Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Böckh und Hermann. Die Naturforschung. Gauß, verschmähte zu lehren. Wie anders stand es jetzt; wie viele kräf-tige Talente waren auf allen Gebieten der exacten Wissenschaften aufge- treten, seit Alexander Humboldt wieder in Deutschland weilte. Die Herr- schaft der träumenden Naturphilosophen ging zu Ende. Zum letzten male, im Jahre 1827, ließen sie an dem geistvollen Physiker Ohm ihren Ueber- muth aus; der hatte den Zorn der Hegel'schen Jahrbücher erregt, weil die wohlgesicherten Ergebnisse seiner Theorie des Galvanismus mit den Hirngespinsten des Systems nicht stimmen wollten, und wurde daraufhin von den Hegelianern des Cultusministeriums so geringschätzig behandelt, daß er gekränkt sein Lehramt in Köln aufgab. Seitdem war das Selbst- gefühl der jungen Naturforscher, die sich unter Humboldt's Banner zu- sammenfanden, beständig gewachsen; sie fühlten sich froh als die Träger eines sicheren, in Allem erweisbaren Wissens und lachten über die will- kürlichen Constructionen der Philosophen, während diese kaum noch einen offenen Angriff wagten. Wohl wurde Hendrik Steffens, der in Schel- ling's Weise Naturphilosophie lehrte, nach Berlin berufen, weil der Kron- prinz ihn den widerwärtigen Händeln der Breslauer Altlutheraner ent- ziehen wollte. Sein fürstlicher Gönner glaubte, "daß ein Mann wie Stef- fens des Lebens in der Hauptstadt zu seinem eigenen Besten bedarf, ebenso sehr wie die Hauptstadt an ihm die Acquisition eines ihr fehlenden Cha- rakters unter den ausgezeichneten Lehrern der Hochschule machen würde".*) Aber der Einfluß des begeisterten Schwärmers auf die Berliner Wissen- schaft blieb gering, obwohl seine warme Beredsamkeit manche Zuhörer anzog. Es klang wie ein wehmüthiger Abschiedsgruß der alten an die neue Zeit, als er beim Doctor-Examen (1837) dem jungen Geologen Beyrich bezeugte: "die Antworten bewiesen, daß der Candidat sich mehr mit den Gegen- ständen selbst als mit dem Absoluten beschäftigt hat." Die anderen Exa- minatoren kehrten sich an diesen Tadel nicht, sie huldigten allesammt schon der ketzerischen Ansicht, daß dem Naturforscher das Absolute sich erst aus der Erkenntniß der Gegenstände ergeben dürfe. Wie gründlich diese neue Wissenschaft dereinst noch alle Lebensge- *) Kronprinz Fr. Wilhelm an Altenstein, 23. Oct., 30. Decbr. 1831, 15. Jan. 1832.
Böckh und Hermann. Die Naturforſchung. Gauß, verſchmähte zu lehren. Wie anders ſtand es jetzt; wie viele kräf-tige Talente waren auf allen Gebieten der exacten Wiſſenſchaften aufge- treten, ſeit Alexander Humboldt wieder in Deutſchland weilte. Die Herr- ſchaft der träumenden Naturphiloſophen ging zu Ende. Zum letzten male, im Jahre 1827, ließen ſie an dem geiſtvollen Phyſiker Ohm ihren Ueber- muth aus; der hatte den Zorn der Hegel’ſchen Jahrbücher erregt, weil die wohlgeſicherten Ergebniſſe ſeiner Theorie des Galvanismus mit den Hirngeſpinſten des Syſtems nicht ſtimmen wollten, und wurde daraufhin von den Hegelianern des Cultusminiſteriums ſo geringſchätzig behandelt, daß er gekränkt ſein Lehramt in Köln aufgab. Seitdem war das Selbſt- gefühl der jungen Naturforſcher, die ſich unter Humboldt’s Banner zu- ſammenfanden, beſtändig gewachſen; ſie fühlten ſich froh als die Träger eines ſicheren, in Allem erweisbaren Wiſſens und lachten über die will- kürlichen Conſtructionen der Philoſophen, während dieſe kaum noch einen offenen Angriff wagten. Wohl wurde Hendrik Steffens, der in Schel- ling’s Weiſe Naturphiloſophie lehrte, nach Berlin berufen, weil der Kron- prinz ihn den widerwärtigen Händeln der Breslauer Altlutheraner ent- ziehen wollte. Sein fürſtlicher Gönner glaubte, „daß ein Mann wie Stef- fens des Lebens in der Hauptſtadt zu ſeinem eigenen Beſten bedarf, ebenſo ſehr wie die Hauptſtadt an ihm die Acquiſition eines ihr fehlenden Cha- rakters unter den ausgezeichneten Lehrern der Hochſchule machen würde“.*) Aber der Einfluß des begeiſterten Schwärmers auf die Berliner Wiſſen- ſchaft blieb gering, obwohl ſeine warme Beredſamkeit manche Zuhörer anzog. Es klang wie ein wehmüthiger Abſchiedsgruß der alten an die neue Zeit, als er beim Doctor-Examen (1837) dem jungen Geologen Beyrich bezeugte: „die Antworten bewieſen, daß der Candidat ſich mehr mit den Gegen- ſtänden ſelbſt als mit dem Abſoluten beſchäftigt hat.“ Die anderen Exa- minatoren kehrten ſich an dieſen Tadel nicht, ſie huldigten alleſammt ſchon der ketzeriſchen Anſicht, daß dem Naturforſcher das Abſolute ſich erſt aus der Erkenntniß der Gegenſtände ergeben dürfe. Wie gründlich dieſe neue Wiſſenſchaft dereinſt noch alle Lebensge- *) Kronprinz Fr. Wilhelm an Altenſtein, 23. Oct., 30. Decbr. 1831, 15. Jan. 1832.
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Böckh und Hermann. Die Naturforſchung.
Gauß, verſchmähte zu lehren. Wie anders ſtand es jetzt; wie viele kräf-
tige Talente waren auf allen Gebieten der exacten Wiſſenſchaften aufge-
treten, ſeit Alexander Humboldt wieder in Deutſchland weilte. Die Herr-
ſchaft der träumenden Naturphiloſophen ging zu Ende. Zum letzten male,
im Jahre 1827, ließen ſie an dem geiſtvollen Phyſiker Ohm ihren Ueber-
muth aus; der hatte den Zorn der Hegel’ſchen Jahrbücher erregt, weil
die wohlgeſicherten Ergebniſſe ſeiner Theorie des Galvanismus mit den
Hirngeſpinſten des Syſtems nicht ſtimmen wollten, und wurde daraufhin
von den Hegelianern des Cultusminiſteriums ſo geringſchätzig behandelt,
daß er gekränkt ſein Lehramt in Köln aufgab. Seitdem war das Selbſt-
gefühl der jungen Naturforſcher, die ſich unter Humboldt’s Banner zu-
ſammenfanden, beſtändig gewachſen; ſie fühlten ſich froh als die Träger
eines ſicheren, in Allem erweisbaren Wiſſens und lachten über die will-
kürlichen Conſtructionen der Philoſophen, während dieſe kaum noch einen
offenen Angriff wagten. Wohl wurde Hendrik Steffens, der in Schel-
ling’s Weiſe Naturphiloſophie lehrte, nach Berlin berufen, weil der Kron-
prinz ihn den widerwärtigen Händeln der Breslauer Altlutheraner ent-
ziehen wollte. Sein fürſtlicher Gönner glaubte, „daß ein Mann wie Stef-
fens des Lebens in der Hauptſtadt zu ſeinem eigenen Beſten bedarf, ebenſo
ſehr wie die Hauptſtadt an ihm die Acquiſition eines ihr fehlenden Cha-
rakters unter den ausgezeichneten Lehrern der Hochſchule machen würde“. *)
Aber der Einfluß des begeiſterten Schwärmers auf die Berliner Wiſſen-
ſchaft blieb gering, obwohl ſeine warme Beredſamkeit manche Zuhörer anzog.
Es klang wie ein wehmüthiger Abſchiedsgruß der alten an die neue Zeit,
als er beim Doctor-Examen (1837) dem jungen Geologen Beyrich bezeugte:
„die Antworten bewieſen, daß der Candidat ſich mehr mit den Gegen-
ſtänden ſelbſt als mit dem Abſoluten beſchäftigt hat.“ Die anderen Exa-
minatoren kehrten ſich an dieſen Tadel nicht, ſie huldigten alleſammt ſchon
der ketzeriſchen Anſicht, daß dem Naturforſcher das Abſolute ſich erſt aus
der Erkenntniß der Gegenſtände ergeben dürfe.
Wie gründlich dieſe neue Wiſſenſchaft dereinſt noch alle Lebensge-
wohnheiten der Nation verwandeln mußte, das ließ ſich bereits an der
jugendlichen deutſchen Induſtrie erkennen. Im Jahre 1785 war in den
Hettſtedter Kupferbergwerken in der Grafſchaft Mansfeld die erſte ganz
von Deutſchen gebaute Dampfmaſchine aufgeſtellt worden; jetzt konnte
ſchon in den meiſten Gewerbszweigen der Großbetrieb ohne Dampfkraft nicht
mehr gedeihen, und auch die Landwirthſchaft ſpürte längſt die belebende
Kraft der neuen Erkenntniß. Schon unter Friedrich dem Großen hatte der
Berliner Chemiker Marggraf den Rübenzucker dargeſtellt; doch erſt in dem
neuen Jahrhundert begann man die Erfindung praktiſch zu verwerthen,
und im Jahre 1840 beſaß der Zollverein bereits 145 Rübenzuckerfabriken,
*) Kronprinz Fr. Wilhelm an Altenſtein, 23. Oct., 30. Decbr. 1831, 15. Jan. 1832.
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