Menschheit, das ihn sein Lebtag beschäftigt hatte, und zeigte: wie der Mensch nur Mensch ist durch die Sprache, doch gewiß nicht ihr Schöpfer, da er schon Mensch sein müßte um sie zu erfinden; wie das Räthselhafte der Sprache nicht im Reden liegt, sondern im Verstehen, das nur be- griffen werden kann, wenn man erkennt, daß Ich und Du wahrhaft iden- tische Begriffe sind; wie die Sprache zugleich der Seele fremd und ihr angehörig ist, abhängig von den Denkgesetzen und doch frei, da sich das Widersinnige nicht denken wohl aber sagen läßt; wie der Organismus der Sprache durch die ganze Nation geschaffen wird, ihre Cultur hingegen durch die Einzelnen und sie also zugleich national ist und individuell, be- herrscht durch eine alte Vergangenheit und neu in jedem Augenblicke, nicht ein Werk, sondern eine Thätigkeit, stufenweise fortschreitend in der Regel, doch zuweilen auch plötzlich durch die unmittelbare schöpferische Kraft des Genies, die in ganzen Völkern sich ebenso mächtig zeigt, wie in den Ein- zelnen; wie sie wissenschaftlich behandelt werden kann lediglich als ein Zeichen für den Gedanken, aber auch lebendig, rednerisch für jede Erkennt- niß, welche die ungetheilten Kräfte des Menschen fordert, und darum auf Poesie, Philosophie, Geschichte alle eigentliche Bildung unseres Geschlechtes beruht.
Vor Jahren hatte der alte Blumenbach die Materialisten auf's Haupt geschlagen durch die einfache Bemerkung: "Warum kann der Affe nicht sprechen? Weil er nichts zu sagen hat." Was Jener nur witzig an- gedeutet, wurde durch Humboldt endgiltig erwiesen: daß die Sprache mit der Vernunft, dem Selbstbewußtsein unmittelbar gegeben, der Begriff vom Worte nicht zu trennen und Verschiedenheit der Sprache nichts an- deres ist als Verschiedenheit der Weltansicht. Aus der Fülle seines un- vergleichlichen sprachlichen Wissens heraus zeigte er dann im Einzelnen, wie der Gedanke durch das Zeitwort in die Wirklichkeit übertritt, wie der Relativsatz nur die Eigenschaft eines Hauptworts bezeichnet -- und so weiter, lauter schöpferische Ideen, welche der vergleichenden Sprachwissenschaft auf lange hinaus die Richtung wiesen. Es war das letzte Vermächtniß jenes alten stolzen deutschen Idealismus, der einst die Tage von Weimar und Jena durchleuchtet hatte. Humboldt starb (8. April 1835) noch vor der Vollendung des Werkes über die Kawi-Sprache, das durch jene Ab- handlung eingeleitet werden sollte; mit heiterer Ruhe, erhaben über alles Schicksal, ertrug er die Qualen seiner letzten Krankheit. Neben seinem Tegeler Schlosse, auf der Höhe über dem blauen See hatte er schon vor Jahren seiner Gattin und seinem treuen Lehrer Kunth eine weihevolle Ruhestätte bereitet. Nordische Fichten umgrenzten den stillen Raum, und von schlanker Säule schaute das Marmorbild der Spes, ein Werk Thor- waldsen's, auf den Epheu der Gräber nieder. Dort ward auch er be- stattet, der große Hellene germanischen Stammes.
Schon war ein Menschenalter vergangen, seit der Baum der histo-
W. v. Humboldt und die Sprachwiſſenſchaft.
Menſchheit, das ihn ſein Lebtag beſchäftigt hatte, und zeigte: wie der Menſch nur Menſch iſt durch die Sprache, doch gewiß nicht ihr Schöpfer, da er ſchon Menſch ſein müßte um ſie zu erfinden; wie das Räthſelhafte der Sprache nicht im Reden liegt, ſondern im Verſtehen, das nur be- griffen werden kann, wenn man erkennt, daß Ich und Du wahrhaft iden- tiſche Begriffe ſind; wie die Sprache zugleich der Seele fremd und ihr angehörig iſt, abhängig von den Denkgeſetzen und doch frei, da ſich das Widerſinnige nicht denken wohl aber ſagen läßt; wie der Organismus der Sprache durch die ganze Nation geſchaffen wird, ihre Cultur hingegen durch die Einzelnen und ſie alſo zugleich national iſt und individuell, be- herrſcht durch eine alte Vergangenheit und neu in jedem Augenblicke, nicht ein Werk, ſondern eine Thätigkeit, ſtufenweiſe fortſchreitend in der Regel, doch zuweilen auch plötzlich durch die unmittelbare ſchöpferiſche Kraft des Genies, die in ganzen Völkern ſich ebenſo mächtig zeigt, wie in den Ein- zelnen; wie ſie wiſſenſchaftlich behandelt werden kann lediglich als ein Zeichen für den Gedanken, aber auch lebendig, redneriſch für jede Erkennt- niß, welche die ungetheilten Kräfte des Menſchen fordert, und darum auf Poeſie, Philoſophie, Geſchichte alle eigentliche Bildung unſeres Geſchlechtes beruht.
Vor Jahren hatte der alte Blumenbach die Materialiſten auf’s Haupt geſchlagen durch die einfache Bemerkung: „Warum kann der Affe nicht ſprechen? Weil er nichts zu ſagen hat.“ Was Jener nur witzig an- gedeutet, wurde durch Humboldt endgiltig erwieſen: daß die Sprache mit der Vernunft, dem Selbſtbewußtſein unmittelbar gegeben, der Begriff vom Worte nicht zu trennen und Verſchiedenheit der Sprache nichts an- deres iſt als Verſchiedenheit der Weltanſicht. Aus der Fülle ſeines un- vergleichlichen ſprachlichen Wiſſens heraus zeigte er dann im Einzelnen, wie der Gedanke durch das Zeitwort in die Wirklichkeit übertritt, wie der Relativſatz nur die Eigenſchaft eines Hauptworts bezeichnet — und ſo weiter, lauter ſchöpferiſche Ideen, welche der vergleichenden Sprachwiſſenſchaft auf lange hinaus die Richtung wieſen. Es war das letzte Vermächtniß jenes alten ſtolzen deutſchen Idealismus, der einſt die Tage von Weimar und Jena durchleuchtet hatte. Humboldt ſtarb (8. April 1835) noch vor der Vollendung des Werkes über die Kawi-Sprache, das durch jene Ab- handlung eingeleitet werden ſollte; mit heiterer Ruhe, erhaben über alles Schickſal, ertrug er die Qualen ſeiner letzten Krankheit. Neben ſeinem Tegeler Schloſſe, auf der Höhe über dem blauen See hatte er ſchon vor Jahren ſeiner Gattin und ſeinem treuen Lehrer Kunth eine weihevolle Ruheſtätte bereitet. Nordiſche Fichten umgrenzten den ſtillen Raum, und von ſchlanker Säule ſchaute das Marmorbild der Spes, ein Werk Thor- waldſen’s, auf den Epheu der Gräber nieder. Dort ward auch er be- ſtattet, der große Hellene germaniſchen Stammes.
Schon war ein Menſchenalter vergangen, ſeit der Baum der hiſto-
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W. v. Humboldt und die Sprachwiſſenſchaft.
Menſchheit, das ihn ſein Lebtag beſchäftigt hatte, und zeigte: wie der
Menſch nur Menſch iſt durch die Sprache, doch gewiß nicht ihr Schöpfer,
da er ſchon Menſch ſein müßte um ſie zu erfinden; wie das Räthſelhafte
der Sprache nicht im Reden liegt, ſondern im Verſtehen, das nur be-
griffen werden kann, wenn man erkennt, daß Ich und Du wahrhaft iden-
tiſche Begriffe ſind; wie die Sprache zugleich der Seele fremd und ihr
angehörig iſt, abhängig von den Denkgeſetzen und doch frei, da ſich das
Widerſinnige nicht denken wohl aber ſagen läßt; wie der Organismus der
Sprache durch die ganze Nation geſchaffen wird, ihre Cultur hingegen
durch die Einzelnen und ſie alſo zugleich national iſt und individuell, be-
herrſcht durch eine alte Vergangenheit und neu in jedem Augenblicke, nicht
ein Werk, ſondern eine Thätigkeit, ſtufenweiſe fortſchreitend in der Regel,
doch zuweilen auch plötzlich durch die unmittelbare ſchöpferiſche Kraft des
Genies, die in ganzen Völkern ſich ebenſo mächtig zeigt, wie in den Ein-
zelnen; wie ſie wiſſenſchaftlich behandelt werden kann lediglich als ein
Zeichen für den Gedanken, aber auch lebendig, redneriſch für jede Erkennt-
niß, welche die ungetheilten Kräfte des Menſchen fordert, und darum auf
Poeſie, Philoſophie, Geſchichte alle eigentliche Bildung unſeres Geſchlechtes
beruht.
Vor Jahren hatte der alte Blumenbach die Materialiſten auf’s
Haupt geſchlagen durch die einfache Bemerkung: „Warum kann der Affe
nicht ſprechen? Weil er nichts zu ſagen hat.“ Was Jener nur witzig an-
gedeutet, wurde durch Humboldt endgiltig erwieſen: daß die Sprache mit
der Vernunft, dem Selbſtbewußtſein unmittelbar gegeben, der Begriff
vom Worte nicht zu trennen und Verſchiedenheit der Sprache nichts an-
deres iſt als Verſchiedenheit der Weltanſicht. Aus der Fülle ſeines un-
vergleichlichen ſprachlichen Wiſſens heraus zeigte er dann im Einzelnen,
wie der Gedanke durch das Zeitwort in die Wirklichkeit übertritt, wie der
Relativſatz nur die Eigenſchaft eines Hauptworts bezeichnet — und ſo weiter,
lauter ſchöpferiſche Ideen, welche der vergleichenden Sprachwiſſenſchaft
auf lange hinaus die Richtung wieſen. Es war das letzte Vermächtniß
jenes alten ſtolzen deutſchen Idealismus, der einſt die Tage von Weimar
und Jena durchleuchtet hatte. Humboldt ſtarb (8. April 1835) noch vor
der Vollendung des Werkes über die Kawi-Sprache, das durch jene Ab-
handlung eingeleitet werden ſollte; mit heiterer Ruhe, erhaben über alles
Schickſal, ertrug er die Qualen ſeiner letzten Krankheit. Neben ſeinem
Tegeler Schloſſe, auf der Höhe über dem blauen See hatte er ſchon vor
Jahren ſeiner Gattin und ſeinem treuen Lehrer Kunth eine weihevolle
Ruheſtätte bereitet. Nordiſche Fichten umgrenzten den ſtillen Raum, und
von ſchlanker Säule ſchaute das Marmorbild der Spes, ein Werk Thor-
waldſen’s, auf den Epheu der Gräber nieder. Dort ward auch er be-
ſtattet, der große Hellene germaniſchen Stammes.
Schon war ein Menſchenalter vergangen, ſeit der Baum der hiſto-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/491>, abgerufen am 23.07.2024.
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