Seine wissenschaftliche Ueberlegenheit war so groß und die Bewun- derung der akademischen Weltkinder für den unerschrockenen Kämpfer so lebendig, daß ihm auf die Dauer ein philosophischer Lehrstuhl kaum ent- gehen konnte. Der schwäbische Starrkopf verlangte aber nach einer theo- logischen Professur, obgleich er schon fast alle Grundlehren des Christen- thums in Frage gestellt hatte; es war genau dasselbe, wie wenn Martin Luther gefordert hätte, mitsammt seiner Frau Katharina General des Augustinerordens zu werden. Und wirklich fanden sich einige akademische Heißsporne bereit, dies sonderbare Begehren zu unterstützen. In Zürich hatte die neue radicale Regierung kürzlich eine Universität gegründet, die alsbald mehrere tüchtige Gelehrte aus der dichten Schaar der deutschen Demagogen und Unzufriedenen an sich zog. Lorenz Oken, der sich in München nach seiner Gewohnheit wieder mit den Behörden überworfen hatte, wurde ihr erster Rector und schrieb dort sein bestes Werk, die Na- turgeschichte. Warum sollte dies neue Limmat-Athen, das mit unend- licher Verachtung auf die deutschen Fürstenknechte herabschaute, nicht auch dem bestgehaßten Manne der deutschen Theologenzunft den Lehrstuhl der Dogmatik anvertrauen? Einige der Züricher Radicalen hofften schon, auf die vollendete politische Umwälzung werde eine neue kirchliche Reformation folgen. Nach heftigem Widerspruch wurde die Berufung bei den Canto- nalbehörden durchgesetzt und Strauß erklärte sich sofort bereit, ihr zu folgen (1839). Doch unmöglich konnte die Heimath Zwingli's einen solchen Ab- fall von allen ihren alten Ueberlieferungen gelassen hinnehmen. In der behaglichen Anarchie dieses demokratischen Staatswesens meinte sich jeder Gaisbub berechtigt, über die Befähigung theologischer Professoren sein sach- verständiges Gutachten abzugeben. Einige rechtgläubige Eiferer erhoben den Schreckensruf "die Religion ist in Gefahr", Hurter und die Ultra- montanen der Nachbarcantone stimmten kräftig ein, das gesammte Bauern- volk am See wurde aufsässig, und die gemäßigte Partei in der Stadt, an deren Spitze der junge liberale Freimaurer J. C. Bluntschli stand, schloß sich der Volksbewegung an. Die Regierung erschrak, sie nahm ihren Beschluß zurück und fand sich mit dem Berufenen ab durch eine Jahres- pension von 1000 Franken, welche Strauß, auf sein Recht trotzend, un- bedenklich annahm, aber zu wohlthätigen Zwecken verwendete. Den spar- samen Seebauern dagegen erschienen diese einem Ausländer gewährten tausend Franken als eine frevelhafte Verschwendung, da ihr Canton nie- mals Pensionen zahlte; sie lärmten wider "die Straußen" und ruhten nicht, bis sie durch offenen Aufruhr, durch den "Züriputsch" die radicale Regierung gestürzt hatten.
Diese tragikomische Revolution brachte den Namen des schwäbischen Theologen gänzlich in Verruf; keine der deutschen philosophischen Facul- täten wagte mehr, dem Bescholtenen einen angemessenen Wirkungskreis für sein glänzendes Lehrtalent anzubieten. Aber auch er selbst wurde durch
Der Züriputſch.
Seine wiſſenſchaftliche Ueberlegenheit war ſo groß und die Bewun- derung der akademiſchen Weltkinder für den unerſchrockenen Kämpfer ſo lebendig, daß ihm auf die Dauer ein philoſophiſcher Lehrſtuhl kaum ent- gehen konnte. Der ſchwäbiſche Starrkopf verlangte aber nach einer theo- logiſchen Profeſſur, obgleich er ſchon faſt alle Grundlehren des Chriſten- thums in Frage geſtellt hatte; es war genau daſſelbe, wie wenn Martin Luther gefordert hätte, mitſammt ſeiner Frau Katharina General des Auguſtinerordens zu werden. Und wirklich fanden ſich einige akademiſche Heißſporne bereit, dies ſonderbare Begehren zu unterſtützen. In Zürich hatte die neue radicale Regierung kürzlich eine Univerſität gegründet, die alsbald mehrere tüchtige Gelehrte aus der dichten Schaar der deutſchen Demagogen und Unzufriedenen an ſich zog. Lorenz Oken, der ſich in München nach ſeiner Gewohnheit wieder mit den Behörden überworfen hatte, wurde ihr erſter Rector und ſchrieb dort ſein beſtes Werk, die Na- turgeſchichte. Warum ſollte dies neue Limmat-Athen, das mit unend- licher Verachtung auf die deutſchen Fürſtenknechte herabſchaute, nicht auch dem beſtgehaßten Manne der deutſchen Theologenzunft den Lehrſtuhl der Dogmatik anvertrauen? Einige der Züricher Radicalen hofften ſchon, auf die vollendete politiſche Umwälzung werde eine neue kirchliche Reformation folgen. Nach heftigem Widerſpruch wurde die Berufung bei den Canto- nalbehörden durchgeſetzt und Strauß erklärte ſich ſofort bereit, ihr zu folgen (1839). Doch unmöglich konnte die Heimath Zwingli’s einen ſolchen Ab- fall von allen ihren alten Ueberlieferungen gelaſſen hinnehmen. In der behaglichen Anarchie dieſes demokratiſchen Staatsweſens meinte ſich jeder Gaisbub berechtigt, über die Befähigung theologiſcher Profeſſoren ſein ſach- verſtändiges Gutachten abzugeben. Einige rechtgläubige Eiferer erhoben den Schreckensruf „die Religion iſt in Gefahr“, Hurter und die Ultra- montanen der Nachbarcantone ſtimmten kräftig ein, das geſammte Bauern- volk am See wurde aufſäſſig, und die gemäßigte Partei in der Stadt, an deren Spitze der junge liberale Freimaurer J. C. Bluntſchli ſtand, ſchloß ſich der Volksbewegung an. Die Regierung erſchrak, ſie nahm ihren Beſchluß zurück und fand ſich mit dem Berufenen ab durch eine Jahres- penſion von 1000 Franken, welche Strauß, auf ſein Recht trotzend, un- bedenklich annahm, aber zu wohlthätigen Zwecken verwendete. Den ſpar- ſamen Seebauern dagegen erſchienen dieſe einem Ausländer gewährten tauſend Franken als eine frevelhafte Verſchwendung, da ihr Canton nie- mals Penſionen zahlte; ſie lärmten wider „die Straußen“ und ruhten nicht, bis ſie durch offenen Aufruhr, durch den „Züriputſch“ die radicale Regierung geſtürzt hatten.
Dieſe tragikomiſche Revolution brachte den Namen des ſchwäbiſchen Theologen gänzlich in Verruf; keine der deutſchen philoſophiſchen Facul- täten wagte mehr, dem Beſcholtenen einen angemeſſenen Wirkungskreis für ſein glänzendes Lehrtalent anzubieten. Aber auch er ſelbſt wurde durch
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Der Züriputſch.
Seine wiſſenſchaftliche Ueberlegenheit war ſo groß und die Bewun-
derung der akademiſchen Weltkinder für den unerſchrockenen Kämpfer ſo
lebendig, daß ihm auf die Dauer ein philoſophiſcher Lehrſtuhl kaum ent-
gehen konnte. Der ſchwäbiſche Starrkopf verlangte aber nach einer theo-
logiſchen Profeſſur, obgleich er ſchon faſt alle Grundlehren des Chriſten-
thums in Frage geſtellt hatte; es war genau daſſelbe, wie wenn Martin
Luther gefordert hätte, mitſammt ſeiner Frau Katharina General des
Auguſtinerordens zu werden. Und wirklich fanden ſich einige akademiſche
Heißſporne bereit, dies ſonderbare Begehren zu unterſtützen. In Zürich
hatte die neue radicale Regierung kürzlich eine Univerſität gegründet, die
alsbald mehrere tüchtige Gelehrte aus der dichten Schaar der deutſchen
Demagogen und Unzufriedenen an ſich zog. Lorenz Oken, der ſich in
München nach ſeiner Gewohnheit wieder mit den Behörden überworfen
hatte, wurde ihr erſter Rector und ſchrieb dort ſein beſtes Werk, die Na-
turgeſchichte. Warum ſollte dies neue Limmat-Athen, das mit unend-
licher Verachtung auf die deutſchen Fürſtenknechte herabſchaute, nicht auch
dem beſtgehaßten Manne der deutſchen Theologenzunft den Lehrſtuhl der
Dogmatik anvertrauen? Einige der Züricher Radicalen hofften ſchon, auf
die vollendete politiſche Umwälzung werde eine neue kirchliche Reformation
folgen. Nach heftigem Widerſpruch wurde die Berufung bei den Canto-
nalbehörden durchgeſetzt und Strauß erklärte ſich ſofort bereit, ihr zu folgen
(1839). Doch unmöglich konnte die Heimath Zwingli’s einen ſolchen Ab-
fall von allen ihren alten Ueberlieferungen gelaſſen hinnehmen. In der
behaglichen Anarchie dieſes demokratiſchen Staatsweſens meinte ſich jeder
Gaisbub berechtigt, über die Befähigung theologiſcher Profeſſoren ſein ſach-
verſtändiges Gutachten abzugeben. Einige rechtgläubige Eiferer erhoben
den Schreckensruf „die Religion iſt in Gefahr“, Hurter und die Ultra-
montanen der Nachbarcantone ſtimmten kräftig ein, das geſammte Bauern-
volk am See wurde aufſäſſig, und die gemäßigte Partei in der Stadt,
an deren Spitze der junge liberale Freimaurer J. C. Bluntſchli ſtand,
ſchloß ſich der Volksbewegung an. Die Regierung erſchrak, ſie nahm ihren
Beſchluß zurück und fand ſich mit dem Berufenen ab durch eine Jahres-
penſion von 1000 Franken, welche Strauß, auf ſein Recht trotzend, un-
bedenklich annahm, aber zu wohlthätigen Zwecken verwendete. Den ſpar-
ſamen Seebauern dagegen erſchienen dieſe einem Ausländer gewährten
tauſend Franken als eine frevelhafte Verſchwendung, da ihr Canton nie-
mals Penſionen zahlte; ſie lärmten wider „die Straußen“ und ruhten
nicht, bis ſie durch offenen Aufruhr, durch den „Züriputſch“ die radicale
Regierung geſtürzt hatten.
Dieſe tragikomiſche Revolution brachte den Namen des ſchwäbiſchen
Theologen gänzlich in Verruf; keine der deutſchen philoſophiſchen Facul-
täten wagte mehr, dem Beſcholtenen einen angemeſſenen Wirkungskreis
für ſein glänzendes Lehrtalent anzubieten. Aber auch er ſelbſt wurde durch
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/505>, abgerufen am 24.11.2024.
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