Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 7. Das Junge Deutschland. breitung. Seine Sonne leuchtete noch als sie längst am Horizonte ver-sunken war. Hegel's alter Freund Altenstein beklagte tief, "welcher Stern erster Größe für die Welt untergegangen" sei, und wollte nun mindestens der Lehre des Verstorbenen die Herrschaft auf den preußischen Hochschulen sichern. Umsonst verlangten der Kronprinz und seine romantischen Freunde, unterstützt von den Brüdern Humboldt, daß Schelling als der einzige ebenbürtige Nachfolger auf den verwaisten Berliner Lehrstuhl berufen würde. Der Minister und sein getreuer Johannes Schulze widerstanden hartnäckig, denn Schelling hatte sich seit Jahren von dem Freunde seiner Jugend getrennt und soeben erst öffentlich ausgesprochen, das Hegel'sche System sei ein Rückfall in die Scholastik, eine wenig fruchtbare Episode der deutschen Philosophie. Altenstein hielt sich von Amtswegen verpflichtet, in der Kirche den wahren Glauben, in der Wissenschaft den reinen Be- griff zu beschützen; er erklärte dem Könige (1835): "In den preußischen Staaten hat schon ein tiefer begründetes philosophisches System dem an- maßlichen unheiligen Treiben ein Ende gemacht. Für eine andere Philo- sophie kann das Ministerium die Bürgschaft nicht übernehmen, besonders nicht für die Schelling'sche." Nach langen Verhandlungen berief man endlich "die verhängnißvolle Gabel", wie Alexander Humboldt spottete: den Bayreuther Rector Gabler, einen trockenen, hochconservativen Hege- lianer, der auf jedes Wort des Meisters schwor und einen Widerspruch zwischen der Identitätsphilosophie und der christlichen Offenbarung nirgends zu entdecken vermochte. Niemand sprach mehr von ihm, sobald die erste Ueberraschung verwunden war. Durch diese lächerliche Berufung wurde Hegel's Lehre förmlich als IV. 7. Das Junge Deutſchland. breitung. Seine Sonne leuchtete noch als ſie längſt am Horizonte ver-ſunken war. Hegel’s alter Freund Altenſtein beklagte tief, „welcher Stern erſter Größe für die Welt untergegangen“ ſei, und wollte nun mindeſtens der Lehre des Verſtorbenen die Herrſchaft auf den preußiſchen Hochſchulen ſichern. Umſonſt verlangten der Kronprinz und ſeine romantiſchen Freunde, unterſtützt von den Brüdern Humboldt, daß Schelling als der einzige ebenbürtige Nachfolger auf den verwaiſten Berliner Lehrſtuhl berufen würde. Der Miniſter und ſein getreuer Johannes Schulze widerſtanden hartnäckig, denn Schelling hatte ſich ſeit Jahren von dem Freunde ſeiner Jugend getrennt und ſoeben erſt öffentlich ausgeſprochen, das Hegel’ſche Syſtem ſei ein Rückfall in die Scholaſtik, eine wenig fruchtbare Epiſode der deutſchen Philoſophie. Altenſtein hielt ſich von Amtswegen verpflichtet, in der Kirche den wahren Glauben, in der Wiſſenſchaft den reinen Be- griff zu beſchützen; er erklärte dem Könige (1835): „In den preußiſchen Staaten hat ſchon ein tiefer begründetes philoſophiſches Syſtem dem an- maßlichen unheiligen Treiben ein Ende gemacht. Für eine andere Philo- ſophie kann das Miniſterium die Bürgſchaft nicht übernehmen, beſonders nicht für die Schelling’ſche.“ Nach langen Verhandlungen berief man endlich „die verhängnißvolle Gabel“, wie Alexander Humboldt ſpottete: den Bayreuther Rector Gabler, einen trockenen, hochconſervativen Hege- lianer, der auf jedes Wort des Meiſters ſchwor und einen Widerſpruch zwiſchen der Identitätsphiloſophie und der chriſtlichen Offenbarung nirgends zu entdecken vermochte. Niemand ſprach mehr von ihm, ſobald die erſte Ueberraſchung verwunden war. Durch dieſe lächerliche Berufung wurde Hegel’s Lehre förmlich als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0496" n="482"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 7. Das Junge Deutſchland.</fw><lb/> breitung. Seine Sonne leuchtete noch als ſie längſt am Horizonte ver-<lb/> ſunken war. Hegel’s alter Freund Altenſtein beklagte tief, „welcher Stern<lb/> erſter Größe für die Welt untergegangen“ ſei, und wollte nun mindeſtens<lb/> der Lehre des Verſtorbenen die Herrſchaft auf den preußiſchen Hochſchulen<lb/> ſichern. Umſonſt verlangten der Kronprinz und ſeine romantiſchen Freunde,<lb/> unterſtützt von den Brüdern Humboldt, daß Schelling als der einzige<lb/> ebenbürtige Nachfolger auf den verwaiſten Berliner Lehrſtuhl berufen<lb/> würde. Der Miniſter und ſein getreuer Johannes Schulze widerſtanden<lb/> hartnäckig, denn Schelling hatte ſich ſeit Jahren von dem Freunde ſeiner<lb/> Jugend getrennt und ſoeben erſt öffentlich ausgeſprochen, das Hegel’ſche<lb/> Syſtem ſei ein Rückfall in die Scholaſtik, eine wenig fruchtbare Epiſode<lb/> der deutſchen Philoſophie. Altenſtein hielt ſich von Amtswegen verpflichtet,<lb/> in der Kirche den wahren Glauben, in der Wiſſenſchaft den reinen Be-<lb/> griff zu beſchützen; er erklärte dem Könige (1835): „In den preußiſchen<lb/> Staaten hat ſchon ein tiefer begründetes philoſophiſches Syſtem dem an-<lb/> maßlichen unheiligen Treiben ein Ende gemacht. Für eine andere Philo-<lb/> ſophie kann das Miniſterium die Bürgſchaft nicht übernehmen, beſonders<lb/> nicht für die Schelling’ſche.“ Nach langen Verhandlungen berief man<lb/> endlich „die verhängnißvolle Gabel“, wie Alexander Humboldt ſpottete:<lb/> den Bayreuther Rector Gabler, einen trockenen, hochconſervativen Hege-<lb/> lianer, der auf jedes Wort des Meiſters ſchwor und einen Widerſpruch<lb/> zwiſchen der Identitätsphiloſophie und der chriſtlichen Offenbarung nirgends<lb/> zu entdecken vermochte. Niemand ſprach mehr von ihm, ſobald die erſte<lb/> Ueberraſchung verwunden war.</p><lb/> <p>Durch dieſe lächerliche Berufung wurde Hegel’s Lehre förmlich als<lb/> preußiſche Staatsphiloſophie anerkannt. Seine ſämmtlichen Werke gab<lb/> Johannes Schulze im Vereine mit Gans, Hotho u. A. heraus, und die<lb/> Sammlung fand unzählige Bewunderer. Im Auslande fühlten ſich<lb/> namentlich die vornehmen Ruſſen und Polen von der gewaltigen Selbſt-<lb/> gewißheit dieſes Syſtems angezogen, weil ihre Halbbildung nach einer<lb/> feſten Autorität verlangte. Unterdeſſen bemühten ſich die Schüler das<lb/> Lehrgebäude in allen ſeinen Theilen auszubauen; mit heiligem Eifer, im<lb/> Bewußtſein einer weltgeſchichtlichen Aufgabe, ſchritten ſie an’s Werk, denn<lb/> nicht umſonſt hatte ihnen der ehrlich begeiſterte alte Lützower Fritz Förſter<lb/> am Grabe des Meiſters zugerufen: der Alexander der Wiſſenſchaft ſei<lb/> dahin, nun ſollten ſeine Generale ſich als Diadochen in ſein Reich theilen.<lb/> Die Univerſalität des Syſtems und ſeine in alle Sättel gerechte Methode<lb/> erleichterten in der That die Arbeitstheilung. Der beſcheidenſte aller<lb/> Hegelianer, Karl Roſenkranz in Königsberg, ein edler, um die humane<lb/> Bildung Altpreußens hochverdienter Mann, führte die pſychologiſchen und<lb/> äſthetiſchen Unterſuchungen Hegel’s weiter, während der Schwabe Friedrich<lb/> Viſcher in ſeinen äſthetiſchen Abhandlungen neue, aus der Fülle des an-<lb/> geſchauten Lebens gewonnene Gedanken ausſprach, die nur darum nicht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [482/0496]
IV. 7. Das Junge Deutſchland.
breitung. Seine Sonne leuchtete noch als ſie längſt am Horizonte ver-
ſunken war. Hegel’s alter Freund Altenſtein beklagte tief, „welcher Stern
erſter Größe für die Welt untergegangen“ ſei, und wollte nun mindeſtens
der Lehre des Verſtorbenen die Herrſchaft auf den preußiſchen Hochſchulen
ſichern. Umſonſt verlangten der Kronprinz und ſeine romantiſchen Freunde,
unterſtützt von den Brüdern Humboldt, daß Schelling als der einzige
ebenbürtige Nachfolger auf den verwaiſten Berliner Lehrſtuhl berufen
würde. Der Miniſter und ſein getreuer Johannes Schulze widerſtanden
hartnäckig, denn Schelling hatte ſich ſeit Jahren von dem Freunde ſeiner
Jugend getrennt und ſoeben erſt öffentlich ausgeſprochen, das Hegel’ſche
Syſtem ſei ein Rückfall in die Scholaſtik, eine wenig fruchtbare Epiſode
der deutſchen Philoſophie. Altenſtein hielt ſich von Amtswegen verpflichtet,
in der Kirche den wahren Glauben, in der Wiſſenſchaft den reinen Be-
griff zu beſchützen; er erklärte dem Könige (1835): „In den preußiſchen
Staaten hat ſchon ein tiefer begründetes philoſophiſches Syſtem dem an-
maßlichen unheiligen Treiben ein Ende gemacht. Für eine andere Philo-
ſophie kann das Miniſterium die Bürgſchaft nicht übernehmen, beſonders
nicht für die Schelling’ſche.“ Nach langen Verhandlungen berief man
endlich „die verhängnißvolle Gabel“, wie Alexander Humboldt ſpottete:
den Bayreuther Rector Gabler, einen trockenen, hochconſervativen Hege-
lianer, der auf jedes Wort des Meiſters ſchwor und einen Widerſpruch
zwiſchen der Identitätsphiloſophie und der chriſtlichen Offenbarung nirgends
zu entdecken vermochte. Niemand ſprach mehr von ihm, ſobald die erſte
Ueberraſchung verwunden war.
Durch dieſe lächerliche Berufung wurde Hegel’s Lehre förmlich als
preußiſche Staatsphiloſophie anerkannt. Seine ſämmtlichen Werke gab
Johannes Schulze im Vereine mit Gans, Hotho u. A. heraus, und die
Sammlung fand unzählige Bewunderer. Im Auslande fühlten ſich
namentlich die vornehmen Ruſſen und Polen von der gewaltigen Selbſt-
gewißheit dieſes Syſtems angezogen, weil ihre Halbbildung nach einer
feſten Autorität verlangte. Unterdeſſen bemühten ſich die Schüler das
Lehrgebäude in allen ſeinen Theilen auszubauen; mit heiligem Eifer, im
Bewußtſein einer weltgeſchichtlichen Aufgabe, ſchritten ſie an’s Werk, denn
nicht umſonſt hatte ihnen der ehrlich begeiſterte alte Lützower Fritz Förſter
am Grabe des Meiſters zugerufen: der Alexander der Wiſſenſchaft ſei
dahin, nun ſollten ſeine Generale ſich als Diadochen in ſein Reich theilen.
Die Univerſalität des Syſtems und ſeine in alle Sättel gerechte Methode
erleichterten in der That die Arbeitstheilung. Der beſcheidenſte aller
Hegelianer, Karl Roſenkranz in Königsberg, ein edler, um die humane
Bildung Altpreußens hochverdienter Mann, führte die pſychologiſchen und
äſthetiſchen Unterſuchungen Hegel’s weiter, während der Schwabe Friedrich
Viſcher in ſeinen äſthetiſchen Abhandlungen neue, aus der Fülle des an-
geſchauten Lebens gewonnene Gedanken ausſprach, die nur darum nicht
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |