfaſſung brach behielt in der Hofburg immer Recht — und ſeit der Juli-Revolution begegnete er den beiden libe- ralen Weſtmächten mit der ganzen Feindſeligkeit des reaktionären Partei- hauptes. Alſo gerieth der freiſinnige Gönner aller Revolutionen, Lord Palmerſton, in die ſonderbare Lage, ſich der legitimen Rechte der jungen Königin annehmen zu müſſen. Unmöglich konnte er dulden, daß dies ſeit vier Menſchenaltern, ſeit dem Methuenvertrage, der britiſchen Handels- herrſchaft unterthänige Portugal, dies alte Jagdgebiet der Fabrikanten von Glasgow und Mancheſter, jetzt durch einen feindſeligen Uſurpator der engliſchen Flagge verſperrt würde; die ſchwache Regierung eines unmün- digen Mädchens verſprach dem engliſchen Intereſſe unvergleichlich größere Vortheile, und das Weiberregiment war, wie die Dinge ſtanden, zugleich die Sache der Freiheit, der Verfaſſung.
Unter dem jubelnden Beifall der Liberalen auf beiden Ufern des Canals erklärte ſich der engliſche Miniſter alſo für die verfaſſungsmäßige Regierung der unmündigen Königin. König Wilhelm IV. freilich geſtand in einer geheimen Denkſchrift mit ſeiner gewohnten beſchränkten Ehrlich- keit: von einer Verfaſſung wolle die große Mehrzahl der Portugieſen nichts wiſſen, indeſſen halte er „die Herrſchaft Don Miguel’s für das größere und dem Intereſſe Englands ſchädlichere Uebel“. Eine offene Inter- vention zu Gunſten des legitimen Rechts durften die Weſtmächte jetzt noch nicht wagen, nachdem ſie ſoeben den Grundſatz der Nichteinmiſchung feier- lich verkündigt hatten, doch auf Schleichwegen konnten ſie ihr Heil leicht erreichen, da die liberale öffentliche Meinung ſich ſtürmiſch gegen den portugieſiſchen Uſurpator ausſprach. Als Don Pedro im Jahre 1832 nach Europa heimkehrte, um ſeiner Tochter die Krone zurückzugewinnen, da ſtellte ihm Frankreich ſofort jene portugieſiſchen Kriegsſchiffe zur Verfügung, welche vor Kurzem, in Folge eines Streites mit Don Miguel, aus dem Tejo hinweggeführt worden waren, und zahlreiche franzöſiſche Freiwillige traten unter ſeine Fahnen. In England wurde öffentlich für ihn geworben, obgleich das Geſetz jede Anwerbung für fremden Kriegsdienſt unterſagte. Engliſche Seeoffiziere und Blaujacken bildeten den Stamm ſeiner Seemacht; der Engländer Napier befehligte die Flotte, als beim Cap St. Vincent, auf der alten Stätte britiſchen Waffenruhms, die Schiffe Don Miguel’s vernichtet wurden. Frohlockend meldete eine officiöſe Flugſchrift, deren prahleriſcher Stil die Feder Palmerſton’s ſelber leicht erkennen ließ: „Britiſche Tapfer- keit war wie gewöhnlich mit portugieſiſcher Freiheit verbündet, St. Vincent hat nochmals die Thaten des Seeheldenthums geſehen.“ Zugleich erging an alle Höfe die inbrünſtige Verſicherung, daß England in dieſen Händeln
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Don Miguel.
meinte ſich berufen nach dem Vorbilde des Erzengels Michael die Satans-
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ließ tauſende ſeiner Gegner hinrichten, einkerkern, ins Elend jagen. Ob-
wohl unzweifelhaft ein Uſurpator erfreute er ſich doch der geheimen Gunſt
Metternich’s — denn wer eine Verfaſſung brach behielt in der Hofburg
immer Recht — und ſeit der Juli-Revolution begegnete er den beiden libe-
ralen Weſtmächten mit der ganzen Feindſeligkeit des reaktionären Partei-
hauptes. Alſo gerieth der freiſinnige Gönner aller Revolutionen, Lord
Palmerſton, in die ſonderbare Lage, ſich der legitimen Rechte der jungen
Königin annehmen zu müſſen. Unmöglich konnte er dulden, daß dies ſeit
vier Menſchenaltern, ſeit dem Methuenvertrage, der britiſchen Handels-
herrſchaft unterthänige Portugal, dies alte Jagdgebiet der Fabrikanten von
Glasgow und Mancheſter, jetzt durch einen feindſeligen Uſurpator der
engliſchen Flagge verſperrt würde; die ſchwache Regierung eines unmün-
digen Mädchens verſprach dem engliſchen Intereſſe unvergleichlich größere
Vortheile, und das Weiberregiment war, wie die Dinge ſtanden, zugleich
die Sache der Freiheit, der Verfaſſung.
Unter dem jubelnden Beifall der Liberalen auf beiden Ufern des
Canals erklärte ſich der engliſche Miniſter alſo für die verfaſſungsmäßige
Regierung der unmündigen Königin. König Wilhelm IV. freilich geſtand
in einer geheimen Denkſchrift mit ſeiner gewohnten beſchränkten Ehrlich-
keit: von einer Verfaſſung wolle die große Mehrzahl der Portugieſen nichts
wiſſen, indeſſen halte er „die Herrſchaft Don Miguel’s für das größere
und dem Intereſſe Englands ſchädlichere Uebel“. Eine offene Inter-
vention zu Gunſten des legitimen Rechts durften die Weſtmächte jetzt noch
nicht wagen, nachdem ſie ſoeben den Grundſatz der Nichteinmiſchung feier-
lich verkündigt hatten, doch auf Schleichwegen konnten ſie ihr Heil leicht
erreichen, da die liberale öffentliche Meinung ſich ſtürmiſch gegen den
portugieſiſchen Uſurpator ausſprach. Als Don Pedro im Jahre 1832 nach
Europa heimkehrte, um ſeiner Tochter die Krone zurückzugewinnen, da
ſtellte ihm Frankreich ſofort jene portugieſiſchen Kriegsſchiffe zur Verfügung,
welche vor Kurzem, in Folge eines Streites mit Don Miguel, aus dem Tejo
hinweggeführt worden waren, und zahlreiche franzöſiſche Freiwillige traten
unter ſeine Fahnen. In England wurde öffentlich für ihn geworben, obgleich
das Geſetz jede Anwerbung für fremden Kriegsdienſt unterſagte. Engliſche
Seeoffiziere und Blaujacken bildeten den Stamm ſeiner Seemacht; der
Engländer Napier befehligte die Flotte, als beim Cap St. Vincent, auf der
alten Stätte britiſchen Waffenruhms, die Schiffe Don Miguel’s vernichtet
wurden. Frohlockend meldete eine officiöſe Flugſchrift, deren prahleriſcher
Stil die Feder Palmerſton’s ſelber leicht erkennen ließ: „Britiſche Tapfer-
keit war wie gewöhnlich mit portugieſiſcher Freiheit verbündet, St. Vincent
hat nochmals die Thaten des Seeheldenthums geſehen.“ Zugleich erging
an alle Höfe die inbrünſtige Verſicherung, daß England in dieſen Händeln
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/513>, abgerufen am 23.07.2024.
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